Kurs:Analysis II/Kapitel V: Das Riemannsche Integral im R^n/Klassen Riemann-integrierbarer Funktionen (§3)

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Definition 1[Bearbeiten]

Seien die Dimensionen fest gewählt. Auf dem Quader sei eine beschränkte Funktion gegeben. Dann heißt über Riemann-integrierbar oder kurz integrierbar, wenn alle Komponentenfunktionen
für
gemäß Definition 7 in §2 Riemann-integrierbar sind. Wir setzen dann als Riemannsches Integral
(1) .

Definition 2[Bearbeiten]

Für die beschränkte Funktion erklären wir die Oscillation auf einer Teilmenge des Quaders durch
(2) .

Definition 3[Bearbeiten]

Wir betrachten auf dem Quader eine beschränkte Funktion . Für eine Zerlegung von gemäß Definition 2 aus §2 nennen wir
(3)
die Schwankung von auf bez. der Zerlegung .

Bemerkung[Bearbeiten]

Wegen der Eigenschaft

für beschränkte reellwertige Funktionen und beliebige Teilmengen ermitteln wir – über die Definition 3 aus §2 – die folgende Identität:

(4)

Satz 1 (Riemannsches Integrabilitätskriterium)[Bearbeiten]

Für eine beschränkte Funktion auf einem Quader gelten die folgenden Aussagen:
  1. Wenn es eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge mit der Schwankung gibt, dann ist über Riemann-integrierbar.
  2. Wenn über Riemann-integrierbar ist, dann erfüllt jede ausgezeichnete Zerlegungsfolge die Beziehung für die Schwankung.

Beweis[Bearbeiten]

1. Alle Komponentenfunktionen erfüllen dann

für .

Mit der Identität (3) folgt

Satz 3 in §2 liefert die Integrierbarkeit der Funktionen

für .

2. Für jede Komponentenfunktion mit ergibt der Satz 1 aus §2 – kombiniert mit obiger Identität (3) – die Beziehung

für .

Beachten wir noch die Abschätzung

,

so folgt .

q.e.d.

Satz 2[Bearbeiten]

Eine stetige Funktion ist über Riemann-integrierbar.

Beweis[Bearbeiten]

Nach Satz 7 aus §1 in Kapitel II ist die Funktion gleichmäßig stetig auf das kompakten Menge . Also existiert zu jedem ein derart, dass für alle mit stets folgt. Für eine beliebige Zerlegung von mit dem Feinheitsmaß folgt die Abschätzung

Somit gibt es eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge mit der Schwankung . Nach Satz 1 ist über Riemann-integrierbar.

q.e.d.

Satz 3[Bearbeiten]

Auf dem Intervall mit und sei die (schwach) monotone Funktion gegeben. Dann ist über Riemann-integrierbar.

Beweis[Bearbeiten]

Wir können ohne Einschränkung annehmen, dass auf monoton nicht fallend sei. Dann betrachten wir eine beliebige Zerlegung

des Intervalls in die Teilintervalle mit und dem Feinheitsmaß . Wir berechnen die Schwankung von auf bezüglich wie folgt:

(5)

Somit erhalten wir für eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge des Intervalls die Beziehung . Das Riemannsche Integrabilitätskriterium liefert die Integrierbarkeit von .

q.e.d.

Definition 4[Bearbeiten]

Sei die Menge kompakt enthalten im Innern eines Quaders , das heißt der topologische Abschluss ist kompakt und erfüllt die Inklusion . Dann erklären wir die charakteristische Funktion der Menge in durch
(6) falls und falls .

Satz 4[Bearbeiten]

Der topologische Rand einer Teilmenge stelle eine Jordansche Nullmenge im dar. Dann ist die charakteristische Funktion Riemann-integrierbar über .

Beweis[Bearbeiten]

Für eine beliebige Zerlegung von schätzen wir die Schwankung der charakteristischen Funktion wie folgt ab:

(7)

Zu jedem vorgegebenen können wir nun endlich viele achsenparallele Teilquader von finden, welche vereinigt überdecken und deren Gesamtinhalt diese Größe nicht übersteigt. Hierzu konstruieren wir eine Zerlegung von , so dass wir eine äquivalente Überdeckung mit Teilquadern aus dieser Zerlegung erreichen. Mittels (7) erhalten wir so eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von mit der Schwankung . Nach dem Riemannschen Integrabilitätskriterium ist die charakteristische Funktion dann integrierbar.

q.e.d.

Jetzt wollen wir wichtige Aussagen über die Klasse der beschränkten Riemann-integrierbaren Funktionen herleiten. Diese Klasse bildet einen Vektorraum und ist unter Produkt- und Reziprokenbildung abgeschlossen.

Satz 5 (Riemann-integrierbare Funktionen)[Bearbeiten]

Gegeben seien die beschränkten, über den Quader integrierbaren Funktionen und sowie die Konstante . Dann sind auch die folgenden Funktionen
über integrierbar. Wenn es zusätzlich ein gibt, so dass die Bedingung
für alle
erfüllt ist, dann ist auch die Funktion integrierbar.

Beweis[Bearbeiten]

1. Seien die Funktionen und über integrierbar mit

.

Dann betrachten wir zunächst . Für eine Zerlegung

haben wir

.

Ferner schätzen wir für wie folgt ab:

(8)

Folglich ist die Ungleichung

für alle

richtig und wir erhalten

(9) für jede Zerlegung von .

Jetzt betrachten wir eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge . Da und integrierbar sind, liefert Satz 1 die Beziehungen und . Die Abschätzung (9) ergibt und nach Satz 1 ist über integrierbar.

2. Die Integrabilität der Linearkombination integrierbarer Funktionen zeigt man entsprechend. Schließlich entnehmen wir die Integrabilität der Funktion der folgenden einfachen Abschätzung

für jede Zerlegung von .

3. Für die über integrierbare Funktion gebe es eine Zahl mit der folgenden Eigenschaft:

für alle .

Dann betrachten wir die reziproke Funktion . Wir ermitteln für alle die Abschätzung

.

Es folgt und somit

für jede Zerlegung von .

Wie im Teil 1.) ergibt sich die Integrierbarkeit von über .

q.e.d.

Satz 6 (Linearitätsregel)[Bearbeiten]

Gegeben seien die beschränkten, über den Quader integrierbaren, komplexwertigen Funktionen und sowie die Konstanten . Dann gilt die Identität
(10) .
Somit ist das Riemannsche Integral ein lineares Funktional auf dem -linearen Raum der beschränkten, integrierbaren Funktionen über .

Beweis[Bearbeiten]

Die Integrierbarkeit der Funktion ist nach Satz 5 klar. Seien eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von und mit beliebig gewählte Zwischenpunkte für . Dann liefert Satz 4 aus §2 die behauptete Identität wie folgt:

(11)

q.e.d.

Satz 7[Bearbeiten]

Für jede beschränkte, über den Quader integrierbare Funktion gilt
(12) .

Beweis[Bearbeiten]

Wir approximieren gemäß Satz 4 aus §2 wieder durch Riemannsche Zwischensummen. Seien eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von und mit beliebig gewählte Zwischenpunkte für . Dann liefert die Dreiecksungleichung die behauptete Ungleichung

,

denn auch ist nach Satz 5 integrierbar.

q.e.d.

Satz 8 (Mittelwertsatz der Integralrechnung)[Bearbeiten]

Gegeben seien die beschränkten, über den Quader Riemann-integrierbaren, reellwertigen Funktionen und es gelte für alle . Dann gibt es ein
derart, dass die Identität
(13)
erfüllt ist. Wenn außerdem stetig auf ist, dann gibt es einen Punkt mit der Eigenschaft .

Beweis[Bearbeiten]

1.) Wir setzen und . Seien eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von und mit beliebig gewählte Zwischenpunkte für . Wegen für alle und folgt die Abschätzung

(14) .

Die Summation über liefert

(15) .

Mittels Satz 4 aus §2 erhalten wir durch Grenzübergang die Identität

(16) .

Falls gilt, so ist wegen der Abschätzung (16) die Identität (13) mit erfüllt.
Sei nun gültig. Aus (16) folgt dann die erste Behauptung mit

(17) .

2.) Die zweite Behauptung weisen wir wie folgt nach: Als stetige Funktion auf einer kompakten Menge nimmt sowohl ihr Minimum als auch ihr Maximum an, d. h. es gibt Punkte und mit und . Wir betrachten nun auf der in gelegenen Verbindungsstrecke die Funktion für mit und . Nach dem Zwischenwertsatz existiert ein mit . Setzen wir , so folgt .

q.e.d.

Definition 5[Bearbeiten]

Auf dem Intervall mit den Grenzen und sowie der Bilddimension sei die Funktion stückweise stetig im folgenden Sinne: Es gibt eine Zerlegung des Intervalls
in offene Teilintervalle
derart, dass die Funktion auf das abgeschlossene Intervall für jedes stetig fortsetzbar ist.

Satz 9[Bearbeiten]

Wenn stückweise stetig ist, dann ist über integrierbar.

Beweis[Bearbeiten]

Der Satz wird mit dem Riemannschen Integrabilitätskriterium gezeigt.

Satz 10 (Allgemeiner Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung)[Bearbeiten]

Auf dem Intervall mit den Grenzen und besitze die stetige Funktion eine stückweise stetige Ableitung gemäß der Definition 5. Dann gilt die Leibnizsche Identität
(18) .

Beweis[Bearbeiten]

Dieser wird analog zum Hilfssatz 1 aus §5 in Kapitel II für jede Komponentenfunktion durchgeführt.

q.e.d.

Es seien ein Quader der Dimension mit und eine beschränkte, Riemann-integrierbare Funktion. Wir werden jetzt das -dimensionale Integral

(19)

auf niederdimensionale Integrale zurückführen. Zu diesem Zweck denken wir uns die Indizes aufgeteilt in die Mengen und mit und wir setzen

sowie .

Somit erhalten wir die Funktion

.

Wir betrachten nun Quader

und

sowie den Produktquader

.

Wir gehen aus von den Zerlegungen von in die Teilquader mit und von in die Teilquader mit gemäß Definition 2 aus §2. Diesen Zerlegungen entspricht eine Produktzerlegung von in die Teilquader , so dass die Darstellung erfüllt ist.

Satz 11 (Iterierte Integration)[Bearbeiten]

Wenn die Funktion beschränkt und Riemann-integrierbar ist, dann sind die Funktionen
und
Riemann-integrierbar auf und es gilt die Identität
.

Beweis[Bearbeiten]

Wegen der Beschränktheit von existieren das untere Integral und das obere Integral von für jedes . Seien nun eine Zerlegung von mit beliebigen Zwischenpunkten und eine Zerlegung von . Es beschreibe eine Zerlegung von in die Teilquader wie oben. Wir erklären die folgenden Größen

(20) .

Dann folgt für jedes die Ungleichungen

(21)

und

(22) .

Beachten wir Satz 2 aus §2, so ergibt sich für alle die Abschätzung

(23) .

Multiplikation mit sowie Summation über liefert

(24)

Jetzt seien und ausgezeichnete Zerlegungsfolgen der Quader bzw. . Dann ist auch eine ausgezeichnete Zerlegungsfolge von . Da nach Voraussetzung integrierbar ist, erhalten wir aus der Ungleichung (24) durch Grenzübergang

(25)

Also sind wegen Satz 4 aus §2 die Funktionen und auf integrierbar und es folgt die oben angegebene Identität.

q.e.d.

Im allgemeinen müssen die Riemannschen Integrale über die eingeschränkten Funktionen nicht für jedes existieren.

Satz 12 (Iterierte Integration stetiger Funktionen)[Bearbeiten]

Sei die Funktion auf stetig. Dann existieren die Riemann-Integrale und von für jedes und es gilt die Identität der iterierten Integration
(26) .

Bemerkung[Bearbeiten]

In §6 werden wir stetige Funktionen im integrieren, welche auf dem Komplement einer kompakten Menge verschwinden. Diese nennt man Testfunktionen, welche einer Iterierten Integration zugänglich sind. So könnte man auch induktiv über die Raumdimension ein Integral für diese Funktionenklasse definieren.