Kurs:Analysis II/Kapitel IV: Partielle Differentiation für Funktionen mehrerer Veränderlicher/Fundamentalsatz über die inverse Abbildung (§4)

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Definition 1[Bearbeiten]

Unter einer Umgebung eines Punktes verstehen wir eine offene Menge , welche diesen Punkt gemäß enthält.

Auf einer offenen Menge sei eine einmal stetig partiell differenzierbare Abbildung gegeben. Nun untersuchen wir die lokale Umkehrbarkeit der Funktion

(1) im Punkt mit dem Bildpunkt .

Genauer beantworten wir positiv die folgenden Fragen:

  1. Gibt es eine Umgebung des Bildpunktes , die das bijektive Bild einer Umgebung des Punktes bezüglich der Abbildung (1) ist?
  2. Übertragen sich die Differenzierbarkeitseigenschaften von auf die Umkehrabbildung – auch die höhere Differenzierbarkeit?

Bemerkung[Bearbeiten]

Die Lösung des Problems ist offenbar äquivalent zur lokalen Lösung eines nichtlinearen Gleichungssystems der Form

(2) .

Beispiel 1[Bearbeiten]

Eine lineare Abbildung

vermöge

mit den Komponenten

für

und der assoziierten reellen Matrix sei gegeben. Dann zeigt man in der Linearen Algebra die fundamentale Äquivalenz

(3) ist bijektiv .

Die vektorwertige Funktion besitzt die Funktionalmatrix

(4) .

Mit dem Kroneckersymbol ermitteln wir für nämlich

.

Somit erscheint die Äquivalenz (3) in der Form

(5) ist bijektiv .

Also ist die Invertierbarkeit der Funktionalmatrix im Punkt für unsere Fragestellung entscheidend! Nach Formel (17) von Satz 9 aus §1 gilt für die Abbildung (1) die linear-approximative Darstellung

(6) mit .

Definition 2[Bearbeiten]

Auf der offenen Menge sei die folgende Abbildung gegeben. Dann nennen wir
die Funktionaldeterminante oder auch Jacobische (Determinante) der Abbildung im Punkt .

Beispiel 2[Bearbeiten]

Für betrachten wir die Koordinatentransformation zwischen Polarkoordinaten und kartesischen Koordinaten. Auf der offenen Menge

mit

definieren wir die Abbildung

(7) vermöge .

Wir berechnen ihre Funktionalmatrix

(8)

sowie ihre Funktionaldeterminante

(9) in .

Der Fundamentalsatz über die inverse Abbildung wird in den nachfolgenden Hilfssätzen erarbeitet.

Hilfssatz 1[Bearbeiten]

Sei die offene Menge , die Abbildung und der reguläre Punkt mit gegeben. Dann gibt es eine Zahl , so dass die Abbildung eingeschränkt auf die Menge injektiv ist. Weiter ist mit einer Konstanten die Ungleichung
(10) für alle
erfüllt. Schließlich gilt für alle Punkte .

Beweis[Bearbeiten]

1. Wegen und der Stetigkeit der Funktionen gibt es ein , so dass für alle die folgende Matrix invertierbar ist:

.

Mit und betrachten wir die Hilfsfunktion

(11)

Unter Beachtung der Cramerschen Regel sehen wir die Aussage

für alle

ein. Da die Funktion stetig auf ihrem kompakten Definitionsbereich ist, nimmt sie ihr Minimum dort an – und ein Homogenitätsargument liefert die Abschätzung

(12)

2. Seien beliebig gewählte Punkte. Nun wenden wir den Mittelwertsatz auf jede Komponentenfunktion wie folgt an:

(13)

mit für . Wir fassen nun die Gleichung (13) zusammen:

.

Schließlich erhält man mittels (12) und die Ungleichung

für alle .

q.e.d.

Hilfssatz 2[Bearbeiten]

Auf der offenen Menge sei eine Abbildung und ein regulärer Punkt mit . Neben der Größe aus Hilfssatz 1 existiert dann eine Zahl mit folgender Eigenschaft:
Wir setzen sowie und finden zu jedem ein mit .

Beweis[Bearbeiten]

Wir betrachten die Funktion

vermöge .

Mit erhält man aus Hilfssatz 1 zunächst die Ungleichung

für alle .

Jetzt sei ein beliebiger Punkt aus , wobei mit gewählt wurde. Wir werden die Existenz eines Urbildes mit zeigen: Wir beginnen mit

(14) für alle

und erhalten die Abschätzung

(15) für alle .

Ferner gilt die Beziehung

(16) bzw. .

Auf der kompakten Menge nimmt die stetige Funktion wegen (15) und (16) ihr Minimum in einem inneren Punkt

an. Nach Satz 2 aus §3 erhält man die Gleichungen

(17)

für . Wegen

hat das Gleichungssystem (17) nach der Cramerschen Regel nur die triviale Lösung

für .

Damit folgt .

q.e.d.

Definition 3[Bearbeiten]

Mit den Größen aus Hilfssatz 1 und aus Hilfssatz 2 nennen wir die Funktion
(18) vermöge , falls und gilt,
die zu inverse Abbildung oder auch die Umkehrfunktion von auf . Diese erfüllt die Identität
für alle .

Hilfssatz 3[Bearbeiten]

Die Abbildung ist in stetig.

Beweis[Bearbeiten]

Wegen der Stetigkeit der Abbildung ist die Menge kompakt. Nun wenden wir Satz 6 in §1 aus Kapitel II auf die stetige, umkehrbare Funktion an und wir erhalten die Stetigkeit der Abbildung .

q.e.d.

Hilfssatz 4[Bearbeiten]

Die Abbildung aus Definition 3 gehört zur Klasse
und besitzt die Funktionalmatrix
.
Dabei entsteht die Matrix aus der Funktionalmatrix durch Ersetzen der -ten Spalte durch den -ten Einheitsvektor
.

Beweis[Bearbeiten]

1. Nach Hilfssatz 1 gilt für alle und die Inverse der Funktionalmatrix

existiert. Wir erhalten die Koeffizienten als Lösung des linearen Gleichungssystems

für .

Die Cramersche Regel liefert

für .

Damit ist die Funktion stetig.

2. Da erfüllt ist, gilt für festes und beliebiges nach Satz 9 aus §1 die linear approximative Darstellung

.

Die Multiplikation mit liefert die Identität

.

Wir setzen nun bzw. und erhalten

(19)

3. Die oben verwendete Restgliedfunktion

ist superlinear gemäß

.

Da nämlich erfüllt ist und sowie stetige Funktionen darstellen, bleibt nur die Beschränktheit des Quotienten

zu zeigen: Nach Hilfssatz 1 existiert eine Konstante , so dass die Abschätzung

für alle mit

bzw.

für alle mit

erfüllt ist.

4. Mit setzen wir in (19) ein. Multiplikation mit dem Vektor von links liefert beim Grenzübergang die Identität

(20) für ,

wobei wir die Superlinearität des Restglieds verwenden. Da die rechte Seite von (20) stetig auf der Menge ist, folgt die Aussage

.

q.e.d.

Hilfssatz 5[Bearbeiten]

Zu sei eine Abbildung der Klasse mit in . Dann gehört die inverse Abbildung aus Definition 3 zur folgenden Regularitätsklasse:
.

Beweis[Bearbeiten]

Für wurde die Aussage in Hilfssatz 4 hergeleitet. In den Fällen ist der Beweis mittels vollständiger Induktion zu führen: Sei also und nach Induktionsvoraussetzung sei richtig. Dann liefert Hilfssatz 4

für ,

denn es sind bereits die Regularitätsaussagen erfüllt. Somit folgt

.

Satz 1 (Fundamentalsatz über die inverse Abbildung)[Bearbeiten]

Sei eine offene Menge, eine natürliche Zahl und die Abbildung gehöre zur Klasse . Weiter sei für einen Punkt die Bedingung erfüllt und wir setzen .
Dann gibt es zwei offene Mengen und im , die folgende Eigenschaften haben:
(i) Es gilt und .
(ii) Die Funktion bildet topologisch auf ab, d. h. besitzt eine Umkehrfunktion und beide Funktionen sind auf ihren Definitionsbereichen stetig.
(iii) Die Umkehrabbildung gehört zur Klasse und es gelten die beiden Identitäten
für alle sowie für alle .

Beweis[Bearbeiten]

Wir wählen die Definitionsbereiche

und .

Nun kann man zeigen, dass wegen der Stetigkeit von eine offene Menge im ist. Wenn ein beliebiger Punkt aus ist, so liegt in . Nun ist offen und es gibt ein mit der Eigenschaft

.

Wegen der Stetigkeit von existiert zu diesem ein , so dass in liegt und

für alle

gilt. Somit wird durch in abgebildet. Also ist erfüllt und ist innerer Punkt von . Damit ist offen. Nun folgt Satz 1 aus den Hilfssätzen 1 bis 5.

q.e.d.