Projekt:Dresdner Glossar/Bunker

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Ab in den Bunker? Wofür Sachsens Schutzräume im Ernstfall taugen

SZ vom 17. Mai 2024

msn

Die unzähligen noch vorhandenen Bunker in Sachsen haben allesamt nur noch militärhistorischen Wert. Dennoch wächst in Zeiten einer diffusen Bedrohungslage das Interesse an den Anlagen – und manch einer macht sich Gedanken über neue Schutzmaßnahmen.

„Disziplin, Genossen, absolute Disziplin“: Für die neue Bunkerführung auf der Festung Königstein unter der Überschrift „Top Secret“ gibt es viele Interessenten.

Die Kette bräuchte mal einen Tropfen Öl, dann könnte man hier durchaus wieder in die Pedale treten. Der breite Ledersattel ist in Schuss, auch das türkisfarbene Gestell wirkt stabil. Die Gestelle sind allerdings nicht etwa in einem verlassenen Fahrradkeller zu finden, sondern in einem in den 60er-Jahren errichteten Schutzbunker mitten in Dresden. Über das Treten der Pedale sollte im Ernstfall ein Notstromaggregat angetrieben werden, so die Idee. Genutzt wurde die Anlage allerdings nie.

  • [für den nie eingetretenen Ernstfall - dafür aber um so mehr in sog. "Ernstfallübungen" (in Vollschutz natürlich, s. u.)]

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit fristet sie auf der Seidnitzer Straße am Rande der Altstadt unter einem mit Gras bewachsenen Hügel ihr Dasein, umrahmt von Wohngebäuden, die zur selben Zeit entstanden sind. Ein Hauseingang mit 15 Wohnungen ist kaum zehn Meter vom blau-grauen Metalltor entfernt, hinter dem sich der Bunker vom Typ SBW-300 verbirgt.

Insgesamt gibt es in Dresden noch drei Schutzbauwerke dieser Art in kommunaler Verwaltung. Einen zweiten, exakt baugleichen, und einen vom Typ SBW-600 – in dem statt 300 bis zu 600 Personen Platz gefunden hätten. Alle drei Bunker sind nicht öffentlich zugänglich und werden derzeit als Lagerfläche genutzt.


Eingerostete Zeugen früherer Schutzpläne: Durch das Treten der Pedale sollte im Bunker an der Seidnitzer Straße in Dresden ein Notstromaggregat angetrieben werden.

  • [türkisgrünes Gestänge - Sattel auf einem senkrechten Rohr, das gleichzeitig eines der vier Beine des Notstromaggregates war (dieses war etwas vorgerückt, um Platz für den Treter / die Treterin = den Strampler / die Stramplerin zu schaffen) - statt Lenker ein Doppel-Griff am 45 Grad abgewinkelten Rohr nach oben - es wurde mit dem Rücken zum Notstromaggregat gestrampelt / getreten, welches in einer Ecke befestigt war (weiße Wände aus Gasbetonsteinen) - überlange Fahrradkette rund 45 Grad Richtung Notstromaggregat - Fußschlaufen an den Pedalen für die an den Vollschutzanzug angeschweißten Gummistiefel]


Der größte Raum der Anlage an der Seidnitzer Straße mit seiner gewölbten Decke ist voll mit neuen und originalverpackten Matratzen. Nur mühsam kann man sich an ihnen vorbei den Weg zu den Toilettenanlagen bahnen. Jeweils zwei Kloschüsseln für Männer und Frauen, mit je einem beigefarbenen Vorhang vor ungewollten Blicken geschützt. Sogar eine Rolle Toilettenpapier aus Heidenauer Produktion ist noch vorrätig.

Auf Komfort wäre es nicht angekommen, wenn hier im Falle eines Angriffs tatsächlich Menschen hätten Schutz suchen müssen. Es gibt Schlafnischen an den Rändern des Tonnengewölbes, eine Dusche zur Dekontamination, drei Notausgänge und eben jenen Raum mit dem Notstromaggregat samt Pedalen zum Strampeln.

Es bräuchte sicher ein paar Handwerkerstunden, um diesen Bunker wieder flottzumachen und die Ausstattung ins 21. Jahrhundert zu holen, doch dazu wird es nicht mehr kommen. Keine der noch vorhandenen Bunkeranlagen in den östlichen Bundesländern wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands in das bestehende Schutzraumkonzept des Bundes übernommen. Somit unterlagen sie auch zu keinem Zeitpunkt der sogenannten Zivilschutzbindung nach dem Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG). Anders ausgedrückt: Es ist schlichtweg nicht mehr vorgesehen, Menschen im Falle eines Angriffs in Bunkern Schutz zu bieten.

Der Bunker an der Seidnitzer Straße in Dresden fällt von außen kaum auf.

  • [mit Betonstraße nach unten - vor dem grauen Eisentor sammelt sich Wasser]


Ganz anders sieht es beispielsweise in Finnland aus, dem Land, das Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) jüngst als „Vorreiter in Sachen Zivilschutz in Europa“ bezeichnete. Dort wird fast für jeden der rund fünf Millionen Einwohner ein Bunkerplatz vorgehalten. Insgesamt gibt es in Finnland etwa 50.000 Bunker. Viele der Schutzräume sind als unterirdische Sporthallen oder Theaterstätten in Friedenszeiten in den Alltag integriert.


Um ähnliche Zustände bei uns zu erreichen, bräuchte es allein in einer Stadt wie Dresden 800 Bunker vom Typ SBW-600, in ganz Sachsen um die 6.000.Im Westen Deutschlands sieht die Situation noch etwas anders aus. Auch hier wurde ab 2007 damit begonnen, die Zivilschutzbindung für Bunkeranlagen aufzugeben. Erst mit Beginn des Ukrainekrieges 2022 stoppte die Regierung diesen Prozess vorübergehend. Rein formal sind im Westen derzeit noch 579 Bunkeranlagen Teil des Schutzraumkonzeptes, wie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben mitteilt. Die Anlagen seien jedoch weder funktions- noch einsatzbereit.

Gleiches gilt umso mehr für die drei verbliebenen Bunker in Dresden. In Sachen Zivilschutz habe der Bund das Sagen, heißt es aus der Stadtverwaltung. „Die Landeshauptstadt Dresden erwartet hierzu entsprechende Aufgabenstellungen und ist selbstverständlich gewillt, ihren Beitrag zur zivilen Landesverteidigung zu leisten.“

Konkrete Planungen für eine Zukunft der Bunker gebe es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Die Anlage auf der Seidnitzer Straße könnte am ehesten einmal museumspädagogisch genutzt werden.


Hinter beigefarbenen Vorhängen verbergen sich die Toiletten.


Fakt ist: Das Interesse an Schutzbauten hat seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zugenommen und bisweilen werden auch hierzulande Stimmen laut, die angesichts der diffusen Bedrohungslage die Reaktivierung von Bunkern oder gar deren Neubau fordern. So drängte der Städte- und Gemeindebund jüngst auf ein Milliardenpaket des Bundes für den Schutz der Bevölkerung vor einem möglichen Krieg. „Sicherheit ist nicht mehr selbstverständlich“, sagte der Hauptgeschäftsführer André Berghegger – und sprach sich unter anderem für den Bau neuer moderner Schutzräume aus.

In Sachsen äußert man sich da zurückhaltender. „Uns ist keine aktuelle Risikoeinschätzung der Bundesregierung bekannt, aus der sich Annahmen für bewaffnete Auseinandersetzungen auf deutschem Boden und Bedarfe nach Bunkeranlagen ergeben“, betont Mischa Woitscheck, Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetages. „Wir sprechen uns deshalb dafür aus, mit solchen Forderungen nach ‚Kriegsvorbereitungen‘ sehr zurückhaltend umzugehen.“

Den besten Überblick über die Bunker in Sachsen hat vermutlich der Dresdner Jens Herbach. Bereits ab 2006 baute er ein in dieser Form einmaliges Onlinearchiv für Schutzbauwerken und ehemalige militärische Objekte in Ostdeutschland auf. Damit wolle er einen „militärhistorischen Beitrag zur Heimatgeschichte“ leisten, schreibt er auf seiner Website. Hunderte Bunker aus der Zeit des Nationalsozialismus und dem Kalten Krieg sind hier katalogisiert. Zu finden sind unzählige Fotos und Informationen, teilweise sogar die Baukosten und Grundrisse.

Peter Sell gibt Führungen im Bunker auf der Festung Königstein.

An zusätzlicher Öffentlichkeit im Zusammenhang mit einer möglichen künftigen Bedrohung für Sachsen hat Herbach allerdings kein Interesse. Die Bunker seien geopolitisch „leider“ wieder in den medialen Fokus gerückt, sagt er, was im Endeffekt niemandem nutze. „Die meisten Bauwerke sind nur Altlasten mit Gefährdungspotenzial für den unbedarften Besucher mit Smartphone-Taschenlampe. Mein Anliegen beschränkt sich auf die Dokumentation des noch Vorhandenen. Zu viel Publicity schadet der Sache eher.“ Für seine Zurückhaltung bittet er um Verständnis.

Wer sich für Bunkeranlagen, ihre geheimnisumwitterte Vergangenheit und ihre oft trostlose Gegenwart interessiert, der hat in Sachsen inzwischen dennoch genug Möglichkeiten, auf Spurensuche zu gehen. Beispielsweise im Bunker auf der Festung Königstein. Seit Ostern werden hier unter der Überschrift „Top Secret“ spezielle Führungen angeboten. Sie bieten Einblicke in die unter dem Festungswald liegenden Räume, die Ende des 19. Jahrhunderts noch als Versteck für Schießpulverfässer dienen sollten. Ab 1960 wurde hier stattdessen ein Bunker eingerichtet.

Den Ort, von dem zu DDR-Zeiten nur wenige wussten, richtete Peter Sell als junger Soldat der Nationalen Volksarmee in den 70er-Jahren mit ein. Inzwischen ist der heute 69-Jährige als Gästeführer auf die Festung Königstein zurückgekehrt. Das Interesse sei gewaltig, sagt Sell. An etlichen Tagen habe man bis zu fünf Führungen anbieten müssen, da nur maximal 25 Besucher gleichzeitig mitgenommen werden können. An diesem Freitagmittag haben mal nur acht Gäste die Tickets für 4 Euro erworben. Sie kommen aus Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg. Auf dem Weg unter die Erde sollen sie zunächst unter einem Gewölbe stehenbleiben.

Die Dekontaminationsduschen im Bunker sind vermutlich noch einsatzbereit.

  • [langer roter Schlauch + vier grüne Spritzdüsen (2 + 2) in Kopfhöhe und darüber]


Sell drückt einen Knopf und ein Alarm ertönt. Ein Geräusch verrät, dass die Tür verriegelt wird. „Disziplin, Genossen, absolute Disziplin“, schallt es aus einem Lautsprecher. Dann flackert das Licht, schließlich wird es dunkel. Ein lautes Grollen geht durch Mark und Bein. Es soll die Luftangriffe symbolisieren. Nicht jeder Besucher halte diese Eindrücke aus, sagt Sell später. Nach wenigen Sekunden geht das Licht wieder an. Nun können sich die Teilnehmer der Führung frei durch die weitgehend leeren Räume bewegen.

Einrichtung, die es hier mal gegeben hat, ist auf unbekannten Wegen abhandengekommen. Stattdessen informieren nun Tafeln an den Wänden über die wechselvolle Geschichte. Vorhanden sind noch die Duschen zur Dekontamination sowie ein Dieselmotor der VEB Robur Werke aus Zittau.

Sell erklärt, dass dieser „Bunker“ mit seinem Mauerwerk aus dem 19. Jahrhundert nie einem Beschuss standgehalten hätte. „Es ist sicher sinnvoll, sich heute wieder Gedanken über Schutzmöglichkeiten zu machen, aber dieser Standort hier wird dabei keine Hilfe sein.“ Der Bunker sei auch nie für die „geschützte Unterbringung“ der Bevölkerung vorgesehen gewesen, sondern als Gefechtsstation für insgesamt geschätzte 20 Mitarbeiter, die hier im Kriegsfall in drei Schichten ihren Dienst verrichtet hätten. Wenn beispielsweise die Brücke in Bad Schandau gesprengt worden wäre, dann hätte von hier aus das Kommando kommen können, eine Behelfsbrücke zu errichten.


Der Bunker auf der Festung Königstein ist inzwischen zum Museum geworden.

  • [mit Puppe in Gummivollschutz - SBA1 + Gasmaske + Tasche + ZV-Helm + Schutzhandschuhe durch weiße Schlaufen der SBA1 gesichert]

Luft und die 3.000 Liter Trinkwasser hätten allerdings wohl nur für maximal 76 Stunden gereicht. Übungen dazu hat es nie gegeben.

  • [gab es zur Genüge - wird nur vertuscht]


Stattdessen wurde hier in den 80ern Entgiftungsmittel gelagert. Nach vielen Jahren der Nutzlosigkeit ist der Bunker nun also zum Museum geworden.

Längst nicht jede Bunkeranlage in Sachsen hat ein ähnlich sinnvolles zweites Leben in Aussicht. Bunkerexperte Herbach betont: „Noch existente Bauwerke, soweit sie öffentlich bekannt sind, taugen allenfalls als Museum, Abenteuerspielplatz oder solides Fledermausquartier. Die bauliche Ausstattung, sofern noch vorhanden und funktionsfähig, ist für Bedrohungsszenarien und das Waffenarsenal der 1960er- bis 1980er-Jahre konzipiert.“

Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Deutschland heute flächendeckend über eine Bausubstanz verfüge, die unter bestimmten Voraussetzungen bereits „einen signifikanten Schutz vor dem Einsatz von Kriegswaffen“ bieten könne. Gemeint sind unter anderem Tiefgaragen, U-Bahn-Stationen und Kellerräume in Massivbauweise. Diese könnten durchaus Schutz vor einer Explosionsdruckwelle, Trümmern und Splittern bieten. Selbst Treppenhäuser seien in dieser Hinsicht zu beachten, heißt es. Derzeit entwickle eine Facharbeitsgruppe unter Leitung des Bundesinnenministeriums Vorschläge zu baulichen Schutzmöglichkeiten für die Bevölkerung.

Die Bunkerführung auf der Festung Königstein endet mit einer Diskussion.

Am Ende der Führung durch den Bunker auf der Festung Königstein entspinnt sich eine Diskussion, wie sie in diesen Tagen häufiger zu hören ist. „Ich weiß gar nicht, ob ich bei einem Angriff wirklich hier unten sitzen möchte“, sagt Ute aus Baden-Württemberg und erntet Nicken in der Runde. „Woher will ich denn wissen, ob das Leben da oben danach überhaupt noch lebenswert ist.“ Eigentlich könne sie gerade nur einen einzigen Gedanken zulassen, sagt sie. „Am besten, es gibt überhaupt keinen Krieg mehr.“