Thomas Mann: Dieser Krieg!

Aus Wikiversity

Hans-Peter Haack

Die tausend Exemplare des Erstdrucks, gefertigt in Amsterdam, wurden 1940 nach Einmarsch der deutschen Truppen vernichtet. Einige wenige Exemplare sollen erhalten geblieben sein. Wo sie sich befinden, ist nicht bekannt. Der Bibliograph Thomas Manns Georg Potempa hat kein Exemplar zu Gesicht bekommen. Der Erstdruck ist bei ihm mit "nicht verifiziert" gekennzeichnet.[1] Für den digitalisierten WIKIVERSTIY-Bildband „Erstausgaben Thomas Manns. Ein bibliographischer Atlas“ (2009) war es ebenfalls nicht gelungen, eine Abbildungsvorlage ausfindig zu machen. Vorhanden ist jedoch das maschinengeschriebene Manuskript (Thomas Mann-Archiv Zürich).

Zeitnah nachgedruckt, ohne Angaben von Ort und Jahr, vermutlich 1940/41 (Abb. rechts), kursierte der Text als kleinformatiger Tarndruck in Deutschland mit dem Titel: «Der größte deutsche Schriftsteller unserer Zeit gibt in diesem Büchlein einen entscheidenden Beitrag zur restlosen Klarstellung der Vorgeschichte diese Krieges und seines unausbleiblichen Ausgangs.» Die Einleitung des Tarndrucks weicht von der englischen Fassung im Jahr des Erstdrucks [2] ab.[3] Hergestellt wurde der Tarndruck vermutlich außerhalb Deutschlands, denn die Druckerei verfügte über keine ß-Drucktype.[4] Dieser Tarndruck diente in den von Kurzke und Stachorsky herausgegebenen Essays Thomas Manns als Druckvorlage.[5] Der Tarndruck enthält einige Kürzungen gegenüber dem Typoskript, die Kurzke und Stachorski im Anhang ihres Essaybandes zitieren. 1960 war in den Gesammelten Werken des Verlags S. Fischer der Essay in Band XII erstmals, dem Typoskript im Thomas Mann-Archiv in Zürich folgend, veröffentlicht worden.

Ursprünglich lautete der Titel «Über den Krieg und seine Ziele», vorgesehen für die New York Harald Tribune. Verfasst wurde er vom 31.11. bis 23.12.1939.[6] Der zweite Weltkrieg war wenige Monate zuvor ausgebrochen. Den Goetheroman «Lotte in Weimar» hatte Thomas Mann am 25.10.1939 abgeschlossen.[7]

Als Emigrant von den Deutschen unter Hitler um Heim und Habe gebracht (sein bewegliches Eigentum wurde zum großen Teil versteigert), ist der Text "den lieben Landsleuten" gewidmet. "Man tut doch gern alles, was zu ihrer Zermürbung beitragen kann." [8] Thomas Mann wirft den Deutschen vor, Gesinnungsgenossen der Nazis geworden zu sein. Daher müsse der "gottverlassen-anachronistische Gewaltgeist ihrer Machthaber geschlagen werden, was leider praktisch heißt, dass Deutschland geschlagen werden muß. Denn jammervolle Tatsache ist es nun einmal, daß das deutsche Volk für diese Machthaber einsteht, daß es - im Kriege noch entschiedener als vorher – ihre Sache, die doch längst so ganz allein i h r e ist, glaubt zur seinen machen zu müssen und seit sechseinhalb Jahren seine ganze Tüchtigkeit, Kraft, Geduld, Disziplin, Opferwilligkeit ihrem wüsten Dilettantismus zur Verfügung stellt."

Hitler - sein Name fällt nicht, er wird "der Häuptling" genannt - ihm bescheinigt Thomas Mann ein "jauchiges Seelenleben" und bezeichnet ihn als "hysterischen Schubjack". Göring, auch dessen Name ist unterdrückt, wird als "Opernfreund und Feldmarschall" kenntlich gemacht. Den vormals "armen morphinistischen Flieger-Landsknecht", inzwischen ein "feister Tyrann", nennt Thomas Mann den "putzfreudigen Henker" mit "einem Schock Phantasie-Uniformen, [...] der tötet und schlemmt, wie seine joviale Laune es ihn heißt".

Der Krieg werde auf einen "Erschöpfungskrieg² hinauslaufen. Was die Kosten der Kriegswirtschaft betrifft, kündigt Thomas Mann an: "Deutschland wird dafür aufzukommen haben. [...] Das Bezahlen geht erst an. [...] Das deutsche Volk wird sie [die Kosten] tragen – seine Gegner mögen versichert sein, daß es sie sehr lange tragen wird." Den verbohrten Durchhaltewillen Hitlers und seiner Paladine sieht Thomas Mann voraus.

Deutschland habe seine Chance verspielt, die es nach dem ersten Weltkrieg hatte: "Es konnte sich an die Spitze der europäischen Friedensbewegung stellen, die Führung übernehmen auf dem schon damals vorgezeichneten Wege zur Einheit Europas." An die Deutschen gerichtet, die mit Gleichgültigkeit der Unterwerfung der Tschechen und Polen zugesehen haben, schreibt Thomas Mann: "Ein dunkles Gefühl sagte dem deutschen Volk, daß bei dem, was da geschah, was seine Machthaber in seinem Namen anstellen durften, keine Ehre, kein Sinn und keine Zukunft war."

"Und nun glaubt das deutsche Volk, denen, die es verführten und belogen, die Treue halten und für ihre Taten, die doch nie seinen Enthusiasmus erregt, bei denen ihm sogar höchst unheimlich zumute war, aufs äußerste einstehen zu müssen?" Das deutsche Volk, so Thomas Mann, kämpfe in diesem Krieg nicht für sich, sondern für ein Dutzend Hergelaufener, die ihre gemeinsamen Verbrechen aneinander ketten würden. Diesen Klüngel fortgetan und abgeschüttelt, - damit wäre der Spuk vorbei.


<references>

zurück


  1. Potempa, Georg: Thomas Mann-Bibliographie. Morsum/Sylt: Cicero Presse 1992, S. 483
  2. This War. London: Secker & Warburg 1940, 61 p.
  3. Potempa, Georg: Thomas Mann-Bibliographie. Morsum/Sylt: Cicero Presse 1992, S. 483
  4. Kurzke, Hermann und Stephan Stachorsky: Thomas Mann Essays. Band 5: Deutschland und die Deutschen. Frankfurt am Main: S. Fischer 1996, S. 325
  5. a.a.O.
  6. Thomas Mann im Tagebuch
  7. a.a.O.
  8. Thomas Mann am 3.11.1939 an Agnes C. Meyer