Kurs:Gewöhnliche Differentialgleichungen/1.2 Terminologie

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1.2 Terminologie[Bearbeiten]

Eine partielle Differentialgleichung ist eine Gleichung für die gesuchte Funktion in der Form

wobei wir für einen Multiindex mit die -te partielle Ableitung von

und für

die Kollektion aller Ableitungen der Ordnung ist. Für schreibt man kurz . Zum Beispiel gehören , und beide zur Kollektion der zweiten Ableitung von .

Ist , so handelt es sich bei (1.5) um ein System von Differentialgleichungen, da die gesuchte Funktion vektorwertig ist. Falls , stellt (1.5) eine gewöhnliche Gleichung, oder ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen dar. Eine gewöhnlichen Differentialgleichung (oder ein System) der Ordnung für eine Funktion hat die Form

Bei einer gewöhnlichen Differentialgleichung wird oft die unabhängige Variable als anstatt bezeichnet, wenn die Differentialgleichung ihre Anwendung in zeitabhängigen Prozessen findet, die nicht vom Raum abhängen.

Ist die Funktion in obigen Differentialgleichungen linear in und deren Ableitungen (welcher Ordnung auch immer), heißt die Differentialgleichung linear. Treten höhere Potenzen von und deren Ableitungen, oder andere nicht-lineare Abhängigkeiten auf, so heißt die Differentialgleichung nichtlinear. Zum Beispiel ist eine lineare und eine nichtlineare gewöhnliche Differentialgleichung.


1.2.1 Gewöhnliche Differentialgleichungen erster Ordnung[Bearbeiten]

Anfangswertaufgabe (AWA)[Bearbeiten]

Unter einer Anfangswertaufgabe verstehen wir folgendes Problem:
Gegegen sei ein Gebiet und eine Funktion . Gesucht wird eine Funktion mit

nennen wir den Anfangswert. Die Gleichung (1.6) beschreibt entweder eine einzige, oder ein System von gewöhnlichen DGL

wobei der transponierte Vektor zu ist.

Ein Beispiel einer Anfangswertaufgabe ist die Differentialgleichung (1.2) mit der Anfangsbedingung . Die analytische (exakte) Lösung dieser Gleichung ist nicht gerade einfach zu finden und lautet in impliziter Form wobei die Konstante durch die Anfangsbedingung bestimmt wird. Im folgendem beschreiben wir einige Lösungsansätze anhand von Beispielen.

Beispiel 1.2. Löse folgende Anfangswertaufgabe

Offensichtlich ist die analytische Lösung die Funktion . Wir erhalten diese Lösung auch durch folgendes iteratives Vorgehen:
Durch das Integrieren der Gleichung bezüglich erhalten wir . Nun bestimmen wir die Lösung iterativ, in dem wir in jedem Iterationsschrit auf der rechten Seite dieser Gleichung die alte Iteration einsetzen, d.h. . Als Startiteration nehmen wir den Anfangswert :

Man kann man zeigen, dass für (zeigen Sie es!)


Beispiel 1.3. Betrachte folgende Anfangswertaufgabe

Da diese Lösung nicht leicht zu bestimmen ist, lösen wir diese Differentialgleichung iterativ, wir setzen und rechnen wie im obigem Beispiel


Beispiel 1.4. Die Lösung der Differentialgleichung

ist offensichtlich die Funktion für ein beliebiges . Die Konstante legt man fest, in dem man diese Lösung zwingt einen bestimmen Wert am Anfang (in ), anzunehmen. Aus der Anfangsbedingung folgt dann .


Allgemein kann man Differentialgleichungen erster Ordnung, deren rechte Seite sich als Produkt zwei Funktionen aufschreiben lässt mit Hilfe der Trennung der Variablen finden:

Sei eine Differentialgelichung erster Ordnung in der Form

gegeben. Diese lässt sich umschreiben als . Man beachte dass
daher erhält man durch das Integrieren der obigen Gleichung bezüglich
beziehungsweise

wobei die Stammfunktion von und die Stammfunktion von bezeichnet. Aus der Gleichung (1.8) kann man (unter günstigen Umständen) die gesuchte Funktion bestimmen. Ist der Anfangswert vorgeschrieben, , so ist .

Beispiel 1.5. Finde die Lösung für folgende Anfangswertaufgabe

Durch Trennung der Variablen erhält man . Man integriere jetzt diese Gleichung bezüglich und erhält , woraus folgt dass


Beispiel 1.6 (Variation der Konstanten). Man betrachte nun die Verallgemeinerung des Beispiels 1.4:


  • homogener Fall, : : die Lösung ist mithilfe der Trennung der Variablen leicht zu erhalten,


  • inhomogener Fall, . In diesem Fall führt der Ansatz der Variation der Konstanten zum Ergebnis. Dabei sucht man die Lösung in der Form der Lösung der homogenen Aufgabe, siehe oben, allerdings wird die Konstante ’variiert’, d.h. wird zu :

Nach dem Ableiten von nach erhält man

Gleichzeitig gilt

, woraus folgt

Nach dem Lösen dieser Differentialgleichung nach erhält man

und insgesammt lautet die Lösungsformel für die inhomogene Differentialgleichung (1.9)


Beispiel 1.7 (Totale Differentialgleichung). Eine Differentialgleichung erster Ordnung in der Form

heißt auch totale Differentialgleichung. Diese kann man im Fall lösen, indem man eine Funktion findet mit . [1]

In diesem Fall ist die totale Differentialgleichung equivalent zu

und die Lösung kann man als Niveaumengen von finden, .

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Autonome Differentialgleichung erster Ordnung[Bearbeiten]

Eine autonome Differentialgleichung erster Ordnung ist eine Differentialgleichung, deren rechte Seite nicht explizit von der Veränderlichen abhängt,

Jede nicht autonome Anfangswertaufgabe (1.6) lässt sich in ein System von 2 autonomen Differentialgleichungen mit folgender Transformation umformulieren:
Bezeichne , dann ist . Für die Anfangswerte erhalten wir , und insgesamt ein autonomes Anfangswertsystem

Analog lässt sich jedes System von nicht autonomen Anfangswertaufgaben (1.7) in ein System von autonomen Anfangswertaufgaben umformulieren.

1.2.2 Gewöhnliche Differentialgleichungen zweiter Ordnung[Bearbeiten]

Bei gewöhnlichen Differentialgleichungen zweiter Ordnung tritt zusätzlich die zweite Ableitung auf und deswegen sind sie eindeutig lösbar mit zwei Anfangsbedingungen.

Anfangswertaufgabe zweiter Ordnung[Bearbeiten]

Wir betrachten nun einen Anfangswertproblem in der Form

Über die schon bekannte Transformation kann man diese Differentiagleichung zweiter Ordnung (1.12) in ein System von zwei Differentiagleichungen erster Ordnung umschreiben:

Ähnlich kann man eine gewöhnliche Differentialgleichung der Ordnung in ein System von Differentialgleichungen erster Ordnung umformen und Lösungsmethoden (analytische, wie auch numerische) für die Anfangswertaufgabe von Typ (1.6) anwenden. Einige analytische Lösungsansätze haben wir bereits vorgestellt. In folgendem werden wir numerische Verfahren zur Lösung der Anfangswertaufgaben (1.6) studieren. In der Praxis sind allerdings manchmal spezielle Verfahren für Differentialgleichungen zweiter Ordnung, wie zum Beispiel das Finite-Differenzen-Verfahren für die numerische Lösung von (1.12) besser geeignet.

Randwertaufgabe zweiter Ordnung (RWA)[Bearbeiten]

Bei Randwertaufgaben handelt es sich um Differentialgleichungen, deren Lösung zwei Randbedingungen erfüllen muss, eine am Anfang des Lösungsintervalls, die andere am Ende. Diese Differentialgleichungen modellieren Prozesse, bei welchen der Wert am Ende des Lösungsintervalls wichtig ist, zum Beispiel die Bahn einer Kugel, die aus einem Gewehr geschoßen wird. Hier ist es wichtig, dass die Kugel das Ziel trifft, also einen bestimmten Wert am Ende ihrer Bahn annimmt. Man löse für

Für Randwertaufgaben kann man die gleichen Lösungsmethoden wie für Anfangswertaufgaben anwenden, in dem man probiert den Randwert mit einer Anfangssteigung zu erreichen, beziehungsweise diese Steigung für das Erreichen des Randwertes anzupassen. Auf diesem Prinzip basiert das sogenannte Schießverfahren.


1.2.3 Partielle Differentialgleichungen[Bearbeiten]

Partielle Differentialgleichungen (PDGl) modellieren zum Beispiel Prozesse, die nicht nur von der Zeit abhängen, sondern auch von den räumlichen Koordinaten . Meistens reicht es für die physikalische Beschreibung oder zu betrachten. Für den Fall kann eine zeitabhängige partielle Differentialgleichung zweiter Ordnung (in ) die Form haben.

Anderseits kann es sich auch um zeitunabhängige (stationäre) Prozesse handeln, die von mehreren Veränderlichen (zum Beispiel von ) abhängig sind. Partielle Differentialgleichungen sind (analytisch und numerisch) lösbar, wenn passende Rand- und bei instationären Prozessen auch Anfangsbedingungen vorgegeben sind.

Ein wohlbekantes Beispiel einer partiellen Differentialgleichung ist die Wärmeleitungsgleichung, die die Temperaturentwicklung in einem Gebiet oder Raum zur Zeit modelliert:

Hier hängt die Konstante von den physikalischen Eigenschaften des zu erwärmenden Materials, von der Wärmeleitfähigkeit, der Dichte und der Wärmekapazität, ab.

Die Laplace-Gleichung

beschreibt den vereinfachten Fall der stationären Temperaturverteilung, nachdem sich die Temperatur stabilisiert hat und nicht mehr verändert.

Wenn wir bei gewöhnlichen Differentialgleichungen festgestellt haben, das wir nur einen Teil solcher Aufgaben analytisch lösen können, wird die Situation bei partiellen Differentiagleichungen noch schlimmer. Nur für einen kleinen Bruchteil aller partiellen Differentialgleichungen kann man Formeln für die Lösungen angeben, und das auch oft nur in speziellen Gebieten wie Kugel, oder Halbraum . Die Bedeutung der numerischen Verfahren für PDGl wird daher hervorgehoben. Dieses Gebiet der numerischen Mathematik ist sehr breit und es findet immer noch aktive Forschung und Entwicklung neuer, effizienterer Verfahren statt.

Ein Beispiel für die Anwendung numerischer Verfahren für gewöhnliche DGl ist die Linien-Methode. Für die Wärmeleitungsgleichung (1.14) im Fall würde man wie folgt vorgehen:
Man teile das Intervall in Teilintervalle , wobei , auf. Man erzeugt damit das (äquidistante) Gitter mit der Schrittlänge . Die zweite partielle Ableitung von nach approximiert man mit Hilfe der Nachbarnknoten durch den Differenzenquotienten (diese Approximation werden später genauer erklärt),

Aus der Gleichung (1.14) ergibt sich nach dieser Approximation folgendes System von gewöhnlichen Differentialgleichungen für

Ein anderer Zugang ist die sogenante Rothe-Methode die auf der Approximation der Zeitableitung durch den Differenzenquotient basiert. Hier ist das (äquidistante) Zeitgitter mit , und . Durch diese Approximation entsteht ein System von partiellen DGl für in der Form

das man in jedem Zeitschritt löst.

Nun haben wir einen gewissen Überblick über Differentiagleichungen gewonnen. Bevor wir numerische Methoden zur deren Lösung studieren, werden wir uns zuerst mit der Frage nach der analytischen Lösbarkeit befassen, da diese für die Verifizierung der numerischen Lösungen wichtig ist. Im folgendem Kapitel wird der Schwerpunkt aud die Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung der Anfangswertaufgabe (1.6) bzw. des Systems (1.7) gelegt. Das Studium der analytischen Lösbarkeit der Randwertaufgaben und der partiellen Differentialgleichungen benötigt kompliziertere Funktionalanalytische Werkzeuge, die außerhalb des Stoffes dieses Skriptes liegen. Viele Lösbarkeitsfragen, besonders bei nichtlinearen Differentialgleichungen bleiben allerdings bisher offen.

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  1. Beachte dass für , daher die Bedingung . Ist diese Bedingung nicht erfüllt, hilft manchmal das Multiplizieren von (1.10) mit einer Funktion - einem sogennanten integrierenden Faktor.