Ein Zitat aus Christoph Hein „Weiskerns Nachlass“ (2011).

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Hans-Peter Haack

In Christoph Heins Roman „Weiskerns Nachlass“ (2011) bekennt der Protagonist Rüdiger Stolzenburg, ein literarisch fingierter Dozent am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, sein Verständnis von Berufstätigkeit:


„Es macht mir Spaß, und meine Arbeit erscheint mir sinnvoll, gibt meinem Leben einen Sinn, um es pathetisch auszudrücken.
Ich würde gern mehr Geld verdienen, aber ich würde nie arbeiten, nur um Geld zu verdienen. Das wäre für mich die schiere
Vergeudung von Lebenszeit.“


Christoph Heins Protagonist wird zwar nur für eine „halbe Stelle“ bezahlt und kommt finanziell gerade so zurecht, doch was für ein Anspruch steht hinter der Erwartung, als Geisteswissenschafter von Staat und Gesellschaft alimentiert zu werden, für eine Tätigkeit, die „Spaß“ macht und die dem Ausführenden sinnvoll „erscheint“, dagegen sinnlos ist für die Absolventen. Denn die werden nach Abschluss ihres Studiums „in die Arbeitslosigkeit entlassen“, was dieser Dozent seinem Institutsdirektor verbittert mitteilt, ohne ihn damit zu überraschen.

Mit dem zitierten Bekenntnis charakterisiert Christoph Hein den im Universitätsbetrieb untergekommenen Geisteswissenschafter: Zu fein für fremdbestimmte Aufgaben, zu fein für Fron und Tretmühle des Arbeitslebens, denn die wären „schiere Vergeudung von Lebenszeit“. Solcher Anspruch läuft auf Verachtung all derer hinaus, die tagein, tagaus eine ungeliebte Arbeit verrichten, ohne „Spaß“, frei von persönlicher Sinnfindung, „nur um Geld zu verdienen“. Wer muss denn nicht alles arbeiten, „nur um Geld zu verdienen“! Gewollt oder ungewollt entlarvt Christoph Hein hier Schmarotzertum und Dünkel, trotz halbem Gehalt, wobei offen bleibt, was überwiegt, Dünkel oder das Schmarotzen. Immerhin stammt Stolzenburgs Universitätsgehalt nicht ausschließlich, aber eben auch aus der Steuerlast derer, die arbeiten müssen, „nur um Geld zu verdienen“. Christoph Heins Geisteswissenschaftler beansprucht Selbstverwirklichung auf Kosten anderer, auch wenn man der Romanfigur und ihren realen Vorbildern zugute halten kann, dass ihnen das gar nicht bewusst ist.

Erfolge hat der geschiedene, noch gut aussehenden Endfünfziger bei hübschen Studentinnen, die, wenn er sie zum Essen einlädt, anschließend unbefangen und munter mit ihm ins Bett gehen. Möglicherweise eine Form von Glück, sofern ein zeitgenössischer Philosoph und Erfolgsautor mit seiner Glücksdefinition Recht hat, indem er Sexualität über Wohlstand und Geld, Aussehen, Intelligenz und Bildung stellt.[1] Das erste informelle Treffen mit den frisch Immatrikulierten nennt Christoph Heins Held insgeheim und selbstironisch „Fleischbeschau“, den weiblichen akademischen Nachwuchs betreffend. Er befürchtet, zu werden wie ein anderer Dozent, den er verachtet. Es würde dann „zwei kleine Dozentenferkel“ am Institut geben, über die die Studenten schwatzen.

Trotzdem verscherzt sich der Neunundfünfzigjährige nicht Sympathie und Mitgefühl des Lesers. Christoph Hein beschreibt filigran ein Netz von materiellen Zwängen und obendrein ein finanzielles Desaster, das seinem Protagonisten widerfährt, aber auch dessen Bemühen, die Selbstachtung nicht zu verlieren. So gesehen ist der geistesstolze Rüdiger Stolzenburg weder arm, noch reich, sondern ein armer Hund. Indem der Autor einige turbulente Wochen aus diesem Dozentenleben erzählt, macht er hintergründig und zugleich plausibel die Überflüssigkeit des Studiengangs Kulturwissenschaft deutlich samt seinen Hochschullehrern.

<references>

  1. Precht, Richard David: Wer bin ich und wenn ja, wie viele. München (2007), 352.