Benutzer:Cethegus/Moritz: Über die bildende Nachahmung des Schönen

Aus Wikiversity

ÜBER DIE BILDENDE NACHAHMUNG DES SCHÖNEN[Bearbeiten]

Wenn der griechische Schauspieler in der Komödie des Aristophanes dem Sokrates auf dem Schauplatze und der Weise ihm im Leben nachahmt, so ist das Nachahmen von beiden so sehr verschieden, daß es nicht wohl mehr unter einer und ebenderselben Benennung begriffen werden kann: wir sagen daher, der Schauspieler parodierte den Sokrates, und der Weise ahmt ihm nach.

Dem Schauspieler war es freilich nicht darum zu tun, dem Sokrates im Ernst nachzuahmen, sondern vielmehr nur, das Eigentümliche desselben oder seine Individualität in Gang, Miene, Stellung und Gebärden auf eine gewisse übertriebne Art, wodurch sie bei dem Zuschauer lächerlich werden sollte, nachzubilden. Weil dies nun der Schauspieler mit Bewußtsein und gleichsam im Scherz tat, so sagen wir: er parodierte den Sokrates.

Wäre aber der Schauspieler, den wir hier vor uns sehen, nicht Schauspieler, sondern irgendeiner aus dem Volke, der dem Sokrates, welchem er sich innerlich schon ähnlich dünkte, nun auch im Äußern, in Gang, Stellung und Gebärden, im Ernst nachzuahmen suchte, so würden wir von diesem Toren sagen: er äfft dem Sokrates nach, oder, er verhält sich zum Sokrates ohngefähr so, wie der Affe in seinen possierlichen Stellungen und Gebärden sich zum Menschen verhält. Der Schauspieler also schließt den Weisen aus und parodiert nur den Sokrates, denn die Weisheit läßt sich nicht parodieren; der Weise schließt in seiner Nachahmung den Sokrates aus und ahmt in ihm nur den Weisen nach, denn die Individualität des Sokrates kann wohl parodiert und nachgeäfft, aber nie nachgeahmt werden. Der Tor hat keinen Sinn für die Weisheit und hat doch Nachahmungstrieb: er ergreift also, was ihm am nächsten liegt, äfft nach, um nicht nachahmen zu dürfen, trägt die ganze Oberfläche einer fremden Individualität auf die seinige über, und die Basis oder das Selbstgefühl dazu legt ihm seine Torheit unter.

Wir sehen also aus dem Sprachgebrauch, daß Nachahmen, im edlern moralischen Sinn, mit den Begriffen von nachstreben und wetteifern fast gleichbedeutend wird, weil die Tugend, welche ich z. B. in einem gewissen Vorbilde nachahme, etwas Allgemeines, über die Individualität Erhabenes ist, das von jedermann, der darnach strebt, und also auch von mir sowohl als von meinem Vorbilde, mit dem ich zu wetteifern suche, erreicht werden kann. Weil ich aber diesem Vorbilde doch einmal nachstehe und ein gewisser Grad von edler Gesinnung und Handlungsweise mir ohne dasselbe vielleicht nicht so bald oder gar nie denkbar geworden wäre, so nenne ich mein Streben nach einem gemeinschaftlichen Gute, das auch von meinem Vorbilde erst mußte errungen werden, eine Nachahmung dieses Vorbildes.

Ich ahme meinem Vorbilde nach; ich strebe ihm nach; ich suche mit ihm zu wetteifern. Durch mein Vorbild ist mir bloß das Ziel höher als von mir selbst hinaufgesteckt. Nach diesem Ziele muß ich nun nach meinen Kräften, auf meine Weise streben, zuletzt mein Vorbild selbst vergessen und suchen, wenn es möglich wäre, das Ziel noch weiter hinaus zu stecken.

Durch diese Gesinnung muß das Nachahmen im edlern moralischen Sinn erst seinen eigentlichen Wert erhalten. ﷓Und es frägt sich nun, wie von diesem Nachahmen im moralischen Sinn das Nachahmen in den schönen Künsten oder von der Nachahmung des Guten und Edlen die Nachahmung des Schönen unterschieden sei.

Diese Frage muß sich alsdann von selbst beantworten, wenn wir die Begriffe von schön und gut, wiederum nach dem Sprachgebrauch, gehörig unterscheiden: denn daß dieser sie oft verwechselt, darf uns hier nicht kümmern, wo es beim Nachdenken über die Sache bloß aufs Unterscheiden ankömmt und notwendig so wie auf dem Globus gewisse feste Grenzlinien, die in der Natur selbst nicht stattfinden, gezogen werden müssen, wenn die Begriffe sich nicht wiederum ebenso wie ihre Gegenstände unmerklich ineinander verlieren und verschwimmen sollen: ein getreuerer Abdruck der Natur können sie in diesem letztern Falle sein, aber das eigentliche Denken, welches nun einmal im Unterscheiden besteht, hört auf.

Nun schließt sich aber im Sprachgebrauch das Gute und Nützliche so wie das Edle und Schöne natürlich aneinander; und diese vier verschiednen Ausdrücke bezeichnen eine so feine Abstufung der Begriffe und bilden ein so zartes Ideenspiel, daß es dem Nachdenken schwer werden muß, das immer ineinander sich unmerklich wieder Verlierende gehörig auseinanderzuhalten und es einzeln und abgesondert zu betrachten. Soviel fällt demohngeachtet deutlich in die Augen, daß das bloß Nützliche dem Schönen und Edlen mehr als das Gute entgegenstehe, weil durch das Gute vom bloß Nützlichen zum Schönen und Edlen schon der Übergang gemacht wird.

Wir denken uns z. B. unter einem nützlichen Menschen einen solchen, der nicht sowohl an und für sich selbst als vielmehr nur in Beziehung auf irgendeinen Zusammenhang von Dingen außer ihm unsre Aufmerksamkeit verdienet: der gute Mensch hingegen fängt schon, an und für sich selbst betrachtet, an, unsre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und unsre Liebe zu gewinnen; insofern wir uns nämlich denken, daß er seinem innern Fonds von Güte nach uns nie durch Eigennutz und Selbstsucht schaden, in den Zusammenhang von Dingen, worin wir uns befinden, nicht leicht disharmonisch eingreifen, kurz, unsern Frieden nicht stören wird. [...]

Vollständige Fassung