Benutzer:Cethegus/Die Epigonen

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Die Epigonen ist ein Roman von Karl Immermann, der 1836 erschien. Der Roman spielt im Unterschied zu Goethes Wilhelm Meister fast nur in der Adelssphäre, enthält allerdings eine deutlich schärfere Kritik des Adels, als sie sich bei Goethe findet. Auch kommt die Industriewelt weit realistischer in den Blick als bei Goethe.

Zitat[Bearbeiten]

Der Titel sprach an, was für viele nach der fruchtbaren Epoche, in der Klassik und Romantik gleichzeitig das literarische Leben bestimmten, das Lebensgefühl war und was im Roman selbst so ausgesprochen wurde:

„Wir sind, um in einem Worte das ganze Elend auszusprechen, Epigonen, und tragen an der Last, die jeder Erb- und Nachgeborenschaft anzukleben pflegt. Die große Bewegung im Reiche des Geistes, welche unsre Väter von ihren Hütten und Hüttchen aus unternahmen, hat uns eine Menge von Schätzen zugeführt, welche nun auf allen Markttischen ausliegen. Ohne sonderliche Anstrengung vermag auch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und Wissenschaft zu erwerben. Aber es geht mit geborgten Ideen, wie mit geborgtem Gelde, wie mit fremdem Gute leichtfertig wirtschaftet, wird immer ärmer. Aus dieser Bereitwilligkeit der himmlischen Göttin gegen jeden Dummkopf ist eine ganz eigentümliche Verderbnis des Worts entstanden. Man hat dieses Palladium der Menschheit, dieses Taufzeugnis unsres göttlichen Ursprungs, zur Lüge gemacht, man hat seine Jungfräulichkeit entehrt. Für den windigsten Schein, für die hohlsten Meinungen, für das leerste Herz findet man überall mit leichter Mühe die geistreichsten, gehaltvollsten, kräftigsten Redensarten. Das alte schlichte: Überzeugung, ist deshalb auch aus der Mode gekommen, und man beliebt, von Ansichten zu reden. Aber auch damit sagt man noch meistenteils eine Unwahrheit, denn in der Regel hat man nicht einmal die Dinge angesehn, von denen man redet, und womit beschäftigt zu sein, man vorgibt.«“

Karl Immermann: Die Epigonen, 2. Buch, 10. Kapitel, S.121

Ansatzpunkte zur Reflexion[Bearbeiten]

"Wir sind, um in einem Worte das ganze Elend auszusprechen, Epigonen"

Will sagen: Wir sind keine Originalgenies wie die Stürmer und Dränger Goethe und Schiller, die dann zu den Klassikern wurden.

"Ohne sonderliche Anstrengung vermag auch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und Wissenschaft zu erwerben."

Will sagen: Das 19. Jahrhundert mit seiner Entwicklung von Germanistik, den verschiedenen Philologien, Geschichte ... hat nicht nur geniale Dilettanten wie Goethe, von Arnim und Brentano beim Sammeln von Liedern, Märchen, Sagen ... gesehen wie das Ende des 18. Jahrhunderts, sondern - nicht zuletzt aufgrund des Wirkens der Brüder Grimm (und ihrer heute weitgehend vergessenen Konkurrenten) - die Entwicklung von Geisteswissenschaften und wissenschaftlichem Positivismus, die ihre Erkenntnisse der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellten. Diese freilich sind nicht wirklich wertloses Kleingeld. Scheidemünze waren die ständigen Goethe- und Schillerzitate, mit denen den eigenen beschränkten Vorstellungen der Anschein von Größe gegeben werden sollte ("für das leerste Herz findet man überall mit leichter Mühe die geistreichsten, gehaltvollsten, kräftigsten Redensarten").

Immermann kritisiert sich damit selbst, freilich nicht ohne, den Sprecher dieser Kritik seines Zeitalters, den Gelehrten Wilhelmi, seiner eigenen ironischen Kritik zu unterwerfen.

Freilich, irgendwie kommt uns die Aussage doch wohl auch sehr aktuell vor:

"Ohne sonderliche Anstrengung vermag auch die geringe Fähigkeit wenigstens die Scheidemünze jeder Kunst und Wissenschaft zu erwerben."

Haben wir nicht schon hundertmal gehört und gelesen: "Heute erarbeitet sich niemand mehr etwas selbst. Alles wird nur noch gegoogelt oder aus der Wikipedia abgeschrieben."

Personen[Bearbeiten]

Hermann[Bearbeiten]

Der Protagonist Hermann ist wie Wilhelm Meister bürgerlich, doch kommt er aus dem Großbürgertum und bewegt sich auch im hocharistokratischen Umfeld merkwürdig sicher. Dabei sagt er am Anfang über sich zu seinem Freund: "Ich habe abgeschlossen mit dem Leben. Seit ich das getan, bin ich ruhig. Ich wünsche nichts, ich verlange nichts; die Zeit der Täuschungen ist für mich vorüber".

Bald darauf frisiert er die Herzogin und steigt beim Herzog bei der Organisation von Ritterspielen zu einer Art Zeremonienmeister auf.

„Er hatte die Freiheit von bürgerlichen Verhältnissen gesucht, und nicht bedacht, daß eine solche eigentlich ganz in das Leere führe. Er hatte überall auf die gutmütigste Weise geholfen, und die Welt war indessen unbekümmert um ihn ihren selbstischen Gang weitergeschritten.“

Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 9. Kapitel

Flämmchen[Bearbeiten]

Flämmchen ist eine geheimnisvolle androgyne Gestalt wie Goethes Mignon, die sich eine Zeit lang eng an den Helden anschließt. Anders als die melancholische Mignon ist sie aber extrem temperamentvoll. Doch hat sie mit ihr gemeinsam ihre große Befähigung zum Tanz, freilich zu einem weit lebhafteren als dem Mignons.

Herkunft[Bearbeiten]

„Flämmchens Fluchtgeschichte war einfach genug. Das Mädchen war die Tochter eines polnischen Offiziers, der, unter den Fahnen des Eroberers dienend, Mutter und Kind auf den Kriegszügen durch Deutschland mit sich umhergeführt hatte. Er blieb in einer großen Schlacht, bald nachher starb auch seine Geliebte, eine Spanierin, von Klima und Mangel aufgezehrt. Aus den Händen armer Leute empfing der Komödiant das elternlose Geschöpf. Er war ein gutmütiger Mensch und spielte schon damals edle Väter. Der Anblick des kleinen Wesens, dem die Augen wie Kohlen im Kopfe brannten, und welches aus seinen Lumpen so keck hervorsah, als sei es eine Prinzessin, rührte ihn. Er ließ das Kind sich abtreten, und beschloß, es zu seinem Gewerbe anzuführen. Indessen brachte ihm diese wohltätige Handlung keinen Segen, sondern nur Herzeleid. Fiametta, die lieber Flämmchen heißen wollte, war das eigensinnigste, widerspenstigste Ding, was polnisches und spanisches Blut, vereinigt erzeugen können. Die sogenannte Erziehung, welche ihr in jener Komödiantenwirtschaft zuteil wurde, fruchtete nichts, und unmöglich war es, sie zum Auftreten zu bewegen. Sie begreife nicht, sagte sie, wozu das dumme Zeug, wie sie das Schauspiel nannte, diene? der falsche Vater lüge ja den ganzen Tag über, warum er denn des Abends zu seinen Lügen die fremden Kleider anziehe?“

Immermann: Die Epigonen

Flämmchens Tanz[Bearbeiten]

„Einen Kranz auf dem Haupte, und einen in jeder Hand haltend, schritt das Mädchen gemessen, fast feierlich, erst rund um die Felsenplatte, als vollziehe sie die Weihe des Orts. Dann in die Mitte sich stellend, wandte sie ihr glänzendes Antlitz gegen den Mond, und begann nun, immer seiner leuchtenden Scheibe zugekehrt, ihren ausdrucksvollen Tanz. Bald neigte sie sich ihm mit zärtlicher Gebärde entgegen, bald schien sie vor ihm verstellterweise zu fliehn, jetzt hob sie den einen, dann den andern Kranz lockend empor, darauf ließ sie beide sinken, verwechselte sie, warf sie in die Luft, daß sie dort Bogen beschrieben, und fing sie jederzeit gewandt und zierlich wieder auf, während Füße und Leib ihr anmutiges Spiel fortsetzten. DerSinn dieses Tanzes war ein liebliches Gedicht; der kalte hohe Freund da oben, sollte zur Erde herabgezogen werden, mit welcher er einst in größerer Vertraulichkeit gelebt habe, und auf der jede Sehnsucht nur eine Erinnrung an diese schöne Liebeszeit sei. Was ihre Bewegungen an diesem Mondscheinmärchen noch dunkel ließen, deuteten Strophen aus, die sie dazwischen absang, und womit sie sich den Takt anzugeben schien. Sie hatten alle ein gewisses Metrum, bestanden aber oft nur aus abgebrochnen Worten, deren Verbindung die Zuhörenden ergänzen mußten. Die Alte gab zuweilen in einer fremden Sprache, welche weder der Arzt, noch der Domherr verstand, eine Art von Refrain zu vernehmen.“

Immermann: Die Epigonen

Der Prinz zu Hermann über Flämmchen[Bearbeiten]

„Nun, Ihre Erziehungsplane sind nicht geglückt, anstatt eines Kunstprodukts hat Natur das wundersamste, entzückendste Geschöpf ausgebildet. Ich behaupte, wer sie tanzen gesehn, kann nie wieder ganz unglücklich werden. Wäre ich ein Freund von Paradoxen, so würde ich sagen: Sie tanzt Geschichte, Fabel, Religion, ihre begeisterten Wendungen und Stellungen weihen uns in die geheimsten Dinge ein.“

Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 8. Kapitel

Weitere Begegnung von Hermann und Flämmchen[Bearbeiten]

„Mit dem Rufe: »Liebster! Bester! Einziger!« hing sie ihm am Halse und die leidenschaftlichsten Küsse brannten auf seinen Lippen. »Habe ich dich endlich wieder!« rief sie, indem sie ihm Augen und Stirn küßte. »Nun aber werde ich dich nicht lassen, nun sollst du mein werden, sie mögen tun, was sie wollen.«“

Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 8. Kapitel

„Was er in den folgenden Tagen von der Lebensweise Flämmchens hörte, war das Ausschweifendste von der Welt. Sie hatte wirklich in ihrem einsamen Landhause eine Art von Hof oder Menagerie, wie man es nennen will, versammelt, bestehend aus den wildesten jungen Leuten der Residenz, die, durch den Ruf ihrer Schönheit angelockt, dorthin geströmt waren. Mit ihnen wurden die tollsten Streiche verübt, zuweilen toste dieses wütende Heer bei Nacht auf schnellen Pferden unter entsetzlichem Geschrei durch die Gegend, so daß die Landleute in ihren stillen Hütten sich vor dem Unwesen segneten, oder man sprengte falsche Nachrichten von Räuberbanden und Unglücksfällen aus, welche Scharwachen und Beamte aufregten, so daß sich auch schon die Polizei hier in das Mittel hatte legen wollen, jedoch höheren Ortes bedeutet worden war, solches zu unterlassen, da sich denn doch alles außer dem Bereiche eigentlicher Vergehungen hielt. Am brausendsten aber schäumte Flämmchens üppige Lebenskraft im Tanze aus. [...]

Das ist nun der Tanz, den ich nicht lassen kann, der mich mir selbst wiedergibt, wenn der Weltgraus mich überwinden und in mir einziehen will. Könntest du mich lieben, und immer bei mir sein, so wäre alles gut, dann hätte ich eine Stütze und würde auch aufhören zu tanzen; leider wird es nicht so gut werden.«“

Immermann: Die Epigonen, 7. Buch, 9. Kapitel

Cornelie[Bearbeiten]

„Unter solchen Gesprächen waren sie in das Tal hinuntergestiegen. Hermann nahm wahr, daß die Hirten und Melkmädchen, Cornelien, wie sie an ihnen vorüberging, mit einem Ausdrucke grüßten, der an Ehrfurcht grenzte. Ja, eine junge schwarzbraune Dirne, die aus feurigen Augen schaute, sank vor ihr, wie vom Gefühl überwältigt, in die Knie und legte die Hand Corneliens sich auf das Haupt. Ein Lämmchen kam aus der Herde munter auf Cornelien zugesprungen, und gab durch schmeichelnde Gebärden ein Anliegen zu erkennen. Sie beugte sich zu dem zarten Tiere hinab, nahm ein Milchfläschchen aus dem Busen, und tränkte das Geschöpf, welches sich vertraulich an die Knieende anschmiegte, aus der hohlen Hand. Hermann betrachtete mit Vergnügen das reizende Bild. Nachdem sie ihr mildes Geschäft vollbracht, erhob sie sich und sagte: »Das Närrchen hat seine Mutter verloren, und obgleich ein andres mitleidiges Stück der Herde deren Stelle schon oft bei ihm vertreten hat, so sucht es doch immer mich und mein Milchfläschchen, wenn ich mich zeige.« Alles, was Hermann hier sah und hörte, gab ihm das Gefühl eines süßen Friedens, und er malte sich mit Entzücken das Bild der Häuslichkeit aus, welche ihm Cornelie gewähren würde. Denn daß sie nicht länger sich seinem treugemeinten Werben widersetzen werde, war ihm nach dem traulich-liebevollen Empfange, den er hier über alle Erwartung gefunden hatte, gewiß. [...]

»Ich habe dich angehört, nun höre auch du mich an«, versetzte Cornelie mit niedergeschlagnen Augen. »Daß ich mich nicht gegen dich verstellen kann, weißt du, und mein Herz kennst du. Ich denke an dich, wo ich bin und weile, das war seit der Nacht im Walde so bei mir entschieden, und mit Freuden ginge ich für dich in den Tod. Es wäre mir auch kein größeres Glück auf der Welt, als wenn ich dich so täglich einige Stunden sähe, oder wenn das nicht anginge, so wäre ich schon zufrieden, wenn du nur abends im letzten Strahle der Sonne auf die Spitze des Hügels dort trätest, der so grün in das Tal schaut, und ich dann dein Bild von fern in mir empfinge, und es still mit mir zur Ruhe nähme. Sieh, so ist es mit mir. Deinen Wunsch erfülle ich nicht, das ist auch beschlossen.«“

Immermann: Die Epigonen, 7. Buch 5. Kapitel

Meinung[Bearbeiten]

"Immermanns Epigonen sind Goethes Wilhelm Meister nachgebildet, aber mit dem Thema des verfallenden Adels. Im romantischen Stil. Voll der rasendsten Unwahrscheinlichkeiten: Der positive Held Hermann läßt Flämmchen im Wald zurück. Kümmert sich, als er in den Ort gekommen ist, erst um alles andere, bevor er wieder an sie denkt. Sucht erst am nächsten Tag (oder noch später?) ihren Pflegevater auf, der sie angeblich verkuppeln will. Erzählt Lügengeschichten, um daraufhin einen Mann verdächtigen zu können, mit dem es darüber zum Duell kommt. Herzogin gibt für das Mädchen "eine Rolle Geldes", ohne sich weiter um ihr Geschick zu kümmern (dies ist evtl. realistisch). Jede Menge Verwandtschafts­verhältnisse durch uneheliche Kinder, Liebesnächte der Verwechslung. Flämmchen, die Mignon-Figur, und die Zigeunerin. Nachdem Hermann Wilhelmi in einem freimaurerisch-ähnlichen Bund geschworen hat, die Wahrheit zu sagen, geraten nicht nur beide in ein wüstes Trinkgelage (um der Parodie/Satire wohl erforderlich), sondern er fängt gleich seine nächste Unternehmung mit einer haltlosen Lüge an (er sei Lehramtskandidat Schmidt). Flämmchen entführt von einem Domherren, auf das Sorgloseste begünstigt durch den Arzt, der als äußerst rational geschildert wird, etc.. Von alten Papieren, Briefen und Tagebuchnotizen, die von Papageien ausgestreut, hinter alten Schränken verborgen, ungelesen von Nicht-eigentümern verwahrt (Herzogin mit Briefen Hermann betreffend) werden, ganz zu schweigen. Das schreckliche Ritterfest, natürlich als Parodie gemeint, aber doch, seltsam an Wilhelm Meisters Hamlet-Aufführung erinnernd, vom Helden gutwillig weiterorganisiert, ist zwar lustig, aber passt nicht zum Helden, macht Herzog und Herzogin mehr als zulässig zu Witzfiguren."

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