Projekt:Dresdner Subkultur/Techno

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11.10.2019 , Wie die Techno-Szene den Osten eroberte

Der „goldene Westen“ versprach maximale Freiheit und Selbstentfaltung. Doch die fanden nach der Wende viele junge Ostdeutsche in der Techno-Szene.

Von Daniel Krüger

Im Neonlicht sind alle gleich: Im Osten wurden Technoclubs nach der Wende schnell zum Refugium für junge Menschen.


Ein Uhr dreißig, Samstagnacht. Auf dem ehemaligen Schlachthofgelände im Münchner Norden wummern die Bässe. Hier, auf dem Gelände des 2015 eröffneten Technoclubs Bahnwärter Thiel, befindet sich ein wahrer Erlebnisspielplatz für Erwachsene. In einer Halle aus mit bunten Graffiti besprühten Containern, in der ein riesiger Kronleuchter von der Decke hängt, tanzen Hunderte vorwiegend junger Menschen zu treibendem Techno.

Wer es sanfter mag, trifft sich in einem ausrangierten S-Bahn-Waggon im Außenbereich. Was einst eine Fahrerkabine war, dient nun als DJ-Pult, auf abgewetzten Vierersitzen darf melodiöser House-Musik gelauscht werden. „Das ist der einzige geile Ort zum Feiern in München“, erzählt ein junger Mann mit Roger-Cicero-Hut und halboffenem Hawaii-Hemd. Die Stadt sei ihm zu spießig. Viel lieber wäre er in Berlin, wo es „richtig abginge.“

Authentizität, intensiver Genuss, Weg vom Kommerz Wenige Wochen später an einem anderen Samstag im Berliner „Mensch Meier“, einem jener Sehnsuchtsorte. An der viel befahrenen Storkower Straße im unschicken Osten des Prenzlauer Bergs mischen sich Autowerkstätten mit Tierfuttergeschäften und Billigimbissen.

Doch betritt man das bunte Gelände auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Arbeitsamts, könnte man kaum einen Unterschied zum Bahnwärter Thiel ausmachen. Nur ein wenig schmutziger ist es im ausgelagerten Bahnwaggon des Mensch Meier, der Geruch von Cannabis kaum zu ignorieren.

Für Martin, der aus Brandenburg kommt, in Bayreuth studiert hat und jetzt als Informatikberater arbeitet, ist der Ort trotzdem entscheidend. „Bevor ich angefangen habe zu arbeiten, habe ich über ein Jahr wieder bei meinen Eltern gewohnt“, erzählt er. „Da habe ich die Berliner Atmosphäre eingeatmet, mich teilweise sogar verloren.“

Berlin ist für Martin das „Freieste, was du erleben kannst.“ Noch mal in den Westen ziehen? „Niemals. Da klappen die Bürgersteige um acht hoch, die Gesellschaft ist viel zu konservativ. Berlin ist dreckig, und das ist charmant.“

Fühlt sich in der Berliner Szene am wohlsten: Martin aus Brandenburg.

Diese Anziehungskraft verspüren immer mehr junge Menschen. Rund drei Millionen Touristen kamen im vergangenen Jahr zum Feiern in die Hauptstadt, etwa 1,48 Milliarden Euro brachten sie mit. Doch auch wenn Clubs wie das Berliner Berghain schon länger Kultstatus haben: Wirklich in die Mitte der jungen Gesellschaft ist Techno erst in den vergangenen Jahren gerückt.

Nachdem in den 2000er-Jahren die alternative Rockszene Massen an jungen Erwachsenen anzog, um schließlich vom Zeitalter der Bling-Bling-Shirts und Komasäufer abgelöst zu werden, steht nun eine neue Bescheidenheit auf der Agenda. Dabei geht es mehr um Sein als um Schein. Die junge Republik tanzt heute vermehrt in alten Holzverschlägen, trinkt Biobier auf löchernen Ledersofas und pustet den Rauch selbstgedrehter Zigaretten in unsanierte Industriehallen.

Authentizität, Nachhaltigkeit, intensiver Genuss, weg vom Kommerz. Dieses Konzept haben mittlerweile auch international viele Diskotheken für sich entdeckt, sei es im hippen New Yorker Stadtteil Williamsburg, in den Studentenvierteln Oslos oder auf Bali.

Simon (links) und Patrick, die Betreiber des Technoclubs Sektor R(Evolution) in Dresden.

Doch was meist nur absolute Szenekenner wissen: Die Geschichte des Techno ist eine genuin Ostdeutsche. Sie begann, gerade als Ulrich Gutmair im Spätsommer 1989 vom beschaulichen bayerischen Dillingen zum Studium nach Westberlin zog. „Ich fand es spannend, dass offensichtlich etwas im Umbruch ist“, erzählt der Autor des Buches „Techno – Der Sound der Wende“.

Drei Wochen später fiel die Mauer. „In Mitte haben sich plötzlich ganz verschiedene Leute versammelt, heruntergekommene Altbauten besetzt und kleine Partys geschmissen.“ Darunter seien alle Gesellschaftsschichten gewesen: „Arztkinder aus dem Westen, die dem Militärdienst entkommen wollten, die ost- und westdeutsche Künstlerszene, Punks, Brandenburger Kids.“

Schnell wurde es Techno, der mit seiner „Peace, Love & Harmony“-Einstellung sowohl unterschiedlichste Persönlichkeiten als auch die verschiedenen elektronischen Musikstile der 80er-Jahre zusammenführte. Und eigentlich zuerst in Frankfurt Erfolge feierte, wie Patrick Eisermann, Mitbetreiber des Dresdner „Sektor (R)evolution“ erzählt.

Schutz suchen im Bunker

„Die Leute sind in den Westen gereist, haben erzählt, was da abging, und das fanden wir richtig gut. Aus DDR-Zeiten kannten wir ja mehr so die Dorfdiskos, in denen um zwei Uhr Schluss war,“ sagt er. Eisermann, davor Punk, kaufte sich mit Freunden eine Anlage, besetzte verschiedene heruntergekommene Altbauten und veranstaltete monatliche Partys. „Es gab einfach keine festen Strukturen und Gesetze, man konnte mit den Behörden alles mündlich klären. Gleichzeitig überall Leerstand, die Fabriken mussten schließen.“

Diesem Umstand ist es laut Gutmair auch zu verdanken, dass die Techno-Szene heute noch so viel Wert auf ausgefallene Kulissen und besondere Orte lege. „Außen war der Stress, die Unsicherheit im politischen System, viele Arbeitslose. Die jungen Ostdeutschen konnten einfach ihren Alltag vergessen und abtauchen. Dieses Gefühl will man heute innerhalb von Bunkern in geschlossener Gesellschaft nachstellen.“

Im „Sektor (R)evolution“ hingegen wird – anders als in vielen Berliner Clubs – niemand an der Tür abgewiesen, weil er keine szenetypische Kleidung trägt. „Die Clubszene ist mittlerweile sehr politisiert. In den Anfangsjahren ging es darum, dass du einen Schutzraum hattest, in dem du alles hinter dir lassen konntest, egal, wie du aussahst, was für eine Gesinnung du hattest“, sagt Eisermanns Freund und Geschäftskollege Simon Grothe, der lieber auf den Namen Tim hört.

Eine der Tanzflächen des Sektor (R)Evolution

Grothe, selbst Westberliner, kam 1998 nach Dresden. In Berlin erlebte er, wie die wilde Szene professioneller wurde. „Irgendwann haben die Investoren auch in Dresden angefangen zu bauen, es gab immer wieder weniger Freiräume“, sagt er. So kam es, dass sich das vierköpfige Team 2007 entschloss, auf dem Areal am Bahnhof Industriegelände einen festen Club zu errichten.

Darauf, dass sie die Anfangsatmosphäre des Nachwendetechnos bewahren wollen, sind Grothe und Eisermann stolz. Immer von Dienstag bis Freitag verändert das Team, teils in Zusammenarbeit mit Studentengruppen, die kompletten Kulissen. Je nach Motto bauen sie koreanische Panzer aus Holzpaletten, begrünen die Tanzfläche oder stellen alte Möbel aus den 60er-Jahren im Außenbereich auf.

In Zeiten digitaler Vernetzung und virtueller Realität wirkt diese manuelle Detailverliebtheit wie ein Relikt vergangener Zeiten. Und doch geht Gutmair davon aus, dass sich in der Techno-Szene wenig ändern wird. „Wenn keine Partei kommt, die das mutwillig zerstören will, wird das ewig so weitergehen“, sagt der taz-Kulturredakteur.

Die Drogen werden zum Problem

Gleichzeitig stieß die Techno-Szene im Westen, besonders in Süddeutschland, von Anfang an auf starken Widerstand der Behörden. Besonders der weit verbreitete Konsum von Rauschmitteln in der Szene führte vor allem in Bayern schnell zu Razzien und Clubschließungen.

So waren gerade einmal acht Monate nach Neueröffnung vergangen, als im Februar 2017 während einer Party 70 Spezialkräfte der fränkischen Polizei den Technoclub „Waschsalon“ in Nürnberg stürmten. Mit vier Hunden im Schlepptau durchsuchten die Beamten das Gebäude, Barpersonal wurde gezwungen, sich im Hinterzimmer komplett auszuziehen, 16 der 170 anwesenden Gäste hatten schließlich kleinere Mengen Drogen dabei, eine Person wurde wegen Handelns mit Betäubungsmitteln angezeigt. Trotz der eher mageren Bilanz wertete die Polizei den Einsatz als Erfolg.

Das harte Vorgehen der Beamten wurde innerhalb der Szene auch als Kriegserklärung an die Techno-Gemeinde bewertet. In diesem Zusammenhang sorgte auch eine Äußerung des stellvertretenden Leiters des Ordnungsamts der Stadt, Robert Pollack für deutschlandweiten Aufruhr.

Der schlug in einem Interview mit den Nürnberger Nachrichten vor, in der sogenannten „Afterhour“ für mehr Beleuchtung in den Clubs zu sorgen und sogar auf das Spielen von Techno zu verzichten. Ein Affront, ist die Afterhour, also das Tanzen und Feiern nach Sonnenaufgang bis in die Mittagsstunden, für Liebhaber jener Veranstaltungen geradezu elementar.

Optische Spielereien gehören fest zum Inventar der meisten Technoclubs.

„Ich denke, dass im Süden Deutschlands einfach traditionell viel härter gegen Drogen vorgegangen wird“, sagt der gebürtige Schwabe Gutmair. „Dort ist es üblich, jeden Kiffer zu jagen, während sich Leute ein paar Meter daneben, einfach gesagt, totsaufen können. Das eine ist dann Tradition, das andere strafbar“.

In Berlin habe die Polizei ein anderes Bild der Technoszene, in der schon seit den 90ern gehäuft Aufputschmittel wie Amphetamine oder Ecstasy konsumiert werden. „Die Behörden haben auch durch die lange Zeit, in der sich die Szene frei entwickeln konnte, gelernt, dass viele Clubs selbst daran interessiert sind, dass in ihrem Laden keine Aggressivität herrscht, dass alles unter Kontrolle ist, nichts eskaliert“, erklärt Gutmair. Die Polizei wolle, dass es halbwegs gesittet zugehe, und wende sich seiner Einschätzung nach dann beruhigt wichtigeren Aufgabenbereichen zu.

"Genauso wichtig wie Frauenkirche und Schauspielhaus"

Zurück im Bahnwärter Thiel, wo sich ein weiterer junger Mann ins Gespräch eingeschaltet hat. Marcel, Politikstudent aus Berlin, absolviert gerade ein Praktikum in München. Er habe selbst länger in Bayern gelebt, plane auch mittelfristig seine Zukunft hier. „Ich finde es gut, dass hier auf Ordnung geachtet wird“, sagt der junge Mann mit einem freundlichen Lächeln. „Diese ganzen Hipster, die sich in Berlin für absolut das Größte halten, gehen mir total auf die Nerven.“

Trotzdem sei auch er gerne in den bekannten Clubs der Hauptstadt wie etwa dem „Sisyphos“ unterwegs. „Ich kann überall feiern - auch ohne Drogen. Alleine die Musik versetzt mich in einen Rausch“, sagt er und verschwindet hinter einem Vorhang auf der Tanzfläche. Dass es bei elektronischer Musik um mehr geht als um stumpfen Drogenkonsum, bestätigt auch Clubbetreiber Grothe. „Wir sind eine kulturelle Einrichtung, ein öffentlicher Ort.


Wir veranstalten Theater und Kinderfeste, richten Kunstausstellungen aus, beschränken uns auch musikalisch nicht nur auf Techno“, sagt er. Für ihn und seinen Kompagnon gehören die bunten Spielwiesen für Erwachsene längst zum Kulturbetrieb dazu. „Hier in Dresden gehen mittlerweile auch Politiker in Technoclubs“, sagt Grothe.

„Wir sind keine Subkulturnische mehr, sondern genauso wichtig wie Schauspielhaus, Semperoper oder Frauenkirche“, fügt Eisermann hinzu. Er ist überzeugt davon, dass es auch für die Bewerbung Dresdens zur Kulturhauptstadt 2025 durchaus relevant wird, ob Stadt und Freistaat gewillt sind, auch die elektronische Musikszene ausreichend zu würdigen und zu fördern.

60+ Stunden Wochen

Dass sich Techno-Clubs oft nur schwer halten können, hat auch mit einer anderen Struktur als in herkömmlichen Diskotheken zu tun. Die meisten Betreiber verzichten bewusst auf Sponsoren, stecken viel Energie in die Gestaltung ihrer Räumlichkeiten. Gleichzeitig sind ihre Einnahmen geringer, weil weniger Gäste große Mengen Alkohol konsumieren.

„In einem guten Club kann man seine Flasche problemlos am Wasserhahn auffüllen“, sagt Autor Gutmair und lacht. Für Patrick Eisermann ist der Club-Betrieb noch immer ein Traumjob. „Ich würde vermutlich deutlich mehr Kohle verdienen, wenn ich einen normalen nine-to-five-Job machen würde“, sagt er. Obwohl das vierköpfige Sektor-Team sechs Tage die Woche arbeitet und der Tag häufig zehn Stunden oder länger hat, wollen sie nicht aufgeben.

Zwar sei es, auch wegen der Wochenendarbeit, schwierig mit der Vereinbarkeit von Partnerschaft, Familie und Beruf. „Wir kommen mit dem Eintritt gut über die Runden. Der Rest ist einfach pure Leidenschaft“, sagt Eisermann. Eine Einstellung, die alle in der Szene zu einen scheint, Veranstalter wie Gäste. Euphorisiert reißt Martin in Berlin die Hände in die Luft, stampft mit den Füßen auf dem Boden. Die Nacht ist noch jung.

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