Kurs:Buch und Schrift im Mittelalter/Die Schriften des Mittelalters

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5. Die Schriften des Mittelalters[Bearbeiten]

Vielleicht erinnert sich manch einer noch an die alten Rezeptbücher der Großeltern, die in einer eigentümlichen Schrift geschrieben waren. Dabei handelte es sich vermutlich um die sogenannte Kurrent- oder Sütterlinschrift. Heutzutage wird in den Schulen hauptsächlich Druckschrift gelernt, bis vor ein paar Jahren jedoch noch Schreibschrift. Ähnlich wie heute, gab es im Mittelalter verschiedene Trends von Schriften, die mit der Zeit kamen und gingen. Diesen Trends wollen wir uns in diesem Kurs widmen. Die Beschäftigung mit Handschriften des Mittelalters hat in der Forschung einen eigenen Namen: die Päläographie. Gerade weil es so ein großes Thema ist, wird in diesem Kapitel nur die groben Züge der Schriftentwicklung über das Mittelalter hinweg gezeigt. Weitere Informationen gibt es im Kapitel "Weiterführende Literatur und Links".


Angefangen hat alles im alten Rom: Capitalis quadrata und rustica[Bearbeiten]

Bei der Capitalis quadrata und der Capitalis rustica handelt es sich um sogenannte Majuskelschriften, was bedeutet, dass diese aus gleich hohen Buchstaben bestehen.

Capitalis quadrata
Capitalis rustica

Unziale und Halbunziale[Bearbeiten]

Die Unziale und Halbunziale sind auch eine Majuskelschrift, jedoch runder als ihre Vorgänger (von uncus, lat. rund). Die Halbunziale haben längere Ober- und Unterlängen als die Unziale. Bei ihr vermischen sich Majuskel- und Minuskelschrift.

Unziale
Halbunziale

Vor- und frühkarolingische Minuskeln[Bearbeiten]

Bei der vor- und frühkarolingischen Minuskeln handelt es sich, wie der Name sagt, Minuskelschriften. Das bedeutet, dass die einzelnen Buchstaben stark in die Ober- und Überlänge gehen. In dieser Zeit gibt es an verschiedenen Orten in Europa verschiedene Einflüsse, die zu unterschiedlichen Schrifttypen führen (zum Beispiel die Beneventana in Italien oder die Insularis in der irischem Region).

Beneventana

Karolingische Minuskel[Bearbeiten]

Mit Karl dem Großen kam um 800 die karolingische Renaissance ins Reich. Dies bewirkte, dass die Schrift größtenteils vereinheitlicht wurde. Bei der karolingischen Minuskel bleibt das Vier-Linien-System der Minuskelschrift erhalten, die Buchstaben sind lesbar auseinander geschrieben und berühren sich nicht stark.

Karolingische Minuskel

Spätkarolingische und frühgotische Minuskeln[Bearbeiten]

In der nachkarolingischen Zeit änderte sich die Schrift erneut. Es kamen Mischformen auf wie die romanische Minuskel oder die karolingisch-gotische Mischschrift. Veränderungen gegenüber der karolingischen Minuskel sind insbesondere die Brechung, die Engerstellung der Schäfte, die Streckung und stärkere Betonung der Vertikalen sowie die Bogenverbindung (de, do, be, bo, or). Die Bögen und Halbbögen wurden nicht mehr in einem runden und einzigen Zug geschrieben, sondern die Feder wurde im Spitz neu angesetzt (gotische Brechung).


Gotische Minuskeln: Textura und Textualis[Bearbeiten]

Im 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich aus der frühgotischen Minuskel die Textura. Die Grundprinzipien der Brechung von Bögen, der Organisation der Schäfte auf der Zeile und der Streckung des Mittellängenbereichs zu Lasten der Ober- und Unterlängen sowie der Bogenverbindungen sind voll ausgebildet und führen zu jenem ineinander verwobenen, gitterartigen Schriftbild, dem die Schrift ihren Namen verdankt. Infolgedessen sind insbesondere die Buchstaben, die nur aus Schäften im Mittelband bestehen, schwer zu unterscheiden, da i noch lange ohne i-Strich oder i-Punkt geschrieben wird. So lassen sich Buchstabenkombinationen wie mm mi ni ui in iu iii etc. oft nur aus dem Kontext erschliessen. Die Gründung von Universitäten und der damit verbundene höhere Bedarf an natürlich begrenzten Ressourcen (Pergament) führten zu einer veränderten Gestaltung von Büchern. Die Schriften wurden in dieser Zeit immer kleiner und gedrängter. Zudem wurden deutlich mehr Abkürzungen verwendet. Die Textualis ist im Vergleich zur Textura eine einfachere Schrift, die rascher geschrieben werden konnte. Wichtiges Kennzeichen ist auch hier, dass die Buchstaben unverbunden nebeneinander stehen und f und langes s ohne Unterlängen auf der unteren Schriftzeile stehen bleiben. Vor allem in Italien und Frankreich wurden rundere Buchstabenformen bevorzugt. Diese Schrift wird als Rotunda oder Textualis semiquadrata bezeichnet. Die Textura oder Textualis formata wurde für Bücher mit hervorragender Bedeutung verwendet und zu einem Vorbild für die Typen des frühen Buchdrucks (Gutenberg-Bibel)

Textura
Textualis

Bastarda und gotische Kursive[Bearbeiten]

Im 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich die Bastarda. Sie trägt sowohl Züge der Textura und Textualis, tendiert aber vom Duktus her in Richtung einer Kursive. Kennzeichen sind eine hohe Stilebene, stark geformte, wenig verbundene Buchstaben (obwohl es auch Bastarden mit Schlaufen gibt) und deutliche Unterlängen bei f und langem s, deren Schäfte meist deutlich verdickt sind. Charakteristisch ist auch die sichtbare Schrägstellung der Schrift. Insgesamt ist im Zuge der spätmittelalterlichen Zunahme an Schriftlichkeit eine stärkere Differenzierung der Schriftverwendung je nach Gebrauchskontext zu verzeichnen: von sehr schön gestalteten Buchschriften bis zu stark gekürzten Konzeptschriften. Die verstärkte Schriftverwendung in der Verwaltung und Geschäftstätigkeit, aber auch die gestiegenen Anforderungen an die wissenschaftliche Arbeit führten im 13. Jahrhundert zur Herausbildung der gotischen Kursive, die bis ins 16. Jahrhundert in Gebrauch war. Ihre Linienführung ist flüchtiger als jene der Textualis oder Bastarda. Kennzeichen sind Unterlängen bei f und langem s, häufig Schrägstellung und durch Schlaufen verbundene Buchstaben. Die gotische Kursive oder lat. Cursiva war die vorherrschende Gebrauchsschrift, wurde in gehobener Form allerdings auch für schön ausgestaltete Bücher mit Illustrationen verwendet.

Bastarda

Humanistische Minuskel (Antiqua) und Kursive[Bearbeiten]

Die humanistischen Gelehrten lehnten im 14. / 15. Jahrhundert die gotischen Schriften zunehmend ab und orientierten sich statt dessen wieder an der karolingischen Minuskel. So entstand die humanistische Minuskel(Antiqua). Die humanistische Minuskel unterscheidet sich nur wenig von der karolingischen Minuskel. Mögliche Differenzierungsmerkmale bieten lediglich die i-Punkte, das gotische t, dessen Schaft den Querbalken durchstösst, und die teilweise Verwendung des runden s und r. Häufig kam es auch zu individuellen Mischungen von gotischer Schrift und humanistischer Minuskel (Gotico-Antiqua). Als Auszeichnungsschrift wurde weiterhin die Capitalis nachgeahmt. Neben der humanistischen Minuskel entwickelte sich die flüchtige, nun stark individuell geprägte humanistische Kursive. Die humanistische Minuskel (Antiqua) wurde neben der Textualis (Fraktur) in den Buchdruck übernommen. In neuzeitlichen Handschriften wurde die Antiqua oft für fremdsprachige Zitate (Latein, Französisch, Italienisch) oder als Auszeichnungsschrift verwendet.

Humanistische Minuskel

Eine sehr schöne Darstellung der verschiedenen Schriften und ihrer (Weiter-)Entwicklung gibt es bei dem Projekt ARETE der FH Potsdam: https://uclab.fh-potsdam.de/arete/de