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Benutzer:Jeanpol/Buch/Teil III

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Dritter Teil: Das Aufkommen des Internets und der Paradigmenwechsel - Gemeinsam Wissen konstruieren

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Erste Schritte 1980: Ressourcenorientierung, Selbstorganisation und Vernetzung

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Als ich 1980 in Ingolstadt zu den Alternativen stieß, wurden verschiedene, teilweise sehr gewagte Konzepte diskutiert. Mir war die Idee gekommen, man könnte die Nutzung der Weltressourcen über Computersteuerung regulieren. So würde man weltweit die Bedürfnisse der Menschen nach Ressourcen mit Hilfe von vernetzten Computern ermitteln und die Produktion von Konsumgütern danach richten. Zwischengeschaltet wären Instanzen, die den Konsens darüber herstellen würden, was wirklich gebraucht ist oder nicht. Auf diese Weise würde man alle intellektuellen Ressourcen weltweit mobilisieren und stets Konsumbedarf und Ressourcenpotentiale abgleichen. Damals dachte ich auch, dass man Arbeit und Bezahlung abkoppeln sollte. Da die Maschinen immer mehr Produktionsarbeit verrichten würden, wären die Menschen von stupider Arbeit befreit und könnten sich interessanteren Tätigkeiten widmen. Arbeitslose müsste man umbenennen in Arbeitsbefreite und mit dezentem Auskommen ausstatten. Edlere Arbeiten würden an sich schon eine Belohnung bereithalten und sollten mehr oder minder freiwillig geleistet werden. Hier befand sich zum Teil Gedankengut, das ich aus den Schriften von André Gorz entnommen hatte, ohne diese Quelle bewusst im Hinterkopf zu behalten. Ich verfasste ein entsprechendes Papier, und es wurde recht intensiv diskutiert. Zum ersten Mal bekam ich das Gefühl, dass ich einer Gruppe von politisch sehr interessierten und engagierten Menschen Ideen zur Diskussion anbieten konnte, die sie nachhaltig und lebhaft beschäftigten. Zentral waren die Ressourcenorientierung und die Vernetzung.

Lernen durch Lehren

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Hinter LdL steckte der Gedanke, ungenutzte Reserven und Potentiale der Schüler zu mobilisieren. Dies war nur über eine Intensivierung der Kommunikation zu erreichen. Auf diese Weise konnte das bereits vorhandene unterschiedliche Wissen der Schüler vernetzt und dynamisiert werden. Schließlich bot LdL ein Feld zur Selbstorganisation, denn die Schüler sollten so selbständig wie möglich das Ziel einer gemeinsamen Erarbeitung der Lerninhalte ansteuern und erreichen. Das Ganze hätte Projektcharakter, und die Schüler müssten permanent kommunizieren, um zu prüfen, ob die gesetzten Lernziele erreicht waren und welche neue Ziele angepeilt werden sollten. Idealiter sollten sie sogar, nachdem der vorgegebene Lernstoff verinnerlicht wurde, selbst neue Inhalte auswählen, die sie erwerben wollten. Schließlich sollten sie auch selbst neues Wissen im Rahmen von Erkundungsprojekten schaffen und weitervermitteln. All dies wurde zwischen 1984 und 1987 in den FWU-Filmen dokumentiert.

Menschen interagieren wie Neuronen - Die LdL-Hompage - Die Klasse als Gehirn

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Sehr früh, bereits mit dem Aufkommen der Personal Computer, hatte ich die Vorstellung, dass man Menschen wie Neuronen im Nervensystem verbinden könne und dass auf der Grundlage der so entstehenden Interaktionen Gedanken emergieren könnten. Ähnlich der Funktionsweise des Gehirns. Diese Vorstellung hatte ich auch den Mitgliedern der Kerngruppe mitgeteilt, aber ohne großen Erfolg. Ähnlich wir zu Beginn der 80er Jahre bei den Grünen herrschte in der Kerngruppe eine gewisse Skepsis gegenüber den neuen Technologien. Hier machte Rolf-Dieter Preller eine Ausnahme, der stets an der Spitze aller technischen Erneuerungen marschierte.

Umso begeisterter griff ich die Möglichkeiten des Internets auf, als dieses Medium aufkam. Es traf sich besonders glücklich, dass zu diesem Zeitpunkt Manfred Lirsch als künftiger Ehemann meiner Tochter Juliane und absoluter Spitzenmann in vielerlei Hinsicht, insbesondere auch im IT-Bereich, seinen Einfluss in unserer Familie geltend machte. 1996 waren wir sicherlich eine der ersten Familien mit hausinternem Netz. Manfred Lirsch richtete eine BTX-Datenbank ein für das LdL-Projekt, später eine Homepage für die Uni Eichstätt und natürlich auch für das LdL-Kontaktnetz. Unter dem Kostendruck, der sich aufgrund von Gebührenerhöhungen der Post für Briefsendungen ergab, schlug ich vor, dass die etwa fünfhundert Kontaktbrief-Abonnenten nun per E-Mail beliefert werden sollten, allerdings würde dann der Mitgliederbeitrag entfallen. Da zu diesem Zeitpunkt erst wenige Kollegen über einen Internetanschluss verfügten, reduzierte sich die Zahl der Mitglieder auf zweinhundertfünfzig. Die Homepage, so war meine Idee, sollte sich am Gehirn orientieren und eine emotionale Komponente entalten (Besucherinterface: limbisches System), ein Gedächtnis (Datenbank mit Aufsätzen, Migliederkarteien, sonstigen Dokumentationen) und einen Cortex (Planungen, Entscheidungen). Die Gehirnmetapher setzte ich auch zur Vedeutlichung der Interaktionen zwischen den verschiedenen Arealen auch im Unterricht ein.

Blogeintrag 26.10.09:

Die Gruppe als Gehirn. Das limbische System: “Ausländer raus!”

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Posted on 26. April 2009 by jeanpol

Resümee: Um aufzuzeigen, welche Areale des Gehirns unsere Entscheidungen bestimmen, kann man eine kleine Übung mit 30 Leuten im Klassenzimmer oder 1000 im Hörsaal durchführen. Sicherlich sind dabei Twitter + Beamer für den Hörsaal von großem Nutzen.

1. Übung: die Gruppe zum Gehirn strukturieren

Um meinen Schülern und Studenten zu zeigen, wie einfach wir funktionieren, zeige ich ihnen die 4 wichtigsten Areale im Gehirn und wie sie zusammen wirken: Kleinhirn (vegetatives System), Temporallappen (Gedächtnis), limbisches System (Emotionen), Cortex (Koordination und Planung). Dann bitte ich die Teilnehmer, sich ein Areal auszusuchen, zu denen sie Affinität verspüren. Wer sich selbst als eher emotional einordnet, geht in die Gruppe “limbisches System”, wer eher kognitiv ausgerichtet ist wandert zur Cortex-Gruppe, wer über ein umfangreiches Wissen verfügt, beispielsweise weil er sich für Geschichte interessiert, geht zum Temporallappen und zum Kleinhirn schicke ich die Leute, die gerne Kleinkram erledigen und für die Essen und sonstige Alltagsautomatismen wichtig zu sein scheinen (”ich habe hunger”, “ich muss aufs Klo“).

2. Der Gruppe ein Problem zur Bearbeitung vorlegen

Damit das Gehirn eine Aufgabe zur Bearbeitung erhält, werfe ich in die Gruppe den Spruch “Ausländer raus” ein und bitte die verschiedenen Areale Position zu beziehen und mit den anderen Arealen in Interaktion zu treten. So liegt es nahe, dass die erste Region, die abfeuert, das limbische System (Emotion) ist: “Ja, Ausländer raus” meist sekundiert vom Kleinhirn (”Ausländer nehmen mir mein Essen weg und stehen vor mir in der Schlange wenn ich aufs Klo will”). Hier muss der Cortex koordinieren und bittet den Temporallappen (Gedächtnis) darzulegen, wie es dazu kam, dass soviele Ausländer in Deutschland leben. Der Temporallappen erinnert daran, dass ab den 60er Jahren überall in der Türkei, in Nordafrika, in Spanien, Italien und Spanien Büros von Deutschland aus eingerichtet wurden, die ausländische Arbeitskräfte (”Gastarbeiter“) anwarben, um den riesigen Bedarf abzudecken. Der Cortex bittet um Bedenkzeit und versucht eine Prognose zu erstellen: wie wird es auf dem Arbeitsmarkt in zehn Jahren in Deutschland aussehen? Während dieser Zeit stört das Kleinhirn mit Meldungen über den Zustand des Organismus (”Es ist 13.00Uhr, wir wollen nach Hause und außerdem ich muss ins Klo”), sekundiert durch das limbische System, das durch die kognitiven Anstrengungen des Cortexes überfordert ist. Der Cortex kommt zu dem Ergebnis, dass wir nicht weniger, sondern mehr Ausländer brauchen. Er vermeidet es, dies direkt dem limbischen System und dem Kleinhirn mitzuteilen, überlegt sich aber eine Strategie, wie er zumindest die Emotionen auf seine Seite ziehen kann, indem er beispielsweise Fotos von süßen ausländischen Kindern zeigt.

3. Politische Folgerungen

Natürlich ist nicht alles so einfach, aber einfach ist es trotzdem. Und die politischen Parteien haben auch entsprechend ihre Klientel: die Rechten (NPD) und DIE LINKE wenden sich fast ausschließlich an Kleinhirn und limbisches System, die Konservativen (CDU, SPD) wenden sich ebenfalls an Kleinhirn und limbisches System, beziehen aber stärker den Cortex und die Temporallappen ein, und die Grünen bemühen sich innovativ zu sein, wollen den Cortex mobilisieren wobei ihnen ihr eigenes limbische System im Weg steht (”Datenschutz“).

Fazit: Mit dieser Übung lernt man viel und sie macht Spaß! Ich hoffe, ich konnte mit dieser kleinen Beschreibung 3 Areale in Ihrem Gehirn ansprechen und das vierte (Kleinhirn) für kurze Zeit zurückdrängen!:-))

Synergien und Traditionen - Perros-Guirec 1984-2009

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Als Franzose, der in Deutschland lebte, wollte ich die Familie, die ich gerade in Bayern aufbaute eng mit meiner französischen Ursprungsfamilie verbinden. Insbesondere wollte ich unbedingt, dass meine Kinder zu ihren französischen Großeltern eine tiefe Beziehung entwickeln. Durch den Verkauf des Lehrwerkes „A bientôt“ kamen mir schöne Nebeneinkünfte, die ich in ein Haus am Meer investierte. Es war sehr wichtig, dass alle, sowohl Franzosen auch Deutsche einen starken Wunsch verspürten, ihre Ferien in diesem Haus zu verbringen. Daher wollte ich etwas ganz besonders Attraktives. Meine Eltern machten sich auf die Suche und nach längerem Herumreisen fanden sie in Perros-Guirec, in der Bretagne, ein Steinhaus aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, direkt am Meer. Während ich diesen Text verfasse, sitze ich in Perros-Guirec mit meiner Frau, meiner Mutter, zwei Söhnen und ihren Freundinnen. Und ich schaue auf den Strand und aufs Meer. Wir sind allerdings nicht mehr im Haus, sondern in einer schönen, aber vermieteten Wohnung. Die Deutschen und die Franzosen zusammenzubringen blieb ein Kraftakt, bis heute. Die Sprachbarrieren bewirkten, dass ich zwischen den beiden Gruppe permanent vermitteln musste, insbesondere als wir alle zu Tisch saßen. Dennoch gelang es, dass ein Zusammengehörigkeitsgefühl über die Grenzen hinweg aufkam. Ohne eine konsequent durchgeführte Strategie mit dem Angelpunkt des Hauses in Perros-Guirec wäre es nie gelungen. Fünf und zwanzig Jahre lang verbrachten wir alle Ferien an diesem Ort. Das Haus stand allein und es wurde mehrmals eingebrochen, einmal auch in Brand gesteckt. Es verschlang Unsummen. Aber für den Erhalt der Familie war es unabdingbar. Besonders interessant ist, dass ich das Haus bald Schülern und Studenten zur Verfügung stellte gegen einen geringen Obolus. So kam es, dass eine ganze Reihe von Eichstätter Studenten einen gemeinsamen Bezug zu Frankreich hatten, nämlich zu unserem Haus in Perros-Guirec. Und das war auch so gewollt. Als im Juli 2007 zu meinem Abschied aus Eichstätt ein größeres Fest organisiert wurde, zu dem alle Schüler und Studenten eingeladen wurden, die ich seit 1980 unterrichtet hatte und die einen engeren Bezug zu mir und meinen Projekten hatten, forderte ich alle auf, die in Perros-Guirec gewesen waren, aufzustehen. Es waren fast hundert Personen. Viele hatte ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Sie sahen sich alle an und staunten mächtig! Menschen, die sich gegenseitig fremd waren, hatten eine breite gemeinsame Erfahrung, die sogar einen Aufenthalt in Perros-Guirec einschloss. So wurde die Synergie-Idee, die Vernetzung plötzlich deutlich, um die ich mich Jahrzehnte lang bemüht hatte. Diese Menschen verfügten über eine gemeinsame Terminologie, die sie bei mir erworben, über ähnliche Menschenbilder – oder zumindest Elemente davon – und ähnliche konkrete Erfahrungen, die sie im Rahmen meiner Projekte gesammelt hatten. Nun können wir uns finanziell das Haus nicht mehr leisten und haben es verkauft. Trotzdem kommen unsere Kinder weiter hierher und wir verbringen gerade wunderschöne Ferien. In den 25 Jahren wurde wirklich Tradition begründet. Und auch meine ehemaligen Schüler und Studenten berichten, dass sie Nostalgiefahrten nach Perros mit ihrer Familie unternehmen.

Wikipedia

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Im März 2005 entdeckte ich die Wikipedia, ein Instrument, auf das ich schon lange gewartet hatte. Hatte ich doch LdL als Setting zur gemeinsamen Wissenskonstruktion angesehen, so war nun durch die Wikipedia die Möglichkeit gegeben, dass alle Menschen weltweit involviert werden konnten. Gleich stellte ich auch einen Artikel zu "Lernen durch Lehren" ein. Rasch gewann ich den Eindruck, dass die Wikpedia zwar als Instrument zur Wissenskonstruktion das ideale Tool darstellte, dass aber die Idee, eine Enzyklopädie zu erstellen, hinter den Möglichkeiten des Tools weit zurückblieben. Die "Betreiber", so mein damaliges Gefühl, seien Menschen, die im "alten" Paradigma groß geworden waren und eher auf Exklusion als auf Integration aus waren. Somit gehörte ich - ohne es zu wissen - zu den "Inklusionisten".

Blogeintrag 19.12.08

Wikipedia: “Wir schreiben eine Enzyklopädie, basta!”

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Posted on 19. Dezember 2008 by jeanpol

Resümee: Da die Schulferien beginnen, befasse ich mich als Exkurs mit einem anderen, für mich zentralen Thema: der gemeinsamen Wissenskonstruktion. Und für mich könnte die Wikipedia eine Riesenkonstruktionsmaschine sein. “Könnte”!

1. Die Enzyklopädisten waren Revolutionäre

Beim Wort “Enzyklopädie” kommt einem als erstes in den Sinn die bekannteste und wirksamste Wissenskonstruktionsmaschine des politisch aufstrebenden Bürgertums im 18. Jahrhundert in Frankreich. Die Enzyklopädie fasste im geisteswissenschaftlichen Bereich durchaus nicht “etabliertes” Wissen zusammen, sondern ganz neues, ungesichertes, im wesentlichen hypothetisches. Und gerade, weil das Wissen nicht gesichert war, lösten die Texte einen gewaltigen Reflexions- und Forschungsschub nicht nur in Frankreich, sondern in alle europäischen Ländern. Die Enzyklopädie war Schnittstelle und Anlass einer breiten Laien/Experten Kommunikation.

2. Die Wikipedianer sind im Kern konservativ

Die meisten Wikipedianer, auch wenn sie noch Studenten sind, sind im Geiste des alten Paradigmas sozialisiert worden. Es wurde ihnen gepredigt, dass nur vielfach durch Autoritäten (Quellen) belegte Informationen als abgesichertes Wissen zu betrachten seien. An den Universitäten wurde und wird noch bis heute ein Heer spießiger, bürokratischer Kleingeister gezüchtet, das lieber mit zehn Fussnoten belegte Platitüden veröffentlicht, als selbständig einen eigenen Gedanken in einer Seminararbeit zu entfalten. Auf diese Weise werden in erster Linie Kontrollreflexe ausgebildet: die wissenschaftlichen Aufsätze sind voll mit absolut unanfechtbaren, aber absolut irrelevanten Selbstverständlichkeiten und Details. Und nun kommt das Interessante: ausgerechnet Leute, die dieses mentale Korsett verinnerlicht haben und teilweise zu Kontrollfanatiker mutiert sind, bemächtigen sich eines Instruments, das wie bereits die französische Enzyklopädie, für eine Revolution der Wissenskonstruktion prädestiniert ist und vor allem auf Offenheit und Risikobereitschaft setzt (open source). Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass gerade das “Spießige” an vielen Wikipedianern meiner eigenen Arbeit in der Wikipedia extrem zugute kommt: sie decken die Notwendigkeiten ab, die ich in meinem “Risikofanatismus” vernachlässige. Offenheit und Kontrolle müssen beide sein, aber der Akzent müsste von Kontrolle auf Offenheit verlegt werden.

3. Beschleunigung des Emergenzprozesses

Im alten Paradigma der Papierwissenschaft dauerte es mehrere Jahre, teilweise Jahrzehnte bis ein Begriff, der von Spitzenforschern geschaffen wurde, um neue Phänomene zu beschreiben, sich in der Community etablierte. Das lag in erster Linie daran, dass Gedankenaustausch und Wissenstransfer mithilfe von Aufsätzen und Büchern sehr langsam war. Heute ist es durch das Internet möglich, diesen Prozess enorm zu beschleunigen. Und dafür könnten die Wikipedia eine zentrale Rolle spielen.

4. Wikipedia erster und alleiniger Publikationsort?

Aus welchem Grund auch immer: es wird massiv Weltwissen in die Wikipedia eingespeist. Nun ist das Wikipedia-Dogma dass nur “etabliertes” Wissen (also Wissen, das in der Papierwissenschaft allgemein verankert ist) in die Wikipedia Eingang finden darf (aus den oben genannte Gründen einer falschen Auffassung des Begriffs “Enzyklopädie”). Durch diese Vorgabe beraubt sich die Wikipedia der Möglichkeit, der erste Ort zu sein, wo lebendiges, gerade im Entstehen befindliches Wissen zu finden ist. Die Wikipedia könnte die erste Suchadresse sein, wenn ein in der Wissenschaft neu auftretender Begriff dort als Artikel eingegeben werden dürfte. Wenn die Wissenschaftler wüssten, dass aktuelle wissenschaftliche Neuerungen in der Wikipedia zu finden sind, würden sie sofort einsteigen und das Aktuellste, das sie produzieren, einbrigen: dadurch würde die Qualität der Wikipedia insgesamt wachsen.

5. Wikipedia als Ort für Laien-Experten-Kommunikation

Wie fruchtbar auch für die Wissenschaftler die Arbeit in der Wikipedia sein könnte, insbesondere die Veröffentlichung von Erkenntnissen und Begriffen, die zwar in einem Forscherkreis abgesichert, aber noch nicht “etabliert” sind, möchte ich an einem konkreten Beispiel aufzeigen. Im März 2007 (angesichts der Beschleunigung eine Ewigkeit) fiel mir der Begriff “Netzsensibilität” ein um eine neue Eigenschaft zu definieren, die sich seit Aufkommen des Internets herausbildet. Der Terminus wurde schnell von Wissenschaftlern aufgegriffen, deren Forschungsschwerpunkt naturgemäß in dem Bereich liegt, für den der Begriff gedacht ist, also im Bereich Kommunikation. Zu nennen sind u.a. Steffen Büffel, Christian Spannagel, Joachim Grzega, Michael Kratky und Alexander Rausch. Da offensichtlich der von mir geschaffene Begriff von Nutzen für Experten ist, wollte ich einen Wikipedia-Artikel darüber verfassen. Außer der Tatsache, dass der Begriff nicht ausreichend etabliert ist, wurde der Eintrag zum Löschen vorgeschlagen mit dem Argument: “Ich wäre nicht in der Lage, einen vernünftigen und nicht trivialen Satz mit ‘Netzsensibilität’ zu bilden. Muss man im Handyzeitalter jemanden an das Netz erinnern?” und “Assoziationenblaster“. Hier wird deutlich, dass der von mir verfasste Wikipedia-Artikel “Netzsensibilität” vieles voraussetzt und nicht ausreichend klärt, was darunter zu verstehen ist. Dieser Fall einer Laien/Experten-Kommunikation habe ich häufig erlebt und er führte stets zu einer Verbesserung meiner Texte (siehe auch “Lernen durch Lehren“).

Fazit: Die Wikipedia eröffnet für Wissenschaftler die Möglichkeit einer Laien/Experten-Kommunikation, die die Wissenschaftler zur einer präziseren und verständlicheren Darstelltung ihres Wissens zwingt.

Blogeintrag 11.01.09

Wikipedia: bereits jetzt die wichtigste Wissensquelle weltweit.

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Posted on 11. Januar 2009 by jeanpol

Resümee: Lange bevor es Wikipedia gab, war ich der Überzeugung, dass es eines Tages eine einzige Datenbank geben würde, in die alle Wissensträger der Welt ihre Texte einspeisen. Dafür spricht der gesunde Menschenverstand.

1. Anthropologische Voraussetzungen

Jeder Mensch sucht Anerkennung. Das Edelste, was der Mensch produziert, ist Erkenntnis und dafür möchte er belohnt werden. Einige machen daraus einen Beruf und werden fürs Forschen bezahlt. Bis heute veröffentlichen sie ihre Ergebnisse in mehr oder minder obskuren Fachzeitschriften, die nur ein paar Kollegen erreichen. Es ist ein Rätsel, warum sie ihre Texte nicht in die Wissensbank einspeisen, die jeder kennt und jeder als erstes aufsucht, die Wikipedia. Wenn die Forscher einmal ihre Ängste und Bedenken überwunden haben, werden sie ganz wild darauf sein, den Wikipedia-Artikel zu verfassen, der ihr Spezialgebiet abdeckt. Der wichtigste, aktuellste und meistgelesene Artikel über die Methode, die ich mit Hilfe vieler Kollegen entwickelt habe, also “Lernen durch Lehren” (LdL) ist der Wikipedia-Artikel (monatlich etwa 3000 Zugriffe). Diesen Text habe ich auch in viele Sprachen übersetzen (z.B. Chinesisch, oder Russisch) und in die entsprechenden Wikipedias einpflegen lassen.

2. Ökonomische Voraussetzungen

Es ist im Sinne der Ökonomie, wenn Fachleute sich entschließen, ihr Wissen in die einzige Datenbank einzuspeisen, die weltweit aufgesucht wird, nämlich die Wikipedia. Sie können ihre Texte ständig aktualisieren und stehen permanent unter Beobachtung. Jederzeit kann jemand, der sich ebenfalls als Spezialist für das jeweilige Thema ansieht, den Text modifizieren oder ergänzen. Dass die Wissenschaftler dieses geniale Instrument noch nicht entdeckt und angenommen haben, liegt daran, dass sie noch im alten Paradigma leben (top-down). Immer schon hinkte die etablierte Wissenschaft hinter dem tatsächlichen Stand der Innovationen. So musste beispielsweise François Ier, der französische Renaissancekönig, parallel zu den aus dem Mittelalter stammenden Universitäten neue Anstalten schaffen, die nützliches Wissen hervorbrachten und verbreiteten (Collège de France). Die alten, mittelalterlichen Unis befassten sich und ihre Studenten dann weiter mit irrelevantem Kleinkram.

Fazit: Ich zweifle nicht daran, dass in absehbarer Zeit jeder Wissenschaftler bemüht sein wird, den Wikipedia-Artikel über sein Spezialgebiet zu verfassen oder zumindest zu prägen. Ich selbst habe sehr früh meine Themen besetzt und die affinen Artikel mitredigiert.

Projekte mit Schülern seit 1982

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Die Einführung von LdL als Unterrichtsprinzip machte den Unterricht zum Projekt: "Wir lernen gemeinsam Französisch". Alle waren Akteure, alle waren Mitkonstrukteure. Meine Klasse trat immer wieder in der Öffentlichkeit auf, sei es im FWU beim Filmdrehen, sei es vor Seminarlehrern oder bei Lehrerfortildungsveranstaltungen. Der Unterricht wurde zu einer Werkstatt zur Vorbereitung auf Auftritte. Als meine Schüler in der zehnten Klasse waren, also 1985, drehte Wolf Theuring den Film "Schüler erkunden die Villes Nouvelles". Sie führten Projekte in Torcy durch, dem Ort, wo unsere Partnerschule lag. Man sah, wie sie im Lokalradio interviewt wurden und wie sie ihrerseits interviewten: den Bürgermeister, Architekten der Nouvelle Ville und Passanten auf der Straße über ihr Befinden in der neugegründeten Trabantenstadt.

Warum Projekte?

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Lernen, ja Leben überhaupt verläuft am Intensivsten im Rahmen von Projekten. Wenn Löwinnen anfangen, instinktgetrieben mit ausgeklügelter, kollektiver Strategie eine Beute zu jagen, ist es ein Projekt. Projekte haben einen klaren Ablauf: ein Ziel wird bewusst oder unbewusst festgelegt, es werden Ressourcen gesammelt - in erster Linie Artgenossen, die Zeit und Energie zur Verfügung stellen - und es wird solange gearbeitet, bis das Ziel erreicht ist. Während des Projektes wird intensiv kommuniziert, weil die zu überwindenden Hindernisse permanent wechseln und jedesmal eine Abstimmung notwendig ist. Die Denkprozesse, die im Rahmen von Projekten ausgelöst werden, sind meistens so angelegt, dass sie im Gehirn positiv konnotiert sind. Da die Situationen kontinuierlich neue Problemlösungen erfodern, wird im Gehirn ununterbrochen konzeptualisiert. Das Konzeptualisieren ist intensive Informationsverarbeitung und das macht Spaß, sehr viel Spaß!

Blogeintrag 7.11.09

Informationsverarbeitung und Disziplin: warum meine Schüler ruhig und konzentriert arbeiten

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Posted on 7. November 2008 by jeanpol

Wir haben bereits gesehen, dass die Verarbeitung von Informationen ein Grundbedürfnis des Menschen ist. Ohne Informationen zu verarbeiten, wäre der Mensch nicht lebensfähig. Und die Verarbeitung von Informationen wird vom Gehirn mit “Kicks” belohnt. Es macht Spaß, neue Erkenntnisse in die eigenen kognitiven Strukturen zu integrieren.

1. Warum Schüler und Studenten im Frontalunterricht und in Vorlesungen leiden

Exteroceptive vs. interoceptive Stimuli

Nach Portele (1975) kann unterschieden werden zwischen interoceptiven Stimuli, die aus dem Organismus stammen, und exteroceptiven, die aus der Umwelt entnommen werden. Interoceptiven Stimuli sind Signale aus dem Organismus wie Schmerzen oder Informationen, die aufgenommen aber noch nicht verarbeitet wurden. Wenn ein Schüler beispielsweise Probleme zu Hause hat oder verliebt ist und dazu noch aufs Klo gehen muss, dann ist er voll durch die Verarbeitung der interoceptiven Stimuli beschäftigt. Er kann keine Bereitschaft haben, aus der Außenwelt strömende exteroceptive Stimuli aufzunehmen. Mit anderen Worte: als Lehrer kann ich auch mit dem spannendsten Stoff seine Aufmerksamkeit nicht auf Anhieb erwarten. Seine Aufmerksamkeit muss ich mir hart erkämpfen mit einem Stimuliangebot, das allmählich die Konkurrenz der interoceptiven Stimuli verdrängt. Selbst wenn der Schüler keine interoceptiven Stimuli zu verarbeiten hat, bin ich mir seiner Aufmkerksamkeit noch nicht sicher, denn Informationsverarbeitung wird nur dann als positiv empfunden, wenn die Stimuli eine bestimmte Struktur aufweisen.

Welche Struktur müssen exteroceptive Stimuli aufweisen, damit sie mit Vergnügen aufgenommen werden?

Portele (1975) unterscheidet zwischen informativen und intensiven Stimuli. Intensiven Stimuli sind beispielsweise Lärm, kurzfristige Distraktoren (Scherz des Lehrers oder eines Mitschülers), alles was Lehrer unter Störung verstehen. Informative Stimuli sind solche, die relevantes Neues enthalten und sich in die kogntive Struktur mit Gewinn einfügen lassen, beispielsweise Lehrstoff. Der Job des Lehrers besteht also darin, dass er versucht, soviele informativen Stimuli wie möglich in die kognitive Struktur seiner Schüler einzufügen. Welche Merkmale – außer Neuheit – müssen diese Stimuli aufweisen, damit die Schüler sich mit Gier zu ihnen wenden?

- Quantität: nicht zu hoch (Überforderung) nicht zu niedrig (Unterforderung)

- Komplexität: nicht zu komplex (Überforderung) nicht zu niedrig (Unterforderung)

- Tempo: nicht zu hoch (Überforderung) nicht zu niedrig (Unterforderung)

Im Frontalunterricht ist es angesichts der Diversität der Schüler unmöglich, für eine befriedigende Zufuhr von informativen Stimuli zu sorgen. Als Student erfährt man dies jeden Tag in Vorlesungen. Es kann dem Dozenten nicht gelingen, für 100 Leute, die alle unterschiedlichen Verarbeitungskapazitäten haben, die richtige Quantität, Komplexität und das richtige Tempo zu wählen.

2. Was nun?

Wenn Menschen so angelegt sind, dass sie permanent Informationen verarbeiten wollen/müssen (auch in der Nacht werden Informationen verarbeitet), wenn also Informationsverarbeitung ein vitales Bedürfnis ist wie Atmen, dann muss ich als Lehrer den Fokus darauf richten und meinen Schülern und Studenten eine Umwelt anbieten, die kontinuierlich die Befriedigung dieses Bedürfnisses ermöglicht. Diese Umwelt muss folgende Merkmale aufweisen:

- Verbannung von exteroceptiven intensiven Stimuli (Störungen), die eine Hinwendung zu informativen Stimuli verhindert. Also absolute Ruhe im Klassenzimmer, wenn informative Stimuli zur Verarbeitung angeboten werden.

- Hohe Qualität der informativen Stimuli (hochrelevanter Stoff: in meinem Unterricht stets das Interessanteste, was die Tagespolitik anbietet)

- Große Freiheit der Schüler bezüglich der Regulierung der Informationsaufnahme und -verarbeitung: zentrale, hochqualitative Impulse und dann gleich die Möglichkeit, diese Impulse je nach individuellem Tempo allein oder in Partnerarbeit zu verarbeiten. Also sehr wenige Zentralphasen und viele Möglichkeiten, die Stoff individuell in die kognitive Landkarte zu integrieren.

- Schrittweise Erhöhung der Quantität und Komplexität des Angebotes an Stimuli, denn die Schüler adaptieren ihre Kapazität stets nach oben und man erreicht als Lehrer schnell seine Grenzen. Daher biete ich meinen Schülern Schritt für Schritt immer anspruchsvollere Projete (beispielsweise Lehrerfortbildungen zu organisieren). Bald sprengen die Fähigkeiten der Schüler den engen Klassenraum und sie holen immer mehr Informationen aus dem Internet, die sie im Klassenzimmer zu Wissen durch Interaktionen veredeln.

- Einsatz der Methode Lernen durch Lehren, die eine Vertiefung des Stoffes verlangt, denn die Schüler müssen die Inhalte duirchdringen und dann so aufarbeiten, dass sie den Stoff multipolar ihren Mitschülern vermitteln können.

- Das einzige Ziel, das Schüler auf Dauer mobilisieren kann, sind “Weltverbesserungsprojekte”, weil nur sie quantitativ, qualitativ und ethisch (Sinn) auf Dauer ein Angebot an komplexer Informationsverarbeitung sichern können. Erfolgreiche Problemlöser suchen nach anspruchsvollen Problemen, weil sie nur so ihr Bedürfnis nach permanenter Informationsverarbeitung befriedigen können.

Wenn es dem Lehrer gelingt, die Informationsverarbeitungskapazitäten seiner Schüler voll zu beanspruchen, stellt sich die Frage der Disziplin nicht, wobei der Lehrer immer wieder dafür sorgen muss, dass intensive, exteroceptive Stimuli (Störungen) minimiert werden. Das geht aber nur, wenn die informativen Stimuli (Attraktivität des Stoffes und des Unterrichtsprozesses) hoch genug sind, um die Attraktivität der Störungen auszuschalten.

1986: Erste Frankreichreise mit einer 11.Klasse - Reminiszenz der Reiseleiterzeit - Exploratives Verhalten

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Als meine Klasse in der elften war, wollte ich zum einen einen schönen Abschluss gestalten für die Schüler, die Französisch seit der siebten Klasse mit mir gelernt hatten und nun das Fach ablegten, zum anderen die künftigen Kollegiaten für den Leistungskurs noch intensiver motivieren. Ferner wollte ich Schülern aus anderen Klassen, die den LK-Französisch gewählt hatten und mich noch nicht kannten, die Möglichkeit bieten, sich mit meinem Stil vertraut zu machen. Ich plante einen Aufenthalt in Frankreich an einem Ort, der ein historisches Substrat hatte und gleichzeitig Sportmöglichkeiten bot. Meine Vorstellung war, wir könnten Kontakt zur Bevölkerung suchen, Tanzabende nach Renaissancemaniere und mit entsprechender Kleidung veranstalten und ansonsten Kayak fahren und Wanderungen durchführen. Aus dem Katalog - damals gab es das Internet nicht - wählte ich eine Ortschaft in der Nähe von Poitiers. Zur Unterstützung und als Zusatzangebot, bat ich Studenten mitzufahren. Auch der damalige französische Unilektor, Eric Dortu, war dabei. Was die Wissenschaft angeht, so befasste ich mich damals mit der Phänomenologie und ging ethnomethodologisch vor. Ich bat meine Schüler und Studenten ein Tagebuch zu führen, um zu erfahren, wie sie die von mir angebotene, sichtbare Lernumwelt subjektiv wahrnahmen. Das Ziel war, von Reise zu Reise die Lernumwelt so anzureichern, dass die folgenden Generationen immer mehr von den Reisen profitieren konnten. Tagebücher hatte ich ohnehin bereits anlässlich früherer Aufenthalte in Frankreich - insbesondere als meine Schüler in ihrer Partnerschule in Torcy waren - schreiben lassen.

Während der Pfingstferien fuhren wir nun mit einem Bus zu dem besagten Ort. Ich erwartete ein Renaissanceschloss als Behausung mit tollen Wassersportanlagen und wir fanden kleine Baraken, an einem tristen, kleinen Fluss gelegen, mit ein paar Ruderbooten. Die Enttäuschung war enorm, ich stand vor einem großen Problem, denn wir wollten ja eine ganze Woche hier bleiben. In der Nacht konnte ich kaum ein Auge zudrücken und dachte intensiv nach. Hier kamen mir meine Erfahrungen als Leiter eines Deutsch-Französischen Feriencamps und später als Reiseleiter sehr zugute. Ich beschloss, den Ort zu verlassen und eine Rundreise anzusteuern. Am nächsten Tag suchte ich nach Jugendherbergen im Telephonbuch und reservierte eine Nacht in Poitiers, eine in La Rochelle, eine in Bordeaux und zwei in Beaugency als Ausgangsort für die Besichtigung von Loireschlössern. Auch in Paris reservierte ich eine Nacht. Die Schüler wurden in Untergruppen eingeteilt, mit speziellen Aufgaben, wie Unterhaltung, Besichtigung, Dokumentation und Organisation. So wurden die Weichen gelegt zu einem Format, das ich jedes Mal einsetzte, wenn ich eine elfte Klasse unterrichtete. Auch dieses Jahr habe ich eine Reise mit einer elften Klasse durchgeführt. Allerdings habe ich jedesmal Verbesserungen hinzugefügt. Heute fahren wir direkt von Eichstätt nach Beaugency, besichtigen die Loireschlösser, fahren weiter nach La Rochelle, dann nach Bordeaux und schließlich nach Montpellier. Die Mister-Bean-Einlage kam mir spontan auf dem Strand in La Rochelle 1986. Und seitdem bringe ich diesen Scherz mit unterschiedlichem Erfolg jedesmal, wenn wir in La Rochelle am Strand liegen. Dieses Jahr sah es so aus: Die Badehose. Auch während der diesjährigen Reise innovierte ich, diesmal vor dem Théâter in Bordeaux: Der Exhibistionist. Und die Theorie wurde hier dargelegt: Perturbationen

1986: Krise im LK-Französisch

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1986 war die Gruppe, die ich seit der siebten Klasse führte und mit der ich bereits vier Filme beim FWU veröffentlicht hatte, in der zwölften Jahrgangsstufe. Es war mir gelungen, einen Großteil der Schüler zu motivieren, Französisch als Leistungskurs zu wählen. Allerdings erlebte ich eine Krise, die mich fast zur Aufgabe zwang. Ein großer Teil der Kollegiaten stammte aus meiner Klasse und war konsequent nach LdL unterrichtet worden. Die Methode hatte ich nämlich mit dieser Gruppe entwickelt. Die Schüler waren sprachlich recht fit und hatten keine Scheu, sich auf Französisch vor größerem Publikum auszudrücken. Allerdings kamen sie zusammen mit ein paar Lernern, die den neusprachlichen Zweig besucht, also Latein gelernt und drei Jahre lang fünf Wochenstunden Französisch genossen hatten. Traditionell sind Schüler aus dem neusprachlichen schriftlich deutlich besser als Teilnehmer aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig. Meine Schüler waren sehr enttäuscht, denn sie waren davon ausgegangen, dass sie mit der Wundermethode LdL nicht zu schlagen seien. Sowohl meine LdL-Leute als auch die Neuzugänge fingen an, meinen Ansatz anzuzweifeln, ich selbst war verunsichert, weil ich die Diskrepanz ebenfalls auf LdL zurückführte und mir der Unterschied neusprachlicher vs. mathematisch-natruwissenschaftlicher Zweig nicht präsent war. Auch im Unterricht entstand Unruhe, weil jede Unterrichtsmaßnahme in Frage gestellt wurde. Da ich das Phänomen nicht erkannte und folglich keine Lösung sah, ging ich zum Direktor, damals Dr.Ulrich Gösswein und teilte ihm mit, ich wolle aufgeben. Offensichtlich sei ich mit LdL von der siebten Klasse bis zur elften erfolgreich gewesen, aber im LK würde ich damit scheitern. So sei nun einmal Forschung, man könne nicht nur Hypothesen verifizieren, sondern manchmal müsse man sie auch falsifizieren. Immerhin würde LdL sehr gut in der Unterstufe und Mittelstufe funktionieren, aber nicht in der Oberstufe. Gösswein redete auf mich ein, ich solle auf keinen Fall aufgeben. Er schilderte mir auch das Image, das ich von nun an in Eichstätt mitschleppen würde: der, der am Gymnasium versagt hatte! Oh Gott! Das war zwar weniger meine Hauptsorge als die Tatsache, dass ich ein Projekt, das super lief und bei Erfolg noch eine große Zukunft hatte, mittendrinnen abbrechen musste. Ich musste unbedingt noch die Oberstufe nach LdL erproben, sonst wäre die Methode nur ein Torso. Und hier bewährte sich der Gang, der mir immer wieder in den verschiedenen Problemsituationen geholfen hatte und weiter helfen sollte. Ich fragte einfach die Schüler. Da meine Krise am Wochenende stattfand, rief ich jeden Schüler der Klasse, in den ich Vertrauen hatte, zu Hause an, und bat ihn um Rat. Fridolin Gössl teilte mir mit, es sei eine Katastrophe, wenn ich den Kurs abgebe, denn die Schüler hatten gerade wegen mir den LK gewählt. Michaela Schmit gab mir konkrete Ratschläge und empfahl mir, systematisch die Grammatik durchzunehmen, denn da lägen die Defizite der Schüler aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig. Ich selbst beschloss, inhaltlich Spannendes und Anspruchsvolles zu behandeln und entwickelte ein Durchzieher mit allen zentralen Werken aus der Französischen Literatur seit dem Mittelalter. Die Schüler erhielten Texte aus der Literaturgeschichte "Lagarde et Michard" und fertigten Lückentexte an. Dieses Konvolut diente mir an der Universität für mein Survol der la Littérature und in den nachfolgenden Leistungskursen bis heute. Parallel dazu verfasste ich Texte zur Alltagstheorie, u.a. auch die Definition der Liebe als Fixierung auf eine Quelle der Bedürnfisbefriedigung. All das wurde zur Grundlage meiner wissenschaftlichen Überlegungen und diente auch als Stoff für das Curriculum, das ich im Rahmen meiner Habilitation aufstellte. Mein anthropologisches Modell entwickelte ich ebenfalls, und zwar unter dem Druck, meinen Schülern interessanten Stoff im Unterricht zu vermitteln.

Unter dem Leidensdruck: neue Erkenntnisse

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Der Mensch bewegt sich zwischen zwei antinomischen Bedürfnisleisten
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Besonders wichtig war in dieser Hinsicht die "Entdeckung", dass Lebewesen sich im Spannungsverhältnis zwischen antinomischen Bedürfnisstendenzen bewegen. Sie wünschen sich einerseits Ordnung, klare Regeln, ein bisschen Zwang, eine klare Hierarchie, die Einbindung in eine Gruppe aber andererseits und gleichzeitig Freiheit, offene politische Strukturen, die Entfaltung ihrer Individualität usw. Das konnte man systemtheoretisch deuten, denn auch Systeme unterliegen demselben Spannungsverhältnis, was kein Wunder ist, denn Menschen und Menschengruppen sind nun einmal Systeme. Diese Vorstellung hielt ich in einer Übersicht fest, die zwei antinomische Leisten gegenüberstellt.

Unschärfe Kontrolle
Chaos Ordnung
Unbestimmtheit Klarheit
Komplexität Einfachheit
Differenzierung Integration
Individuum Gesellschaft
Freiheit Zwang
Abstraktion Konkretion
Nicht-Linearität Linearität
Dezentralisierung Zentralisierung
Vertrauen Misstrauen
Optimismus Pessimismus
Und dasselbe gilt für seine Geschichte und sein Denken:
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Nun stellte ich fest, dass die verschiedenen Epochen der französischen Geschichte, Geistesgeschichte und Literatur sich jeweils entgegengesetzten Paradigmen zuordnen ließen. Genauso wie Menschen sich im Spannungsfeld zwischen antinomischen Bedürfnissen bewegen genauso verläuft auch ihre Geschichte: das Mittelalter ist geprägt duch Gottbezug, Pessimismus, Weltabgewandtheit, hierarchisches Denken und wird abgelöst durch die Renaissance als Epoche der Weltoffenheit, des explorativen Verhaltens, des Optimimus und der Sinnlichkeit. Nach der Renaissance kommt der Absolutismus, danach die Aufklärung, dann wieder Napoléon, jedes Paradigma löst das vorherige ab. Und die Literatur lässt sich entsprechend einordnen:

Mittelalter/Absolutismus... Renaissance/Aufklärung...
Ordnung Turbulenzen
Klarheit Unbestimmtheit
Einfachheit Komplexität
Integration Differenzierung
Gesellschaft Individuum
Zwang Freiheit
Pessimismus Optimismus

Einzelne Schüler und Studenten als Bezugspersonen

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In jeder Stufe meiner Entwicklung hatte ich besondere Personen als Hauptadressaten, bzw. als Motivationsspender. In der Klasse, in der ich LdL zwischen 1981 und 1987 "erfand", ausarbeitete und dokumentierte war beispielsweise Marcus Silbermann eine wichtige Person. Er war didaktisch besonders geschickt und hatte den LdL-Ansatz sehr gut verstanden. Daher stand er auch im Mittelpunkt meiner Filmdokumentationen. Im Leistungskurs waren besonders Petra Schindler und Susanne Schmidt an meinen Alltagstheorien interessiert, so dass ich die beiden im Fokus hatte, wenn ich entsprechende Texte verfasste. Die Mutter von Susanne Schmidt hatte mir erzählt, dass eine Gruppe von Eltern sich einmal in einer Hütte getroffen hatten und das Papier "Die Liebe, wie man sie erklären und wie man sie meistern kann" diskutiert hatten. Meine Theorien wurden also von meinen Schülern an die Eltern weitergereicht. Das war für mich sehr motivierend. Parallel zum Gymnasium hatte ich an der Universität ebenfalls Studenten, die besonders interessiert an meinen Überlegungen waren. Sie griffen mein anthropologisches Modell als Analyseinstrument für ihren Alltag auf und bestätigten dessen Erklärungskraft. Auch Jahrzehnte später war das anthropologische Modell das Gebilde, das sie mit mir sofort in Verbindung brachten. Mein Bestreben war, die Schüler und Studenten nachhaltig und positiv zu beeinflussen. Dazu gehört, dass ich Schüler und Studenten in zahlreiche Projekte einspann und ihnen auch viele Angebote unterbreitete. So fuhr ich mit insgesamt neun Personen, darunter Petra Schindler, in mein Haus in Perros-Guirec während der Pfingstferien, nur damit sie dort einen engeren Bezug zu Frankreich und mein Gedankengut bekamen. Einige waren noch nie am Atlantik und kannten Algen, Fische und Muscheln nicht genau, sie waren teilweise auch angewidert. Um sie zu perturbieren machte es mir Spaß, vor ihren Augen, Muscheln und lebende, zappelige Fische herunterzuschlucken. Das war auch im Sinne einer Entnaivisierung. Auch solche Erlebnisse blieben in ihren Erinnerungen verankert. Natürlich traf ich nicht auf das Interesse aller Schüler. Meistens war es so, dass sie mit sechzehn oder siebzehn stärker an Sinnfragen laborierten und nach Modellen suchten. Als sie auf mich trafen, hatten einige Schüler bereits ihre Muster und ich kam zu spät, andere wiederum suchten noch nicht und ich kam zu früh. Aber für einige kam ich eben genau zum richtigen Zeitpunkt.

Facharbeiten als Projekte seit 1987

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Auf der wissenschaftlichen Ebene arbeitete ich als Aktionsforscher ethnomethodologisch. Ich führte Interviews und Fragebogenaktionen durch. Klar, dass ich meine Schüler dazu anregte, für ihre Facharbeiten ähnlich zu verfahren. Ich wollte nicht, dass sie, wie es damals üblich war, ihre Facharbeiten auf der Grundlage von Büchern und Artikeln verfassten, sondern sie sollten richtig forschen. Und zwar empirisch. Die Themen, die ich vorschlug, waren entsprechend formuliert. So kam es auch, dass ich 1989 u.a. folgende Themen für Facharbeiten anbot: "Perros-Guirec, une station balnéaire"; "Les mouvements autonomistes bretons". Erneut fuhr ich mit Schülern und Studenten in meinem Kleinbus zu Pfingsten in mein Haus nach Perros-Guirec, damit die Schüler dort mit Unterstützung der Studenten empirisch forschen konnten. Susanne Höhn interviewte den Bürgermeister von Perros-Guirec, Yvon Bonnot und Martin Kraus gelang es, einige Autonomie-Sympatisanten zu erwischen. Die Schüler hatten also wirklich neues Wissen konstruiert. Viel später übertrug ich dieses Muster, das ich an der Schule entwickelt hatte, auf die Universität und schuf den Schlüsselqualifikationskurs "Internet- und Projektkompetenz" im Rahmen dessen die Studenten ebenfalls Wissen konstruierten, allerdings kollektiv. Insofern verlief meine Arbeit zwischen Schule und Uni nach dem Ping-Pong-Prinzip. Was ich an der Uni entwickelte, übertrug ich auf die Schule, und umgekehrt. Gleichzeitig versuchte ich, "Projekthaltungen" zu vermitteln, also "exploratives Verhalten", "no risk no fun", und "immer gut drauf". In Perros-Guirec ergab sich während der Forschungswoche zu Pfingsten, dass es ununterbrochen regnete. Die Stimmung war entsprechend miserabel. Ich hatte allerdings ein enges Bündnis mit Henning Rohlfs und Susanne Höhn geschlossen. Wir holten jeden Tag in der Früh croissants, machten Kaffee und versprühten sehr offensiv gute Laune, um dem schlechten Wetter ein Gegengewicht zu bieten. Das gehörte zu meinen Alltagstheorien und wurde von Henning und Susanne aufgegriffen. Je schlechter das Wetter wurde, desto plakativer verwirklichten wir die "gut drauf" Strategie. Es war sehr anstrengend, sollte aber modellhaft wirken.

X (1988-1991): die offensive Darstellung des anthropologischen Modells

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1988 übernahm ich eine elfte Klasse des neusprachlichen Zweiges. In dieser Gruppe waren viele Schüler an philosophischen Überlegungen interessiert, insbesondere X, Y und Z, aber auch A und B. X wurde zu meinem Adressaten Nr.1, weil er sich noch mehr als die anderen mit meinen Gedanken, vor allem mit dem anthropologischen Modell, befasste. Wir waren auf der Frankreichreise 1988 an einem Abend in der Jugendherberge in Saintes vertieft ins Gespräch gekommen und offensichtlich war ich in der Lage, auf seine Fragen überzeugende Antworten zu liefern. Diese Antworten hatte ich im Wesentlichen im vorangehenden Leistungskurs erarbeitet und in meinem "Menschenkonstrukt" zusammengefasst. Wesentlich daran war, dass ich in diesem Menschenkonstrukt alle metaphysichen Reste beseitigt hatte. Interessanterweise war dieser Prozess nicht in der Schule, sondern an der Uni erfolgt, in langen Gesprächen mit Paul Geyer. Paul Geyer hatte sich von transzendentalen Modellen gelöst, hing aber bestimmten idealistischen Vorstellungen noch nach. Das war und ist noch typisch für "Linke", die zwar das materialistische Weltbild intellektuell aufgegriffen und verinnerlicht haben, aber vorreflexiv noch Ideale mitschleppen, wie die Vorstellung, dass man sich "rein" altruistisch verhalten kann. Sie nehmen z.B. noch Anstoß an der Idee, dass Liebe nichts anderes ist als die Fixierung auf eine Quelle der Bedürfnisbefriedigung. Dies gilt für die geschlechtliche Liebe, aber auch für die sogenannte Mutterliebe. Die Mutter ist fixiert auf das Kind als Quelle der Bedürfnisbefriedigung. Nun fand X, dass meine Beschreibungen überzeugend waren, fast alle Lebensphänomene verständlich und behrrschbar machten und vor allem eine große befreiende Wirkung entfalteten. Ein schlechtes Gewissen brauchte man prinzipiell nicht zu haben, denn es gab keine moralische Schuld. Man konnte nur adäquat bzw. inadäquat im Sinne der Lebensbewältigung handeln. Wer inadäquat handelte, hatte Pech. Mehr nicht. Wer klaute, oder seine Frau betrog, wählte langfristig gesehen den falschen Weg und würde erfahrungsgemäß irgendwann zur Kasse gebeten. Das hatte ich ja schmerzhaft in meinen jungen Jahren erfahren müssen.

Damals, 1988, umfasste das anthropologische Modell bereits die sechs folgenden Bausteine, die bis heute zentral geblieben sind:

Menschenbild Stand 1988

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Bedürfnispyramide nach Maslow (1954)

Sinn

Selbstverwirklichung

Soziale Anerkennung

Soziale Beziehungen

Sicherheit

Physiologische Bedürfnisse














I. KONTROLLE als übergreifendes Motiv (nach Martin, 1994)

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II. Grundbedürfnisse als Manifestation des Kontrollmotivs (nach Martin, 1994)

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III. Kognition als Kontrollinstrument

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IV. Gegensatzpaare als Instrumente kognitiver Kontrolle (nach Martin, 1994)

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Unschärfe Kontrolle
Chaos Ordnung
Unbestimmtheit Klarheit
Komplexität Einfachheit
Differenzierung Integration
Individuum Gesellschaft
Freiheit Zwang
Abstraktion Konkretion
Nicht-Linearität Linearität
Dezentralisierung Zentralisierung
Vertrauen Misstrauen
Optimismus Pessimismus

V. Empathie (Kontrolle durch Wechsel der Perspektive)

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VI. Ausdehnung des Kontrollfeldes: Merkmale erfolgreicher Problemlöser (nach Dörner, 1983)

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  • Exploratives Verhalten
  • Reichhaltige kognitive Landkarte
  • Heuristische Kompetenz
  • Selbstsicherheit
  • usw.



Damit dieses Modell von den Schülern verinnerlicht wurde, nützte ich die Tatsache, dass ich an der Uni war, um Begegnungen zwischen meinen Schülern auf der einen Seite und Studenten, Dozenten und Professoren auf der anderen Seite zu organisieren. Und hier kam mir die enge Verbindung mit Hans Hunfeld sehr zugute. Hans Hunfeld vertrat die Position, dass Menschen sich prinzipiell nicht verständigen können. Er meinte, dass wenn Löwen und Mücken dieselbe Sprache sprechen würden, sie sich trotzdem nicht verstehen würden. Ich dagegen war und bin der Meinung, dass wir alle unwichtig sind und das bisschen Kommunikation, was wir zustande bringen, vollkommen ausreicht für das, was wir zusammen tun wollen. Ich vertrat auch die Ansicht, dass mein anthropologisches Konstrukt den ganzen Menschen, ja das ganze Leben erkläre und mehr brauche man nicht, um sein Leben zu begreifen und soweit möglich zu steuern. Das Modell habe universelle Erklärungskraft, es würde sogar die Tiere umfassen. Meine Schüler waren von meinen Vorstellungen überzeugt und waren auch bereit, sie vor Studenten und Dozenten vorzustellen und zu verteidigen. So kam es, dass meine Schüler mehrmals mit Hunfeld und Hunfelds Mitarbeiter und Studenten diskutierten, allen voran Henning Rohlfs. Meine Schüler stellten dar, was das Modell alles erklären kann, und Hunfeld zeigte auf, was das Modell alles nicht erklären kann. Alle gingen wieder nach Hause, jeder von seinem Standpunkt überzeugt. Von Mal zu Mal waren meine Schüler fitter in der Handhabung meines Lernerkonstruktes. Henning Rohlfs begleitete mich zur Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen, wo ich meine Arbeit im Leistungskurs Französisch vorstellte, darunter auch das Lernerkonstrukt. Henning hatte das anthropologische Modell völlig erfasst und gerade er fand es sehr nützlich für die Bewältigung des Alltags. Er stellte es vor etwa dreißig Französischlehrern vor. Er wurde stark kritisiert, teilweise angegriffen, insbesondere von einem Religionslehrer, der den rein materialistischen Hintergrund erkannt hatte und ablehnte. Man warf mir vor, Henning als Sprachrohr missbraucht zu haben. Das teilte ihm ein Lehrer in meiner Abwesenheit mit. Es nützte wenig, dass Henning immer wieder klarstellte, er vertrete seine eigene Meinung und sei in einigen Punkten dem Modell gegenüber auch kritisch, aber mit den Kernaussagen einverstanden.

Schlüsselqualifikationen, Konstruktivismus und das ganze modische Blabla

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1989 war ich soweit, dass meine Schüler sich im Unterricht gegenseitig Französisch beibrachten, mit allen entsprechenden didaktischen Techniken (Plakate, ausgefeilte Übungen, Videos, Lückentexte, usw.). Nicht nur dies, sondern sie waren in der Lage, auf Französisch ganze Workshops über die Behandlung der französischen Literatur mit zugehörigem anthropologischem Menschenkonstrukt im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen für Französischlehrer durchzuführen, und das taten sie auch. Ferner hatten sie immer wieder empirische Forschungsprojekte mit Passanteninterviews und Fragebogenaktionen durchgeführt, also neues Wissen konstruiert, und sie hatten die Ergebnisse didaktisiert und im Rahmen von Workshops an Lehrer weiter vermittelt. Und da kam in der Didaktikdiskussion der Begriff "Schlüsselqualifikationen" auf. Was mich damals ärgerte, war die Tatsache, dass ganze Uni-Karrieren sich aufbauten mit tonnenweisen Publikationen über Kompetenzen, die bei LdL nebenbei aufgebaut wurden, aber LdL nach wie vor keine Rolle in der Diskussion spielte. Später erfolgte Ähnliches mit dem Konstruktivismus. Allerdings war LdL zu diesem Zeitpunkt bekannter, so dass man gelegentlich auf LdL im Zusammenhang mit konstruktivistischen Ausführungen hinwies, aber nur am Rande. Wohlmeinende Kollegen meinten, ich solle doch unbedingt einen Aufsatz über LdL als konstruktivistische Methode veröffentlichen. Aber mir war die Sache so modisch und so banal, dass ich keine Lust darauf hatte. Ich wollte weiter innovieren und forschen, und nicht für mich Evidentes und längst Angewandtes nur aus taktischen Gründen veröffentlichen.

Das Zentrale bei meinem Ansatz war und bleibt folgendes:

Blogeintrag 21.11.09

Ich weiß was, was du nicht weißt: wie bringt man Menschen zum Kommunizieren?
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Posted on 21. November 2008 by jeanpol

Resümee: Um Probleme zu lösen, müssen wir ununterbrochen neues Wissen konstruieren. In Einsamkeit geht das nicht. Zur Produktion von neuem Wissen, müssen Menschen kommunizieren. Wie motiviert man Menschen zu kommunizieren, um neues Wissen herzustellen?

1. Ausgangspunkt: eine kleine Alltagsinnovation

Menschen innovieren ständig in ihrem Alltag. Beispielsweise wenn sie ein neuartiges Kochrezept entwickeln. Sie teilen diese “Innovation” in ihrem Umfeld mit und wenn das gut ankommt, werden sie durch das positive Feed-Back motiviert, ihre Innovation a) zu optimieren und b) zu verbreiten. Je besser das neue Wissensprodukt und je bedeutsamer für möglichst viele Menschen, desto positiver und umfangreicher die Rückmeldung und die Motivation, neues, möglichst für viele Menschen relevantes Wissen herzustellen. Genauso ist es mit LdL verlaufen: a) 1980 kleine Innovation im Französischunterricht (ich lasse meine Schüler sich selbst unterrichten), b) ich kommuniziere das in meiner Umwelt, c) sehr positive Reaktion in meiner Umwelt, d) Optimierung von LdL, e) Verbreitung etc.

2. Innovationen in Ketten

Wenn die Alltagsinnovation (wie LdL) eine größere Relevanz hat, befassen sich viele Menschen damit und es entsteht der Wunsch und der Zwang zur permanenten Verbesserung. Daraus entwickeln sich kleinere und größere Sub- oder auch Superinnovationen, Innovationen in Ketten. Als beispielsweise das Prototyp LdL aus meiner Sicht “Produktionsreife” ereicht hatte, entwickelte ich zusammen mit anderen Leuten das IPK-Modul, das, wie LdL, auf die Konstruktion kollektiven Wissens abzielt. Auch diese Innovation wurde in meiner direkten Umwelt angeboten und schrittweise akzeptiert. Wir haben also a) ein neues, relevantes Produkt erstellt (IPK), b) dieses Produkt in der Umwelt kommuniziert, c) entsprechende Aufmerksamkeit erhalten und daraus die Motivation entwickelt, weitere Innovationen zu erstellen und an die Umwelt anzubieten.

3. Das Maschendraht/Neuron-Projekt

Es hat sich ergeben, dass Christian Spannagel und Lutz Berger auf meine Arbeit aufmerksam wurden. Beide sind sehr fitt und möchten die neuen Kommunikationsmittel im Bildungssystem verbreiten. Um einzuüben, wie man am besten die neuen Tools benutzt, brauchen sie auch Kommunikationsinhalte. Für mich ein Traum, denn ich konnte ihnen ein gutes Produkt (LdL + Theorie) anbieten, das sie zu Übungszwecken einsetzen. In Spannagels Umfeld entstanden die Kommunikationsplattformen Neuron und Maschendraht. Lutz Berger erstellte u.a. ein LdL-Podcast.

Fazit: Alles super und wenn der Vorrat an neuem Wissen verbraucht ist, brauchen wir neue, relevante Inhalte, die wir jetzt schon konstruieren müssen.

1991-1996: 9a und wieder Jacques Rappoport - Projekte, Projekte, Projekte

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Zum ersten Mal erhielt ich eine Klasse, die für den LdL-Ansatz besonders geeignet war. Es war der Neusprachliche Zweig, die Schüler waren also durch den Lateinunterricht besonders sprachlich geschult. Ferner hatte ich einen Stundendeputat von wöchentlich fünf Stunden, fünf Jahre lang für diejenigen, die nach der elften Klasse den Leistungskurs Französisch wählen würden. Das war eine sehr gute Basis. Da ich ihr erster Französischlehrer war, stiegen sie sofort mit LdL ein beim Erlernen des Französischen und es gab für sie keine methodische Umstellung. Sie zeigten sich sofort in der Lage, alle Unterrichtsphasen in die Hand zu nehmen und wir kamen rasch voran im Stoff. Gleich fangen wir auch mit Projekten an, insbesondere mit der Vorbereitung einer Reise nach Frankreich, zur Schule, die im Buch thematisiert wurde. Sie lag im Morvan, in Autun. Ich kontaktierte die Deutschlehrerin und wir trafen uns dort mit Schülern, die uns die Stadt zeigten. Vorher hatten wir in Montbeliard Halt gemacht bei meinem Freund Jacques Rappoport, der nun Jacques Livchine mit Künstlername hieß und zu diesem Zeitpunkt Intendant der dortigen diversen Theater war. Er hatte uns eingeladen, auf einer Bühne kleine Szenen auf Französisch vorzuführen, die wir im Unterricht vorbereitet hatten. Gleichzeitig stellte ich die Methode Lernen durch Lehren vor, denn Jacques hatte vorwiegend Lehrer zu diesem Event eingeladen. Im Gegenzug wurden wir von ihm fürstlich bewirtet. Ferner wurden wir von Heinz Haberzettl, dem Vorsitzenden des Bayerischen Französischlehrerverbandes nach Erlangen zu Kongressen eingeladen, wo meine Schüler Unterrichtsdemonstrationen vor großem Publikum durchführten. In der zehnten Klasse reisten wir nach Bayeux in der Normandie, in der elften machten wir die traditionelle Frankreichrundfahrt. Auch diesmal machten wir den Umweg über Montbéliard und meine Schüler boten diverse Workshops an. Das Publikum war überall beeindruckt von der Sicherheit meiner Schüler und dem Einfallsreichtum ihrer didaktischen Szenen und Sequenzen. Meistens wurde auch in der Lokalpresse darüber berichtet.

Nachhaltigkeit

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Mein ganzes LdL-Projekt war langfristig angelegt und Nachhaltigkeit war für mich das A und O. Ich wollte meine Schüler und Studenten grundlegend prägen, das war auch mein Forschungsansatz. Wenn man also meine Biographie liest, wird man wie in "La comédie humaine" von Balzac immer wieder auf dieselben Figuren treffen. So war A. die Tochter meines Kollegen und Freund P.W., dem ich verdanke, dass ich meine Ferien in Perros-Guirec verbringe. A. war also nicht nur meine Schülerin, sondern auch die Tochter meiner Freunde und die Freundin meiner Kinder. C. war die Schwester von R. und B., die zu Hauptträgern meines Unterrichts in einer darauffolgenden elften Klasse werden. C. wird viel später ihre Ferien in meinem Haus in Perros mit ihrem Freund verbringen, zu einer Zeit, wo sie bereits ihr Jura-Studium abgeschlossen und Referendarin ist. Ein paar Jahre danach wird sie zu meinem Abschiedsfest eine sehr attraktive, chice Band mit ihren Brüdern und C. bilden. Sie wird die Pianistin sein und ich werde sie im Trubel gar nicht erkennen (meine Brille ist nicht mehr optimal). Als sie sich am Ende des Festes von mir verabschiedet, werde ich sie erst beim zweiten Blick einordnen können und mich gar nicht für ihren von vielen bewunderten Auftritt bedanken, denn ich habe sie ja nicht erkannt! Sie wird mir eine Mail schicken, in der sie mir mit viel Witz eine reinwürgt, von der ich heute noch nicht erholt bin, das merkt man an dieser Beschreibung. A. wird mir zu meinem soeben erwähnten Abschiedsfest 2009, also achtzehn Jahre nachdem ich ihr als Neunklässlerin begegnete, als Talisman eine kleine Versteinerung schenken - ihre Eltern besitzen Steinbrüche in der Eichstätter Gegend -, von der ich mich kaum trenne. A. wird nach den fünf Jahren bei mir im Französischunterricht meine Studentin an der Uni sein und zu einer zentralen Figur meiner ganzen Projektaktivitäten werden. Sie wird als Studentin nach Paris mitfahren und meinen Schülern bei ihren Projekterkundungen helfen, so wie sie es als Schülerin erlebte hatte. Sie wird auch eine Hauptperson im Rahmen des Kurses "Internet- und Projektkompetenz" sein. Heute ist sie Lehrerin in der Schweiz, hat gerade ein Kind bekommen und hält noch festen Kontakt zu mir. A. war die Schwester meines früheren, sehr aktiven Schülers M., und sie war selbst auch extrem stützend. S. ist der Sohn meines geschätzten Französischlehrer-Kollegen H. am Willibald-Gymnasium. Ich versuchte also die Hauptakteure meines Lebens miteinander zu vernetzen und über Jahrzehnte hinweg zu verfolgen.

Die Facharbeiten: neues Wissen konstruieren

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Die meisten Schüler aus dieser Gruppe wählten den Leistungskurs Französisch. Ich machte viel Werbung dafür, dass sie ihre Facharbeit bei mir schrieben, denn ich organisierte stets eine Reise nach Paris zu Pfingsten und dort sollten sie empirische Forschung betreiben. So verfasste A. eine Arbeit über Le Centre Pompidou, A. über die Gärten von Versailles, S. über das damals neu eröffnete Musée d'Orsay, A. über die Ägyptische Abteilung im Musée du Louvre. C. interessierte sich für alternative Unterrichtsmethoden und interviewte in Paris Gerald Schlemminger, den Freinet-Spezialisten, den ich ihr vermittelt hatte. Es wurden auch andere empirische Untersuchungen durchgeführt, über Institutionen, die nicht in Paris waren, wie von A. über das Naturkundemuseum in Lyon. Interessant unter dem Gesichtspunkt der Vernetzung und der Kontinuität war, dass S. zu Jacques Livchine nach Montbéliard reiste, um eine seiner zahlreichen, verrückten Stadtperturbationen zu dokumentieren.

Die Fortbildungsveranstaltungen: neues Wissen diffundieren

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Die Facharbeiten meiner Schüler waren so angelegt, dass sie nicht bereits vorliegendes Wissen reproduzierten, sondern neues Wissen konstruierten. Niemand außer S. war nach seiner Dokumentation der von Jacques Livchine's Perturbation der Stadt Montbéliard durch theaterspielende Maschinen in der Lage, über dieses Thema so kompetent zu berichten. Er hatte sich mit Jacques Livchine in Verbindung gesetzt, war ganz selbständig mit geliehenem Auto nach Montbéliard gefahren, hatte Videoaufnahmen der Perturbationsaktion gemacht, er hatte Jacques Livchien interviewt. Das war sein Produkt. Nun sollten meine Schüler die von ihnen erstellten, neuen Inhalte so aufbereiten, dass sie diese präsentieren und vermitteln konnten. Die Teilnehmer ihrer Veranstaltungen sollten nicht einem Vortrag beiwohnen, sie sollten die Inhalte verinnerlichen. So bereiteten die Schüler die Ergebnisse ihrer Untersuchungen nach dem LdL-Modell auf. Die Zuschauer sollten selbst Hypothesen aufstellen, Fragebögen ausfüllen, Texte interpretieren und Rollenspiele entwickeln. So wurden alle Facharbeiten didaktisiert und als Workshop konzipiert. All das geschah nach Abgabe der Facharbeiten in der dreizehnten Klasse im Februar 1996. Meine Schüler waren bereits wiederholt auf dem Kongress der Vereinigung der Französischlehrer in Erlangen aufgetreten und die Lehrer waren stets angetan. Der frühere Vorsitzende des Vereins, Günther Dischinger, war zum Leiter der Deutschen Schule in Brüssel geworden und er lud uns ein, einen Pädagogischen Tag in der belgischen Hauptstadt durchzuführen. Das war ein ganz tolles Angebot! Die Fahrkosten mit dem Bus wurden bezahlt, wir waren bei Familien untergebracht und Dischinger gab sich viel Mühe. Er hatte zahlreiche Kontakte in Brüssel und wir wurden von einer Bayerischen Abgeordneten hinter die Kulissen der EU-Organisation geführt. Auch zur Bayerischen Landsevertretung wurden wir eingeladen. Der Pädagogische Tag selbst verlief so, dass meine Schüler verschiedene Französischklassen erhielten und Workshops über ihre Facharbeiten durchführten. Die Lehrer saßen hinten und sahen zu. Das Ganze wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis für meine Schüler und insgesamt ein toller Erfolg! Als meine Gruppe nach dem Abitur von Mai bis Juli frei war, schlug ich vor, sie könnten doch ihre Workshops als Fortbildungsveranstaltungen in Französischfachsitzungen anbieten. Astrid Spies nahm die Organisation in die Hand. Sie erstellte eine Liste der workshopwilligen Schüler und der interessierten Schulen. Ich hatte das Angebot an alle Fachbetreuer in Bayern per Post geschickt und hatte viele Rückmeldungen erhalten. Die Schüler bekamen die Fahrkosten erstattet und ein kleines Honorar. Sie fuhren meist zu zweit durch ganz Bayern und wurden überall mit großem Zuspruch empfangen. Die Facharbeiten hatten sich also sehr gelohnt!

Heinz Haberzettl

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Warum Heinz Haberzettl mich von Anfang an unterstützte, also schon 1971, als ich anfing, Deutsch und Französisch in Erlangen zu studieren, ist mir heute noch nicht klar. Heinz mag im Prinzip nichts, was ein bisschen nach entliehenem Glanz aussieht. Als ich zu seiner Sprechstunde ging - er war damals Studienrat im Hochschuldienst - fragte er mich, was mein Vater von Beruf sei und ich antwortete "Kommerzialdirektor", was die wörtliche Übersetzung von "directeur commercial" war. Er ließ sich nicht irreführen. Ich musste erklären, was es bedeutete. In Frankreich kann jeder sich "directeur commercial" nennen, und das war mein Vater nicht einmal. Ich schäme mich nicht dafür, weil mein Vater ein kluger, sehr guter Mensch war, ich denke, ich verdanke ihm viele tiefere Seiten meiner Persönlichkeit, aber er war nicht "Kommerzialdirektor". Haberzettl fiel auch die im Rahmen meiner Reiseleitertätigkeit in Italien bei Rossetti gekauften Stiefeletten auf. Er selbst macht sich nicht viel aus Kleidung, auch wenn er immer korrekt und ansprechend angezogen ist. An der Erlanger Uni hat er sich eine sehr gute Position unter seinen Kollegen und den Studenten erarbeitet, mit viel mehr Ausstrahlung als die meisten Professoren, und er war fast zwanzig Jahre lang Vorsitzender der Vereinigung der Bayerischen Französischlehrer. In dieser Eigenschaft hat er dem Französischen in Bayern durch seinen unermüdlichen Eisatz zu hohem Ansehen verholfen. Insbesondere die jährlichen Tagungen des Vereins mit jeweils dreihundert Teilnehmern toppten alle Angebote vergleichbarer Fachvereinigungen. Nun habe ich - glaube ich - bereits erzählt, dass er mir, als Franzosen, sofort diverse Lehraufträge und Hilfskraftverträge verschaffte. Er lud mich bei sich zu Hause ein und ich lernte seine Frau Karin kennen. Immer wieder wies er mich auf Stellen hin, die für mich interessant sein könnten, wie beispielsweise die eines Lektors, die ich auch kurz vor dem Staatsexamen bekleidete. Als Heinz vom Klett-Verlag gebeten wurde, an der Erstellung eines Lehrwerkes für die Volkshochschule mitzuwirken, fragte er mich, ob ich mit ihm ein Team bilden wollte. Ich wurde Referendar und arbeitete gleichzeitig sehr einvernehmlich und produktiv mit ihm an "A bientôt", das ein großer Erfolg wurde. Aus der Zusammenarbeit wurde eine tiefe Freundschaft, auch zwischen unseren Familien. Dieser Punkt ist für mich besonders wichtig, denn als mir die LdL-Idee einfiel, veränderte ich meinen Tagesablauf radikal. Ich ergriff den Gedanken als Chance meines Lebens und konzentrierte mich ganz auf meine Arbeit. Ich stand ab diesem Zeitpunkt jeden Tag um fünf Uhr auf und ging um einundzwanzig Uhr ins Bett. Auch zu Weihnachten, auch am Wochenende. Meine Frau störte es nicht, so etwas lag ihr auch. Der große Nachteil war, dass ich mich ab diesem Augenblick aus dem normalen gesellschaftlichen Verkehr verabschiedete. Haberzettls hatten Verständnis für unseren Lebensstil und begriffen, dass ich was "Großes" vorhatte. Bei Haberzettls fühlte ich mich verstanden und geborgen. Die Klausurzeit dauerte fünfzehn Jahre, bis ich unter dem Impuls von Anne Rusam beschloss, mich zu resozialisieren.

Nachdem die LdL-Idee sich meiner bemächtigt hatte und ich sie in der Schule umsetzte, fuhr Haberzettl jedes Semester mit seinen Didaktik-Studenten von Erlangen nach Eichstätt, damit sie meinem Unterricht beiwohnten. Erlangen wurde zu einer Zentrale für die Verbreitung der LdL-Methode, denn Heinz behandelte sie in all seinen Veranstaltungen, natürlich nicht als einzige Methode, aber dennoch prominent. Zahlreiche Studenten ließen sich bei ihm über LdL prüfen. Ferner durfte ich mit Schülern bei fast allen jährlichen Tagungen seiner Vereinigung auftreten. Erlangen ist eine große Universität und Haberzettl verschaffte mir durch seinen Einsatz eine breite Aufnahme der LdL-Methode.

1996-1997: die 7c, ein kreativer "Sauhaufen"

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In der Französisch-Fachschaft an meiner Schule hatte sich der Eindruck herausgebildet, ich würde nur angenehme, kleine Gruppe erhalten, Schüler aus dem neusprachlichen Zweig mit fünf Stunden Französisch wöchentlich. Nun wollte ich zeigen, dass LdL auch mit normalen Klassen funktionieren würde. Ich erhielt eine 7.Klasse aus dem neusprachlichen Zweig mit 33 Schülern. Diese Klasse war zufällig auch disziplinär sehr schwierig.

Tagebuch

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Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse (Jean-Pol Martin, 5.10.96)

Seit Beginn dieses Schuljahres unterrichte ich in einer 7. Klasse (math./naturwissenschaftlicher Zweig) Französisch als erste Fremdsprache. Es sind 30 Schüler. Eine 7. Klasse habe ich zum letzten Mal vor 16 Jahren unterrichtet. Diese hier mit 24 Jungen und 6 Mädchen ist besonders ablenkbar. Daß die Klasse sehr unruhig ist, wird Gott sei dank von den Kollegen bestätigt, so daß ich mir persönlich nichts ankreide. Ich freue mich sogar, daß ich mit ihnen bisher - nach einigem Durchgreifen - gut zurecht komme.

1. Die Sitzordnung: Als erstes wurde die frontale Sitzordnung geändert. Es sollten 10 Schüler quer links, 10 frontal und 10 quer rechts sitzen. Ich habe die gewünschte Anordnung an die Tafel gezeichnet. Dann ließ ich die Schüler ihre Tische und Stühle so rücken, daß diese Anordnung innerhalb von 30 Sekunden realisiert wurde. Bereits beim ersten Mal gelang es. Aber der Lärm dabei war noch zu groß. Sofort ließ ich den Vorgang wiederholen. Beim zweiten Mal war es leise, und sie benötigten nur noch 20 Sekunden. Die Schüler haben inzwischen die anderen Lehrer gebeten, diese Sitzordnung zu behalten und nach einem Umstelltest waren die meisten Lehrer einverstanden. Auch unser Hausmeister wurde durch ein besonders erfolgreiches Umstellungsmanöver (17 Sekunden) überzeugt.

2. Der Einstieg: Nachdem ich in den beiden ersten Stunden das "Sich-Vorstellen" eingeführt und eingeübt hatte, ließ ich in Dreiergruppen kleine Dialoge verfassen und auswendig lernen zum Zweck der Vorführung vor der Klasse. Ich beobachtete, daß in jeder Gruppe nur einer für alle anderen schrieb, so daß die anderen unbeschäftigt waren. Also: 1. Regel: in der Gruppenarbeit schreiben alle den Text mit. Auch wenn es sich um einen gemeisamen Text handelt. Dann beobachtete ich, daß in einer Gruppe nicht konzentriert gearbeitet wurde. Da die Aufgabe doch recht anspruchsvoll war (Text frei und publikumsbezogen vortragen - und das nach erst zwei Unterrichtsstunden) wußte ich, daß dies ohne gute Vorbereitung nicht gelingen konnte. Ich kündigte an, daß die Präsentation vor der Klasse benotet werde. Sofort erhöhte sich die Konzentration und der notwendige Druck war hergestellt. Zur Abrundung bekam ein Schüler der ersten Gruppe gleich eine 5, so daß die Schüler seitdem bei Partnerarbeit und Kleingruppenarbeit ihre Aufgaben zu meiner Zufriedenheit erledigen. Also: 2. Regel: die in Gruppen erstellte Arbeit muß verbindlich ausgewertet werden. Wenn die Arbeitshaltung im Laufe der Zeit zufriedenstellend wird, muß der Druck reduziert werden (vor allem, was die Noten betrifft).

3. Abfragen und Leistungskontrolle: Am Anfang der Stunde frage ich NICHT ab, sondern ich teile einen kleinen Test aus (8 Minuten), sammle alle Blätter ein und korrigiere sie. Auch die Hausaufgaben sammle ich ein. Auf diese Weise lerne ich die Schüler (mit ihren Stärken und Schwächen) schnell kennen. Eine Extemporale habe ich bereits gehalten.

4. Druck und Entspannung: Da die Klasse sehr unruhig ist (aber nicht böswillig) darf ich nicht nur Druck ausüben, sondern ich muß sie auch sinnvoll und viel beschäftigen. Und da hilft mir LdL sehr. Es reicht nicht aus, wenn ich durch Druck Abgleiterscheinungen unterbinde. Ich muß vielmehr Räume eröffnen, wo die Schüler sich positiv einbringen können. Nachdem ich die "Expressions utiles" ausführlich besprochen und eingeübt habe, hole ich bei jeder Gelegenheit Schüler nach vorne, um eine Übung zu leiten, ein Diktat zu halten, die Hausaufgaben zu korrigieren. Allerdings ist es sehr wichtig, daß ich darauf dränge, daß die agierenden Schüler wirklich laut und deutlich sprechen, die anderen anschauen und loben, selbst attraktiv wirken. Gestern habe ich beispielsweise einen Repetenten gebeten, nach vorne zu kommen und mit den anderen die Aussprache der Zahlen (1 bis 20) im Chor zu üben. Er sagte die Zahl vor und ließ die anderen mit entsprechender Gestik (die ich ihm beigebracht hatte) die Zahl wiederholen. Das funktionierte hervorragend. Den Schüler konnte ich loben und er war zufrieden. Mit LdL kann ich die Stärken der einzelnen schnell erkennen und sie immer mehr in den Unterrichtsprozeß einbinden, bevor sie aus Langeweile anfangen, den Unterricht zu stören.

NATÜRLICH KLINGT DAS ALLES GANZ TOLL! ABER: WARTEN WIR ES AB! ES IST NOCH LANGE NICHT GEWONNEN!

Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 2 (15.10.96)

Jean-Pol Martin

Zur Disziplin: Nachdem meine 7.Klasse durch den Einsatz von LdL sehr beschäftigt ist und nun diszipliniert arbeitet, verringert sich die Notwendigkeit, ein Tagebuch über meinen Unterricht in der 7. zu führen (das Tagebuch führe ich in erster Linie, wenn Probleme auftreten). Konkret habe ich also das Gefühl, daß diese Klasse, die an der Schule als sehr undiszipliniert gilt, durch LdL zum Arbeiten motiviert wurde.

Zur Qualität der Schülerhandlungen vor der Klasse: Ich lege sehr viel Wert auf die Publikumswirksamkeit der Schülerhandlungen vor der Klasse (z.B. Leiten des Lesens) und lasse die einzelnen Aktivitäten so lange wiederholen, bis die Schüler gelernt haben, attraktive Darbietungen zu machen. Attraktiv heißt in erster Linie: laut sprechen, das Publikum ansehen, zügig arbeiten. Das zügige Handeln von Schülern vor der Klasse erreiche ich, indem sie die Gelegenheit bekommen, in Partnerarbeit zu üben. Wenn die Schüler beispielsweise als Hausaufgabe bekommen haben, 10 Fragen über den Lektionsstoff vorzubereiten, dann lasse ich sie, bevor sie vor das Plenum treten, diese Fragen in Partnerarbeit einüben, und zwar so, daß sie ihre eigenen Fragen (und die Antworten dazu) fast auswendig können. Wenn sie dann vor die Klasse treten, verläuft die Plenumsphase zügig und oft sehr gefällig.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse Eintrag 3 (19.10.96)

Jean-Pol Martin Der Stand nach 4 Wochen Unterricht:

Ich habe bereits beschrieben, daß die Klasse zu Beginn zwar nicht böswillig, aber sehr unruhig war. Da der Einsatz von LdL viel Disziplin und Konzentration von den Schülern verlangt, mußte ich zunächst mit schnellen Methoden die richtige Haltung erzeugen (Einsatz einer "5" zur Disziplinierung, schriftlicher Hinweis an die Eltern nach einer relativ kleinen Verfehlung). Da ich von Anfang an parallel zu diesen "repressiven" Maßnahmen den Schülern stets die Möglichkeit eröffnete, durch die Leitung einer Übung, das Halten eines Diktats usw. ein Lob von mir und die Anerkennung ihrer Mitschüler einzuholen, drängten die Kinder bald nach dieser Quelle und übernahmen bereitwillig immer mehr Aufgaben. Die Besucher (Seminare und Praktikanten) wundern sich über den Arbeitswillen und die Freundlichkeit dieser 7. Klasse. Ich sage: "Danke, LdL!" Wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, die Schüler sehr schnell in diesen kollektiven, für sie attraktiven Lernprozeß einzubinden, hätte ich wahrscheinlich an dieser Klasse wenig Freude gehabt. Jetzt ist es sehr schön. Vor allem deshalb, weil diese Kinder miteinander eine pädagogisch-didaktische Reflexion führen und dabei gleichzeitig viel Französisch lernen, wie wenn Schauspieler ihre Texte allein durch die vielen Proben und Wiederholungen memorieren. Obwohl ich mich in dieser Klasse anfangs wirklich sehr unsympatisch verhalten habe, hat sich durch die gemeisame Arbeit an den Präsentationen relativ schnell ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis entwickelt. Unser Hauptanliegen ist es, daß die Präsentationen zügig und attraktiv verlaufen, was voraussetzt, daß wir immer noch relativ viel über technische Aspekte sprechen: "Was hätte noch schneller gehen können? Was war in der Präsentation überflüssig...?"

Wenn ich die im theoretischen Teil meines Tagebuchs dargestellte Gehirnmetapher aufgreifen und auf die Klasse anwenden darf (die Klasse als "Gehirn"), so sind die einzelnen Schüler (als "Neuronen") im Rahmen der klasseninternen Methodendiskussion in vielfacher Interaktion getreten. In der Klasse ist die zentralisierten Struktur aufgebrochen und es entsteht ein neuronales Netz. Ein positiver Effekt ist, daß die Klassenstärke von 30 sich auf diesem Hintergrund in ein Positivum umkehrt: 30 Neurone bringen mehr Denkproduktion zusammen als nur 18 oder 20. Anmerkung zum Vorwärtskommen mit dem Stoff: Vom Stoff her liege ich zeitlich ganz gut. Nach vier Wochen ist die 2. Lektion von Echanges schon längst abgeschlossen, die Inhalte der 3. Lektion wurden auf die 30 Schüler aufgeteilt und liegen abrufbereit. Die ersten Grammatikpräsentationen haben schon stattgefunden. Sie waren zwar sorgfältig vorbereitet und ansprechend, für meine Begriffe aber noch nicht straff genug, weil viel Überflüssiges vorgestellt wurde. Wir haben es besprochen und ich bin gespannt, ob die nächsten Präsentationen zügiger ablaufen.


Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 4 (31.10.96)

Jean-Pol Martin Die Disziplin des Faches

Mir ist aufgefallen, daß meine 7.Klasse - die wirklich sehr unruhig und unangenehm sein kann - sich über das Fach Französisch diszipliniert. Es scheint, daß die Aufgabe, den Stoff gemeinsam aufzuarbeiten, sich also auf das Fach als Disziplin einzulassen, auch eine innere Disziplin herbeiführt. Die Kinder sind ernsthaft bemüht, ihren Stoffabschnitt gut zu vertreten und zu vermitteln. Ich sehe auch den Stolz, den sie empfinden, wenn ihre Vorstellung gut war. Sicherlich überträgt sich dieses positive Gefühl auf den Stoff, der ihnen dieses Erfolgsgefühl vermittelt hat. Auf diese Weise entsteht eine Identifikation mit dem Französischen als Fach. Aus dem Unterricht gehe ich oft sehr erfreut, manchmal regelrecht euphorisch hinaus. Erstaunlich ist auch, daß die Schüler sich fleißig einsetzen, obwohl ich seit längerer Zeit den Unterricht frei von Noten halte.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 5

Jean-Pol Martin 24.11.96

Letzte Woche hatte ich ein sehr interessantes Erlebnis. Zunächst muß vorangeschickt werden, daß die Kollegen meine Klasse von der Arbeitsbereitschaft und der Stimmung her als sehr unstabil betrachten. Deshalb vermeiden sie es auch, in dieser Klasse "offene" Arbeitsphasen einzubauen. Da ich von Anfang an nach LdL verfahren habe, gibt es natürlich sehr viele solche offene Momente, die bisher von den Schülern fruchtbar genutzt wurden. Allderdings: Am Anfang der letzten Woche kam ich am Montag (6. Stunde) in die Klasse mit der Absicht, die Schulaufgabe zurückzugeben. Um eine allzu langwierige Besprechung zu vermeiden, hatte ich die korrekte Fassung abgetippt und wollte, daß die Schüler in Partnerarbeit (einer stellt die Frage, der andere liefert die Lösung) die Korrektur erarbeiteten. Während dieser Phase war die Klasse für mein Gefühl zu unruhig. Da ich auf negative Entwicklungen schnell und hart reagieren möchte, unterbrach ich nach einer ergebnislosen Ermahnung den Vorgang kurzerhand und ließ 40 Minuten lang eine schriftliche Arbeit anfertigen (mit Note).

Am folgenden Tag erläuterte ich mein Vorgehen; wenn auch die Schüler Verständnis zeigten, blieb die Stimmung insgesamt angespannt und die Eskalation bahnte sich an. Ich wurde immer aggressiver und die Schüler immer renitenter. Gespräche mit Kollegen, die auch in der Klasse unterrichten, zeigten, daß "Durchgreifen" als einzige Lösung angesehen wird. Trotzdem wollte ich an meine von Anfang an gewählte Linie festhalten und LdL auch unter solchen widrigen Umständen durchhalten. Am Donnerstag verteilte ich den Stoff auf die Schüler mit der Bitte, ihn vorzubereiten. Als ich am Freitag in die Klasse kam, fand ich die Schüler wie ausgewechselt. Sie hatten hervorragende Folien angefertigt, eine Fülle von didaktischen Ideen und die Stunde, die von einer Schülerin über das Possessivpronomen gehalten wurde, war ein Genuß. Entsprechend positiv war die Stimmung, ich konnte endlich wieder loben und die Schüler suchten meine Nähe, indem sie mir immer wieder ihre Entwürfe zeigten. Das Fazit: ich war fast bereit zu kapitulieren und den LdL-Ansatz zurückzunehmen - nach dem Motto: "In dieser Klasse funktioniert LdL nicht" - als gerade durch LdL die positive Arbeitshaltung, die ich durch zu schnelles "Durchgreifen" gefährdet hatte, wieder hergestellt wurde.

16.12.96

Seit zwei Wochen bin ich sehr zufrieden mit meiner 7.Klasse. LdL läuft auf vollen Touren und die Präsentationen sind oft sehr originell. Heute hat ein Kollege, der selbst in der Klasse unterrichtet, meinen Unterricht besucht, und er war verblüfft über die Ruhe, die Konzentration, die Freundlichkeit und die Selbständigkeit der Schüler. Nach meinem zweimonatigen Kampf mit der Klasse hat der Übergang von der Fremddisziplinierung zur Selbstdisziplinierung stattgefunden. Gerade dieser Übergang scheint mir besonders interessant zu sein. Es verhält sich so, wie wenn die Schüler Gegenstand einer doppelten Strukturierung geworden wären: einmal durch die Struktur der Methode, die klare Planung und selbstdiziplinierte Haltung erfordert, zum anderen durch die Struktur des Stoffes selbst (Grammatik, Wortschatz), die sie bei ihrer Arbeit aktiv verinnerlichen müssen.

Besonders interessant erscheint mir, daß ein Kollege, der meine Klagen über die Klasse am Anfang mitbekommen hatte und selbst das "Opfer" meiner Umstellungen bei der Sitzordnung gewesen war, mir folgendes sagte: "Am Anfang fand ich diese Klasse mit der Sitzordnung im Hufeisen sehr unruhig. Die Schüler saßen sich gegenüber und die Versuchung für sie war groß, Unsinn zu machen. Aber nachdem ich wieder die alte frontale Sitzordnung eingeführt habe, sind die Schüler absolut ruhig."

Bei diesem Satz ist mir klar geworden, daß durch die hufeisenförmige Sitzordnung mein Kampf um Disziplin unvermeidbar war. Es war also wichtig, daß ich auf dieser Sitzordnung sowie auf der Durchführung von LdL trotz punktueller Schwierigkeiten bestanden habe, denn nun haben die Schüler gelernt, auch unter Bedingungen, die Unsinn ermöglichen, Disziplin zu bewahren. So erfolgte der Übergang von der Fremddisziplinierung zur Selbstdisziplinierung.

Abschließend gebe ich eine Übersicht wieder, in der die von den Schülern angewandten Präsentationstechniken zusammengefaßt sind.

PRESENTATION DU VOCABULAIRE 7b Martin (14.12.96)

Um den neuen Wortschatz vorzustellen, gibt es mehrere Möglichkeiten. Hier werden die bisher von Euch benutzten (teilweise von Euch erfundenen) Verfahren zusammengefaßt:

1. KLASSISCH Die neuen Wörter stehen auf einer Folie. Sie werden jeweils vorgelesen und es wird eine Erklärung auf französisch vom Schüler angeboten. Die anderen Schüler sollen auf die Bedeutung schließen. 2. Z.B. un cadeau = Pour son anniversaire René donne un cadeau à Marc 3. DIKTAT (Andreas/Mathias) Der neue Text wird vorgelesen. In Partnerarbeit werden die neuen Wörter herausgesucht. Dann wird ein Schüler an die Tafel ge-schickt. Ihm werden die neuen Wörter diktiert. 4. PANTOMIME (Christiane/Sabine) Ein Schüler wird nach vorne geholt. Das neue Wort wird an die Tafel geschrieben und der Schüler stellt pantomimisch die Bedeutung dar. Die Klasse muß die Bedeutung erschließen. 5. LÜCKENTEXT MIT BILDERN (Hans-Philip/Alexander) Die neuen Wörter werden nach dem klassischen Verfahren vorge-stellt. Im Anschluß wird eine Folie aufgelegt, die den neuen Text enthält. Anstelle der Wörter stehen Bilder, die die Inhalte symbolisieren. 6. LÜCKENTEXT OHNE BILDER (Bernd/Stefan) Die neuen Wörter werden vorgestellt. Im Anschluß wird der Text vorgelesen, wobei die neuen Wörter beim Lesen ausgelassen werden. Die Mitschüler sollen die Lücke füllen.

TEXTARBEIT

Nach der Vorstellung des Wortschatzes gibt es mehrere Möglichkeiten, den Text einzuführen:

1. Der Text wird zweimal vorgelesen. Ein Schüler muß den Inhalt wiederholen. 2. Der Text wird zweimal vorgelesen. Es werden möglichst schwie-rige Fragen zu diesem Text gestellt. 3. Der Text wird vorgelesen, die anderen wiederholen im Chor. 4. Der Text wird zweimal vorgelesen. Beim zweiten Mal unterbre-chen die Lehrerschüler immer wieder und die anderen versuchen den Text weiterzuführen... 5. Mit den neuen Wörtern wird versucht, einen Text zu erfinden. Der richtige Text wird erst danach gelesen.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 6

Jean-Pol Martin 12.01.97

Seit dem Beginn des Schuljahres 1996/97 befasse ich mich viel mit der Frage der "Disziplin". Das Thema hatte mich bisher kaum beschäftigt, denn in den letzten 17 Jahren hatte ich nur kleinere Klassen mit "braven" Schülern. Es war also nicht notwendig, den Kindern Strukturen "aufzuzwingen". Da der Prozeß der Disziplinierung der Schüler in meiner 7. Klasse nun offensichtlich abgeschlossen ist, möchte ich rückblickend darüber reflektieren. Der Anlaß zu dieser Reflexion liefert mir insbesondere die Tatsache, daß ich zahlreiche Einladungen von Elternbeiräten in diversen bayerischen Städten bekomme habe und den Eltern ein kohärentes Konzept anbieten möchte. Und so lautet meine Analyse:

Der "neue" Schüler

"Er zeichnet sich aus durch größere Verstandeskräfte, mehr Kenntnisse, vielfältigere Erfahrungen und größere Flexibilität, aber auch durch geringere Konzentrationsfähigkeit, weniger Anstrengungsbereitschaft und Durchhaltevermögen, Interessenbindung durch ein breites Freizeitangebot, häufig soziale Isolation sowie mangelnde Frustrationstoleranz." so die Beschreibung aus: Forum Eltern-Lehrer-Schüler. Das Würzburger Kooperationsmodell FELS von Bernhard Meißner et al. (1996).

Dieses Bild scheint mir zuzutreffen. Daß unsere Kinder eine größere Verstandeskraft, Offenheit und ein größeres Wissen in die Schule bringen, liegt sicherlich an dem Umstand, daß wir uns zu einer Informationsgesellschaft entwickelt haben. Zu den negativen Aspekten (insbesondere die geringe Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer) ist zu sagen, daß seit meiner Kindheit die Welt eine enorme Beschleunigung erfahren hat. Sowohl innerhalb als auch außerhalb des Elternhauses werden Wünsche viel schneller geweckt und befriedigt. Kinder sind daran gewöhnt, schnell zu handeln und schnell das Ergebnis ihrer Handlungen zu erfahren. Nun verlangsamt der Unterricht - oft aus gutem Grunde - viele Prozesse. Die Schüler müssen lernen, diese Verlangsamung auszuhalten und Selbstdisziplin zu üben. Ferner scheint es, daß gewisse Strukturen, die früher zur zeitweisen Unterordnung und Disziplinierung im Elternhaus führten, in der heutigen Gesellschaft entfallen sind. Es verlangt viel Einsatz und Reflexion von seiten der Eltern, wenn sie ihre Kinder bereits selbstdiszipliniert in die Schule schicken wollen. Aus diesem Grunde wird die Aufgabe, die Kinder zur Selbstdisziplin zu erziehen, weitgehend den Lehrern übertragen. Ich halte das nicht für schlimm! Ich meine nur, daß es neue Strategien in der Schule und im Unterricht erfordert.

Neue Strategien in der Schule und im Unterricht

Die veränderte Lage verlangt, daß nicht nur - wie es bisher der Fall war - der Grundschullehrer systematisch Routinen und Strukturen einführt und konsequent einfordert, sondern auch der Lehrer auf der Unter- und Mittelstufe. So verlange ich in der 7.Klasse, im Einklang mit meinen Kollegen, wenn ich das Klassenzimmer betrete, daß die Schüler aufstehen und erst bei meinem Signal wieder Platz nehmen.



In einer Art Crash-Kurs müssen also Routinen und Disziplin eingeübt werden. Allerdings, und das unterscheidet die heutige Situation von der früheren, muß der Aufwand, den der Schüler zur Selbstdisziplinierung aufbringt, durch das Angebot eines interessanten und abwechslungsreichen Unterricht belohnt werden. Früher hat sich der Schüler mit einem relativ impulsarmen Unterricht zufriedengegeben. Heute ist es anders: die Schüler sind bereit, massive Forderungen in Richtung Konzentration und Selbstdisziplin zu erfüllen, wenn sie dafür ein Feld bekommen, auf dem sie sich wirklich entfalten und ihre positive Energien voll einbringen können. Dies ist aus meiner Sicht nur dann wirklich zu realisieren, wenn man handlungsorientierte Methoden anwendet.

Die Aufgabe des Lehrers ist also eine doppelte. Einmal muß er Rituale und Gesetze einführen und auf deren Einhaltung bestehen, zum anderen muß er ständig für einen inhaltich und methodisch besonders interessanten Unterricht sorgen. Damit ist er in der gegenwärtigen Situation absolut überfordert. In der Tat: es ist mir nur deshalb gelungen, in der 7.Klasse Routinen einzuführen und einzuhalten, weil ich mich voll auf diese Klasse konzentrieren konnte. Bei nur einer Klasse ist es möglich, ständig die Hausaufgaben zu kontrollieren, immer nachzuprüfen, ob ein Schüler, der seine Aufgabe vergessen hat, sie wirklich nachschreibt, bei ihm zu Hause anzurufen, wenn sich dies wiederholt usw. Das interpretieren die Schüler als "konsequent" und die Strukturen schleifen sich ein. Dies betrifft auch die Qualität des Unterrichts: bei nur einer Klasse ist es möglich, ständig nach Abwechslung im Unterricht zu streben. Bei sechs Klassen oder mehr geht das nicht mehr.

Forderungen an Gesellschaft und Politik

Mein Eindruck ist, daß, wenn Schüler optimal unterrichtet werden, sie ein Fach wie das Französische mit 5 Wochenstunden nach drei Jahren voll beherrschen und in diesem Fach keinen Schulunterricht mehr brauchen. Dies gilt sicherlich auch für andere Fächer. Bei optimalen Unterricht würden die Schüler also ökonomischer lernen und schneller die Schule verlassen. Damit die Lehrer einen optimalen Unterricht halten, müssen sie einerseits, was die Klassenstärke und das Lehrdeputat betrifft, entlastet werden, andererseits sich kontinuierlich fortbilden.

Die Forderung an den Staat wäre also: Geben Sie uns weniger Schüler pro Klasse und lassen Sie uns weniger Stunden abhalten, dafür verpflichten wir uns, uns kontinuierlich fortzubilden und einen modernen Unterricht zu halten, der die Schüler besser ausbildet und schneller aus der Schule entläßt. Dazu brauchen Sie nicht einmal mehr Lehrer einzustellen, denn die Gesamtheit der zu erteilenden Stunden, würde sich ja verringern!

Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 7

Jean-Pol Martin 1.02.97

Gegenwärtig bin ich sehr zufrieden:


HOMEPAGE

Die von Manfred Lirsch gestaltete Homepage wird laufend verbessert und hat - wie ich meine - keine Entsprechung in der schulisch/wissenschaftlichen Landschaft. Wenn ich die Anzahl der Zugriffe betrachte (1500 monatlich), so scheint es, dass dies auch von den Benutzern so gesehen wird. Allerdings kommen die Zugriffe hauptsächlich aus dem universitären Bereich. Offensichtlich sind die an Schulen tätigen Kollegen technisch noch nicht so ausgestattet, dass sie bequem Zugang zur Homepage haben. Ferner stelle ich fest, dass die User noch nicht die Möglichkeit der INTERAKTIVITÄT aufgreifen. Das bedeutet, dass sie kaum Kommentare zu den Texten (z.B. zu meinem Tagebuch) abgeben. Das liegt vielleicht daran, dass die Texte noch nicht lebensnah genug sind, dass man unbedingt spontan darauf reagieren möchte... Da ich mein Tagebuch als interessante Innovation im Hinblick auf eine Kooperation zwischen Schule und Universität betrachte, werde ich versuchen, meine Alltagsbeschreibungen noch persönlicher zu gestalten. Vielleicht liefern die folgenden Zeilen mehr Anlass für den Leser, ein Feedback abzugeben.


DIE ARBEIT IN DER 7.KLASSE

Die Euphorie, die mich bereits vor längerer Zeit bei der Arbeit in meiner 7.Klasse ergriffen hat, dauert an. Da die Klasse und ihre Lebendigkeit mich sehr motivieren, wage ich relativ viel:

  • Wir singen immer wieder, auch ganz alberne Lieder. Allerdings ist es wichtig, den Schülern klar zu machen, dass die Lieder für kleine Kinder in Frankreich gedacht sind, und in der Klasse nur zum Zweck einer besseren Einprägung der Sprachstrukturen eingesetzt werden. Die Schüler dürfen auf keinen Fall den Eindruck gewinnen, dass ich sie altersmäßig unterschätze. Wenn der didaktische Zweck den Schülern einsichtig ist, lassen sie sich auch auf die albernsten Lieder ein (ich denke hier z.B. an: "Lundi matin, l'empereur, sa femme et le petit prince...)!
  • Nach einer Lektion, in der es um den Einkauf von Obst und Gemüse auf dem Markt geht, bat ich die Schüler, in Partnerarbeit kleine Rap-Texte zu verfassen und nach einer Einübung in kleinen Gruppen (mit entsprechender Gestik und Tanzeinlagen) im Plenum vorzuführen. Das Ganze (Texte-Schreiben, Üben und Vorführen) darf nicht länger als 30 Minuten beanspruchen. Diese kleine Einlage war sehr gelungen.
  • Da wir nun Erfahrungen mit Rap haben, kam mir gestern die Idee, dass Schüler die Konjugationen von unregelmäßigen Verben in der Form eines Raps mit der Klasse einüben könnten. Jedes Schülerteam bekam zwei Verben und sie überlegten sich, wie sie rapmäßig diese Verbkonjugationen vor der Klasse und unter Einbeziehung ihrer Mitschüler einüben konnten. Das, was herauskam, war äußerst lebendig und originell.
  • Wenn ich eine Schulaufgabe gehalten habe, ergreife ich nach der Rückgabe die Gelegenheit, um eine Art Unterrichtsbewertung von den Schülern vornehmen zu lassen. Ich lasse sie in Partnerarbeit drei Punkte überlegen, die sie besonders gut am Unterricht finden, und drei, die ihnen weniger gefallen. Sie sollen sich über eine Gewichtung der einzelnen Aspekte einigen.

Dazu verfügen sie über 7 Minuten. Nach dieser Vorbereitung sollen sie nun im Plenum eine konsensuelle Reihung vornehmen, wobei ich das Klassenzimmer verlasse, damit sie wirklich frei reden können. Die Klassensprecher führen die Diskussion. Im Anschluß werde ich von den Schülern hereingebeten und sehe an der Tafel die Ergebnisse ihrer Beratung. Das Ganze darf nicht länger als 20 Minuten in Anspruch nehmen. Vorgestern habe ich die Schulaufgabe zurückgegeben und danach die Bewertung meines Unterrichts durchführen lassen. Es kamen folgende Ergebnisse heraus:

  • Gut:

1. Abwechslungsreich. 2. Jeder kommt dran 3. Gute Stoffdurchnahme (d.h. richtige Geschwindigkeit) Weitere Punkte: - Ab und zu fun - Gruppenarbeit für kleine Vorführungen - Kein Ausfragen - Gute Noten - Gute Disziplin - Gute Ideen (LdL)

Schlecht: 1. Manchmal, wenn sie einen Schüler ohne Vorbereitung nach vorne schicken, weiss er nicht, was er machen soll (peinlich) 2. Zu schwere Schulaufgaben 3. Manchmal ungerechte Bestrafung


INTERNET UND UNTERRICHTSVORBEREITUNGEN

Seit einiger Zeit halte ich meine Didaktikveranstaltungen an der Uni in einem Zimmer, in dem ein Computer mit Internetanschluss steht. Auf diese Weise kann ich bei jeder Gelegenheit den Studenten zeigen, wie schnell man zu Informationen kommt. Vorgestern wollte eine Studentin einen Unterrichtsversuch vorbereiten, den sie am kommenden Mittwoch in dem LK-13 Französisch halten muss. Ich schlug vor, sie könne doch Comics behandeln und dachte hier an TARDI. Aber die Studentin kennt sich besser mit Astérix aus und wollte auf die Namen der Comicfiguren in Astérix eingehen. Nachdem ich ihr einige Internet-Adressen gegeben hatte, surfte sie im Netz und hatte nach kürzester Zeit aus Amerika eine Liste mit den in Astérix-Comics verwendeten Namen und ihren französischen Bedeutungen (z.B. "Abraracourcix"). Bei der Behandlung von Chansons verhält es sich ähnlich: mit ein paar Klicks im Internet wird man über die neuesten Hits von MC Solaar oder Celine Dion informiert. Dazu reicht es, wenn man eine Suchmaschine (z.B. Yahoo) anwählt und den gesuchten Begriff eintippt.


Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 8

Jean-Pol Martin 13.07.97

Seit langem habe ich nichts mehr in mein Tagebuch eingetragen, weder über die Forschung, noch über die Arbeit in der 7.Klasse. Das liegt daran, dass ich in den letzten Monaten keine neue Erkenntnis gewonnen habe.

Da ich nun direkt vor den Ferien stehe, kann ich abschließend folgendes Fazit ziehen:

In dieser wenig disziplinierten, sehr lebhaften aber auch sehr kreativen Klasse war der Einsatz von LdL aus meiner Sicht ein voller Erfolg. Allerdings glaube ich, dass ein großer Teil des Erfolges auch darin liegt, dass ich die schriftlichen Arbeiten sehr konsequent kontrolliert habe, indem ich sie mit nach Hause nahm und fast jeden Tag korrigierte. Besonders auffällig war, dass die Grammatikarbeit sich wieder einmal als ein sehr dankbares Betätigungsfeld erwiesen hat. Die Schüler können sich in verhältnismäßig kurzer Zeit Wissen über die französische Grammatik aneignen und freuen sich, es in immer neuen Situationen (Erklärungen, Übungen, Diktate) unter Beweis zu stellen und dies in einem immer routinisierteren Französisch zu tun.

Hier ein Beispiel, an dem klar wird, dass der Schüler (Andreas) Freude an der eigenen Kompetenz beim Benutzen der Fremdsprache verspürt.


Praktikantin: - Qu’est-ce que le passé composé? Andreas, tu as une idée?

Andreas: - Est-ce que vous voulez savoir comment on fait le passé composé?

Praktikantin: - Oui, peut-etre que tu donnes un exemple.

Andreas: - Oui. "Regarder", c’est l’infinitif. Et le passé composé est avec "avoir". "J’ai regardé", la prononciation est la meme chose, mais "regarder" est sans "r" à la fin, mais avec accent aigu!


Natürlich hätten wir uns mit einer einfacheren Erklärung zufrieden gegeben, aber Andreas wollte eine perfekte Antwort liefern. Unsere bewundernden Blicke lieferte ihm die entsprechende Belohnung.

Eine für mich besonders aufregende Premiere war schließlich, dass eine didaktische eMail-Korrespondenz zwischen meinem Schüler Stephan Thirmeyer und Fabian, einem 7.Klässler aus der Klasse des Kollegen Hans-Dieter Mager in Daun (Rheinland-Pfalz) entwickelte.

Live aus dem Schlachthof und meine Hohlmeiersche Perturbation

[Bearbeiten]

Tilmann Steiner, der den ersten Fernsehbericht über LdL gedreht hatte, hatte mich an die einflussreiche Elternvertretung Bayerischer Gymnasien empfohlen, in der er eine Funktion im Vorstand bekleidete. Diese Vereinigung wiederum verschaffte mir zahlreiche Auftritte in Gymnasien und ließ mich auch in die Sendung "Live aus dem Schlachthof" einladen. Die Inhalte waren jugendgemäß und immer wieder wurde die Schule als Thema gewählt. Es kamen Vertreter der Schülerschaft, Amtsträger aus dem Kultusministerium und ein paar reformorientierte Pädagogen. Zu diesem Anlass war ein Team aus dem Bayerischen Fernsehen zu mir nach Eichstätt in den Unterricht der 7c gekommen und hatte gefilmt. Die Filmaufnahmen wurden im Rahmen der Sendung "Live aus dem Schlachthof" gezeigt und kommentiert. Auf dem Podium saßen die jungen Moderatoren, ein Schülervertreter, Albin Dannhäuser, der damalige Vorsitzende des Lehrerverbandes, und Monika Hohlmeier, damals noch Staatssekretärin, später Schulministerin. Nach der Sendung trafen wir uns in einem Nebenraum, um weiterzudiskutieren, und ich setzte mich heftig mit Frau Hohlmeier auseinander, zum Entsetzen der Elternvertreter, die mich ja hatten einladen lassen. Die Staatssekretärin hatte geäußert, dass das Ministerium zwar progressive Richtlinien zur Verbesserung der Unterrichtsmethoden herausgäbe, dass aber "die da unten" die Anweisungen nicht umsetzen würden, weil sie zu konservativ seien, oder ähnliches. Mich hatte das "die da unten" aufgebracht. Ich wusste, wie sehr meine Kollegen schufteten, und konnte nicht ertragen, dass eine Sesselfrau aus dem Ministerium sich so überheblich über sie äußerte. Das sagte ich auch sehr laut (ich glaube, ich schrie sogar, aber das war ohnehin insgesamt laut): "Für mich sind Sie da unten und meine Kollegen da oben". Der Vorsitzende der Elternvereinigung schob mich zurück und teilte mir mit, ich brauchte mich nicht zu wundern, wenn ich mit meinem Anliegen beim Ministerium nicht durchkäme. Langfristig gesehen täuschte er sich, denn es wiederholte sich das, was ich bereits in Eichstätt mit Lobkovitz erlebt hatte, als ich ihn fragte, ob er Mitglied des Opus Dei sei: Lobkovitz vergaß mich nicht mehr, und auch Hohlmeier nicht. Darauf komme ich später zurück.

1997-1998: C., die Brüder P., B.

[Bearbeiten]

Die Arbeit in der 7.Klasse hatte mir viel Spaß gemacht und bestätigt, dass gerade LdL geeignet ist, um schwierige Klassen zu disziplinieren und zu motivieren. Für die Lehrer konnte LdL also eine große Hilfe in Notsituationen sein. Nun erhielt ich eine 11.Klasse aus dem naturwissenschaftlichen Zweig. Auch diese Klassen gelten als schwierig, weil nur die wenigsten Schüler Französisch nach der elften als Leistungskurs wählen und die anderen es auslaufen lassen. Nun saßen einige sehr interessierte Schüler in der Klasse, insbesondere die Brüder P., deren Schwester ich bereits fünf Jahre unterrichtet hatte, und B., die schon als Siebzehnjährige eine markante Persönlichkeit besaß. R. griff LdL voll auf und prägte die ganze Klasse durch seine Initiativen und seine LdL-bezogenen Aktivitäten stark. Besonders auffällig wurde der Tatendrang der meisten Schüler während der Pfingstreise nach Frankreich. Hier hatte ich als Student u.a. C. mit dabei. C. war außergewöhnlich vielseitig, sehr humorvoll und vor allem er war profilierter Musiker, in einer Richtung, die gerade für Jugendliche besonders attraktiv war. Musiker waren auch die Brüder P., Bernd spielte Schlagzeug und Ralph Gitarre. Auf der Frankreichreise hatte Claudius seine Gitarre dabei und gestaltete viele Abende mit den Teilnehmern. Er kam super an. Natürlich hatte ich auch diese Schüler mit meinem anthropologischen Modell vertraut gemacht, und es scheint, dass es ihnen gefiel. Nach der Frankreichreise wurde ich von meinem Freund Paul Geyer, der in Köln eine Professur innehatte, zu einem Vortrag eingeladen. Er fand an einem Mittwoch um 18.00 Uhr statt. Nun wollte ich unbedingt, dass meine Schüler und C. dabei waren. Wie sollte es gehen, mitten in der Woche? Ich erhielt von Paul Geyer eine Summe, die mir ermöglichte, einen Flug nach Köln für mich, C., R. und einen weiteren Schüler zu bezahlen. Meine Frau raste mit unserem Kleinbus von Ingolstadt nach Köln, wartete bis zum Ende unseres Vortrages um 22.00 Uhr und wir fuhren zurück nach Eichstätt, wobei C. und meine Frau sich am Steuer abwechselten. Der Bericht meiner Schüler hatte Paul Geyer und seine Studenten sehr beeindruckt, zeigte er doch, dass sie das anthropologische Modell sehr gut verstanden und während der Reise nach Frankreich als Organisationstruppe voll eingesetzt hatten. Später begleiteten mich die Brüder P. weiter zu Fortbildungsveranstaltungen, beilspielsweise nach Coburg, wo sie den ganzen Abend gestalteten. Auch B., die später im Leistungkurs eine wichtige Position einnnehmen sollte und noch später Sprachlehrerin wurde und immer wieder Kontakt zu mir suchte und fand, war bereits in der elften Klasse aktiv. Insbesondere während der "Machergreifung" auf der Frankreichreise spielte sie eine führende Rolle.

Tagebuch Reflexionen über meinen Unterricht in der 11.Klasse

Eintrag 9

Jean-Pol Martin 3.10.1997

Auch wenn ich eine Fülle von neuen Erkenntnissen im letzten Schuljahr in der 7.Klasse gewonnen und vom Anfang bis zum Ende einen sehr spannenden LdL-Unterricht erlebt habe, habe ich unseren Schulleiter in diesem Jahr um eine Oberstufenklasse gebeten. In der Oberstufe geht es um die Vorbereitung der Schüler auf eine berufliche Tätigkeit, also um die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, und diese Aufgabe interessiert mich ganz besonders. Ich ging auch davon aus, dass ich in der Oberstufe Schüler finden könnte, die besser als Unterstufler in der Lage sind, mit den neuen Kommunikationstechniken umzugehen. Ein weiterer Aspekt hat mich bewogen, eine Oberstufenklasse zu wünschen: ich gestalte sehr gerne Frankreichreisen was mit älteren Schülern leichter durchzuführen ist.


Meine 11.Klasse

Die Klasse (15 Jungen und 5 Mädchen, naturwissenschaftlicher Zweig, 4 Wochenstunden Französisch) gefällt mir sehr gut, weil in ihr eine ganze Palette von Interessen und Fähigkeiten vertreten wird. Ein Schüler beispielsweise organisiert deutsch-französische Begegnungen in seiner Freizeit, eine Schülerin ist im Bund Naturschutz engagiert und betreut eine Kindergruppe, die meisten Schüler der Klasse reisen viel und gerne; schließlich sitzt auch ein Schüler in der Klasse, der mir besonders geeignet für die Betreuung unserer eMail-Aktivitäten erscheint.

Natürlich kenne ich die Klasse erst seit zwei Wochen und weiss noch nicht, ob sie mit mir zurechtkommen wird.


Auf intellektuelle Qualität der Beiträge drängen, von Anfang an!

Grundsätzlich stelle ich bei dieser 11. Klasse gewisse Defizite in Bezug auf die Kommunikation im Klassenzimmer fest. Ich habe das Gefühl, dass die Schüler noch nicht daran gewöhnt sind, sich gegenseitig anzusprechen und zuzuhören. Das liegt m.E. daran, dass sie noch nicht gelernt haben, im Fremdsprachenunterricht Beiträge zu liefern, die ihrem intellektuellen Niveau entsprechen. Es verhält sich so, als ob es bisher genügt hätte, wenn sie irgendeinen korrekten, inhaltlich sinnvollen aber anspruchslosen Satz auf Französisch geäußert hätten, um den Lehrer zufriedenzustellen. Da der Inhalt des Gesagten nicht wirklich interessant ist, ist die Motivation, zuzuhören gering.

Dazu gebe ich ein konkretes Beispiel:

Nachdem ich die Grundbedürfnisse nach Maslow eingeführt und in einer nachfolgenden Stunde mich mit den Berufswünschen der Schüler befasst hatte, stellte ich die Frage, inwiefern der Beruf für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse wichtig sei. Nach einer Vorbereitung in Partnerarbeit bat ich einen Schüler, die Auswertung zu leiten. Eine Schülerin äußerte, dass der Beruf für die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse wichtig sei, weil man nur über einen Beruf Geld verdienen könne. Der nächste Schüler lieferte ungefähr denselben Gedanken. Wäre dieses Gespräch auf Deutsch verlaufen, hätte der Diskussionsleiter sofort auf diese Wiederholung hingewiesen. Im Französischen scheint es aber, dass die Erwartungen an die intellektuelle Qualität der Beiträge nicht sehr hoch sind und alle zufrieden sind, wenn überhaupt ein Satz in der Zielsprache und zum Thema geäußert wird! Nachdem ich den Diskussionsleiter auf die Redundanz der Gedanken hingewiesen hatte, achtete er auf Wiederholungen und Widersprüche, so dass immer differenzierter argumentiert wurde; das Niveau der Reflexion stieg an und alle hörten allmählich gespannt zu. Es scheint, dass die Schüler plötzlich gemerkt hatten, dass auch im Fremdsprachenunterricht auf die intellektuelle Qualität der Beiträge geachtet wird.

Diese Erfahrung habe ich übrigens auch in der Unterstufe gemacht. Die Schüler sind natürlich bereit, konzentriert und aufmerksam mitzuarbeiten, aber die Äußerungen der Mitschüler oder des Lehrers müssen anspruchsvoll und spannend sein. Deshalb lasse ich den Schülern immer wieder Zeit, damit sie in Partnerarbeit ihre Beiträge vorbereiten können, bevor sie diese im Plenum äußern. Die oft eintretenden Denkpausen dürfen nicht als Phasen der Langeweile interpretiert werden, sondern als Zeit zur Entwicklung von komplexeren Gedanken. Man kann gut beobachten, wie nach einer besonders schwierigen Frage zunächst keine Wortmeldung erfolgt. Hat man die Geduld, zu warten, dann hebt sich eine Hand, dann die nächste und es werden immer mehr.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 10

Jean-Pol Martin 21.11.97

Meine 11. Klasse führe ich seit nun zwei Monaten.

1. Zur Lage des Fachs Französisch in der 11. Jahrgangsstufe im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig

Das spezifische Problem des Fachs Französisch in den 11. Jahrgangsstufen ist, dass die meisten Schüler am Ende des Jahres Französisch ablegen. Daher beklagen viele Kollegen einen Mangel an Motivation. Auch in meiner Klasse haben die meisten Schüler nicht vor, dieses Fach weiterzuführen. Das liegt hauptsächlich daran, dass für naturwissenschaftlich orientierte junge Menschen Französisch keine besondere Zukunftsperspektive zu eröffnen scheint.

Gerade wegen dieser ungünstigen Voraussetzung stellt der Französischunterricht in der 11.Klasse eine besondere Herausforderung dar, die mich reizt. Immerhin verfügt man über 4 Wochenstunden, die sinnvoll genutzt werden sollen. Damit die Schüler ihre Motivation aufrechterhalten, müssen sie das Gefühl bekommen, dass sie von den Französischstunden profitieren, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Fach, sondern für ihre ganze Persönlichkeit und ihre Zukunft.

Das bedeutet, dass ich einen klaren, straffen Unterricht führen und für die Schüler relevante Inhalte anbieten muss.

2. Ziele

Als inhaltliche Orientierung für das ganze Jahr versuche ich, eine Reflexion der Schüler über sich selbst und über ihre berufliche Zukunft anzuregen.

  • Zu Beginn des Jahres habe ich die Schüler gebeten, sich selbst ausführlich zu beschreiben. Daraus ist ein Klassenporträt entstanden, das kontinuierlich ergänzt wird und in die LdL-Homepage eingegeben wird.
  • In dem Lehrbuch "Horizons" behandle ich die Texte, die sich mit der Arbeitswelt von morgen befassen (Veränderung der Arbeitswelt durch neue Kommunikationsmittel, neue Berufe usw.). Gleichzeitig werden die Schüler dazu angeregt, sich mit ihren Interessen und Begabungen im Hinblick auf die Welt von morgen zu befassen ("Welche Berufe scheinen dir - angesichts deiner Begabungen und Interessen - besonders reizvoll bzw. welche findest du für dich indiskutabel?".)

Dadurch wird ein dialektischer, fortschreitender Prozess von Selbstreflexion und Zukunftsantizipation eingeleitet, bei dem sich die Schüler ein immer klareres Bild über ihre eigenen Begabungen und Neigungen und die von der Gesellschaft erwarteten Fähigkeiten verschaffen.

Ferner wird eine Bestandsaufnahme der Qualifikationen vorgenommen, die grundsätzlich in der Arbeitswelt verlangt werden. Dabei gelangt man zu einer ersten Zielvorgabe: gegenwärtig wird die Forderung nach Schlüsselqualifikationen erhoben. Wenn Schlüsselqualifikationen in der Welt von morgen verlangt werden, wie kann ich als Französischlehrer zum Aufbau entsprechender Fähigkeiten beitragen? Die Antwort für den Französischunterricht lautet: durch entsprechende Inhalte und durch entsprechende Methoden.


3. Inhalte und Methode

a) Inhalte

Zu den Inhalten gehört die oben beschriebene Reflexion über die eigene Identität und über die Erfordernisse der beruflichen Welt von morgen. Konkretisiert wird dies im Zusammenhang mit der Behandlung fachspezifischer Inhalte:

- Grammatik

Am Anfang des Jahres haben die Schüler eine Wiederholung der Grammatik gewünscht. Dies wird also systematisch getan, mit entsprechenden Übungen aus einer anspruchsvollen Sammlung (Confais). Gegenwärtig sind wir bei der indirekten Rede. In der Schulaufgabe wird ein Grammatikblock verlangt.

- Landeskunde

Es werden behandelt: die Geschichte Frankreichs (gegenwärtig Durchzieher vom Mittelalter bis zur Gegenwart an Hand von Geschichtsbüchern für junge Franzosen); die verschiedenen Regionen Frankreichs; Aktuelle Themen; Planung und Durchführung einer Frankreichreise.

b) Methode

Grundsätzlich wird in diesem Schuljahr die Reflexion auf der Metaebene kontinuierlich gepflegt. So werden die Schüler nicht nur angeregt, über ihre Person Klarheit zu gewinnen, sondern auch über die Art und Weise, wie sie am besten Lernen. Methodisch wird über den systematischen Einsatz von LdL hinaus der Akzent auf eine fortwährende Beteiligung der Schüler an der Methodenreflexion gelegt. Es werden weitere Techniken für den Unterricht entwickelt. Maßstab ist, dass die Effektivität des Lernprozesses durch die jeweilige Technik optimiert wird.

4. Erste Schüler-Feed-Backs

Es scheint, dass der Unterricht den Schülern Spaß macht ("Es ist interessant/Es vergeht wie im Flug"!). Allerdings musste ich einem Missverständnis begegnen. Vor einigen Tagen sagte mir eine Schülerin folgendes (dem Sinn nach):

"Als wir gehört haben, dass wir Sie bekommen, haben wir gedacht, dass wir die ganze Zeit spielen werden, viel reden und dabei Französisch lernen. Deshalb war es ein ziemlicher Schock, als wir gemerkt haben, dass es gar nicht so locker ist, sondern dass wir viel arbeiten müssen, zu Hause auch. Das war also eine falsche Vorstellung. Dieses Jahr ist Französisch eines der stressigsten Fächer. Ich freue mich zwar total drauf, das macht Spaß, aber das ist viel Arbeit!!"

Das Gefühl, dass sie viel tun müssen, kommt daher, dass ich nach jeder Stunde eine Hausaufgabe aufgebe (Arbeitszeit für die Schüler etwa 30 Minuten), diese in der folgenden Stunde einsammle und zu Hause korrigiere. Daher sind die Schüler praktisch gezwungen, die Hausaufgaben sorgfältig anzufertigen. Die Gewissheit, dass auch schriftlich gearbeitet wird, erlaubt mir, die Unterrichtsstunden selbst von langweiliger Schreibarbeit freizuhalten und mit interessanten Inhalten zu füllen. Dabei kann selbst die Korrektur von Grammatikübungen spannend sein, sofern sie von Schülern durchgeführt wird und Schlüsselqualifikationen bewusst aufgebaut werden.

Tendenziell besteht die Gefahr, dass die Schüler sich vom Französischunterricht überfordert fühlen: "Meinen Sie, dass wir nur Französisch haben?" Hier muss ich sensibel vorgehen und ein Überhitzen vermeiden!

Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 11

Jean-Pol Martin 25.01.98

Nun führe ich meine 11. Klasse seit etwa 4 Monaten. Mit dem Engagement der Schüler bin ich insgesamt sehr zufrieden. Besonders freut mich, dass eine ganze Reihe von ihnen immer wieder bereit sind, mich zu Fortbildungsveranstaltungen oder Vorträgen zu begleiten und vor großem Publikum aufzutreten. In der Klasse herrscht eine Art lustbetonte Konzentration auf den Stoff und auf den um den Stoff herum sich organisierenden Unterrichtsdiskurs. Am Deutlichsten ist es im Bereich der Grammatik, die sich - wie immer - als besonders dankbarer Sprechanlass erweist. Die Grammatik wird als logisches Denkspiel behandelt, wobei ein wichtiger Reiz darin besteht, dass stets französisch gesprochen wird. Für die gute Stimmung scheint mir nach wie vor ausschlaggebend zu sein, dass der Unterricht weitgehend FREI VON NOTEN gehalten wird.

Zu den Inhalten

Gemäß meiner Zielsetzung, das Kontrollgefühl der Schüler durch die Vermittlung von Strukturwissen zu erhöhen, führe ich inhaltlich vier Stränge durch:

  • Einen Grammatikstrang (Wiederholung des Grammatikstoffes der 10.Klasse); wir haben jetzt etwa die Hälfte des Stoffes bewältigt.
  • Einen Durchzieher durch die Geschichte Frankreichs (mithilfe eines Schulbuches für 10jährige Franzosen), wobei ich mit der Entstehung der Erde vor 4,6 Milliarden Jahren beginne. Dies entspricht der Vorstellung, dass in unserer Zeit der Globalisierung mehr Basiswissen über die Geschichte der gesamten Welt vermittelt werden sollte. Auf die Fragen beispielsweise, wann und wo die ersten Menschen aufgetreten sind, oder wann der Islam entstanden ist, sollte man ohne Zögern antworten können. Dieses Wissen wird mit Kurzreferaten von den Schülern eingeführt und anhand der von ihnen erstellten Lückentexte gefestigt und memoriert.

Als Beispiel sei der Anfang unserer Lückentextsammlung wiedergegeben:

Histoire de France

0. Quelques dates clés Préhistoire Il y a 4,6 milliards d’années Naissance de la terre - 3,8 milliards d’années Premiers organismes - 450 millions d’années Coelocante (poisson qui existe encore) - 230 millions d’années Apparition des dinosaures - 65 millions d’années Disparition des dinosaures - 3,5 millions d’années: Naissance de l’humanité - 2 millions d’années: L’homme se tient définitivement debout - 1,5 millions d’années Conquête du feu - 700 000 ans Début de la deuxième ère glaciaire - 10 000 ans Fin de l’ère glaciaire, début de l’âge de la pierre - 8000 ans Elevage des animaux - 7000 ans Agriculture et sédentarisation

Antiquité - 3500 av. J.-C. Mésopotamie, puis Egypte. Invention de l’écriture - 1400 av. J.-C. Civilisation grecque (Chine: 2000 av. J.-C.) - 750 av. J.-C. Fondation de Rome (Japon 660 av. J.-C./Indes: 550 av.J.-C.) - 500 av. J.-C. Les Celtes en Europe - 50 av. J.-C. César envahit la Gaule, ère Gallo-Romaine - 406 ap. J.-C. Les Germains (Francs) envahissent la Gaule

1. Les Gaulois - les débuts de l’empire romain (Richard)

Les Gaulois cultivaient beaucoup de choses comme des ...................................... et des légumes. Pour vivre ils n’avaient pas seulement l’agriculture, mais aussi ................................................A cette époque, les ........................................ étaient très importants pour faire des armes pour les guerriers et des outils pour les paysans. Les Gaulois faisaient aussi des ..............................., comme des bracelets et des colliers. Les gens qui s’occupaient de ce travail s’appelaient des........................................ Comme les Gaulois avaient beaucoup de produits à vendre, ils faisaient du commerce. Une grande partie de leurs produits étaient vendus entre le Nord de l’Europe et la ..................................................... En Gaule il y avait des cités qui étaient formées par plusieurs.................................... Dans ces cités les nobles avaient le pouvoir et ils désignaient le chef de la cité: le vergobret. Comme vous savez déjà à travers l’histoire d’Astérix, les Gaulois avaient des ...................................... Leur savoir n’était pas noté dans des livres mais...............................................

Rome fut fondée sept siècles avant Jésus-Christ près du fleuve Tibre. En 390 av. J-C, après qu’un .......................................... eut ravagé la ville, Rome commença à s’emparer du monde méditerranéen. En 58 av. J-C une tribu gauloise en guerre contre les Germains appela le futur maître de Rome, Jules César, pour les aider. Après avoir ................................... les Germains, Jules César commença à s’emparer de la Gaule.

Vocabulaire: un raid - la chasse - la Méditerranée - par coeur - repousser - un céréale - un forgeron - un bijou une tribu - un druide - un orfèvre


  • Einen Strang über aktuelle Themen mithilfe des Lehrwerkes "Horizons". Bisher haben wir alle Texte über die Arbeitswelt der Zukunft behandelt, einen Text über die "neue Armut" und einen Text über die Ausländerproblematik. Dabei werden stets Bezüge zur französischen Aktualität (Arbeitslosendemonstrationen, Unruhen in der Vorstädten usw.) hergestellt.
  • Einen Strang, bei dem die Schüler sich mit ihren eigenen Fähigkeiten und Interessen befassen und zur Selbstreflexion angeregt werden. So waren die Schüler dazu bereit, an einem Freitag Nachmittag in der Schule zu bleiben und ihre Hobbys an Hand von mitgebrachten teilweise sehr umfangreichen Materialien vorzustellen (Amateurfunk, E-Gitarre, Umweltschutz, Computersimulationen usw.). Dieser Strang soll die Schüler dazu befähigen, ihre eigenen Stärken besser zu erkennen und diese nach aussen zu präsentieren. In diesem Zusammenhang werden sie auch gebeten, Selbstporträts anzufertigen, die in die Homepage eingegeben werden.

Dazu zwei Beispiele:

Juliane Beck

Dans ce texte je veux parler de ce qui m’intéresse. Un de mes loisirs est la mode. Je pense que la mode, ce ne sont pas que les vêtements. Bien sûr, les vêtements sont très importants, parce que sans eux, la mode n’existerait pas. Ce que je préfère, c’est un style élégant et moderne. Par exemple les chaussures à plateau. Ces chaussures-là existent dans un style sportif ou dans un style un peu élégant. La mode, ce n’est donc pas que les vêtements, c’est aussi les accessoires, les cheveux et le maquillage. Les accessoires, c’est par exemple le vernis, le sac à main, le parfum et surtout les bijoux. J’aime porter des bijoux. Par exemple je porte toujours un petit anneau, une chaînette au poignet, deux colliers, un bracelet-montre très curieux et trois boucles d’oreille. Je trouve aussi que la coiffure est importante, parce que la première impression qu’on donne est essentielle. C’est pourquoi les cheveux doivent être très corrects, adaptés à la personne. Chaque personne a son style propre et doit trouver celui qui lui convient et avec lequel il se sent bien. La mode est différente suivant la personne. Moi, par exemple, j’ai trouvé mon style: quelquefois élégant, quelque fois un peu bizarre, suivant mon humeur. Pour enrichir mes idées je m’informe dans les revues et je flâne à travers les boutiques et les magasins.

Carmen Burkhardt

Un centre d’intérêt que je veux décrire est la psychologie. Je m’intéresse beaucoup à ce domaine. D’abord je voulais l’étudier, mais je ne suis pas sûre de jamais faire des études. Alors je vais parler de la psychanalyse. C’est une méthode qui a été développée par Freud pour guérir les personnes. Celles-ci doivent raconter leurs mauvaises expériences et le psychiatre leur dit comment on peut résoudre ces problèmes. C’était simplement une petite explication. Mais comment les gens réagissent aux événements, de façon négative ou positive, et pourquoi ils réagissent avec intérêt, surprise ou déception, ce sont question sur question, dont on ne trouvera jamais la réponse, parce que tout le monde réagit de façon différente. Il y a beaucoup de gens par exemple qui ne trouvent pas que la mort soit mauvaise. La raison est, par exemple, la foi qui influence les gens de façon positive, elle leur donne de l’espoir et du courage, un sens à leur vie (le plus souvent). Un autre exemple est le stress, qui tue beaucoup de personnes, parce qu’il n’est pas bon pour l’âme, et sans âme, personne ne peut vivre. Tout le monde doit pouvoir se détendre et se reposer. Le reste est du poison pour la vie.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 12

Jean-Pol Martin 01.02.1998


Mein jüngster Tagebucheintrag stammt vom 25.01.1998, also vom letzten Sonntag. Darin schilderte ich, dass ich inhaltlich vier Stränge parallel führe, nämlich einen Selbstreflexionsstrang (Selbstporträts für die Klassen-Homepage), einen Geschichtsstrang (Durchzieher von der Entstehung der Erde bis zur Gegenwart), einen Strang mit aktuellen Themen an Hand von "Horizons" und einen Grammatikstrang. Nebenbei versuche ich so etwas wie ein "Menschenkonstrukt" gespeist an den neueren Erkenntnissen der Soziologie und der Psychologie schrittweise zu vermitteln.

Nun habe ich am vergangenen Donnerstag, nachdem wir die Schulaufgabe geschrieben hatten, eine Evaluation meines Unterrichts vornehmen lassen. Alle zwei Monate lasse ich nämlich die Qualität meiner Arbeit von den Schülern bewerten (wie dies wahrscheinlich in der Wirtschaft geschieht). Und das geht so: nachdem die Schüler Kriterien für einen guten Unterricht erstellt haben, bitte ich sie, in Partnerarbeit zu überlegen, was in meinem Unterricht gut bzw. weniger gut sei. Im Anschluss lasse ich den Klassensprecher nach vorne kommen mit der Bitte, die Ergebnisse an die Tafel zu schreiben. In dieser Phase VERLASSE ICH DAS KLASSENZIMMER, damit die Schüler ihre Kritik oder gar ihren Unmut frei äußern können. Natürlich bleibe ich sehr nahe an der Tür, damit ich meine Aufsichtspflicht nicht verletze (oder verletze ich sie doch?). Wenn die Diskussion abgeschlossen ist, rufen mich die Schüler in das Klassenzimmer zurück und der Klassensprecher stellt die an der Tafel festgehaltenen Ergebnisse vor. Auf diese Weise erfahre ich, was gut an meinem Unterricht ist, aber vor allem, was ich verändern muss. Dieses Verfahren wende ich in allen Klassen an - auch letztes Jahr in der 7.Klasse - und bekomme immer sehr wichtige Hinweise. So auch am letzten Donnerstag.

Es hat sich nämlich herausgestellt, dass durch das parallele Führen von 4 Strängen ich überhaupt nicht mein Ziel erreiche, die Wissensbereiche in den Köpfen der Schüler miteinander zu vernetzen. Die Schüler empfinden das Hin- und Herspringen zwischen den Strängen als verwirrend und nicht durchschaubar. Aus der Sicht der Schüler kann man auf diese Weise nie ein Thema vertiefen und es entsteht das Gefühl der Oberflächlichkeit. Mit meinem Vorgehen bewirke ich also genau das Gegenteil von dem, was ich anstrebe, nämlich einen Überblick über alle Bereiche zu verschaffen! Da die Beschreibung der Schüler mir sofort einleuchtete und ich um Vorschläge bat, kam die Empfehlung, längere Blöcke zu bearbeiten. Dass z.B. die Geschichte von vielen als langweilig empfunden wird, liege daran, dass man immer wieder vergesse, was bereits besprochen wurde und daher nie zu übergreifenden Erkenntnissen gelange. Würde man alles in einem Block bearbeiten, könne sich eine vertiefte Reflexion entfalten. Auch sei es besser, wenn man das "Menschenkonstrukt" als Einheit geliefert bekomme, und nicht Schritt für Schritt.


Mein Fazit: ich werde nicht mehr die Stränge parallel durchführen, sondern

  • zunächst mein Menschenkonstrukt geschlossen präsentieren (2 Stunden), weil ich es für die Besprechung der Geschichte benötige,
  • dann den geschichtlichen Überblick als Einheit behandeln (2 Wochen); auf den geschichtlichen Durchzieher möchte ich auf keinen Fall verzichten, denn er ist Voraussetzung für das Verständnis der aktuellen Situation in Frankreich, Deutschland und anderswo;
  • auf diesem Hintergrund werde ich die aktuellen Themen Frankreichs angehen können. Der Grammatikstrang läuft nach wie vor parallel.

An dieser Stelle kann ich mich nur bei meinen Schülern für die gute Analyse des Unterrichts und die Verbesserungsvorschläge bedanken.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 13

Jean-Pol Martin 24.02.1998

In meinem letzten Tagebucheintrag (01.02.98) habe ich den Wunsch meiner Schüler geschildert, nicht vier Stränge (Menschenkonstrukt, Geschichte, Aktualität, Grammatik) parallel zu verfolgen, sondern sich zunächst mit meinem "Menschenbild" zu befassen, dann mit dem Überblick über die Geschichte Frankreichs, dann mit den Texten des Lehrbuches HORIZONS, usw.

Diesen Vorschlag habe ich aufgegriffen und mir scheint, dass der Unterricht recht erfolgreich verläuft. Daher möchte ich dessen Fortgang detailliert beschreiben.

1. Das Menschenkonstrukt

Grundsätzlich versuche ich - wie jeder Lehrer auch - "relevantes" Wissen zu vermitteln. Da in der 11.Klasse die Schüler in einem Alter sind, wo sie sich intensiv mit existentiellen Fragen befassen, eröffne ich die Möglichkeit, über den Menschen und seine Bedürfnisse im Unterricht nachzudenken. Als Einstieg zu einer anthropologischen Reflexion verteilte ich folgendes Blatt:

Übersicht über die Funktionsweise des Menschen nach Martin (02.02.98)

1. Ihr erinnert euch, dass der Mensch eine Reihe von Grundbedürfnissen hat und zwar vereinfacht:

  • Physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität)
  • Sicherheitsbedürfnis
  • Soziale Anerkennung

2.

  • Selbstverwirklichung

3. Ein Bedürfnis, das alle anderen einschließt, ist das Kontrollbedürfnis.

In welchem Maße schließt das Kontrollbedürfnis wirklich alle anderen ein?

4. Darüber hinaus lebt der Mensch im Spannungsverhältnis zwischen antinomischen Tendenzen:

Zwang/.................................. Integration/............................... Vernunft/............................... Hierarchie/............................... Gesellschaft/................................... Ordnung/........................................ Klarheit/......................................... Einfachheit/..................................... Konkurrenz/......................................... Egoismus/............................................ usw.

Diese antinomischen Tendenzen halten den Menschen ständig in Bewegung, denn wenn er das eine hat, will er das andere und umgekehrt.

Schließlich gibt es im Laufe der Geistesgeschichte zwei Interpretationsmuster im Hinblick auf eine Sinngebung des Lebens in der Welt: der Idealismus geht davon aus, dass es ausserhalb der reinen Materie ein geistiges Prinzip gibt, das die Welt ordnet, beispielsweise Gott, der Materialismus betrachtet die Welt als ausschliesslich von der Materie bestimmt.


Das Blatt wird ausführlich besprochen und die Schüler werden gebeten, an Beispielen aus dem Alltag zu testen, ob diese Kategorien wirklich Erklärungskraft besitzen.

2. Bedürfnistendenzen und politische Präferenzen

Es wird die These vertreten, dass Parteien nach Bedürfnistendenzen geordnet werden können, So kommen "konservative" Parteien besonders dem Wunsch nach Ordnung, Sicherheit, Klarheit und Hierarchie entgegen, während "linke" Parteien eher Bedürfnisse nach Gleichheit und Solidarität bedienen, usw. Im Unterricht soll vorerst noch keine differenzierte Analyse vorgenommen werden, denn es gilt, die Kategorien überhaupt einzuführen und durch wiederholte Anwendung zu routinisieren. Als Hausaufgabe werden die Schüler gebeten, den Schwerpunkt ihrer eigenen Bedürfnistendenzen zu erforschen. Gleichzeitig sollen sie auf diesem Hintergrund über ihre Parteipräferenzen nachzudenken. Die meisten abgelieferten Texte waren ausführlich und interessant. Dazu ein Beispiel (bitte beachten Sie, dass die Texte als Hausaufgabe für den nächsten Tag und auf französisch verfasst wurden; hier darf nicht der Deutschaufsatz als Messlatte dienen!):


Meine persönliche Haltung in Bezug auf die antinomischen Tendenzen und die Politik (Markus.H.)

Die Wahl zwischen Zwang und Freiheit stellt mich vor kein besonderes Dilemma: ich ziehe die Freiheit vor. Dafür gibt es mehrere Gründe, z.B. dass ich besser arbeiten kann, wenn ich frei bin. Das einzige Problem ist, dass ich faul werden kann, wenn kein Druck mich zum Arbeiten zwingt. Was die Opposition zwischen Vernunft und Gefühl angeht, so halte ich mich für rationaler als emotional, z.B. gelingt es mir, meine Hausaugaben zu erledigen, auch wenn ich keine Lust dazu habe. Natürlich kann ich mich auch emotional verhalten, wenn ich unbedingt etwas tun will; dann werden die Hausaufgaben hintangestellt. In Bezug auf den Gegensatz zwischen Hierarchie und Gleichheit, hier ziehe ich die Gleichheit vor. Ich denke z.B., dass die Lehrer uns mehr Rechte zugestehen sollten, damit wir unsere eigenen Entscheidungen treffen können. Nur so lernen wir, verantwortlich zu handeln. Aber manchmal ist es wichtig, dass jemand für uns bestimmt, denn es gelingt uns nicht immer, die richtige Entscheidung zu treffen. Zur Antinomie "Individuum und Gesellschaft": ich bin zwar in der Gesellschaft integriert, aber ich bin stolz, ein Individuum zu sein. Da ich nicht wie alle anderen sein möchte, mache ich nur das, was ich will, und ich lasse mich nicht von den anderen beeinflussen. Andererseits finde ich wichtig, in einer Gemeinschaft integriert zu sein, weil ich ohne Freunde nicht leben kann. Was die Opposition zwischen Klarheit und Unbestimmtheit angeht, so ist mir die Klarheit lieber, weil ich ohne Klarheit die Kontrolle verlieren würde. Ausserdem will ich immer genau wissen, was zu tun ist, weil ich keine Fehler machen möchte; um Fehler zu vermeiden brauche ich Klarheit. Wenn ich zwischen Einfachheit und Komplexität wählen muss, dann entscheide ich mich für die Komplexität: wenn etwas zu einfach für mich ist, habe ich keine Lust, es zu tun; ich gehe lieber schwierige Aufgaben an, die mir das Gefühl vermitteln, dass ich anspruchsvolle Herausforderungen bewältigen kann. Konkurrenz oder Zusammenarbeit? Für mich ist Zusammenarbeit wichtiger als Wettbewerb, weil ich der Meinung bin, dass man mehr erreicht, wenn man sich mit anderen zusammentut. In unserer Gesellschaft ist die Zusammenarbeit nicht so wichtig wie früher, weil jeder besser, reicher und höhergestellt als der andere sein will. Meiner Meinung nach ist das ein Fehler. Das ist der Grund, warum ich Zusammenarbeit der Konkurrenz vorziehe. Dasselbe gilt für die Opposition zwischen Egoismus und Altruismus. Da jeder besser als der andere sein will, hilft man den anderen immer seltener, im Gegenteil, man behindert sie in ihren Bestrebungen. Deshalb verliert die Kirche, die ja den Altruismus predigt, immer mehr Anhänger. Ich muss allerdings gestehen, dass ich mich manchmal sehr egoistisch verhalte. Wenn ich alle Punkte zusammenfasse, so stelle ich fest, dass ich eher ein Anhänger linker Politik bin, aber mit einer kleinen Tendenz nach rechts.


Besonders subtil finde ich folgende Überlegungen einer Schülerin über die Opposition zwischen Klarheit und Unbestimmtheit, bzw. Ordnung und Chaos:

Julia W.

(...) Ich möchte die Reflexion über Ordnung und Chaos mit Überlegungen über Klarheit und Unbestimmtheit verknüpfen: Klarheit und Unbestimmtheit betreffen den Kopf. Wenn man weiß, was man im Leben tun will, besitzt man Klarheit im Kopf. So denke ich, dass Chaos in Verbindung mit Klarheit besser ist als Ordnung in Verbindung mit Unbestimmtheit. Es ist nicht schlecht, wenn die Aussenwelt etwas chaotisch ist. Aber man muss den Überblick behalten, und den hat man, wenn man einen klar denkt. Leute, die immer darauf bedacht sind, dass überall Ordnung herrscht, wissen meist nicht, was sich in ihrem Kopf abspielt! Da in ihrem Kopf Unbestimmtheit herrscht, bestehen sie auf Ordnung in ihrer Wohnung, in ihrem Arbeitszimmer usw.(...)


3. Paradigmenwechsel

Nach intensiven Diskussionen über die oben genannten Texte und einer gewissen Verinnerlichung der Analysekategorien, kann aufzgezeigt werden, dass der Verlauf der Geschichte sich nach den antinomischen Bedürfnisgruppen aufschlüsseln lässt. Der Übergang vom Mittelalter zur Renaissance ist als Paradigmenwechsel zu bezeichnen, ebenfalls der Übergang von der Renaissance zum Absolutismus, vom Absolutismus zur Aufklärung usw.

Der Begriff "Paradigmenwechsel" wird an verschiedenen Sachverhalten exemplifiziert und es wird darauf hingewiesen, dass wir heute ebenfalls einen Paradigmenwechsel erleben. Als Hausaufgabe sollen die Schüler den Begriff "Paradigmenwechsel" an Hand von Beispielen zusammenfassend erläutern.

Zu diesem Thema bekam ich eine Vielzahl interessanter Arbeiten, insbesondere diesen Text, der auf hohem Niveau die Brauchbarkeit des von mir vorgestellten Schemas kritisch reflektiert:


Der Begriff "Paradigmenwechsel" am Beispiel der Geschichte (Dominik S.)

Wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet und die Vorstellungen, die Menschen über die Welt entwickelten, kann man einen Wechsel zwischen zwei Paradigmen beobachten: das eine Paradigma wird durch Freiheit geprägt und - wenn man Herrn Martins Schema anwendet - durch die Tendenz zu Werten wie dem Individualismus, der Komplexität usw., während das andere Paradigma entgegengesetzte Tendenzen aufweist. Wenn man wirklich die Geschichte in ein Schema einpressen will und sich auf starke Generalisierungen einlässt, dann ergibt es folgende ungleichmäßige Sinuskurve (z.B.):

paradig.gif (3089 Byte)

Diese Kurve zeigt deshalb keine absolute Regelmäßigkeit, weil es manchmal sehr plötzliche Wechsel gibt (Revolutionen) und manchmal ganz langsame Entwicklungen. Allerdings ist kritisch anzumerken, dass man den Ablauf der Geschichte nicht richtig fasst, wenn man dieses Schema verwendet. Ich sehe nämlich folgende Probleme:

  • Das Schema verallgemeinert sehr, und ich denke, dass er für die Geschichte der Menschheit zu verallgemeinernd ist, denn jede Epoche besteht aus einer Mischung, so dass man die Entwicklung nicht auf den Wechsel zwischen lediglich zwei Paradigmen einschränken kann. Ich denke also, dass wenn man sich auf ganz starke Verallgemeinerungen einlässt, das Schema funktioniert, aber dass die Benutzung des Schemas gewisse Probleme aufwirft.
  • Das zweite Problem besteht in der Vorstellung, dass die Geschichte sich stets wiederholt. Sollte diese Wiederholung ein Gesetz sein (wie z.B. der historische Materialismus von Karl Marx) könnte man auch behaupten - und darin sehe ich das Problem - dass der Mensch, der ja ein geschichtliches Wesen ist, aus dem Gesetz der Pendelbewegung nicht ausbrechen kann und keinen Einfluss auf die Geschichte hat! Somit wäre er nicht frei. Die Geschichte wäre somit ein eigenständiges Phänomen (oder ein eigenständiges Wesen) und der Mensch wäre ohne Einfluss auf sie. Der Mensch wäre festgeschrieben in einer geschichtlichen Entwicklung, die unabhängig von ihm verlaufen würde. Ich denke, dass es schlimm wäre und offensichtlich auch nicht den Tatsachen entspricht.


Dieser Text war Anlass zu einer Diskussion, bei der folgende Standpunkte eingebracht wurden:

  • Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass zwar der Mensch als Einzelner wenig Einfluss auf den Fortgang der Geschichte habe, aber dass er zusammen mit den anderen die Geschichte gestalte.
  • Es wurde erwähnt, dass auch Einzelne die Geschichte geprägt hätten (z.B. Napoleon). Dazu wurde eingewendet, dass diese Gestalten nicht als Individuum gewirkt hätten, sondern als zufällige Träger einer Entwicklung, die auch ohne sie erfolgt wäre.

Auf dem Hintergrund der neuerworbenen und im Gespräch eingeübten Erkenntniskategorien kann nun der Überblick über die französische Geschichte fortgesetzt werden.Nachdem das Mittelalter, die Renaissance (16. Jh.) und der Absolutismus (17.Jh.) behandelt wurden, wurde auf Wunsch der Schüler eine kleine Wiederholung eingeschoben. Dazu wurde folgender Fragekatalog in Partnerarbeit bearbeitet.


Questions sur l’histoire

Questions sur l’histoire (26.02.98)

Répondez dans l’ordre que vous voulez! 1. Qu’évoque pour vous: 230 Mio. d’années? Et 1,5 Mio.? 2. De quand à quand faisait-il particulièrement froid? 3. Mettez de l’ordre: Egypte - Japon - Germains - Grèce - Chine - Mésopotamie - Celtes - Rome - 4. Quel est le lien entre Juliane Beck et les Celtes? 5. Traduisez: ein Überfall - auswendig - Schmied - Jagd 6. Décrivez une ville gallo-romaine, par exemple Nimes (pensez à ce que nous a raconté Ralph) 7. Qu’est-ce que le limes? Quel fut le premier chef germain qui se convertit au catholicisme? 8. Pourquoi les Arabes n’arrivèrent-ils pas à Paris en 732? 9. Que savez-vous des Normands? 10. Que se passa-t-il en 800? Et en 843? 11. Dans quelle mesure le passage du roman au gothique constitue-t-il un changement de paradigme en architecture? 12. Les cathédrales étaient-elles silencieuses au Moyen-Age 13. Qu’est-ce que le "djihad"? 14. Le 12e siècle fut-il un bon siècle? Pourquoi? 15. Qu’est-ce que Thomas Maget nous a raconté? 16. Dans ma théorie sur l’apprentissage et dans mes cours j’essaie de favoriser chez les élèves une "attitude explorative"! Dans quelle mesure? Dans quelle mesure cette attitude est-elle typique de la Renaissance? 17. Le Moyen-Age est une époque d’intégration, la Renaissance une époque de différenciation. Dans quelle mesure (pensez par exemple à la religion)? 18. Dans quelle mesure Louis XIV représente-t-il une période de forte intégration? Pensez aux symboles utilisés, à son attitude vis à vis du protestantisme etc. 19.Faites en binôme un dialogue entre un homme/une femme du Moyen-Age et un homme/une femme de la Renaissance (16e siècle), ou un homme/une femme de la Renaissance et un homme/une femme qui vit sous Louis X IV. 20. Préparez vous même une question compliquée à poser à vos camarades.



4. Vorbereitung der Frankreichreise in den Pfingstferien

Gerade bin ich dabei, eine 10-tägige Rundreise durch Frankreich in den Pfingstferien vorzubereiten, die uns zu den Loire-Schlössern, La Rochelle, Bordeaux, Toulouse, Avignon und Montbéliard führen wird. Hier wird der im Unterricht erarbeitete geschichtliche Hintergrund sicherlich sehr nützlich sein. Zur Suche und Belegung der Jugendherbergen ist das Internet äusserst hilfreich:

http://www.fuaj.fr

Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 14

Jean-Pol Martin 22.05.1998

In diesem Tagebucheintrag möchte ich mich mit der Frage der Disziplin befassen. Dieser Aspekt ist zwar zentral im Leben der Schule, er wird aber kaum zum Thema gemacht: da Disziplinprobleme sofort auf die Schwächen des Lehrers zurückgeführt werden, ist niemand bereit, eigene Probleme zuzugeben und detailliert zu beschreiben. Andererseits: ohne genaue Schilderung des Übels ist auch keine Diagnose und keine Therapie möglich! Damit keine falschen Erwartungen entstehen: auch ich werde in diesem Eintrag nicht in erster Linie Disziplinprobleme schildern, sondern den Aufwand, den ich betreibe, um solche zu vermeiden. Ich werde auch aufzeigen, dass angesichts des neuen Schülerprofils die Situation nur dann in den Griff zu bekommen ist, wenn die gegenwärtigen schulorganisatorischen Bedingungen verändert werden.

1. Beschreibung der Situation: die neuen Schüler

Sowohl letztes Jahr in meiner 7.Klasse als auch dieses Jahr in der 11. stelle ich fest, dass - zumindest an meiner Schule - wir es mit äusserst energievollen, aktiven Schülern zu tun haben. Sie wollen gefordert und gefördert werden. Letztes Jahr ist es mir in der 7.Klasse gelungen, eine Gruppe zu schaffen, die sich das ganze Jahr hindurch als kreativ, lebendig und arbeitswillig zeigte. Allerdings waren immer wieder Disziplinierungsmaßnahmen notwendig. Was meine ich mit Disziplinierung? Ich gehe davon aus, dass das Triebhafte in uns ständig präsent ist, und nur mit großem Energieaufwand kurzfristig zurückgedrängt werden kann. Bei jüngeren Menschen ist Disziplinierung von aussen unvermeidlich, mit zunehmendem Alter wird auch eine Disziplinierung von Innen möglich sein (Selbstdisziplin). Wenn ich also eine Gruppe von 30 Schülern aus einer 7.Klasse unterrichte, dann muss ich dieses Triebhafte auf zwei Ebenen angehen: zum einen muss ich dafür sorgen, dass Übertretungen meiner Gesetze mit Schmerz assoziert werden, zum anderen muss ich dafür sorgen, dass das Eingehen auf meine Angebote mit Freude, also Triebbefriedigung verknüpft wird. In der 7. Klasse bedeutet es, dass ich Störungen recht streng ahnde, dafür aber einen Unterricht halte, der sehr viel Raum für freie, kreative Aktivitäten läßt. Im Laufe der Zeit stellt sich so etwas wie Selbstdisziplin ein, aber diese braucht immer noch eine starke "Hilfe" von außen, also die Angst vor Strafen.

In der 11.Klasse ist die Fähigkeit des kurzfristigen Triebaufschubs natürlich viel stärker entwickelt als in der 7. Klasse. Die Schüler sind besser in der Lage, abzuwarten, bis sie ihre Aktivitätsbedürfnisse befriedigen können. Allerdings ist der Anspruch an den angebotenen Aktivitätsfeldern auch viel höher. Während ich also eine 7.Klasse mit dem Entwickeln von kleinen Szenen, mit Rollenspielen, mit schülergeleiteten Textpräsentationen sinnvoll beschäftigen kann, sitzen in der 11.Klasse Schüler mit ganz anderen Fähigkeiten und Wünschen. Gelingt es mir nicht, ihrem Drang nach anspruchsvoller Aktivität zu entsprechen und ihnen Felder zu eröffnen, in denen sie ihre Energien zum eigenen Wachstum einsetzen, dann bleibt der von ihnen geleistete Triebaufschub ohne Belohnung. Selbstdisziplin ist hier zwecklos und die Schüler reagieren mit Ablehnung. Symptome dieser Ablehnung sind die "Disziplinprobleme".

Konkret zu meiner 11. Klasse:

Entscheidend für mein Verhältnis zu dieser Gruppe (14 Jungen, 5 Mädchen) waren die Selbstporträts, die ich am Anfang des Schuljahres anfertigen ließ. Die geschilderten Freitzeitaktivitäten waren so vielfältig und anspruchsvoll, dass mein Bild der Schüler von diesem Zeitpunkt an positiv geprägt war, unabhängig von dem, was im Unterricht ablief. Die Klasse ist energievoll, sie macht im Unterricht sehr aktiv mit, aber sie neigt gelegentlich zur Unruhe (sie erinnert mich also manchmal an die 7.Klasse). Daher ist es für mich wichtig, mir in Konfliktphasen immer wieder vor Augen zu führen, wie aktiv und interessiert diese Schüler sind.

Schilderung einer Konfliktphase:

Wie ich bereits in meinem letzten Tagebucheintrag beschrieben habe, verfolge ich inhaltich vor allem zwei Hauptstränge: zum einen lasse ich die Schüler immer wieder über sich reflektieren im Rahmen von Selbstbeschreibungen, was zur Stabilisierung der Identität beitragen soll, zum anderen führe ich einen "Durchzieher" durch die Geschichte durch und bereite jetzt eine Rundreise durch Frankreich vor (Verdun, Chateaux de la Loire, La Rochelle, Bordeaux, Montpellier, Nîmes). Vor etwa einem Monat habe ich die Schüler gebeten, Kurzreferate über die verschiedenen Etappen unserer Reise vorzubereiten. Ich kam auch mit dem entsprechenden Material und freute mich über die Aktivitäten. Von einem Schüler wurde mir im Vertrauen signalisiert, dass die Klasse eigentlich demotiviert sei. Diese Unlust würde sich nicht speziell auf mich und mein Fach beziehen, sondern richte sich generell gegen die Schule. Ich hatte dieses Motivationstief nicht wahrgenommen und war sehr dankbar für den Hinweis. Da ich der Überzeugung bin, interessante, sinnvolle Inhalte mit adäquaten Methoden zu behandeln, beschloss ich, "durchzuhalten" und abzuwarten, bis die Motivation wieder anwuchs. In dieser Phase war das Klima in der Klasse angespannt, unser aller Verhalten "regressiv". Damit meine ich eine Situation, in der die Schüler auf Fehler des Lehrers lauern, und der Lehrer sich zum Angriff bereithält.

2. Die Diagnose

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass es sich mit dieser 11.Klasse um eine sehr sympathische, offene, freundliche Gruppe handelt. Ferner bin ich der Meinung dass ich noch nie einen so guten Unterricht in einer 11.Klasse gehalten habe, wie dieses Jahr. Wie kann es also unter solchen Idealbedingungen trotzdem vorkommen, dass Konflikte und Spannungen entstehen? Wie erst geht es dann Kollegen, die keine Muttersprachler sind, die ein 23-Stunden-Deputat haben und Klassen mit 30 und mehr Schülern führen?

Gründe für das Motivationstief in der 11. Klasse:

  • Zu dem Zeitpunkt, wo ich die Kurzreferate vorbereiten ließ, lief gerade der Projekttag. Mein "Projekt" kollidierte also mit ähnlichen Aktivitäten.
  • Die Vorbereitung von Kurzreferaten stellt keine Aktivität dar, die lustbetont ist. Dazu ist also ein Druck von außen nötig, der natürlich den "Stresser" nicht gerade sympathisch macht.
  • Mein Unterricht ist per se anstrengend, meine Haltung fordernd. In Phasen des Tiefs kann das leicht Unmut hervorrufen.

In einer solchen Situation wird vom Lehrer höchste Selbstdisziplin verlangt, denn er muss trotz Widerstände seine Forderungen aufrechterhalten, seine gute Laune und seine Offenheit bewahren, sich vor Selbstmitleid und Gejammere hüten. Das geht nur, wenn man sich kurzfristig unabhängig vom Urteil und von der Stimmung der Klasse macht und im Vertrauen auf die Qualität der eigenen Arbeit "durchhält", bis die Motivation der Schüler wieder da ist.

3. Die Therapie

Aus meiner Sicht liegt ein Hauptproblem unseres Schulwesens darin, dass die Schüler qualitativ (Energie, Erfahrung, Denkvermögen, Handlungsbereitschaft) mit einem so hohen Niveau in die Schule kommen, dass man als Einzellehrer ihre legitimen Ansprüche nur mit einem enormen Aufwand befriedigen kann. Bezogen auf meine 11.Klasse bin ich der Meinung, dass meine ganze Arbeitskraft gerade hinreicht, um diese Schüler gut zu bedienen. Andererseits: wer von meinen Kollegen kann sich einen solchen Aufwand leisten?

Es müssten folgende Forderungen erfüllt werden:

  • Der Einzelkampf der Lehrers muss durchbrochen werden. Wenn ich beispielsweise die 11. Klasse im Team mit anderen Lehrern führen würde, wüsste ich, welche Aktivitäten gerade anstehen. Ferner könnte ich Informationen über die allgemeine Stimmung in der Klasse einholen und würde nicht jede Schwierigkeit (aber auch jeden Erfolg) auf mich allein zurückführen.
  • Projekte müssen mit Kollegen geplant und durchgeführt werden. Wenn ich eine Woche lang beispielsweise mit der Deutschlehrerin, dem Englischlehrer und dem Geschichtslehrer ein Projekt über die Renaissance inklusive Exkursion gestalte, dann ist die Arbeit insgesamt viel intensiver, sie hat einen Anfang, eine Klimax und einen Schluss, sie nähert sich dadurch der Struktur des realen Lebens. Die Schüler prägen sich das Erlebte viel besser ein.
  • Über den 45-Minuten-Takt war ich mir bisher nicht ganz schlüssig. In der letzten Zeit stelle ich fest, dass dieser Takt schon sehr störend sein kann: zum Beispiel lasse ich gegenwärtig Plakate anfertigen, auf denen die Etappen unserer Frankreichreise dargestellt werden. Der Fleiß meiner Schüler ist tadellos, aber ihre Arbeit wird immer wieder unterbrochen, weil die Stunde zu Ende ist. Was uns am Stück höchstens 90 Minuten beschäftigt hätte, zieht sich durch die Unterbrechungen des 45-Minuten-Taktes jetzt seit mehr als einer Woche hin. Das gilt nicht nur für die Erstellung von Plakaten, sondern auch für jede längere Arbeit (Kurzreferate, Klassenkorrespondenz usw.). Wird dadurch der oft beklagten Oberflächlichkeit des modernen Lebens nicht Vorschub geleistet?

Diese Forderungen sind natürlich nicht originell. An vielen Schulen werden sie schon erfüllt. Ich glaube, diese Schulen sind auf dem richtigen Weg.


PS. In meinem letzten Kontaktbrief hatte ich ganze Pakete von Selbstbeschreibungen meiner Schüler mitversendet. Die Kollegin Inge Auburger aus Weiden hat mir Texte ihrer Schülerinnen zugeschickt. Daraufhin haben meine Schüler wiederum Kommentare zu den Texten der Weidener Mädchen verfasst. Alle Texte sind in der Homepage zu lesen.

Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 15

Jean-Pol Martin 11.06.1998

Frankreichreise: die Machtübernahme

Nun bin ich aus meiner Frankreichtour zurück.

Anlage meiner Frankreichreisen in der 11.Klasse Damit meine Ausführungen besser verstanden werden, schildere ich kurz Anlage und Zielsetzung der Frankreichrundfahrten, die ich seit etwa 12 Jahren während der Pfingstferien durchführe, wenn ich eine 11.Klasse unterrichte. Die Frankreichtouren (9 Tage: Verdun, Châteaux de la Loire, La Rochelle, Bordeaux, Montpellier, Nîmes, Mulhouse) sollen zum einen einen schönen Abschluss liefern für die Schüler, die Französisch nach der 11.Klasse ablegen, zum anderen Schülern der Parallelklassen, die den Leistungskurs französisch gewählt haben und mich nicht kennen, die Möglichkeit verschaffen, sich mit meinem Stil vertraut zu machen. Da ich Unterstützung brauche, bitte ich stets einige Studenten mitzufahren. Für sie hat es den Vorteil, dass sie Erfahrungen für ihren zukünftigen Beruf sammeln können. Die Grobstruktur der Reise wird von mir festgelegt (Jugendherbergen, eventuelle Führungen vor Ort), alles andere soll von den Schülern bestimmt werden. Dazu werden Schülergruppen mit unterschiedlichen Aufgaben gebildet: die Organisationsgruppe ist zuständig für die Planung und Durchführung der einzelnen Reiseabschnitte, die Bildungsgruppe informiert über die Sehenswürdigkeiten, die Filmgruppe dreht einen Videofilm, die Informationsgruppe gibt Auskunft über die Tagesaktualität, die Animationsgruppe sorgt für Stimmung am Abend und bei längeren Busfahrten.

Das Spezifische an der Reise dieses Jahres: die Schüler wollten ALLES MACHEN Bei den bisherigen Frankreichreisen war ich schon im vorhinein auf einen harmonischen Verlauf gefasst, weil ich die Schüler in der Regel schon länger kannte und es sich vor allem um relativ kleine Gruppen (18 Leute) mit weiblicher Mehrheit handelte. Die diesjährige Gruppe bestand aus insgesamt 30 Leuten mit sehr hohem männlichen Anteil. Ich wusste, dass ich angesichts ihrer Energie und Selbständigkeit Tolles erwarten konnte, fürchtete mich aber vor den Nächten, die erfahrungsgemäß laut werden können, weil die Selbstkontrolle der Schüler am Abend nachlässt. Ich sah mich schon in den Gängen der Jugendherbergen um zwei Uhr nachts stehend und versuchend, meine aufkommende Wut gezielt modulierend zur Einschüchterung einzusetzen. Ferner war ich bei den vorigen Reisen daran gewöhnt, einen Teil der Organisationsaufgaben selbst zu erledigen. Das war bei den vorausgehenden Reisen notwendig, denn die einzelnen Schülergruppen waren relativ klein und mit ihrer Arbeit ausgelastet.

Dieses Jahr kam es anders! Nach zwei Tagen Fahrt wurde mir bei der Abendbesprechung mitgeteilt, dass meine allzudeutliche Steuerung nicht gewünscht war. Vielmehr wollten die Schüler MEHR MACHT! Sie wollten alles selbst erledigen. Beispielsweise die Zimmerverteilungen in den Jugendherbergen sollten nicht von mir - routinemäßig - vorgenommen werden, sondern die Schüler wollten selbst zum Empfang gehen und mit den Herbergsleuten Essenszeit, Zimmerverteilung usw. klären. EIN TRAUM! Ich ging sofort auf diesen Wunsch ein, und der nächste Tag wurde ganz von den Schülern gestaltet. Zwar ergaben sich zunächst kleine Pannen, weil die Schüler übersehen hatten, dass man lange vor der Durchführung des Tages schon alle Abläufe - mit Alternativen - im Kopf geplant haben muss, damit man beim Vorgang selbst variabel reagieren kann, aber sehr bald wurde dieses Problem bewältigt. Bei Unklarheiten oder in besonders schwierigen Situationen baten die Schüler um meinen Rat, ansonsten verlief alles nach Wunsch.

Besonders positiv war aus meiner Sicht, dass sogar das Nachtproblem gelöst wurde. Während ich bei früheren Reisen in der Nacht gelegentlich für Ruhe sorgen musste, wurde bei dieser Reise auch diese Aufgabe von den Schülern übernommen. Zwar wurde ich regelmäßig in der Nacht geweckt, weil Geräusche sich oft nicht vermeiden lassen, aber es war immer eine Freude zu hören, wie die Schüler der Organisationsgruppe die anderen mit "Pschtttt" zum Stillsein ermahnten!

Ein Problem, das sich allmählich stellte, war, dass die Schüler der Organisationsgruppen immer mehr Macht bekamen und sich eine Art Hierarchie herausbildete. Zwar waren Schüler der anderen Gruppen bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen, aber dieses Bedürfnis wurde erst im Laufe der Zeit erkannt und konnte angesichts der kurzen Dauer der Reise nicht mehr befriedigt werden. Bei einer künftigen Reise müsste dafür gesorgt werden, dass die Mitglieder der Organisationsgruppe allmählich als Berater in den Hintergrund treten und andere Schüler zum Organisieren anleiten.

Besonders wirksam aus pädagogischer Sicht scheint mir, dass die Mitglieder der Organisationsgruppe sehr rasch mit den Problemen vertraut wurden, die die Leitung einer Gruppe aufwirft. Durch ihre enge Zusammenarbeit mit mir konnten sie in kurzer Zeit entsprechende Kompetenzen gewinnen.

Fazit: der Biss und der Drang der Schüler nach verantwortungsvoller Aktivität hat mir eine Reise beschert, die ich fast wie ein Märchen erlebt habe. Sie haben die Macht ergriffen und optimal genutzt.


Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 16

Jean-Pol Martin 20.07.1998

Im Anschluss an die Frankreichreise, am ersten Tag nach den Ferien habe ich folgendes Blatt im Unterricht ausgeteilt (ich gebe hier sowohl die deutsche als auch die französische Fassung):

Deutsche Fassung Französische Fassung

EINIGE THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN IM ANSCHLUSS AN UNSERE FRANKREICHREISE (12.06.98) Martin

Im Anschluss an unsere Reise sind mir ein paar Gedanken gekommen, die ich euch vorstellen möchte:

1. Vorbemerkungen: Zunächst stelle ich fest, dass alle meine Annahmen bestätigt wurden. Die Schüler der 11.Klasse (ihr, aber auch alle anderen) sind so weit, dass jeder Lehrer, wenn er nicht über gute Techniken verfügt, überfordert ist. Tatsächlich gibt es kein Fach, in dem mindestens ein Schüler aus der Klasse dem Lehrer nicht überlegen wäre: in eurer Klasse sind mir praktisch alle überlegen in Musik, in Sport, in Mathematik, Physik, Geographie, Biologie, Englisch, usw. Selbst in den Gebieten, in denen ich mich gut auskenne (Geschichte und Literatur), gibt es Leute, die mir tendenziell überlegen sind (Joseph in Geschichte und Bernd und Markus H. in der Erstellung literarischer Texte). Meine Überlegenheit beruht lediglich auf der Tatsache, dass ich viel älter bin und deshalb über mehr Erfahrung verfüge, also über mehr abstrakte Schemata (kognitive Landkarte) und über mehr Distanz. Ich sehe vor allem Strukturen, und erst dann die Menschen.

Das führt oft zu Missverständnissen. Wenn ich ein konkretes Beispiel benutze, meinen die Leute oft, dass ich über sie spreche, während ich nur ein Beispiel liefere, damit jeder versteht was ich meine (z.B. die Kissenschlacht im Bus als Beispiel für Regression). Da ich über mehr Distanz verfüge, kann ich besser unterscheiden zwischen dem, was wichtig ist, und dem, was nebensächlich ist (wenn die Jugendherberge schmutzig ist, seid ihr nicht bedroht! Wenn ich eine alte Krabbe in den Mund stecke, bin ich nicht in Gefahr. Aber wenn der Fahrer schlecht geschlafen hat und schlechte Laune hat, kann es wichtige Auswirkungen auf die Reise haben).


2. Einige Begriffe

2.1 Chaos und Ordnung (Elemente der Systemtheorie):

Wenn man eine Struktur, eine Ordnung aufgebaut hat, die funktioniert, will man sie natürlich behalten. Man will vor allem nicht das Risiko eingehen, bei der Suche nach einer anderen Ordnung dem Chaos zu begegnen. Dies betrifft auch einfache Strukturen, wie beispielsweise die Familie: Vater, Mutter, zwei Kinder. Wenn die Kinder groß werden, muss man die Strukturen änderen, aber meist wollen die Eltern an den bestehenden Strukturen festhalten. Wenn eine Veränderung unabdingbar geworden ist (ein Kind heiratet), versucht man die neue Struktur so nah wie möglich an der bestehenden zu halten (das Kind sollte jemanden heiraten, der den anderen Familienmitgliedern ganz ähnlich ist, d.h. möglichst aus Bayern, aus derselben sozialen Schicht, katholisch...) Aber die Neugestaltung der Struktur ist immer eine Notwendigkeit, weil alle Bestandteile der Struktur sich kontinuierlich verändern: in einer Familie werden die Eltern alt, die Kinder wachsen, die Großeltern sterben, usw. In einer Gesellschaft verändern sich die Produktionsmittel, die Bevölkerung wächst oder sie nimmt ab, die Technologie macht Fortschritte, etc. DIE STRUKTUREN ZU OPTIMIEREN IST ALSO EINE NOTWENDIGKEIT!

Nun enthält jede Neugestaltung ein Risiko, denn sie geht über eine Phase des Chaos, die auch zu einer Regression des Systems führen kann (z.B. das dritte Reich, der Kommunismus im Osten), oder einen Fortschritt (beispielsweise die Machtübernahme in Beaugency und deren Auswirkungen auf unsere Reise). Ausserdem enthält jede Reorganisation eine Phase des Chaos, die man aushalten muss, ohne die Geduld zu verlieren und mit Optimismus (in Beaugency wären einige Schüler gerne zur traditionellen Struktur zurückgekehrt, mit klarer Führung des Lehrers)!

In welchem Maße trifft diese Beschreibung auch auf den Globalisierungsprozess zu, in dem wir uns gerade befinden? (6. Kondratjev)


2.2 Kommunikation (die Gehirnmetapher)

In der Reorganisationsphase, in der wir uns befinden (Globalisierung), sind die intellektuellen Ressourcen aller unabdingbar. In meinem Unterricht, während der Frankreichreise, innerhalb meines LdL-Netzes richte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den Aubau von Strukuren, die uns ermöglichen, alle Ressourcen auszuschöpfen, die in jedem stecken.Deshalb spielt das Konzept der "Andockbarkeit" eine große Rolle in meinem Modell. Um ein einziges Beispiel zu nennen: während der Reise war Claudius stets "andockbar" und konnte der Gemeinschaft ein Maximum an Ressourcen bieten. In der Zukunft, um die Probleme zu lösen, die sich der Menschheit stellen, werden wir die Denkkapazitäten aller benötigen. Dazu wird es notwendig sein, die Kommunikation zwischen den Menschen zu erleichtern. Mein Modell orientiert sich an der Struktur des Gehirns. Jeder von uns lässt sich mit einem Neuron vergleichen, das mit den anderen Neuronen in Verbindung gesetzt werden soll. Die Gasamtheit aller Interaktionen bringt so etwas wie ein Makrodenken hervor. Das Internet ist der konkrete Ort, in dem dieses Denken entsteht. Seit meiner Rückkehrt aus Frankreich habe ich bereits 5 Interaktionen mit Eduard und Martin bezüglich unserer 11 b/c Homepage, nur deshalb, weil Eduard und Martin über einen eMail-Anschluss verfügen. Je mehr Interaktionen zwischen den "Neuronen", desto reichhaltiger wird das globale Denken sein!


2.3 Kreativität, exploratives Verhalten

"Kreativität" wird als Fähigkeit definiert, neue, nützliche Strukturen zu entwickeln, mit denen auftretende Probleme gelöst werden können. Um Innovationen zu entwickeln, also neue Strukturen zu schaffen, muss man bereits existierende Strukturen auf neuartige Weise kombinieren. Dazu muss man bereits viele Schemata in seinem Kopf gespeichert haben. Diese Schemata sind einerseits Ergebnis realer Erfahrungen, andererseits Abläufe, die man nicht wirklich erlebt hat, die man aber in seinem Kopf entwickelt und aus praktischen Gründen wieder verworfen hat, die man aber als Vorrat gespeichert hat. Deshalb ist es günstig, immer wieder Alternativen für die Zukunft zu entwickeln und gegenüberzustellen, selbst wenn man weiss, dass 95% ungenützt bleiben werden. Aber immerhin könnten 5% nützlich sein! Meine Botschaft lautet folglich: seid explorativ, entweder indem ihr reale Reisen durchführt, oder indem in zumindest in ihren Köpfen "reist"!

Französische Fassung

QUELQUES REFLEXIONS THEORIQUES A L’ISSUE DE NOTRE VOYAGE EN FRANCE (12.06.98) Martin

A l’issue de notre voyage il m’est venu quelques idées que je tiens à vous présenter ici:

1. Remarques préliminaires: Tout d’abord je constate que mes hypothèses ont été dans l’ensemble vérifiées. Les élèves de 11e (vous, mais aussi tous les autres) sont tels, que tout professeur, s’il ne dispose pas de bonnes techniques, est dépassé ("überfordert"). En effet, il n’existe aucune spécialité dans laquelle au moins un élève ne soit pas supérieur au professeur: dans votre classe pratiquement tous me sont supérieurs en musique, en sport, en mathématiques, physique, géographie, biologie, anglais, etc. Même dans ma spécialité (histoire, littérature) il y a des élèves qui sont tendenciellement meilleurs que moi (Joseph en histoire, Markus H. et Bernd P. dans la production de textes littéraires).

Ma supériorité réside uniquement dans le fait que je suis beaucoup plus vieux et que j’ai donc plus d’expérience, c’est à dire plus de schémas abstraits (kognitive Landkarte) et de distance. Je vois avant tout les structures et ensuite les personnes. Cela donne souvent lieu à des malentendus. Quand je prends un exemple concret, les gens croient que je parle d’eux, alors que je donne seulement un exemple pour que tout le monde comprenne ce que je veux dire (bataille de polochons dans le car comme exemple de régression). Comme j’ai plus de distance, cela me permet de mieux distinguer ce qui est important de ce qui ne l’est pas (si l’auberge de jeunesse est sale, vous n’êtes pas menacés! Quand je mets un vieux crabe dans ma bouche, je ne cours aucun danger etc. Mais si le chauffeur a mal dormi et est de mauvaise humeur, cela risque d’avoir des répercussions importantes pour le voyage).


2. Quelques concepts:

2.1 Chaos et ordre (éléments de la théorie des systèmes):

Il est évident que quand on a trouvé une structure qui fonctionne, un ordre, on veut le garder. Surtout on ne veut pas risquer de chercher un autre ordre qui pourrait conduire au chaos. Ceci concerne des structures simples, comme par exemple celle d’une famille: Papa, maman, deux enfants. Quand les enfants grandissent, il faut changer les structures, mais en principe les parents résistent à cette nécessité. Si un changement est inévitable (un des enfants se marie), on cherche à ce que la nouvelle structure soit aussi proche possible de l’ancienne (l’enfant doit épouser quelqu’un qui soit semblable aux autres éléments, c’est à dire si possible bavarois, du même milieu social, catholique...) Mais la réorganisation des structures est toujours une nécessité, parce que tous les éléments de la structure sont en continuelle évolution: dans une famille les parents vieillissent, les enfants grandissent, les grands-parents meurent etc. Dans une société les modes de production changent, la population augmente ou diminue, les technologies progressent, etc. DONC IL FAUT TOUJOURS OPTIMISER LES STRUCTURES!

Or chaque réogranisation comporte un risque, car elle passe par une phase de chaos qui peut déboucher soit sur une régression du système (par exemple le 3e Reich, le communisme à l’est), soit sur un progrès (par exemple la prise du pouvoir de Beaugency et les conséquences sur notre voyage). Par ailleurs chaque période de réorganisation comporte des phases de chaos à travers lesquelles il faut passer sans perdre patience et avec optimisme (à Beaugency certains élèves auraient voulu retourner à la structure traditionnelle, où le professeur dirige, plus familière mais complètement stérile)!

Dans quelle mesure cette description s’applique-t-elle également au processus de mondialisation dans laquelle nous sommes engagés? (Le 6e Kondratjev)

2.2 Communication (la métaphore du cerveau)

Dans la phase de réorganisation mondiale dans laquelle nous sommes engagés toutes les ressources intellectuelles de chacun sont indispensables. Pendant mes cours, pendant le voyage en France, à l’intérieur de mon réseau LdL toute mon attention est concentrée sur le développement de structures nous permettant d’utiliser au maximum toutes les ressources de chacun. C’est pourquoi mon concept de disponibilité ("Andockbarkeit") joue dans ma théorie un rôle considérable. Pour ne citer qu’un seul exemple, pendant le voyage, Claudius était constamment disponible et a pu livrer un maximum de ressources à la communauté.

Dans l’avenir, pour régler les problèmes qui se posent dans le monde, nous aurons besoin de l’intelligence de tous. Pour cela il faudra faciliter la communication entre les gens. Mon modèle s’inspire de la structure du cerveau. Chacun de nous est un neurone qu’il faut mettre en communication avec les autres neurones. La somme de toutes les interactions produit une macropensée à l’échelle mondiale. L’internet est le lieu concret de cette pensée. C’est ainsi que depuis notre retour de France j’ai déjà eu 5 interactions avec Eduard et Martin à propos du site de la 11b/c sur internet, uniquement parce qu’Eduard et Martin sont "andockbar" par courrier électronique. Plus il y aura d’interactions entre les "neurones", plus la pensée globale sera riche et de qualité.


2.3 Créativité, attitude explorative

On définit la créativité comme la capacité de développer des structures nouvelles, positives, susceptibles de résoudre des problèmes qui se posent. Pour innover, c’est-à-dire créer des structures inédites, il faut combiner des structures existantes de facon nouvelle. Pour cela il faut avoir enmagasiné beaucoup de schémas dans sa tête. Ces schémas sont d’une part le résultat d’expériences concrètes, d’autre part des modèles qu’on n’a pas réellement vécus, mais qu’on a créés dans sa tête et peut-être rejeté pour des raisons pratiques, mais mis en réserve à tout hasard. C’est pourquoi il est bon de rechercher sans arrêt des alternatives pour l’avenir et de les comparer, sachant évidemment que 95% seront rejetées. Mais 5% de ces modules pourront être utilisés! Mon message est donc: soyez exploratifs, soit en voyageant concrètement, soit en "voyageant" dans vos têtes!


Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 17

Jean-Pol Martin 25.07.1998

Nun ist das Schuljahr 97/98 in der 11. Klasse abgeschlossen. Ich hatte die Schüler zum Schluss gebeten, einige Gedanken zum Thema: "Was mir dieses Jahr gebracht hat" niederzuschreiben, wobei der Text sich nicht unbedingt auf den Französischunterricht beziehen sollte. Ich verfahre nach dem Zufallsprinzip und gebe den Text wieder, der mir als erster abgeliefert wurde. Er kann natürlich nicht als repräsentativ betrachtet werden.

Was hat mir dieses Jahr gebracht ?

Beim Rückblick auf dieses Schuljahr stelle ich fest, dass ich mich um ein besonderes Maß bereichert habe, mehr noch als im konventionellen Unterricht. Das lässt sich im folgenden knapp in vier Punkten formulieren:

1. Interessanter Unterricht. 2. Einblick in das wirkliche Leben 3. Viele Denkanstöße 4. Viel organisatorisches Selbstvertrauen

  • Zum herkömmlichen Unterricht bot mir dieser LdL-gestütze Diskurs eine äußerst interessante und v. a. informative Abwechslung, die ständig von den Ideen von M. Martin bereichert wurden. Auch wenn es einmal Krisen und Missverständnisse gab, haben wir uns mit unserem Lehrer sehr gut verstanden. Der besondere Reiz lag bei dieser Unterrichtsform darin, die eigenen Beiträge mit möglichst hoher Qualität zu präsentieren sowie Selbstverantwortung zu üben.
  • Besonders wertvoll erscheinen mir die Beschreibungen des momentanen und des zukünftigen Berufslebens. Dass die jetzige Arbeitsplatzsituation schlecht aussieht und man daher besondere Kompetenzen entwickeln muss, um bestehen zu können, war mir bereits bekannt. Dass aber die Gesellschaft von morgen eine Dienstleistungsgesellschaft ist, die nicht mehr mit Geld, sondern mit Informationen bezahlt, stellt für mich einen interessanten Denkansatz dar, der durchaus Realität werden kann. Anhand dieser Informationen können wir uns schon jetzt an den Forderungen von morgen orientieren.
  • Im Vordergrund, noch vor dem eigentlichen Französisch, sah ich den Gedankenaustausch. Die Einstellungen und Ideen von M. Martin, Dominik Stahl und anderen waren nicht nur interessant, sondern haben auch meine eigene Sichtweise über diese Welt geprägt. Je mehr Meinungen man zu einem bestimmten Thema erhält, desto besser kann man differenzieren und das Thema kritischer betrachten. Insgesamt stellt dieser Punkt den wichtigsten Erfolg von diesem Schuljahr dar.
  • Für mich persönlich war das markanteste Resultat, dass ich wesentlich selbstsicherer mit der Organisation von Projekten geworden bin. Angefangen von einfacher Unterrichtsvorbereitung über Referate zu Workshops habe ich alles besser im Griff als früher. Das ist auch der Grund, weshalb ich unsere Musikgruppe im Dorf für Weihnachten organisieren kann.

Dieses Schuljahr empfand ich als sehr gelungen, auch wenn die Filmorganisation und –ausführung eher chaotisch verlief. Für die Kollegstufe wünsche ich mir, dass die Effizienz mindestens ebenso hoch ist wie dieses Jahr und dass die Produktivität steigt, indem man verstärkt eine Unternehmerstruktur in den Unterricht einbettet, so wie sie bereits zum Ende dieses Schuljahres in Ansätzen praktiziert worden ist.

1998-2000: C., S., K., M., A.

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Leider wählten die Brüder P. nicht den LK Französisch. Dafür kamen ganz tolle Schüler dazu, wie Kerstin B., A., M. und eine ganze Gruppe recht dynamischer Mädchen.

Noch einmal C.; S.

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Ich habe wiederholt von Claudius Konrad berichtet, weil er zu den Leuten gehörte, die mich wiederum für Schüler und Studenten attraktiv machten. Wenn ich Projekte anbot, so wusste man, dass ein paar weitere spannende Persönlichkeiten automatisch im Paket waren. Später galt es z.B. auch für Michael Kratky und Marina Glaser, um nur zwei zu nennen. Für Schüler, die sich gerne intellektuellen, philosophischen und schöngeistigen Inhalten widmeten, war als Studentin Susanne Felbinger eine ausgezeichnete Adresse. Auch sie war bei fast allen meinen Projekten und Unternehmungen dabei. Ich erinnere mich, dass Sylvia Maile, die immer in die Tiefe einsteigen wollte, mit Susanne Felbinger genau die richtige Ansprechpartnerin hatte, beispielsweise auf der Exkursion nach Aix-en-Provence. Claudius Konrad jedenfalls hatte immer lustige Ideen, unterstützte meine eigenen Initiativen powervoll, war einfach cool! Ebenfalls sehr attraktiv als Persönlichkeit war Sandra Wagner. Zunächst, das muss man zugeben, war sie optisch auffällig hübsch, wiewohl nicht kokett! Auch sie war lustig und dynamisch, allerdings recht ehrgeizig und kritisch. Claudius Konrad und Sandra Wagner waren die Studenten, die zusammentrafen mit meinem Leistungskurs 1998-2000.

Kerstin B. und Michaela Hauf

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Kerstin B. war eine sehr energische, ausdurcksstarke und für mich persönlich extrem stützende Schülerin. Sie gehört zu den Leuten, die man lieber auf seiner Seite als gegen sich hat. Ich habe sie auch als sehr fröhlich erlebt, vor meinem geistigen Auge lacht sie einfach... Sie war natürlich dabei, als ich meine regelmäßige Frankreichtour für Elfklässler durchführte. Erst so lernten wir uns kennen, denn sie war aus der Gruppe von Schülern, die zwar nicht in meiner Elften waren, aber den LK-Französisch belegten und deshalb auf meiner Reise dabei waren, damit sie sich mit meinem Stil vertraut machen. Gleich zu Beginn des Leistungskurses fuhr ich nach Montbéliard, denn Jacques Livchine plante mit seiner "Brigade d'intervention théâtrale" (BIT) eine Straßen-Aktion gegen die Übernahme der Halloween-Sitte in Frankreich. Jacques ist ja der Pionier des Straßentheaters in Frankreich und das war eben eines seiner Happenings. Ich war mit meinem Kleinbus und ein paar Schüler und Studenten angereist. Dabei waren Claudius, Sandra Wagner, Kerstin B., Michaela Hauf und noch eine kleine Abordnung aus der Clique um Verena Schnelle und Karin Heiss. Jacques lud uns wie immer großzügig in sein Gästehaus ein. Wir verkleideten uns als Hexen und Zauberer, indem wir uns aus dem Kleiderasservat des Théâters bedienten, und dann ging es unter Jacques Anleitung mit viel Getöse auf die Straße, wo wir unter Plakaten und Musikinstrumenten, Liedern und Parolen gegen Halloween agitierten. Im Anschluss wurde Livchine von Kerstin interviewt. Ich filmte die ganze Aktion, die didaktisiert von den Schüler auf Fortbildungsveranstaltungen als Workshop angeboten werden sollte. Claudius und Sandra unterstützten mich und waren recht begeistert, glaube ich.

Tatsächlich kam die Dokumentation dieses Spektakels zum Einsatz, als ich von Nando Mäsch, dem Spezialisten für bilingualen Französisch-Unterricht nach Bad Godesberg eingeladen wurde, um mein didaktisches Konzept vorzustellen. Kerstin B. und Michaela Hauf erklärten sich bereit, mich zu begleiten und sie führten auf der Tagung ein Workshop über die Montbéliard-Aktion durch. Das imponierte den Teilnehmern der Veranstaltung, denn sowohl die Inhalte als auch die Vorstellung waren ganz und gar durch Kerstin und Michaela erarbeitet worden. Ein tolles, sehr anspruchsvolles Projekt! Ebenfalls im Leistungkurs stellte Kerstin B. mein anthropologisches Modell im Rahmen des Pädagogischen Tages des Willibald-Gymnasiums in Eichstätt vor. Sie stand mit einem anderen Schüler aus dem Kurs, Ludwig Klam, vor dem ganzen Kollegium und erläuterte die komplexen Inhalte. Die Kollegen kannten Kerstin mit ihrem resoluten Auftreten und waren nicht alle bereit, sich von einer Schülerin "belehren" zu lassen. Entsprechend heftig kritisierten sie die Schülerin, die sich aber sehr kompetent wehrte. Ein großes Erlebnis für mich. Schließlich führten Kerstin und Michaela ein Workshop auf der Tagung der Vereinigung Bayerischer Französischlehrer durch, in dem sie mit den Lehrern Inhalte aus meinem Literaturdurchzieher einübten. Auch das war grandios und kam auch so an! Glücklich der Lehrer, der sich solcher Schülerinnen erfreuen kann!

A. hatte ein distanziertes Verhältnis zur Schule, obwohl er sehr ansprechende Leistungen erbrachte. Aber auf mein Angebot flog er regelrecht, sowohl was LdL angeht als auch bezüglich der Internetbenutzungen. Er erstellte in unzähligen Nachtschichten eine dreisprachige Homepage, die von der Professionalität alles übertraf, was man damals im Netz finden konnte. Dass seine Mitschüler wenig Interesse aufbrachten für dieses Kunstwerk verdross ihn nicht. So bat er sie immer wieder um Fotos, Selbsporträts uns sonstige Materialien, die er nur selten bekam, aber die Seiten wurden trotzdem immer inhaltsreicher und immer schöner. Seine LdL-Präsentationen waren grandios, so beispielsweise seine Vorstellung des Surrealismus, während der er seine Mitschüler bat, Träume als Pantomimen darzustellen, wobei er zur Veranschaulichung auf einen Tisch stieg und von einem zum anderen wanderte. Als der Bundesgrenzschutz sich für die Methode LdL als didaktischer Ansatz für die Fortbildung der Grenzpolizisten interessierte und sie auch einführte, bat ich A. mich nach Öhringen, bei Bad Kissingen zu begleiten, der damaligen Ausbildungszentrale für den Bundesgrenzschutz. Die Polizisten waren so angetan, dass sie Arthur als Referent für mehrere Sitzungen verpflichteten, mit Honorar natürlich. Damals war A. in der 13.Klasse. In den folgenden Tagebucheinträgen wird immer wieder auf die Arbeit von A. zurückgegriffen, der sich in den zwei Jahren als außergewöhnlicher Unterstützer meiner Aktivitäten zeigte. Was aus A. geworden ist, weiß ich nicht. Er befasste sich auch nach dem Abitur sehr intensiv mit meinen Gedanken und Projekten, machte sogar mit, als ich die ersten Schritte in die Richtung des Kurses "Internet- und Projektkompetenz" ging, aber er verließ mich sehr abrupt und radikal, wie es seine Art war, weil er der Meinung war, meine Ankündigungen und Versprechen bezüglich der Qualifikationen, die der Kurs vermittelten, seien Hochstapelei. Damals wollte er nicht akzeptieren, dass man auch unrealistische Ziele anstreben muss, wenn man Großes erreichen will.

Recherchen für Facharbeiten in Paris

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Auch in dieser Klasse wurden die meisten Facharbeiten im Fach Französisch verfasst und wir verbrachten eine Woche in Paris, um die entsprechenden empirischen Untersuchungen durchzuführen. Begleitet wurden wir u.a. durch Astrid Spieß, die inzwischen Französisch in Eichstätt studierte, Claudius Konrad und Sandra Wagner. Sie unterstützten die Schüler bei ihren Recherchen. Klar, dass Astrid Spieß Michaela Hauf coachte, die - wie Astrid ein paar Jahre vorher - sich mit Versailles befasste. Astrid half auch eine Schülerin dazu, Interviewpartner für ihre Arbeit über die Cité Universitaire Internationale in Paris zu gewinnen. Natürlich war auch Barbara Stockmeier in Paris dabei, an ihr Facharbeitsthema erinnere ich mich nicht mehr. In der Metro wurden wir von Risos geführt (nicht ganz professionell) und Anita Hiermeier sorgte wie immer für Stimmung. Die beiden schrieben zwar ihre Facharbeiten nicht in Französisch, aber sie hatten die Gelegenheit ergriffen, um eine Woche in Paris zu verbringen. Ihr Hauptziel war es, Karten für die Internationalen Tennisspiele in Roland Garros zu erkämpfen, und das gelang den beiden auch.