Benutzer:Hannes Burkhardt/Erinnerungskulturen Social Media

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Mein Disserationsprojekt trägt den Arbeitstitel "Erinnerungskulturen Social Web. Kollektive Gedächtnisprozesse und kommunikative Erinnerung zu Nationalsozialismus und Holocaust in Social-Network-Diensten", entsteht am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wird hier kurz vorgestellt.

Untersuchungsgegenstand und Forschungsfrage[Bearbeiten]

Untersuchungsgegenstand[Bearbeiten]

Ziel meines Dissertationsprojektes ist es, populäre Social-Web-Medien (Twitter, Facebook, Pinterest, Instagram u.a.) bezüglich ihrer Erinnerungspraktiken in Bezug auf die historischen Kontexte Nationalsozialismus und Holocaust zu untersuchen und zu zeigen, wie sich im Social Web medienspezifische Erinnerungskulturen etablieren.

Forschungsfrage[Bearbeiten]

Die Fragestellung der Arbeit lautet wie folgt: Welche Geschichtsnarrationen und Geschichtsbilder zu zentralen Ereignissen, Personen und Orten (Institutionen) aus der Zeit des Nationalsozialismus werden im Social Web erzählt und vermittelt (und welche nicht) und in wieweit handelt es sich dabei um medienspezifische Forstsetzungen und Transformationen von Erinnerungsdiskursen, die bereits in Offline-Erinnerungskulturen nach 1945 entstanden sind. Erinnerungskulturen im Social Web über Nationalsozialismus und Holocaust werden dabei zum einen als Produkt einer Geschichte der europäischen Erinnerung und zum anderen als Ergebnis der Materialität des Erinnerungsmediums und deren kommunikativen Praktiken verstanden.

Erinnerungskulturen im Internet[Bearbeiten]

Der Begriff der Erinnerungskulturen Social Media ist eine Anlehnung an und konsequente Fortsetzung von den Begriffen der Erinnerungskulturen im Cyberspace von Wolfram Dornik[1], der Erinnerungskulturen online von Dörte Hein[2] und der Erinnerungskultur 2.0 von Erik Meyer[3].

Erinnerungskultur Facebook[Bearbeiten]

In einer Vorstudie habe ich bereits mehrere hundert Facebookseiten mit Bezug zu den Kontexten Nationalsozialismus und Holocaust untersucht. Ergebnis dieser Untersuchung waren zehn Thesen. Diese Thesen gilt es nun auf andere Social-Web-Medien anzuwenden und zu überprüfen.

Thesen[Bearbeiten]

1. Die Praktiken, Merkmale und Funktionen der Kommunikation von Web 2.0, Social-Web-Medien und Social-Network-Diensten prägen die Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust auf Facebook in erheblichem Maße.
2. Zum einen prägt die mediale Struktur von Facebook die Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust. Zum anderen dringen die Kontexte Nationalsozialismus und Holocaust tief in die mediale Struktur von Facebook ein.
3. Facebookseiten über Nationalsozialismus und Holocaust sind komplexe und hybride mediale Schnittstellen vielfältiger nationaler und internationaler Erinnerungsdiskurse, -kulturen, -medien und -praktiken.
4. Ein Großteil der Facebookseiten, die die Kontexte Nationalsozialismus und Holocaust mit einem historischen Bezug behandeln, werden von Agenturen der Geschichtskultur betreut, haben Bezug zu historischen Persönlichkeiten oder lassen sich an populäre Medien oder Subkulturen rückbinden.
5. Auf Facebookseiten über Nationalsozialismus und Holocaust zeigt sich ein narrativer Sinnbildungs- und Vergegenwärtigungsprozess von Vergangenheit zu Geschichte als Geschichtsbewusstsein, der als Folge des medialen Kontextes und einer inhaltlich oberflächlichen Auseinandersetzung auf ein mangelndes Zeit-, Wirklichkeits- und Historizitätsbewusstsein verweist.
6. Potenzial für historisches Lernen bieten nur wenige der Facebookseiten über Nationalsozialismus und Holocaust. Wenn ein gewisses Potenzial vorhanden ist, dann nur auf geringem Niveau.
7. Facebookseiten über Nationalsozialismus und Holocaust sind Schnittstellen einer Vielzahl aktueller nationaler und internationaler politischer und gesellschaftlicher Debatten, Mentalitäten und Ideologien.
8. Facebook ist kein exklusives Medium für traditionelle Institutionen des kulturellen Gedächtnisses und erinnerungspolitisch etablierte Produzenten von Geschichte, sondern ein Forum für eine vielschichtige Nutzergemeinschaft und eine Vielzahl alternativer Vergangenheitsinterpretationen.
9. Das Medium des kollektiven Gedächtnisses Facebook ist an der durchlässigen Grenze zwischen Speicher- und Funktionsgedächtnis zu verorten.
10. Eine Erinnerungskultur Facebook kann nur als kommunikativer Erinnerungsprozess analytisch erfasst werden.

Theorien[Bearbeiten]

Um Erinnerungskulturen zu beschreiben, müssen das Gedächtnismedium analysiert und die zugrundeliegenden Kommunikationsprozesse beschrieben werden.[4] Hierbei müssen der Kommunikationsprozess und die diesen bestimmende Materialität des Mediums in zweifacher Hinsicht beachtet werden: Zum einen in Bezug auf den Kommunikationsprozess aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht und zum anderen aus gedächtnistheoretischer Sicht in Bezug auf den kollektiven Erinnerungsprozess. Eine Analyse muss daher die Medialität von Erinnerung und deren soziale Rahmung und die Materialität von Medien und deren Praktiken, Merkmale und Funktionen berücksichtigen.

Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien[Bearbeiten]

Meine Arbeit wird versuchen, den Forderungen nachzukommen, kulturwissenschaftliche Impulse noch erheblich stärker als bisher in die Geschichtsdidaktik aufzunehmen und weiterzuentwickeln und die in der Geschichtsdidaktik noch nicht konsequent vollzogene kulturwissenschaftliche Wende zu vervollständigen.[5] Eine sich als kulturwissenschaftlich verstehende Geschichtsdidaktik darf sich auch der kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheorien bedienen und die Kategorie des Geschichtsbewusstseins in der Konzeption von Jörn Rüsen[6] und Hans-Jürgen Pandel[7] mit diesen analytisch kombinieren. Um das Verständnis von der Medialität von Erinnerung und deren sozialer Rahmung theoretisch und methodisch zu reflektieren, wird Gedächtnis als soziales Phänomen (Maurice Halbwachs)[8] verstanden und Gedächtnis und Erinnerung als kulturelle Phänomene (Jan Assmann)[9]. Aleida Assmanns Konzepte des Speicher- und Funktionsgedächtnisses[10] sollen dazu dienen, die Funktionalisierung von Social-Web-Medien als Medien des kollektiven Gedächtnisses beschreibbar zu machen. Für diese Arbeit leitend ist die Konzeption von Erinnerungskulturen des Gießener Sonderforschungsbereichs 434[11] und von Mathias Berek[12], der eine differenzierte Theorie der Erinnerungskulturen entwirft.

Jan Assmanns Kollektives Gedächtnis und Medien[Bearbeiten]

Der Zusammenhang von Medien und kollektivem Gedächtnis ist grundlegend für meine Arbeit. Zeichenprozesse haben in Gesellschaften die Aufgabe, Wissen über Generationengrenzen hinweg zu transportieren, um intersubjektive Erfahrungsablagerungen mit Hilfe eines Zeichensystems gesellschaftlich wiederholbar zumachen.[13] Im prominenten Konzept des kulturellen Gedächtnisses von Jan und Aleida Assmann funktioniert dies durch Formen der symbolischen Kodierung und Institutionalisierung, indem „Medien der Speicherung und Formen der Überlieferung geschaffen werden, mittels derer lebenswichtiges und identitätsrelevantes Wissen über Generationen hinweg gesichert und vermittelt werden kann“[14]. Das kulturelle Gedächtnis wird auf externe Datenspeicher ausgelagert und ist daher mediengebunden. Erinnerungen sind abhängig von der gesellschaftlichen Organisation ihrer Weitergabe und von den unterschiedlichen dabei genutzten Medien.[15] Rekonstruktionen von Vergangenheit in sozialen und kulturellen Kontexten sind nur durch Medien möglich, da auf kollektiver Ebene Gedächtnis immer medial vermittelt ist.[16] Dabei entsteht ein Wechselverhältnis zwischen den Medien des kollektiven Gedächtnisses und den Botschaften, die sie transportieren, denn „Medien übertragen nicht einfach Botschaften, sondern entfalten eine Wirkkraft, welche die Modalitäten unseres Denkens, Wahrnehmens, Erinnerns und Kommunizierens prägt.“[17] Gedächtnismedien sind weitaus mehr als eine Erweiterung des individuellen menschlichen Gedächtnisses, sie erzeugen eigene medial konstruierte Welten des kollektiven Gedächtnisses, die je nach Maßgabe ihres spezifischen gedächtnismedialen Leistungsvermögens Welten sind, die eine Erinnerungsgemeinschaft ohne diese Medien nicht kennen würde, da sie nicht existieren würden.[18]

Astrid Erlls Medium des kollektiven Gedächtnisses[Bearbeiten]

Astrid Erlls Medienbegriff für kollektive Erinnerungsprozesse[19] ist für diese Arbeit ein entscheidendes Schlüsselkonzept, da es Medien des kollektiven Gedächtnisses von ihrer funktionalen Erinnerungsseite her definiert und beschreibt. Erlls differenzierter Medienbegriff als (erinnerungs-)kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff mit seinen 2 Dimensionen (materiale und soziale) und 4 Komponenten wird in diesem Projekt verstanden als geeignetes Konzept, um medienspezifische Charakteristika von Internet, Web 2.0 und Social Media und medienspezifische Praktiken, Merkmale und Funktionen von Kommunikationsprozessen im Social Web daran zu verankern und bei der Analyse zu berücksichtigen.

Methoden[Bearbeiten]

Diskurslinguistik[Bearbeiten]

Für die Analyse von online geführter Internetkommunikation bietet die Diskurslinguistik ein für diese Arbeit handhabbares methodisches Analyseinstrumentarium, um Online-Diskurse zu untersuchen.[20]

Quellenverzeichnis[Bearbeiten]

  1. Dornik, Wolfram: Erinnerungskulturen im Cyberspace. Eine Bestandsaufnahme österreichischer Websites zu Nationalsozialismus und Holocaust. Berlin 2004.
  2. Hein, Dörte: Erinnerungskulturen online. Angebote, Kommunikatoren und Nutzer von Websites zu Nationalsozialismus und Holocaust. Konstanz 2009.
  3. Meyer, Erik (Hrsg.): Erinnerungskultur 2.0. Kommemorative Kommunikation in digitalen Medien. Frankfurt am Main, New York 2009.
  4. Vgl. Hein, Dörte: Virtuelles Erinnern. in: Aus Politik und Zeitgeschichte (2010). 25-26. S. 23-29 hier S. 29.
  5. Kotte, Eugen: Cultural turns und Geschichtsdidaktik. Impulse der Neuen Kulturgeschichte zur Erschließung geschichtsdidaktischer Forschungs- und Arbeitsfelder. in: Kotte, Eugen (Hrsg.): Kulturwissenschaften und Geschichtsdidaktik. München 2011. S. 15-52. hier S. 31.
  6. u.a. Rüsen, Jörn: Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewußtseins, sich in der Zeit zurechtzufinden. 2. Auflage. Schwalbach am Taunus 2008 und Rüsen, Jörn: Geschichtsbewusstsein. in: Korte, Martin / Pethes, Nicolas (Hrsg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Reinbek bei Hamburg 2001. S. 223-228.
  7. Pandel, Hans-Jürgen: Dimensionen des Geschichtsbewusstseins. Ein Versuch, seine Struktur für Empirie und Pragmatik diskutierbar zu machen. URL: http://www.sowi-online.de/reader/historisch-politisch/pandel_dimensionen.htm. vom 6. Juli 2005 (zuletzt geprüft am 28. Oktober 2013). Das Original ist unter dem gleichen Titel erschienen in: Geschichtsdidaktik 12 (1987). Heft 2. S. 130-142.
  8. Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt am Main 2008.
  9. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. 7. Auflage. München 2013.
  10. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 5. Auflage. München 2010. S. 130-145.
  11. Justus-Liebig-Universität Gießen. Sonderforschungsbereich (SFB) 434 „Erinnerungskulturen“: http://www.uni-giessen.de/erinnerungskulturen/home/index.html. letzte Aktualisierung: Mai 2009 (zuletzt geprüft am 28. Oktober 2013).
  12. Berek, Mathias: Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen. Wiesbaden 2009.
  13. Vgl. Berger, Peter L. / Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 24. Auflage. Frankfurt am Main 2009. S. 72.
  14. Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses. in: Erwägen Wissen Ethik 13 (2000) 2. S. 189.
  15. Vgl. Burke, Peter: Geschichte als soziales Gedächtnis. in: Assmann,Aleida / Harth, Dietrich (Hrsg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Frankfurt am Main 1991. S. 292.
  16. Vgl. Erll Astrid: Medium des kollektiven Gedächtnisses. Ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff. in: Erll, Astrid / Nünning, Ansgar (Hrsg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität, Historizität, Kulturspezifität. Berlin/New York 2004. S. 3-22S. hier S. 4-5.
  17. Krämer, Sybille: Was haben Medien, der Computer und die Realität miteinander zu tun?. in: ders. (Hrsg.): Medien-Computer-Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt am Main 1998. S. 14.
  18. Vgl. Erll Astrid: Medium des kollektiven Gedächtnisses. Ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff. in: Erll, Astrid / Nünning, Ansgar (Hrsg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität, Historizität, Kulturspezifität. Berlin/New York 2004. S. 3-22. S. hier S. 6.
  19. Erll, Astrid: Medium des kollektiven Gedächtnisses. Ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff. in: Erll, Astrid / Nünning, Ansgar (Hrsg.): Medien des kollektiven Gedächtnisses. Konstruktivität, Historizität, Kulturspezifität. Berlin, New York 2004. S. 3-22.
  20. u.a. Spitzmüller, Jürgen / Warnke, Ingo: Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin 2010 und Fraas, Claudia / Pentzold, Christian: Online-Diskurse. Theoretische Prämissen, methodische Anforderungen und analytische Befunde. in: Warnke, Ingo (Hrsg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin, New York 2008. S. 287-322.