Aphorismen zur Lebensweisheit. Lebensalter.

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Erstdruck 1851

===Vom Unterschiede der Lebensalter===.............

  • Ist der Charakter der ersten Lebenshälfte die unbefriedigte Sehsucht nach Glück, so ist der der zweiten Lebenshälfte Besorgnis vor Unglück.

Viele Charaktere nehmen sich in den einzelnen Lebensphasen unterschiedlich aus:

  • Einige sind liebenswürdige Jünglinge, und dann ist’s vorbei,
  • andere kräftige, tätige Männer, denen das Alter jeden Wert raubt.
  • Manche stellen sich am vorteilhaftesten im Alter dar, als wo sie milder, weil erfahrender und gelassener sind.
  • Begabte Individuen hätten in ihrer Jugend oft die Empfindung, von der Menschenwelt verlassen, im Alter ihre entronnen zu sein. Die erstere, eine unangenehme, beruht auf Unbekanntschaft, die zweite, eine angenehme, auf Bekanntschaft mit ihr.
  • An einem jungen Menschen ist es, in intellektueller und moralischer Hinsicht, ein schlechtes Zeichen, wenn er im Tun und Treiben der Menschen sich recht früh zurechtzufinden weiß, sogleich darin zu Hause ist.[1]
  1. Erlaubt wäre das einem Genie. Leider läuft das Mitredenwollen fast immer auf Überschätzung hinaus, sowohl der Urteilskraft als auch der Kenntnis von übergreifenden Zusammenhängen.
  • Was der gereifte Mann durch die Erfahrung seines Lebens erlangt hat und wodurch er die Welt anders sieht, als der Jüngling und Knabe, ist zunächst U n b e f a n g e n h e i t.
  • Warum scheint im Alter das Leben, blickt man zurück, so kurz? Weil man es für so kurz hält, wie die Erinnerungen desselben sind.[1]
  1. Nach einem ereignisreichen Leben ist die Zeit im Rückblick keineswegs verweht.
  • In der Jugend herrscht das Anschauen vor, im Alter die Philosophie.
  • Bisweilen glauben wir, uns nach einem fernen Orte zurückzusehnen, während wir eigentlich uns nach der Zeit zurücksehnen, die wir dort verlebt haben, da wir jünger und frischer waren.
  • Greisen wird die Zeit stets zu kurz und die Tage fliegen pfeilschnell vorüber. Versteht sich, daß ich von Menschen rede, nicht von alt gewordenem Vieh.
  • Erst im Alter wird einem bewusst, daß man von der Niedrigkeit der Welt keine ausreichende Vorstellung gehabt hatte und demnach sein Ziel höher steckte, als sie. Man erfährt beiläufig, was an einem ist.
  • Was einer an „sich selbst hat“, kommt ihm nie mehr zugute, als im Alter.
  • Je länger wir nun leben, umso weniger Vorgänge scheinen uns wichtig oder bedeutend.


Am Ende seiner Glückslehre spielt Schopenhauer mit Astrologie und ordnet dem letzten Jahr einer Lebensdekade jeweils einen Planeten zu, der den erreichten Abschnitt symbolisiert: 10. Lebensjahr Merkur, 20. Lebenjahr Venus, 30. Lebensjahr Mars, 40. Lebensjahr die Planetoiden Ceres, Vesta, Pallas und Juno, 50. Lebensjahr Jupiter und 60. Lebensjahr Saturn. Zuletzt komme Uranos.

Danach wird der Philosoph zum raunenden Beschwörer mythischer Wiedergeburt. Im Meer verkörpere sich nicht Neptun, sondern Eros.[1] Eros jedoch stehe mit dem Tode in geheimen Zusammenhang. So sei der Orkus nicht nur der Nehmende, sondern auch der Gebende und der Tod das große Reservoir des Lebens.

Verschmitzt entlässt er den Leser:

  • Daher also, aus dem Orkus, kommt alles, und dort ist schon jedes gewesen, das jetzt Leben hat: - wären wir nur fähig, den Taschenspielerstreich zu begreifen, vermöge dessen das geschieht. Dann wäre alles klar.


  1. Da Venus aus dem Meer geboren wurde, wirkt der Gedanke nicht befremdlich. Auch klingt die antike Philosophie des Thales von Milet an, nach der das Wasser der Ursprung aller Dinge sei, auch des Lebens.


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