Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2022-2023)/Teil I/Vorlesung 7/Referenzabgleich

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{{Referenzauflistung|7|



In der vorletzten Vorlesung haben wir uns zuerst mit dem Zählen in dem Sinne beschäftigt, dass auf eine natürliche Zahl eine eindeutig bestimmte natürliche Zahl, nämlich ihr Nachfolger, folgt. In dieser und den folgenden Vorlesungen werden wir sehen, dass diese Eigenschaft die natürlichen Zahlen auszeichnet und dass man alle anderen Eigenschaften der natürlichen Zahlen, wie beispielsweise die Rechengesetze, letztlich darauf zurückführen kann. Auf dieser Eigenschaft der natürlichen Zahlen beruht auch das Beweisprinzip der vollständigen Induktion.


In den natürlichen Zahlen kann man addieren, multiplizieren, potenzieren, teilweise abziehen, es gibt die Größergleich-Relation, die Teilbarkeit, usw. Man kann sich nun fragen, welche Abhängigkeiten

zwischen diesen mathematischen Strukturen bestehen und ob man manche davon auf andere, grundlegendere Strukturen zurückführen kann. Dies führt zum axiomatischen Aufbau der natürlichen Zahlen. Dies ist lediglich eine weitere Präzisierung des Zählvorgangs in der Sprache der Mengen und Abbildungen.



| - |Definition|Definition|Zahlentheorie/Peano-Axiome/Definition|

Man mache sich klar, dass diese Bedingungen den Bedingungen der vorletzten Vorlesung entsprechen. Dabei ist die jeweilige Menge, bezeichnet die Nachfolgerabbildung und das Startsymbol

Jedes Dedekind-Peano-Modell sieht ähnlich aus wie eine der dort aufgelisteten Möglichkeiten. Das heißt, dass die natürlichen Zahlen durch das natürliche Zählen bestimmt sind. Zählen heißt, von einem Startwert ausgehend, nach und nach einen Schritt

weiterzuzählen. Das Zählen ist also fundamentaler als eine bestimmte Benennung von Zahlen. Eine natürliche Zahl repräsentiert, wie oft bis zu ihr gezählt werden musste.

Die erste Eigenschaft legt den Start fest. Die zweite Eigenschaft besagt, dass wenn zwei Zahlen verschieden sind, dann auch die beiden jeweiligen Nachfolger verschieden sind. Die dritte Eigenschaft, die man auch das nennt, besagt, dass wenn man bei anfängt und keinen einzelnen Zählvorgang auslässt, dass man dann vollständig alle natürlichen Zahlen abzählt.

Es sei erwähnt, dass solche Überlegungen, die natürlichen Zahlen grundlegend zu begründen, manchmal eher verwirrend als hilfreich sein können. Statt des intuitiven Zählens arbeiten wir mit den abstrakten Konzepten Mengen, Abbildungen, Injektivität. Bei den natürlichen Zahlen ist es erfahrungsgemäß nicht gefährlich, der Zähl-Intuition zu vertrauen und mit einer naiven Vorstellung davon zu arbeiten


Wir benennen explizit die intellektuelle Leistungen, die durch die axiomatische Fixierung der natürlichen Zahlen erbracht wird.


In einem Dedekind-Peano-Modell gibt es die untereinander verschiedenen Elemente

Hier stehen also alle Elemente, die von aus in endlich vielen Schritten

erreicht werden können

Das Induktionsaxiom sichert, dass dies bereits alle Elemente des Modells sind. Die angegebene Teilmenge enthält ja die und mit jedem Element auch deren Nachfolger, also ist es die Gesamtmenge.

Ausgehend von den Peano-Axiomen kann man eine Addition auf der Menge der natürlichen Zahlen definieren, wobei die Nachfolgerfunktion der Addition mit

entspricht. Die Definierbarkeit beruht selbst auf dem Induktionsprinzip. Ebenso kann man eine Multiplikation definieren und die üblichen Eigenschaften wie Kommutativität und Assoziativität nachweisen. Dies werden wir in den nächsten Vorlesungen ausführen.


Wir wollen zeigen, dass je zwei Modelle für die Dedekind-Peano-Axiome sind, dass es also zwischen ihnen eine strukturerhaltende Bijektion gibt. Man stelle sich beispielsweise einerseits das Strichmodell, andererseits das Dezimalzahlmodell der natürlichen Zahlen vor, die beide mit ihren Nullen und ihrer Nachfolgerabbildung die Dedekind-Peano-Axiome erfüllen. Dann gibt es bereits, und zwar allein aufgrund der Tatsache der Dedekind-Peano-Axiome, eine eindeutige Entsprechung zwischen diesen beiden Mengen. Eine Strichfolge entspricht also eindeutig einer Zahl im Dezimalsystem.


Strichsystem Zehnersystem Dreiersystem Eurosystem

Die Entsprechung in der Tabelle entsteht dadurch, dass man in jeder Spalte unabhängig voneinander im jeweiligen System

zählt.


| x|Fakt|Satz|Natürliche Zahlen/Zählen/Nachfolgerabbildung/Isomorphie/Fakt|


Es gibt also im Wesentlichen, d.h. wenn man von den Benennungen absieht, genau eine Menge von natürlichen Zahlen. Für das im Wesentlichen eindeutig bestimmte Modell der Dedekind-Peano-Axiome verwenden wir das Symbol und sprechen von den

Es sei bemerkt, dass die Konstruktion der bijektiven Abbildung zwischen zwei Modellen im Beweis zu Satz 7.2 über den Nachfolger für praktische Zwecke nicht gut geeignet ist. Wenn man von einer natürlichen Zahl, die im Zehnersystem gegeben ist, die Darstellung im Dreiersystem ausrechnen möchte, so müsste man gemäß dieser Methode im Dreiersystem so lange zählen, wie es die im Zehnersystem gegebene Zahl vorgibt. Da gibt es deutlich effektivere Methoden, die wir später kennenlernen werden.


Die natürlichen Zahlen sind dadurch ausgezeichnet, dass man jede natürliche Zahl ausgehend von der durch den Zählprozess

erreichen kann. Daher können mathematische Aussagen, die von natürlichen Zahlen abhängen, mit dem Beweisprinzip der bewiesen werden. Das folgende Beispiel soll an dieses Argumentationsschema heranführen. Um dieses Beweisprinzip anhand von substantiellem Material demonstrieren zu können, greifen wir etwas vor und setzen die Addition, die Multiplikation und die Größergleichrelation von natürlichen Zahlen voraus.

| x |Beispiel|Beispiel|Ebene/Geraden/Schnittpunktanzahl/Beispiel|

Wir betrachten in der Ebene eine Konfiguration von Geraden und fragen uns, was die maximale Anzahl an Schnittpunkten ist, die eine solche Konfiguration haben kann. Dabei ist es egal, ob wir uns die Ebene als einen

oder einfach elementargeometrisch vorstellen, wichtig ist im Moment allein, dass sich zwei Geraden in genau einem Punkt schneiden können oder aber parallel sein können. Wenn klein ist, so findet man relativ schnell die Antwort.

Doch schon bei etwas größerem

kann man ins Grübeln kommen, da man sich die Situation irgendwann nicht mehr präzise vorstellen kann. Aus einer präzisen Vorstellung wird eine Vorstellung von vielen Geraden mit vielen Schnittpunkten, woraus man aber keine exakte Anzahl der Schnittpunkte ablesen kann. Ein sinnvoller Ansatz zum Verständnis des Problems ist es, sich zu fragen, was eigentlich passiert, wenn eine neue Gerade hinzukommt, wenn also aus Geraden Geraden werden. Angenommen, man weiß aus irgendeinem Grund, was die maximale Anzahl der Schnittpunkte bei Geraden ist, im besten Fall hat man dafür eine Formel. Wenn man dann versteht, wie viele neue Schnittpunkte maximal bei der Hinzunahme von einer neuen Geraden hinzukommen, so weiß man, wie die Anzahl der maximalen Schnittpunkte von Geraden lautet.

Dieser Übergang ist in der Tat einfach zu verstehen. Die neue Gerade kann höchstens jede der alten Geraden in genau einem Punkt schneiden, deshalb kommen höchstens neue Schnittpunkte hinzu. Wenn man die neue Gerade so wählt, dass sie zu keiner der gegebenen Geraden parallel ist

und ferner so wählt, dass die neuen Schnittpunkte von den schon gegebenen Schnittpunkten der Konfiguration verschieden sind

so erhält man genau neue Schnittpunkte. Von daher ergibt sich die

Formel

bzw.

also einfach die Summe der ersten natürlichen Zahlen.


Im vorstehenden Beispiel liegt eine Summe vor, wobei die Anzahl der Summanden selbst variieren kann. Für eine solche Situation ist das sinnvoll. Für gegebene reelle Zahlen bedeutet

Dabei hängen im Allgemeinen die in einer formelhaften Weise von ab, beispielsweise ist im Beispiel

es könnte aber auch etwas wie

oder

vorliegen. Der te Summand der Summe ist jedenfalls dabei nennt man den des Summanden. Entsprechend ist das definiert, nämlich durch


| - |Beispiel|Beispiel|Natürliche Zahlen/Aufaddieren/Induktion/Schnittpunkte/Motivation/Beispiel|

Wir möchten für die Summe der ersten Zahlen, die die maximale Anzahl der Schnittpunkte in einer Konfiguration aus Geraden angibt, eine einfachere Formel angeben. Und zwar behaupten wir, dass

Für kleinere Zahlen stimmt dies aus dem einfachen Grund, dass links und rechts dasselbe herauskommt. Um die Gleichung allgemein zu beweisen, überlegen wir uns, was links und was rechts passiert, wenn wir das um erhöhen, so wie wir in Beispiel 7.3 die Geradenkonfiguration um eine zusätzliche Gerade verkompliziert haben. Auf der linken Seite kommt einfach der zusätzliche Summand hinzu. Auf der rechten Seite haben wir den Übergang von nach Wenn wir zeigen können, dass die Differenz zwischen diesen beiden Brüchen ebenfalls ist, so verhält sich die rechte Seite genauso wie die linke Seite. Dann kann man so schließen: die Gleichung gilt für die kleinen etwa für

Durch den Differenzenvergleich gilt es auch für das nächste also für

durch den Differenzenvergleich gilt es für das nächste u.s.w. Da dieses Argument immer funktioniert, und da man jede natürliche Zahl irgendwann durch sukzessives Nachfolgernehmen erreicht, gilt die Formel für jede natürliche Zahl.



Die folgende Aussage begründet das Prinzip der vollständigen Induktion ausgehend von den Dedekind-Peano-Axiomen. Wir schreiben für den Nachfolger von

| -|Fakt|Satz|Zahlentheorie/Beweisverfahren/Induktionsprinzip/Fakt|


Der Nachweis von

heißt dabei der  und der Schluss von  auf  heißt der  oder  Innerhalb des Induktionsschlusses nennt man die Gültigkeit von  auch die  In manchen Situationen ist die Aussage  erst für

für ein gewisses

wahr. Dann beweist man im Induktionsanfang die Aussage und den Induktionsschritt führt man für alle

durch.





Wir begründen nun die Gleichheit

mit dem Induktionsprinzip.

Beim Induktionsanfang ist

daher besteht die Summe links nur aus einem Summanden, nämlich der und daher ist die Summe Die rechte Seite ist

so dass die Formel für

stimmt.

Für den Induktionsschritt setzen wir voraus, dass die Formel für ein

gilt, und müssen zeigen, dass sie dann auch für gilt. Dabei ist beliebig. Es ist

Dabei haben wir für die zweite Gleichheit die Induktionsvoraussetzung verwendet. Der zuletzt erhaltene Term ist die rechte Seite der Formel für also ist die Formel bewiesen.

Aussagen, die durch Induktion bewiesen werden können, können manchmal auch auf andere Art bewiesen werden, siehe beispielsweise Aufgabe 7.17.


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