Skopus und Rekonstruktion

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In diesem Kapitel geht es um Fragen der semantischen Interpretation bei der Vorfeldbesetzung: Wenn wir annehmen, dass Satzteile, die im Vorfeld stehen, dorthin bewegt worden sind, stellt sich die Frage, welche Folgen dieser Bewegungsprozess für die Bedeutung des Satzes hat.

Es wird kurz eingeführt, welche semantischen Erwartungen sich daraus ergeben könnten, dass ein Ausdruck im Vorfeld ja die höchste Position in der Satzstruktur besetzt. Es wird dann gezeigt, dass die Bewegung ins Vorfeld oftmals doch semantisch wirkungslos ist; dies wird durch den Begriff der "Rekonstruktion" beschrieben. Die Bewegung ins Vorfeld kann also für die Interpretation rekonstruiert bzw. "rückgängig gemacht" werden. Dies ist möglich, weil die Ausgangsposition der Bewegung durch eine Spur markiert wird.

Daneben wird auch ein Argument vorgeführt, aus dem sich ergibt, dass auch (gewisse) Adverbiale ins Vorfeld bewegt worden sein müssen, anstatt einfach dort erzeugt zu werden: Auch dies ergibt sich daraus, dass sich die Anwesenheit einer Bewegungsspur bei gewissen Interpretationsprozessen bemerkbar macht, auch wenn die Spur unsichtbar ist,

Skopus und Bindung in der Logik[Bearbeiten]

In diesem Abschnitt werden zunächst logische Begriffe eingeführt, mit deren Wiedergabe durch die natürliche Sprache wir uns als nächstes beschäftigen werden. Ein wichtiger Begriff ist der "Skopus", d.h. der "Wirkungsbereich" eines Ausdrucks.

Skopus der Negation[Bearbeiten]

Ein einfaches Beispiel ist der Skopus der Negation: Das ist dann das, was verneint werden soll.

  • Beispiel: "Ich bin nicht hungrig" = ¬ (ich bin hungrig) (¬ ist das Negationszeichen; die Negation wird auf eine ganze Aussage angewandt)

Der Geltungsbereich oder Skopus der Negation lässt sich mit einer Umschreibungsprobe bestimmen, nämlich mit der Umwandlung des fraglichen Satzes in eine Konstruktion des Typs »Es ist nicht der Fall, dass …«. Der Geltungsbereich der Negation entspricht dann dem dass-Nebensatz.[1]

In simplen Sätzen umfasst der Geltungsbereich der Negation den ganzen Satz:

  • Beispiel: Anna hat das Buch nicht gelesen.

→ Es ist nicht der Fall, dass Anna das Buch gelesen hat.

Aber schon in nur wenig komplizierteren Sätzen zeigt sich, dass manche Elemente nicht im Geltungsbereich der Negation stehen:

  • Beispiel: Anna hat das Buch leider nicht gelesen.

→ * Es ist nicht der Fall, dass Anna das Buch leider gelesen hat.

→ Es ist leider nicht der Fall, dass Anna das Buch gelesen hat. (Das Kommentaradverb leider steht nicht im Geltungsbereich der Negation.)

Skopus von Quantoren[Bearbeiten]

Daneben haben Quantoren ebenfalls Skopus (Quantoren sind Ausdrücke, die, wörtlich genommen, Individuen "abzählen", also Aussagen über Mengen von Individuen einführen, z.B. alle, einige, ein...). Hier ein Beispiel, das unten noch weiter kommentiert wird

  • a) "Jeder Inselbewohner spricht zwei Sprachen" = Für alle x: [ Wenn x ein Inselbewohner ist, dann spricht x zwei Sprachen ]
a) genauer: Für alle x: [ Wenn x ein Inselbewohner ist, dann gibt es ein Y: Y ist ein Paar aus zwei Sprachen, und x spricht Y]
Der Bereich in eckigen Klammern ist der Skopus der All-Aussage, d.h. der gesamte Satz ist eine Aussage über die Inselbewohner
  • b) Eine andere Deutung des deutschen Satzes in a) ist:
Es gibt ein Y: [Y ist ein Paar aus zwei Sprachen und: für alle x: Wenn x ein Inselbewohner ist, dann gilt: x spricht Y]
Dies ist nun eine Existenz-Aussage über zwei bestimmte Sprachen. Die Bedeutung ist auch insofern eine andere als im ersten Fall, weil es nun dieselben zwei Sprachen sein müssen, die von allen gesprochen werden. Die Aussage über alle Inselbewohner befindet sich nun im Skopus der Existenzaussage, wogegen es im ersten Fall umgekehrt war.

Bindung in der Logik[Bearbeiten]

In quantifizierten Aussagen wie oben werden Variablen (x, y, ...) eingeführt. Der Quantor "alle" beinhaltet eine Vorschrift, was mit den Variablen passieren soll.

  • Beispiel: "Alle Inselbewohner sprechen Englisch" = Für alle x: [ Wenn x ein Inselbewohner ist, dann spricht x Englisch]
Angenommen, auf der Insel leben 3 Personen: Otto, Anna, Ede. Der All-Quantor verlangt, dass jedes Individuum, das ein Inselbewohner ist, einmal in die Formel für x eingesetzt wird, und dann überprüft man die Aussagen, ob Otto/Anna/Ede Englsch spricht. Nur wenn bei jeder Einsetzung eine wahre Aussage entsteht, ist die All-Aussage insgesamt wahr.

Allgemein kann man daher sagen, dass ein Quantor eine Variable x in seinem Skopus bindet, wenn er eine Vorschrift über die Einsetzung von Individuen für x liefert, also wenn der Quantor Einsetzungen für diese Variable kontrolliert.

Der Begriff der Bindung in der Syntax, der weiter unten eingeführt wird, ist etwas anders gefasst — die Begriffe logische Bindung und syntaktische Bindung müssen also unterschieden werden.

Der Ausdruck logischer Verhältnisse in der Grammatik[Bearbeiten]

Im Folgenden geht es um die Frage, wie man diese logischen Verhältnisse aus der Form eines Satzes ablesen kann. Einerseits ist es oft möglich, die sichtbare syntaktische Form eines Satzes für die Skopusverhältnisse heranzuziehen, und zwar in der Form, dass ein Ausdruck, der Skopus über einen anderen hat, in der Struktur "höher steht". Andererseits ist es typisch, dass es zwischen der logischen Form und der syntaktischen Struktur Abweichungen gibt. Diese versucht man in den Griff zu bekommen, indem man zeigt, dass nur eine begrenzte Anzahl von "Reparaturregeln" existiert, die die erlaubten Abweichungen zwischen syntaktischer und logischer Form erfassen. Das erste Ziel der folgenden Abschnitte ist, diese Grundprinzipien aus der Literatur zu erläutern:

  • Die Skopusverhältnisse müssen eindeutig mittels struktureller c-Kommando-Verhältnisse repräsentiert werden: Hat α Skopus über β, so wird β von α c-commandiert.[2]
  • A quantified expression α can have scope over a quantified expression β if the head of the local chain of α c-commands the base position of β.[3]

Grundgedanken[Bearbeiten]

Skopus und c-Kommando[Bearbeiten]

Um die Beziehung zwischen einem skopustragenden Ausdruck und dem Satzteil in seinem Skopus zu regeln, wird ein Begriff benötigt, der sagt, dass der skopustragende Ausdruck "strukturell höher" steht. Hierzu dient der Begriff des "c-Kommandos" (die längere ursprüngliche Bezeichnung lautet entlisch "constituent command"):

C-Kommando: A kommandiert B gdw. B in der Schwester von A enthalten ist.

Wir betrachten die Beispiele: ..."dass Fritz zweimal nichts aß / ...dass Fritz nichts zweimal aß". Die logische Analyse ist vereinfacht folgende:

a. dass Fritz zweimal nichts aß = Es gibt 2 Situationen Y: [Es gibt kein x in Y: A aß x]

Der Bereich in eckigen Klammern ist der Skopus der zweimal-Aussage, d.h. der gesamte Satz ist eine Aussage über die 2 Situationen Y.

b. dass Fritz nichts zweimal aß = Es gibt kein x: [A aß x zweimal]

Der Bereich in eckigen Klammern ist der Skopus der X-Aussage, d.h. der gesamte Satz ist eine Aussage über die X.

Die syntaktische Darstellung ist folgende:

a.   ...dass er...  V’
                  /    \
                AdvP     V’
              zweimal  /    \
                      DP      V                   
                    nichts    aß
b.   ...dass er...  V'
                  /    \
                DP      V'
              nichts  /    \
                     AdvP   V                   
                    zweimal  aß

Die Skopusverhältnisse entsprechen hier den c-Kommando-Verhältnissen. In der Struktur des Beispiels a. c-kommandiert "zweimal" den Quantor "nichts", denn der Quantor ist in der Schwester-Konstituente des Adverbs, der in Fettschrift markierten V’-Konstituente, enthalten. Umgekehrt c-kommandiert "nichts" in b. das Adverb "zweimal".

Bindung in der Syntax[Bearbeiten]

Der Begriff der Bindung, der oben in einer logischen Bedeutung eingeführt wurde, hat ein Gegenstück in dem Begriff der syntaktischen Bindung. Man beachte, dass hier also ein logischer und ein syntaktischer Begriff unterschieden werden, und es besteht die Aufgabe, zu entscheiden, welches Verhältnis diese Begriffe zueinander genau haben. Syntaktische Bindung ist folgendermaßen definiert:

Syntaktische Bindung: Koindizierung unter C-Kommando

Hierbei wird also ein Index als ein syntaktisches Objekt eingeführt. Ein syntaktischer Index (i, j, k, ...) kann semantisch betrachtet verschiedene Dinge ausdrücken, eines davon ist die logische Bindung. Beispiel:

c. dass jederi seinei Mutter liebt

Die Idee ist nun, dass die Interpretation von "seine" als gebundenes Pronomen zustande kommt ("jeder liebt seine jeweilige Mutter"), wenn das Pronomen "seine" vom Quantor syntaktisch gebunden wird. Dies ist in c. der Fall: "jeder" c-kommandiert das Pronomen, und sie haben denselben Index.

Man bemerkt, dass die Spuren von syntaktischer Bewegung ebenfalls einen Index mit ihrem Antezedens teilen, und tatsächlich gilt auch für Spuren die Bedingung, dass sie gebunden werden müssen. Dies zeigt, dass "syntaktische Bindung" ein allgemeiner syntaktischer Begriff ist, der verschiedene semantische Interpretationen (oder gar keine semantische Interpretation) haben kann.

Interpretation durch Anpassungsregeln ("LF-Bewegung")[Bearbeiten]

Die oben skizzierten Beziehungen zwischen c-Kommando in der syntaktischen Struktur und dem Ausdruck von logischem Skopus und logischer Bindung ist ein Idealfall, der in der Grammatik nicht immer so verwirklicht wird. Oft weicht die grammatische Form eines Satzes von dem ab, was die logische Struktur erwarten ließe. In der Theorie der generativen Syntax sind aber regelmäßige Beschränkungen formuliert worden, wie weit die Abweichung der grammatischen Struktur von der logischen Struktur gehen darf. Im folgenden werden zwei Beispiele hierfür gezeigt.

"Rekonstruktion"[Bearbeiten]

Es gibt Beispiele, wo ein gebundenes Pronomen nicht im c-Kommando-Bereich seines Binders zu sehen ist. Der folgende Satz[4] klingt aber grammatisch, besonders wenn der topikalisierte Ausdruck "seine Mutter" eine starke Betonung erhält:

[DP Seinei Mutter]k liebti [ VP jederi tk tj ]

Bei näherer Betrachtung kann man argumentieren, dass die logischen Verhältnisse doch aus der grammatischen Form abgelesen werden können. Hierzu muss man sich die Ableitung des Satzes mithilfe von Bewegungen ansehen: Tatsächlich wird Seine von jeder c-kommandiert und syntaktisch gebunden. In der S-Struktur ist diese Interpretation des Pronomens nicht möglich. Aber diese S-Struktur entsteht aus (58-a)

a. Die VP:

[VP jederi [seinei Mutter] liebt]

In diesem Schritt steht seine Mutter liebt in Skopus von jeder, d.h.: für alle x: [ Mensch(x)... ] x liebt x's Mutter. Seine ist hier schon von jeder c-kommandiert und syntaktisch gebunden.

b. Finitumvoranstellung:

liebtj [ VP jederi seinei Mutter tj ]

c. Topikalisierung:

[DP Seinei Mutter]k liebti [ VP jederi tk tj ]

Es ist offenbar, dass die Bindung vor der Topikalisierung vorliegt. Man kann dies ausnutzen, indem man eine Regel formuliert, wonach für die Zwecke der semantischen Interpretation die Position zählt, die von der Spur markiert wird, nicht die Position, in der das sichtbare Antezedens steht. Man kann dasselbe auch als einen Vorgang der "Rekonstruktion" bezeichnen: Die topikalisierte Einheit wird für die Zwecke der logischen Interpretation quasi zurückbewegt. Unter Zuhilfenahme der Rekonstruktion bleibt also die Regel gewahrt, dass seine von jeder c-kommandiert und syntaktisch gebunden wird.

Ambiguität bei Sätzen mit 2 Quantoren[Bearbeiten]

Im Abschnitt über Skopus in der Logik oben wurde ein mehrdeutiges Beispiel betrachtet: Jeder Inselbewohner spricht 2 Sprachen. Insbesondere kann der Satz bedeuten, dass "2 Sprachen" weiten Skopus hat. Dies beruht nicht auf einer syntaktischen Ambiguität. Sternefeld (2006: 299ff., insbesondere S. 301) erläutert sehr kurz, dass man in der generativen Syntax eine eigene Ebene annimmt, auf der der Satz so umgestellt wird, dass Skopus und c-Kommando übereinstimmen. Es gibt hierfür syntaktische Bewegungen, die unsichtbar sind. Eine Grundregel lautet: "Quantoren können angehoben werden". Während also die sichtbare Syntax eine Form hat wie:

  • [ everyone [ speaks two languages]]

...kann man den Existenzquantor so bewegen, dass er in eine höhere Position kommt:

  • [ two-languagesi [ everyone [ speaks ti ] ]

Dies soll also ein erster Schritt in der Interpretation des Satzes sein, der noch syntaktische Mittel (nämlich Bewegung) benutzt, er gehört aber eben nicht der phonetisch ausgedrückten Syntax an.[5]

Damit sind zwei Fälle zu sehen gewesen, wo in der Interpretation eines Satzes eine Regel zur Abänderung der Oberflächenform formuliert wird: "Quantorenanhebung" und "Rekonstruktion". Dies sind also Beispiele für Transformationen auf der Ebene der Logischen Form, die in der generativen Theorie als eine unsichtbare syntaktische Ebene angesetzt wird.

Anmerkung zum Thema Scrambling[Bearbeiten]

Gewisse Fälle von Umstellung im Mittelfeld ("Scrambling") verhalten sich ebenso wie Topikalisierung: Sie können offenbar für die Interpretation "rekonstruiert" werden:

  • Beispiel: "Weil [seinei Mutter] doch jederi liebt."

Die Rekonstruktion benutzt folgende detailliertere Struktur:[6]:

Weil [VP[DP seinei Mutter]j [VP doch [VP jederi tj liebt] ] ]

In anderen Fällen, die zunächst ähnlich aussehen, zeigen sich jedoch keine Rekonstruktionseffekte. Auch folgendes bereits besprochenes Beispiel stellt ja einen Fall von "Reihenfolgevariation im Mittelfeld" dar:

a. weil Fritz zweimal nichts aß
b. weil Fritz nichts zweimal aß.

Da in der Interpretation keine Rekonstruktioneffekte festzustellen sind, müsste dies besagen, dass auch keine Spur in der Konstruktion enthalten ist. Mit anderen Worten: Die Struktur darf nicht so aussehen:

 b1.  *
                    VP
                  /    \
               AdvP     V’
             zweimali  /  \
                    DP     V’                   
                  nichts  /   \   
                        AdvP   V
                         ti

Denn wäre die Herleitung von b. so wie in b1, dann könnte man das Adverb "zweimal" vielleicht an seine Spurposition rekonstruieren und andere Skopusverhältnisse erhalten. Dies erzwingt also den Schluss, dass Adverbiale wie "zweimal" im Mittelfeld nicht bewegt werden (müssen), sondern dass in den Sätzen a. und b. oben das Adverb einfach an verschiedenen Stellen erzeugt worden ist; entsprechend eindeutig ist dann jeweils die Interpretation. Dieser Wortstellungsunterschied ist mit anderen Worten kein Scrambling im Sinne einer Bewegungstransformation.

Prinzip C[Bearbeiten]

Ein weiteres Thema aus dem Bereich der Syntax-Semantik-Abbildung sind die sogenannten Bindungsprinzipien, also Anforderungen, die bestimmte Ausdrücke bezüglich syntaktischer Bindung stellen. Beispielsweise ist es so, dass Reflexivpronomen gebunden werden müssen oder Personalpronomen in gewissen Bereichen nicht gebunden werden dürfen. Wir behandeln hier nur einen dritten Fall näher, das "Prinzip C" der Bindungstheorie von Chomsky (wogegen Prinzipien A und B hier weggelassen werden).

Prinzip C der Bindungstheorie: Ein "referierender Ausdruck" (z.B. Eigenname) darf nicht syntaktisch gebunden werden.

Dieses Prinzip bezieht sich also darauf, dass in einem Satz keine Indizierung gewählt werden darf, so dass ein Eigenname denselben Index hat wie ein anderer Ausdruck, der den Eigennamen c-kommandiert. Wird dieses Prinzip verletzt, resultiert Ungrammatikalität (unter der gegebenen Indizierung!), man bezeichnet dies dann als einen "Prinzip-C-Effekt". Im nächsten Abschnitt wird dieses Prinzip verwendet, um zu argumentieren, dass Adverbiale im Vorfeld bewegt werden und nicht dort basisgeneriert sind.

Hier sind zunächst Beispiele für Prinzip-C-Effekte als solche:

a. [Petersi Mutter] hat ihmi sehr geholfen.
b. [Seineri Mutter] hat Peteri sehr geholfen.
c. * Eri hat NP [Petersi Mutter] sehr geholfen.
  • a. [Petersi Mutter] hat ihmi sehr geholfen.
                             CP
                          /      \
                        NP         C'
              [Petersi Mutter]k  /    \
                                C0      VP 
                                hatj   /   \
                                     NP      V'          
                                     tk    /    \
                                         NP     V'
                                         ihmi   ᐃ
                                             sehr geholfen tj

In diesem Satz kommt keine syntaktische Bindung zustande: das Pronomen "ihm" wird von "Peter" nicht c-kommandiert, denn "Peter" steht im Inneren der NP, sein c-Kommando-Bereich ist also nur seine Schwester in der NP; die VP wird nicht erfasst. Das ist in Ordnung, da das Pronomen hier nicht als "gebundenes Pronomen" im logischen Sinne interpretiert werden soll. Außerdem verletzt diese syntaktische Konstellation das Prinzip C nicht, denn "Peter" ist sowieso ganz oben im Baum; das Pronomen "ihm" ist zwar koindiziert, aber steht tiefer und übt kein c-Kommando über "Peter" aus. Deshalb ist diese Koindizierung insgesamt unproblematisch.

  • b. [Seineri Mutter] hat Peteri sehr geholfen.
                             CP
                          /      \
                        NP         C'
              [Seineri Mutter]k  /    \
                                C0      VP 
                                hatj   /   \
                                     NP      V'          
                                   Peteri  /    \
                                          NP     V'
                                          tk     ᐃ
                                             sehr geholfen tj

Nach der Rekonstruktion der Bewegung wird seiner, wie im Satzbaum, von Peter c-kommandiert. Das ist kein Problem, da "seiner" kein "referierender Ausdruck" im Sinne des Prinzips C ist. "Peter" hingegen ist weder vor noch nach Bewegung gebunden, denn wiederum ist das koindizierte "seiner" im obigen Baum innerhalb einer NP eingebettet, es kommandiert nicht in die VP hinaus. Deshalb ist diese Koindizierung unproblematisch.


  • c. * Eri hat [Petersi Mutter] sehr geholfen.
                             CP
                          /      \
                        NP         C'
                      [Eri]k    /    \
                                C0      VP 
                                hatj   /   \
                                     NP      V'          
                                     tk    /    \
                                          NP     V'
                             [Petersi Mutter]    ᐃ
                                               sehr geholfen tj

In diesem Satz wird "Peter" von "er" c-kommandiert, und beide tragen denselben Index. Deshalb wird "Peter" von "er" gebunden. Aber nach Prinzip-C kann ein Eigenname wie "Peter" nicht syntaktisch gebunden werden. Daher führt diese Koindizierung zu einer Prinzip-C-Verletzung (das Pronomen kann hier nur mit einer anderen Indizierung verwendet werden, muss sich also auf jemand anderen beziehen). Man beachte, dass es soherum keinen Einfluss hat, dass Peter in einer NP eingebettet ist: Auch in dieser Position gilt, dass es in der Schwester von "Er" enthalten ist. Das Problem besteht übrigens sowohl vor als auch nach Bewegung von "er".

Adverbiale werden ins Vorfeld bewegt[Bearbeiten]

In diesem Abschnitt wird die zuvor eingeführte Theorie benutzt, um ein Argument von Frey (2003) zu entwickeln, dass Adverbiale im Vorfeld durch Bewegung dorthin gelangt sein müssen. Dies ist ein Punkt, der sonst schwer klärbar schien. Man erinnere sich, dass oben gesagt wurde, Adverbiale im Mittelfeld wie "zweimal" seien nicht bewegt worden!.

Grundlagen des Arguments[Bearbeiten]

Satzadverbiale[Bearbeiten]

Definition: Das Satzadverbial ist subjektive Einstellung des Sprechers ausdrückendes Adverbial, welches sich auf den gesamten Satz bezieht. Einige Beispiele davon: erstaunlicherweise, offensichtlich, wahrscheinlich usw.

Basisposition: Satzadverbialien sind im Mittelfeld basisgeneriert.

(i) Die Basisposition eines Satzadverbials muss die Basispositionen aller Argumenten und aller anderen Adverbialien c-kommandieren.

Im Mittelfeld muss Topik vor Satzadverbial stehen und die vor Satzadverbial stehenden Phrasen muss Topik sein.

 Da wir gerade von Hans sprechen.
 a. Nächstes Jahr wird den Hans1 erfreulicherweise eine vornehme Dame t1 heiraten.
 b. #Nächstes Jahr wird erfreulicherweise den Hans eine vornehme Dame heiraten.

Hans funktioniert hier als „aboutness topic“, deshalb sollte Hans vor Satzadverbial erfreulicherweise stehen.

 a. *weil fast jeder vermutlich das Buch entleihen möchte
 b. weil vermutlich fast jeder das Buch entleihen möchte
 c. *Hans ist wegen was leider böse.
 d. Hans ist leider wegen was böse.
 a. *weil zu keiner Zeit anscheinend jemand davon gewußt hat
 b. weil anscheinend zu keiner Zeit jemand davon gewußt hat
 c. *Hans hat an fast jedem Ort erfreulicherweise Bewunderer.
 d. Hans hat erfreulicherweise an fast jedem Ort Bewunderer.

Die Basispositionen von Argumenten, Kausaladverbialien, Temporaladverbialien, und lokalen Adverbialien müssen von Satzadverbial c-kommandiert werden.

(ii) Die Basisposition eines Satzadverbials muss die Basispositionen von finiter verbaler Form c-kommandieren.

Der Skopus eines Satzadverbials muss über alle temporalen Informationen des Satzes sein.

  • Beispiel[12]: *[Glücklicherweise viel gelacht]1 wird2 in diesem Land t1 t2.

Das Finitverb repräsentiert temporale Information dieses Satzes. Wegen der semantischen Relation zwischen Satzadverbial und temporale Information sollte das Finitverb(wird) vom Satzadverbial (Glücklicherweise) c-kommandiert werden. Aber in diesem Beispiel kann das Satzadverbial (Glücklicherweise) das Finitverb(wird) nicht c-kommandieren, denn das Satzadverbial (Glücklicherweise) ist ein Teil von der ins Vorfeld bewegte VP(Glücklicherweise viel gelacht). Deshalb ist das Beispiel oben ungrammatisch.

Rahmen-Adverbiale[Bearbeiten]

Definition: Rahmen-Adverbiale schränken den Anspruch ein, den der Sprecher macht durch seine Behauptung.

Basisposition: Die Basisposition von einem Rahmen-Adverbial c-kommandiert die Basispositionen von allen Argumenten und allen Adverbialen neben Satzadverbialien.

 a. *Otto ist in keinem Land erstaunlicherweise sehr berühmt. 
 b. Otto ist erstaunlicherweise in keinem Land sehr berühmt. 
 c. Otto ist [in Deutschland]1 erstaunlicherweise t1 sehr berühmt. 

Wenn Rahmen-Adverbiale nicht referenziell sind, müssen sie einem SADJ folgen, also sie können nicht in der Topikposition des deutschen Mittelfeldes auftreten,wie in (a). Aber wenn ein Rahmen-Adverbial referenziell ist, kann es im Topikfeld vor den SADJs positioniert, wie in (c).

  • Beispiel[15]: Im 16. Jahrhundert haben in Deutschland Mönche viel Bier getrunken.

Das lokative Rahmen-Adverbial in Deutschland beschränkt die Domäne des generischen NP Mönche und es selbst ist durch das temporale Rahmen-Adverbial beschränkt.

  • Beispiel[16]: [In Deutschland viel Bier getrunken] wurde bedauerlicherweise damals.

Rahmen-Adverbiale müssen keinen Skopus über Zeit haben und das finite Verb nicht c-kommandieren, deshalb können sie daher im Deutschen innerhalb einer verbalen Projektion des Vorfelds auftreten.

Freys Argument für Bewegung von Adverbialen[Bearbeiten]

Im folgenden Satz entsteht Ungrammatikalität, wenn das Pronomen "er" im Mittelfeld etwas früher steht (a.) wogegen der Satz gut ist, wenn es etwas später steht (b.):

  a. *[In Peters1 Firma]2 entscheidet er1 offensichtlich t2 t1 allein über die Ausgaben. 
  b. [In Peters1 Firma]2 entscheidet offensichtlich t2 er1 allein über die Ausgaben.

Die Erklärung für diesen mysteriösen Effekt verweist darauf, dass die Ungrammatikalität in a. aus einer Prinzip-C-Verletzung herrührt. Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen wird nämlich dadurch erklärbar, dass das Rahmenadverbial "in Peters Firma", das im Vorfeld steht, eine Spur im Mittelfeld zurückgelassen hat. In diese Spur kann bzw. muss es rekonstruiert werden.

In a. steht das Pronomen besonders hoch in der VP — es ist laut Frey als Topik vorangestellt worden und entstammt der Position "t1". Wie in der Indizierung von a. zu sehen ist, hat das "er" mit dieser Voranstellung die Spur (d.h. Basisposition) des Rahmenadverbials "t2" überquert. Das bedeutet, wenn die Topikalisierung des Rahmenadverbials rekonstruiert wird, führt die Rekonstruktion in eine Position, die von "er" c-kommandiert wird. Das Adverbial enthält aber einen R-Ausdruck, der mit "er" koindiziert ist — so dass an diesem Punkt eine Pinzip-C-Verletzung resultiert.

In (b) tritt das Pronomen rechts vom SADJ auf, es ist kein Topik. In diesem Fall finden wir keine Verletzung des Prinzips C mit dem R-Ausdruck, denn dieser steht in jedem Fall höher (die Basisposition eines Rahmen-Adverbials liegt unter SADJ, aber höher als die Basisposition des Subjekts).


Literatur[Bearbeiten]

  • Sternefeld, Wolfgang (2006): Syntax. Eine morphologisch motivierte generative Beschreibung des Deutschen. Tübingen: Stauffenburg.
Vor allem: Kap. III.3.2 bis 3.6, und III.5.1
  • Frey, Werner (2003): "Syntactic conditions on adjunct classes". In Ewald Lang, Claudia Maienborn & Chathrine Fabricius-Hansen (eds): Modifying Adjuncts. Berlin: Mouton de Gruyter. pp. 163–209
Vor allem Abschnitt 1 & 2; auf Anwendungen bei Vorfeldbesetzungen in späteren Abschnitten ebenso achten.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Duden-Grammatik 2016, S.918)
  2. Sternefeld S. 300
  3. Frey S. 164
  4. Sternefeld S. 314, Beispiel (57)
  5. Sternefeld S. 301, Bsp. (25), lässt jedoch die Spur dieser Bewegung weg!
  6. Sternefeld S. 315, Beispiel (59)
  7. Sternefeld S. 313, Beispiel (54)
  8. Frey S. 164, Beispiel (4)
  9. Frey S.167, Beispiel(7)
  10. Frey S.166, Beispiel(6)
  11. Frey S.167, Beispiel(9)
  12. Frey S.168, Beispiel(10)
  13. Frey S.168, Beispiel(13)
  14. Frey S.169, Beispiel(15)
  15. Frey S.169, Beispiel(16)
  16. Frey S.170, Beispiel(17)
  17. Frey S.169, Beispiel(14')

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