Seminararbeit: Ambidextrie bei Toyota

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Dieses Projekt gehört zum Fachbereich Betriebswirtschaftslehre.

Unter dem Begriff Ambidextrie wird im Allgemeinen die Beidhändigkeit verstanden. Dieser Wikiversity Artikel behandelt das Thema organisationale Ambidextrie im Zusammenhang mit Toyota.

Projekt
Projekttitel Seminar Ambidextrie bei Toyota
Ansprechpartner Steffen Schaffhausen
Laufzeit Mai 2010 – Juni 2010
Kurzbeschreibung
Diese Seminararbeit beschäftigt sich mit der organisationalen Ambidextrie bei Toyota. Dabei werden Formen der Ambidextrie erläutert und die Kultur der Widersprüche bei Toyota, welche die Ambidextrie bei Toyota ermöglicht, erläutert.

Prezi Präsentation[Bearbeiten]

http://prezi.com/txei2pjixyzz/

Schriftliche Ausarbeitung[Bearbeiten]

"Be at the vanguard of the times through endless creativity, inquisitiveness and pursuit of improvement" (Sakichi Toyoda)[1]

Einleitung[Bearbeiten]

Seit Taylor ist bekannt, dass durch einheitliche Prozesse die Effizienz in der Produktion, bei der Abwicklung und sonstigen Unternehmenstätigkeiten erhöht wird. Dabei verhindert die konsequente Weiterentwicklung dieser Prozesse die Entwicklung von neuen Kompetenzen und die Expansion auf neue Märkte. Dies führt zu Organisationen, welche langfristig den Veränderungen aus der Umwelt nicht gewachsen sind. Um jedoch wettbewerbsfähig zu bleiben ist diese Effizienz unverzichtbar. Toyota, als eines der bedeutendsten Unternehmen der Welt, schafft es einerseits überdurchschnittlich effizient zu sein und anderseits in kurzer Zeit neue Produkte entwickeln zu können und dient somit als Vorbild für viele andere Unternehmen. Dabei hat das Toyota Produktionssystem eine enorme Bedeutung für den Erfolg des Unternehmens, wobei dieses nach Takeuchi, Osono und Shimi keinesfalls allein dafür verantwortlich ist.

Aufbau der Seminararbeit[Bearbeiten]

Die Seminararbeit gliedert sich in vier Kapitel. Nach der Einleitung folgt ein Grundlagenteil, in welchem eine Einordnung und verschiedene Definitionen der Ambidextrie gegeben sowie unterschiedliche Formen von ihr beschrieben werden. In dem Kapitel Ambidextrie bei Toyota, werden zum einen die Rolle des Toyota Produktionssystem und zum anderen die Kultur der Widersprüche bei Toyota beschrieben, welche Toyota ermöglicht eine ambidextere Organisation zu sein. Im Schlussteil wird in dieser Seminararbeit eine kritische Auseinandersetzung mit der "Ambidextrie bei Toyota" durchgeführt.

Zielsetzung der Seminararbeit[Bearbeiten]

Zielsetzung dieser Arbeit ist es die Umsetzung der Ambidextrie bei dem Automobilhersteller Toyota zu beschreiben. Dabei werden zunächst die Grundlagen zu dem Themenfeld der Ambidextrie vermittelt. Auf eine ausführliche Beschreibung des Toyota Konzerns und seinem Toyota Produktionssystem wird verzichtet, da diese in parallelen Seminararbeiten ausführlicher betrachtet werden.

Grundlagen zur Ambidextrie[Bearbeiten]

In diesem Kapitel werden die Grundlagen zum Thema Ambidextrie vermittelt. Dabei wird mit einer allgemeinen Begriffsklärung und einer Einordnung der Ambidextrie begonnen. Auf die Auseinandersetzung der Begriffe Exploitation und Exploration werden verschiedene Formen der Ambidextrie voneinander abgegrenzt.

Die Begriffe Ambidextrie, Exploitation und Exploration[Bearbeiten]

In dieser Begriffsklärung werden verschiedene Definition zu den Begriffen Ambidextrie, Exploration und Exploitation vorgestellt und zusammengefasst. Zu bemerken ist, dass keiner dieser Begriffe scharf abzugrenzen und auch innerhalb dieser Arbeit immer in dem jeweiligen Kontext zu betrachten ist. Der Begriff der organisationalen Ambidextrie bzw. der ambidexteren Organisation wird seit Duncan 1976 verwendet. Seitdem unterliegt der Begriff unterschiedlichen Definitionen, welche im Kern sehr ähnlich sind. So definieren Raisch und Birkinshaw die organisationale Ambidextrie als eine organisatorische Fähigkeit, um ausgerichtet und effizient bei den heutigen betriebswirtschaftlichen Belangen und gleichzeitig anpassungsfähig hinsichtlich Umweltveränderungen zu sein. Nach O'Reilly III und Tushman ist die Ambidextrie die Fähigkeit eines Unternehmens gleichzeitig forschen (Exploration) und optimieren (Exploitation) zu können, um langfristig anpassungsfähig zu sein. Berufend auf March und Levinthal wird von anderen im Zusammenhang der organisationalen Ambidextrie die Beziehung von Exploitation und Exploration in den Vordergrund gestellt. Die Exploration umfasst dabei Tätigkeiten wie Suche, Variation, Risikoaufnahme, Experimentieren, Spielen, Flexibilität, Entdecken und Forschen, wohingegen der Ausdruck Exploitation Tätigkeiten wie Verfeinerung, Optimierung, Selektion, Implementierung und Ausführung mit einschließt. Dabei besteht innerhalb der aktuellen Forschung neben der Handhabung des Zielkonfliktes zwischen Exploitation und Exploration die Frage, ob Ambidextrie überhaupt erreichbar ist und wann sie zu dem nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens beiträgt.

Einordnung der organisationalen Ambidextrie[Bearbeiten]

Die organisationale Ambidextrie, als eigenständiges Themenfeld in der Betriebswirtschaftslehre, ist im Bereich der Organisationstheorie anzusiedeln und lässt sich aus den Perspektiven des Organisationalen Lernens, der technologischen Innovationsforschung, der organisationalen Anpassungsforschung, dem strategischen Management, der Organisationsdesignforschung und dem Wissensmanagement betrachten. Zur Verwirklichung der Ambidextrie werden unterschiedliche Ansätze verfolgt. So wird im Allgemeinen zwischen der strukturellen Ambidextrie, der kontextabhängigen Ambidextrie und der Ambidextrie durch abgestimmte Unternehmensführung unterschieden und im Speziellen weitere Formen der Ambidextrie.

Balance zwischen Exploitation und Exploration[Bearbeiten]

In der Literatur herrscht inzwischen weitestgehend Einigkeit darüber, dass die organisationale Ambidextrie, oder zumindest die Balance zwischen Exploitation und Exploration, essentiell für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens ist. Das Problem der richtigen Balance zwischen Exploitation und Exploration stellt sich als die Entscheidung zwischen der Optimierung von bestehenden Technologien und der Erforschung von neuem Wissen dar. Da Exploitation und Exploration somit um knappe betriebliche Ressourcen konkurrieren, treffen Organisationen eine Wahl zwischen beiden, welche durch zwei Aspekte charakterisiert ist. Die explizite Wahl hängt von den kalkulierten Entscheidungen über alternative Investitionen und den Wettbewerbsstrategien ab, wohingegen die implizite Wahl von den unterschiedlichen Eigenschaften der organisatorischen Form und den Eigenarten, wie Probleme gelöst, Innovationen belohnt und Ziele gesetzt werden, abhängt. Zur Findung der richtigen Balance zwischen Exploitation und Exploration ist zum einen die Verschachtelung von persönlichen, organisatorischen und sozialen Ebenen und zum anderen Einflüsse aus der gesellschaftlichen, staatlichen, technologischen, ökologischen und ökonomischen Umwelt sowie von Arbeitsabläufen und Routinen aus der Vergangenheit zu berücksichtigen. Neben der Konkurrenz von Exploitation und Exploration um die betrieblichen Ressourcen bestehen weitere Hindernisse zur Findung der richtigen Balance. Da der Nutzen der Exploration zum einen nicht sicher ist und zum anderen erst auf lange Sicht greift, führt die Exploitation besser vorhersagbar und schneller zu Ergebnissen. Damit steigt die Attraktivität der Exploitation, was zu Lasten der Exploration geht. Somit werden zwar auf kurzfristige Sicht die Kompetenzen weiterentwickelt, was zu einer höheren Effizienz der Prozesse führt, verhindert aber die Erforschung von neuen Kompetenzen, was auf lange Sicht die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Dieser Zusammenhang wird als "Kompetenzfalle" bezeichnet. Auch die Bürokratie, als eine Technologie der Koordination, kann einengend wirken, falls sie nur einseitig verwendet wird. So hat die Bürokratie eine Koordinationsaufgabe, welche durch die definierten Verfahren einengend auf die Exploration wirkt, und eine Beziehungsaufgabe, welche durch den Aufbau von Vertrauen ermöglichend auf die Exploration wirkt. Darüber hinaus beeinträchtigt der effizienzorientierte Fokus auf Prozessmanagement die dynamischen Fähigkeiten eines Unternehmens. In einem von Tilcsik im Jahr 2008 durchgeführten Experiment mit Ingenieuren, führt eine ISO9000Schulung im Folgenden zu einer Erhöhung der Effizienz der Produktion und zu einer Reduktion der Kreativität. Somit ist festzustellen, dass Prozessmanagement die Anpassungsfähigkeit behindert.

Allgemeine Formen der Ambidextrie[Bearbeiten]

Im Folgenden werden allgemeine Formen der Ambidextrie beschrieben: strukturelle, kontextabhängige und führungsbasierte Ambidextrie. Die allgemeinen Formen zeichnen sich dadurch aus, dass ihr jeweiliges Konzept zur Erreichung der Ambidextrie von unterschiedlichen Autoren immer wieder aufgegriffen wird, und somit als Basis für die weiteren Betrachtungen dienen. Die Gemeinsamkeit aller drei Formen ist, dass sie von einer simultanen Ambidextrie ausgehen, in welcher Exploration und Exploitation gleichzeitig verfolgt werden, während in früheren Ansätzen zur Erreichung der Ambidextrie auch sequentielle Verfahren vorgeschlagen werden, in welchen sich Exploration und Exploitation periodisch abwechseln.

Strukturelle Ambidextrie[Bearbeiten]

Bei der strukturellen Ambidextrie werden separate Strukturen für unterschiedliche Typen der Aktivität aufgebaut, die zum einen, zur Erforschung von neuen Technologien oder Expansion auf neuen Märkten und zum anderen, zum Ausbau und zur Anwendung von Kernkompetenzen auf bestehenden Märkten, dienen. Dies ist notwendig, da sich die beiden Aktivitäten so stark unterscheiden, dass diese innerhalb einer Struktur nicht koexistieren können. Zur Umsetzung der strukturellen Ambidextrie gibt es zwei grundlegende Konzepte, räumliche Separation und parallele Strukturen. Bei der räumlichen Separation werden innerhalb von Geschäftsbereichen Einheiten gebildet, welche einerseits Exploitation und andererseits Exploration verfolgen. So können sich die jeweiligen Einheiten an die speziellen Anforderungen der Umgebung anpassen, was dazu führt, dass ambidextere Organisationen ihre unterschiedlichen Kompetenzen beibehalten, welche sich nach den verändernden Anforderungen aus der Umwelt richten. Auch hier werden unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten beschrieben: von der im Extremfall kompletten Trennung der Einheiten, welche dann jeweils Exploitation oder Exploration verfolgen, bis hin zur Bildung von Untereinheiten, welche sich operativ auch hinsichtlich Kultur, Management und Belohnungssystem unterscheiden und nur im losen Verbund zueinander stehen, aber strategisch durch eine umschließende Kultur integriert werden. Dies geschieht mit der Hilfe eines Senior Teams. He und Wong betonen dabei die Notwendigkeit dieses SeniorTeams, um die Ressourcen zwischen den einzelnen Untereinheiten angemessen zu verwalten. Bei dem Konzept der parallelen Strukturen wird eine primäre Struktur verwendet, bei welcher das Unternehmen seine Routineaufgaben ausführt sowie Stabilität und Effizienz gewährleistet, währenddessen bei einer sekundären Struktur, in welcher die Kurzfristigkeit der primären Struktur ausbalanciert wird, NichtRoutineaufgaben und Forschung unterstützt werden.

Kontextabhängige Ambidextrie[Bearbeiten]

Bei diesem Ansatz ist das Erreichen der Balance zwischen Exploitation und Exploration abhängig von dem im Unternehmen gegebenen Kontext. Dieser Kontext ist einerseits abhängig von dem „Performance Management“, welches die Faktoren Disziplin (Exploitation) und Entspannung (Exploration) berücksichtigt, und anderseits von dem "sozialen Kontext", welcher die Faktoren Unterstützung und Vertrauen beinhaltet. Bei der kontextabhängigen Ambidextrie teilen sich einzelne Mitarbeiter ihre Zeit in abgleichorientierte und Anpassungsorientierte Aktivitäten ein. Hierbei können vier unterschiedliche Verhaltensweisen auftreten:

  1. ambidextere Individuen übernehmen die Initiative und sind bereit die Möglichkeiten, welche die Grenzen ihres eigenen Jobs überschreiten, zu nutzen.
  2. ambidextere Individuen sind kooperativ und suchen nach Möglichkeiten um ihre Bemühungen mit anderen zu kombinieren.
  3. ambidextere Individuen sind Vermittler (Broker), immer auf der Suche um interne Verbindungen aufzubauen.
  4. ambidextere Individuen sind Multitasker, welche bequem gleichzeitig mehrere Aktivitäten verfolgen können.
Führungsbasierte Ambidextrie[Bearbeiten]

Führungskräfte einer Organisation und leitende Angestellte stehen bei der Erreichung der strukturellen und kontextabhängigen Ambidextrie im Vordergrund, da diese immer der unterstützende Faktor bei der Implementierung der Ambidextrie sind. Im Gegensatz zu den oben genannten, ist eine weitere Betrachtung der Ambidextrie aufstrebend – die führungsbasierte Ambidextrie. Bei dieser Betrachtungsweise werden die Führungsprozesse näher untersucht und konzeptualisiert. Dazu wird sowohl die Zusammensetzung des Gründungsteams, in welchem ein Teil der Mitglieder in vorausgehenden Unternehmenszugehörigkeiten tätig waren, als auch die Verhaltensintegration des TopManagementTeams, welche den Grad der Ganzheit und Einheit der Anstrengungen abbildet, als wichtige Elemente gesehen, um gleichzeitig Exploitation und Exploration zu verfolgen.

Spezielle Formen der Ambidextrie[Bearbeiten]

Naben den allgemeinen Formen der Ambidextrie lassen sich weitere, speziellere Formen identifizieren, welche nicht oder nur vereinzelnd von anderen aufgenommen oder bestätigt werden.

Ambidextrie als Dynamic Capability[Bearbeiten]

In dem strategischen Management stellt sich die grundlegende Frage, wie Wettbewerbsvorteile erlangt und bewahrt werden können. Dazu definieren Teece, Piasano und Shuen Dynamic Capabilities als eine Fähigkeit eines Unternehmens zur Bewältigung der sich rasch ändernden Umwelt und dabei dementsprechend interne und externe Kompetenzen zu integrieren, aufzubauen und zu rekonfigurieren. Die Ambidextrie als Dynamic Capability betrachtet, ist sie selbst keine Quelle für Wettbewerbsvorteile, aber erleichtert die Nutzung neuer Ressourcenkonfigurationen, welche Wettbewerbsvorteile schaffen können. Andersherum sind Dynamic Capabilities aus der Sicht der Ambidextrie als ein Satz von Verfahren eines SeniorTeams zu sehen, welches durch diesen Bedrohungen und Möglichkeiten des Unternehmens erkennen sowie Menschen, Organisationsstruktur und Ressourcen des Unternehmens entsprechend anpassen kann.

Dynamische Effizienz[Bearbeiten]

Zur Erreichung der Ambidextrie muss die ‚Kompetenzfalle‘ überwunden werden. Dies wird nach Brunner und Staats durch bewusste Störungen bei reifen Prozessen erreicht. Um hierbei die Exploration zu verfolgen ist zudem eine explorative Interpretation notwendig, durch welche eine Organisation in die Lage versetzt wird, Fehler zu entdecken, zu identifizieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Zusammen ergeben die bewussten Störungen und die explorative Interpretation die dynamische Effizienz, welche einerseits die kurzfristige Optimierung und andererseits eine langfristige Anpassung verfolgt. Somit lässt sich die dynamische Effizienz als eine Form der Ambidextrie einordnen.

Ambidextrie durch Evolution und Revolution[Bearbeiten]

Die Überwindung von Trägheit und die Umsetzung von Wandel gehörten zu den Aufgaben des Managements. Tushman und O’Reilly III gehen davon aus, dass Organisationen, um langfristig erfolgreich zu sein, fähig sein müssen schrittweisen (Evolution) und revolutionären (Revolution) Wandel verfolgen zu können. Um diese gegeneinanderstehen Anforderungen zu erfüllen, müssen Führungskräfte und Ingenieure periodisch das zerstören und neu aufbauen, was sie bisher erfolgreich gemacht hat, um weiterhin im Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.

Ambidextrie durch Bürokratie (Marxistische Sicht)[Bearbeiten]

Die Annahme, dass Bürokratie zur Effizienz benötigt wird und im Gegensatz zu Innovationen steht, ist weit verbreitet, aber falsch. Eine bürokratische Struktur wirkt zur Exploitation bei, wenn es als ein Zwangsmittel funktioniert, und zur Exploration, solange die Bürokratie eine ermöglichende Form mit einem großen sozialen Vertrauen einnimmt. Innerhalb der Produktion wirken dabei Kräfte, welche einerseits den Wettbewerb und andererseits die Entwicklung von neuen Technologien stimulieren. Beide Kräfte beinhalten Anteile der Exploitation und Exploration und sind durch kapitalistische Anreize getrieben, welche die Exploration unterdrücken. Die Bürokratie unterstützt die Exploration, wenn sie als Technologie der Koordination von komplexen Tätigkeiten verstanden wird und ein hohes Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern besteht.

Ambidextrie bei Toyota[Bearbeiten]

Beruhend auf Beispielen von Toyota ist nach MacDuffie der erste Schritt zur Erreichung der Ambidextrie die Umgestaltung des Zielkonfliktes zwischen Exploitation und Exploration durch Überbrückung der Paradoxien. Toyota verwendet die Widersprüche und kanalisiert diese durch expansive und integrative Kräfte, um eine zu starke Stabilisierung und Reife zu verhindern. Die Prozesse bei Toyota sind dabei so gestaltet, dass dabei Probleme erkannt und Mitarbeiter zum Lernen von diesen Problemen veranlasst werden. Brunner und Staats gehen davon aus, dass Toyota einen kontinuierlichen Fluss von bewussten Störungen erzeugt, sodass die Mitarbeiter dazu angeregt werden, die Störungen zu interpretieren und von Ihnen zu Lernen. Dieser Fluss hilft dabei die Exploration aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu Brunner und Staats geht MacDuffie davon aus, dass Toyota die Gegensätzlichkeit von Exploration und Exploitation meidet, und dabei hinter die Zielkonflikte schaut, um neue Wege zu finden, diese zu umgehen. Im Folgenden werden einzelne Elemente zur Erreichung der Ambidextrie bei Toyota beschrieben. Hierbei stützen sich die Ergebnisse hauptsächlich auf MacDuffie sowie Takeuchi, Osono und Shimi.

Rolle des Toyota Produktionssystems[Bearbeiten]

Das Toyota Produktionssystem mit seinen Elementen dient der Verwirklichung einer schlanken und effizienten Produktionsstruktur und gilt im Allgemeinen als Verursacher des kontinuierlichen Erfolgs von Toyota. Im Rahmen der Ambidextrie bei Toyota spielt das Toyota Produktionssystem hauptsächlich die Rolle der Exploitation, da Manager und Mitarbeiter innerhalb des Toyota Produktionssystem die Prozesse kontinuierlich optimieren. Um den Zielkonflikt zwischen Exploration und Exploitation zu überbrücken verfolgt Toyota in jedem Aspekt seiner Organisation und als Teil seines Produktionssystems das kontinuierliche Lernen, welches sich mit dem Problem der Balance zwischen der Entwicklung von neuem Wissen und der Nutzung und Verbesserung von bestehenden Kompetenzen beschäftigt . Dabei verwendet Toyota fünf Mechanismen des kontinuierlichen Lernens. Lernen findet bei Toyota allgegenwärtig statt, d. h. im gesamten Unternehmen und zu jeder Zeit. Dies wird im Wesentlichen durch den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung (Kaizen) erzeugt. Die kontinuierliche Verbesserung verfolgt weder Exploitation noch Exploration, sondern führt kurzfristig, durch jeweils kleine Verbesserungsschritte zu Effizienzsteigerungen, welche die Basis für große Sprünge (Kakushin) bilden und somit auch auf längere Frist die Anpassungsfähigkeit unterstützen. Bei Toyota wird automatisch gelernt, da der Status quo kontinuierlich skeptisch geprüft wird. Dieses verwirklicht Toyota einerseits durch die Eliminierung der Verschwendung (Muda) und durch Autonomation (Jidoka), bei der die Produktion so konzipiert ist, sodass sie anhält, sobald ein Fehler auftritt. Anstatt die Symptome abzustellen, werden die Ursachen beispielweise über ein Ishikawa Diagramm hinterfragt. Lernen findet bei Toyota iterativ statt, denn sobald bei Toyota ein Standard gesetzt wird, kann jeder Mitarbeiter einen Vorschlag dazu abgeben, wie dieser weiter verbessert wird. Diese Verbesserungen werden mit Hilfe von Vorher-Nachher-Experimenten getestet, wobei Ingenieure im Falle einer Leistungssteigerung, den neuen Standard umsetzen. Lernen bei Toyota ist Lückenorientiert, wobei die Lücke zwischen dem aktuellen und dem idealen Zustand definiert ist. Wenn der ideale Zustand sehr weit von der IST Situation entfernt ist, wird durch angemessene Gegenmaßnahmen, nicht nur die Verbesserung durch Exploitation, sondern vor allem eine Verbesserung durch Exploration gefördert. Dabei werden Probleme als Möglichkeit zum Lernen angesehen. Jeder Mitarbeiter und Manager bei Toyota wird dazu ermutigt zu lernen, wobei Fehlschläge nicht als Misserfolg, sondern als neuer Lernerfolg gesehen werden. Insgesamt lässt sich somit sagen, dass das Toyota Produktionssystem eine Umgebung schafft, in welcher Effizienzsteigerungen, aber auch Innovationen und Weiterentwicklung möglich sind.

Kultur der Widersprüche[Bearbeiten]

Für den Erfolg von Toyota ist neben dem Toyota Produktionssystem die Firmenkultur verantwortlich. Dabei ist die Firmenkultur so ausgeprägt, dass die Mitarbeiter im operativen Geschäft mit bewusst hervorgerufenen Widersprüchen und somit ständig neuen Herausforderungen und Problemen zu tun haben, um daraus neue Idee hervorzubringen. Toyota verwendet dazu Meta-Routinen, mit denen die bestehenden Verfahren und Prozesse angepasst werden können, um somit Exploration zu verfolgen. Dabei stehen das Toyota Produktionssystem und die Firmenkultur nicht nebeneinander, sondern gehen Hand in Hand. Im Folgenden werden die von dem Toyota Management geförderten Widersprüche genannt und erläutert:

  1. Toyota bewegt sich langsam, macht aber dennoch große Sprünge: Einerseits expandiert Toyota nur langsam auf Übersee-Märkten, welches beispielhaft durch die langsame Expansion in den USA deutlich wird. Dennoch schafft es Toyota technologisch große Sprünge zu machen, wie durch die neuartige Hybrid-Technologie im Prius zu erkennen ist.
  2. Toyota ist sparsam, aber in wichtigen Bereichen achtet das Management nicht auf das Geld: Die Sparsamkeit von Toyota stellt sich beispielsweise durch das Ausschalten des Lichts in der Mittagspause und dem Verzicht auf Trennwände in den Großraumbüros dar, währenddessen Toyota sehr viel in Produktionsstätten, Händlernetzwerke und Personalentwicklung investiert.
  3. Toyotas Prozesse sind effizient, doch es verschwendet scheinbar die Zeit der Mitarbeiter: Bei Toyota werden im Verhältnis zu anderen Unternehmen jeweils viele Mitarbeiter zu Besprechungen hinzugezogen, wobei sich einige von den Teilnehmern nicht an der Diskussion beteiligen. So wird zudem überdurchschnittlich viel Zeit für Händlerbesuche unternommen. Damit versucht Toyota zu erreichen, dass jeder alles weiß. Dagegen ist in der Produktion die Eliminierung der Verschwendung (Muda), das wesentliche Element des Toyota Produktionssystem.
  4. Toyota wächst stetig, ist aber dennoch stets unzufrieden: Seit der Krise von Toyota in den 50er Jahren, in welcher Toyota fast vor dem Konkurs stand, ist Toyota stetig bei Umsatz und Marktanteilen gewachsen, dennoch fordern die Führungskräfte weitere Reformen und Verbesserungen.
  5. Toyota hat eine strikte Hierarchie, gestattet den Mitarbeitern aber Meinungsfreiheit:Konstruktive Kritik ist bei Toyota sehr erwünscht, sogar das begründete Widersetzen gegen Anordnungen, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Dagegen steht aber, dass es bei Toyota keine flache Hierarchie gibt und die Aufgaben von oben nach unten verteilt werden.
  6. Toyota fordert, einfach zu kommunizieren, baut aber komplexe soziale Netzwerke auf: Bei Toyota sind Präsentationen, Analysen und erwartete Ergebnisse sehr einfach zu kommunizieren. So gibt es bei Toyota einen A3Bericht, bei welchem alle relevanten Informationen auf einem A3Blatt dargestellt werden. Damit bei Toyota jeder alles weiß, gibt es dennoch ein komplexes Geflecht sozialer Netzwerke, um auch über Abteilungen und nationale Grenzen hinaus Kommunikation zu ermöglichen.

Nach der Darstellung der Kultur der Widersprüche, welche mitentscheidend für den Erfolg von Toyota ist, werden die expansiven und integrativen Kräfte beschrieben, welche einerseits Paradoxien innerhalb des Unternehmens erzeugen, um neue Ideen zu generieren, und andererseits stabilisieren, um schließlich neue Problemlösungen oder Veränderungen zum Besseren zu schaffen. Toyota versucht eine zu starke Stabilität und Reife des Unternehmens durch expansive Kräfte zu verhindern. Dies erreicht Toyota durch die folgenden drei Kräfte der Expansion:


Unerreichbare Ziele
Toyota setzt sich selbst unerreichbare Ziele, um die Mitarbeiter von etablierten Handlungsweisen zu lösen. Dadurch versucht Toyota das Bewusstsein seiner Mitarbeiter für Kundenwünsche und Verbesserungen zu sensibilisieren und zudem das Selbstbewusstsein zu stärken. Darüber hinaus werden die Ziele bei Toyota allgemein gehalten, um Ziele aus unterschiedlichen Richtungen zu reflektieren und Zusammenarbeit über Abteilungs- und Landesgrenzen hinaus zu fördern. Anpassung an die Märkte
Die Produktionsprozesse und die Produkte von Toyota werden mit den Bedürfnissen der Kunden eines bestimmten Ortes abgestimmt. Somit werden keine Veränderungen am Auto selbst durchgeführt, um den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Durch die diversifizierten Anforderungen auf den internationalen Märkten steigt die Komplexität der Geschäftsprozesse bei Toyota, was mit einer Steigerung der Kreativität der Mitarbeiter einhergeht. Durch die Expansion auf die internationalen Märkte wurde bei Toyota „Made in Japan“, welches früher als Synonym für Qualität galt, durch „Made by Toyota“ ersetzt. Experimentierfreude
Durch den Eifer der Manager und Mitarbeiter bei Toyota zu experimentieren werden Hindernisse zur Erreichung von scheinbar unerreichbaren Zielen abgebaut. Dabei verwendet Toyota folgende Methode: Zunächst gründlich nachdenken, kleine Schritte machen und niemals aufgeben. Fehlschläge werden nicht als solche gesehen, sondern als Möglichkeit daraus zu lernen. Dabei werden die Experimente bei Toyota nach der Toyota Geschäftsmethode durchgeführt, welche den Deming-Zyklus auf acht Schritte erweitert.

Um die steigende Komplexität, die Vielfalt der Märkte und Kundenwünsche, sowie die Technologieexpansion durch die expansiven Kräfte zu stabilisieren, existieren bei Toyota drei weitere Kräfte der Integration: GründerPhilosophie
Zu den Werten, welche seit der Gründung stetig weiterentwickelt werden, gehören die ständige Verbesserung (Kaizen), Respekt, Teamgeist und Bescheidenheit. Dabei sind folgende Überzeugungen zu betonen: „Morgen wird besser als heute.“, „Jeder sollte gewinnen.“, „Jeder sollte sich selber einen Eindruck verschaffen (Genchi Genbutsu).“, „Der Kunde steht an erster Stelle, dann die Händler, danach die Hersteller.“ Diese Kernwerte werden seit 2001 in dem Handbuch „The Toyota Way“ dokumentiert. Offene Kommunikation
Bei Toyota wird von den Führungskräften die Annahme getroffen, dass „jeder weiß, was alle machen“. Damit schafft es Toyota ein Großunternehmen wie einen Betrieb in einer Kleinstadt zu führen. Informationen werden über die Hierarchien hinweg, über die persönlichen Netzwerke, wie bei einem Nervensystem weitergegeben. Das Toyota Kommunikationssystem besteht aus der Verbreitung von KnowHow in alle Richtungen (Yokoni Tenkaisuru, kurz „yokoten“), Meinungsfreiheit, persönlichem Kontakt, Explizierung von impliziten Wissen und Schaffung von unterstützenden Mechanismen, wie dezentrale Institute und Einrichtungen. "Upandin" Personalführung
In der Regel werden bei Toyota leistungsschwache Mitarbeiter nicht entlassen, im Gegensatz zu der „Uporout“ Personalführung in vielen anderen Unternehmen. Toyota legt einen großen Wert auf die langfristige Beschäftigung und betont dabei die kontinuierliche Weiterentwicklung der Mitarbeiterfähigkeiten. Diese Art der Personalführung stabilisiert die Arbeitskraft und sichert das gemeinsame Gedächtnis.

Fazit und kritische Würdigung[Bearbeiten]

Zur Erreichung der Ambidextrie wird im Allgemeinen die Verfolgung von sowohl Exploitation, als auch Exploration verstanden, wobei diese in einem Zielkonflikt zueinander stehen. MacDuffie beschreibt hingegen, dass Toyota diesen Zielkonflikt umgeht, also weder Exploitation, noch Exploration, sondern kontinuierliches Lernen verfolgt. Toyota schafft es jedoch überdurchschnittlich effizient und innovativ zu sein, welches im Allgemeinen mit der Erreichung der Ambidextrie einhergeht. Toyota mit seinem Toyota Produktionssystem und seiner Kultur der Widersprüche schafft es durch die Verfolgung des kontinuierlichen Lernens sowie durch expansive und integrative Kräfte stetig effizienter zu werden und große Sprünge in der Technologie zu erreichen, ohne dabei direkt Exploitation oder Exploration zu verfolgen. Adler beschreibt, dass Toyota, durch die Bewältigung des Zielkonfliktes zwischen Effizienz und Innovation, den Beweis für die Erreichbarkeit der Ambidextrie angibt.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Toyota Central R&D Labs Inc, http://www.tytlabs.co.jp/english/comp/aisatsu.html (zuletzt abgerufen am 19.05.2010).

Literatur[Bearbeiten]

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