Goethes Faust. Eine heitere Tragödie. Rittersaal.

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Laterna magica. Bildprojektor der Goethezeit. Foto: Andreas Praefcke

Mephistopheles und Faust sind Mitglieder des Kaiserlichen Hofstaats geworden. Mephistopheles hat den Platz des von ihm beseitigten Hofnarren eingenommen, Faust ist Magier und Unterhaltungs-Veranstalter. In dieser Rolle soll er auf Geheiß des Kaisers eine „okkultistische Geisterbeschwörung“ [1] bewerkstelligen, in der Helena und Paris auftreten.

Zuvor hatte Mephistopheles den ruinierten Staatshaushalt mit der Einführung von Papiergeld ("das Papiergespenst der Gulden" (6198)) wieder flott gemacht.

Faust
Erst haben wir ihn reich gemacht,
Nun sollen wir ihn amüsieren. (6191 - 92)

Mephistopheles weiß auch hier Rat, allerdings muss Faust hinab in die Tiefen der Vergangenheit, zu den "Müttern", den Hüterinnen der Mythen. Der Gedanke daran lässt Faust schaudern. Trotzdem wagt er den "Schreckensgang". (6489) Mephistopheles sieht Faust hinterher:

Mephistopheles
Neugierig bin ich, ob er wieder kommt? (6306)

Zurück von der Hadesfahrt gelingt Faust die magische Projektion.[2] Im Rittersaal erscheinen zuerst Paris, darauf Helena.

Mephistopheles, der homosexuell ist,[3] beeindruckt Frauenschönheit nicht.

Mephistopheles
Das wär’ sie denn! Vor dieser hätt’ ich Ruh';'
Hübsch ist sie sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu. (6479 - 80)

Faust ist von der Schönheit des Phantoms hingerissen.

Mephistopheles
So fasst euch doch und fallt nicht aus der Rolle! (6501)

Faust wird eifersüchtig, als das Kunstgebilde Paris das Kunstgebilde Helena küsst.

Mephistopheles
Ruhig! Still!
Laß das Gespenst doch machen was es will. (6514 - 15)

Faust erregt sich immer mehr.

Mephistopheles
Machst du's doch selbst, das Fratzengeisterspiel! (6546)

Faust kann nicht mehr an sich halten und greift nach dem Phantom Helena. Szenenanweisung: „Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.“

Mephistopheles nimmt den ohnmächtigen Faust auf die Schulter, um ihn wegzutragen.

Mephistopheles
Da habt ihr’s nun! Mit Narren sich beladen,
Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden. (6564 - 65)


Faust, so die hintergründige Ironie der Szene "Rittersaal", verwechselt die Kunst mit der Wirklichkeit. Ovids Pygmalion hatte sich ähnlich Faust in ein selbst geschaffenes Kunstprodukt verliebt,[4] - war sich aber schmerzlich bewusst, dass er ein lebloses Gebilde vor sich hatte.


  1. Schöne, Albrecht: Johann Wolfgang Goethe Faust Kommentare. Frankfurt am Main: Klassiker Verlag 1994, S.465
  2. Zu Goethes Zeit stand bühnentechnisch die Laterna magica zur Verfügung. Wurden die Bilder auf wallenden künstlichen Nebel projiziert, entstand der Eindruck von Bewegung.
  3. Vgl. Grablegung. Dort Mephistopheles' erotische Faszination von der Rückseite der nackten Engel.
  4. Auf diese Analogie wird in der tradierten Sekundär-Literatur verwiesen.



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