Projekt:Dresdner Glossar/Angelsächsische Mission

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Die Universität Cambridge schämt sich des Gebrauchs von „angelsächsisch“

Gina Thomas

FAZ 14. Mai 2024

msn


Dunkle Wolken über dem Selbstverständnis von Cambridge: Blick aufs Kings College

Der im achten Jahrhundert von Beda verfassten Kirchengeschichte des englischen Volkes zufolge, ging die Inspiration für die Missionierung der Angelsachsen durch Papst Gregor I. auf dessen Anblick zweier blonden Knaben zurück, die in Rom als Sklaven zum Verkauf standen. Als es erfuhr, dass es sich um heidnische Angeln (germanische Zuwanderer Britanniens) handele, soll das künftige Oberhaupt der Kirche – über das Missverhältnis zwischen äußerlicher Schönheit und innerer Finsternis seufzend – erklärt haben, dass es sich für Menschen mit Engelsgesichtern zieme, später zu Engeln in den Himmeln zu werden.

Die berühmte Anekdote wird gewöhnlich mit dem Kalauer Gregors überliefert, dass diese Knaben nicht Angeln, sondern Engel seien. Im Buch „1066 and All That“, einer Satire auf den altmodisch-patriotischen Geschichtsunterricht, witzeln deren Autoren, dass Britannien „deswegen in England umbenannt und (selbstverständlich) bald anglikanisch wurde“. Das sei eine gute Sache gewesen, weil die Sachsen davor schreckliche eigene Götter angebetet hätten. Gregors Beschluss, vierzig Mönche zur Bekehrung der „Angli“ nach Britannien zu entsenden, wird als Ursprung der Vorstellung des Völkergemischs aus Angeln, Sachsen und Jüten als eine englische Nation zitiert.

Mangelnde Vielfalt in Frühmittelalterforschung

Die postkoloniale Geschichtsschreibung bewertet dies freilich als schlechte Sache, weil sie in der späteren Mythologisierung eines imaginierten angelsächsischen Vermächtnisses die Wurzeln des weißen Suprematismus sieht. Dass Engländer als Sklaven verkauft wurden, passt dabei natürlich nicht ins Schema jener, die in ihrer Fixierung auf die Übel des britischen Imperialismus die Missetaten anderer sklavenhalterischen Kulturen übersehen.

Seit einigen Jahren ist die Sammelbezeichnung „Angelsachsen“ für die germanischen Völker des vornormannischen Englands ein Streitthema: Die kanadische Historikerin Mary Rambaran-Olm, die als Farbige die „hetero­patriarchale weiße Suprematie“ anficht, prangerte den Begriff an und bewirkte,

dass sich die „International Society of Anglo-Saxonists“ 2019 in „International Society for the Study of Early Medieval England“ umbenannte,

weil „angelsächsisch“ mitunter als Beschreibung derer benutzt worden sei, die rassistische Ansichten vertreten und zu mangelnder Vielfalt in der Frühmittelalterforschung geführt haben.

Und jetzt hat die Cambridge University Press ihre Fachzeitschrift „Anglo-Saxon England“ in „Early Medieval England and its Neighbours“ umbenannt, um dem „internationalen, interdisziplinären und sich rasch entwickelnden Wesen der Forschung auf diesem Gebiet“ Rechnung zu tragen. Verlag und Universität sind in East Anglia, dem ehemaligen Königreich der Ostangeln, angesiedelt. Von den Angeln leiten sich aber auch „England“ und „Englisch“ her. Wann werden wohl diese Begriffe nicht mehr geduldet werden?