Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 23/latex

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\setcounter{section}{23}






\zwischenueberschrift{Die Windungszahl}

Die Windungszahl beschreibt, wie oft sich eine geschlossene Kurve um einen Punkt herumwindet. Wir geben eine analytische Definition über ein Wegintegral.


\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und sei \maabbdisp {\gamma} {I} { {\mathbb C} \setminus \{ P \} } {} ein stetiger, \definitionsverweis {geschlossener}{}{} stückweise \definitionsverweis {stetig differenzierbarer Weg}{}{.} Dann nennt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma { \frac{ dz }{ z-P } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {Windungszahl}{} von $\gamma$ um $P$.

}

Statt Windungszahl sagt man auch \stichwort {Umlaufzahl} {} oder \stichwort {Index} {,} sie misst einfach, wie oft sich der Weg um den gegebenen Punkt windet. Diese Definition ist etwas unbefriedigend, da sie ein, auch für stetige geschlossene Kurven, intuitiv naheliegendes Konzept über ein Integral entwickelt. Das folgende Lemma gibt eine topologische Charakterisierung, so dass man auch von der Windungszahl eines stetigen Weges sprechen kann.




\inputfaktbeweis
{Komplexe Ebene/Punkt/Stetig differenzierbarer Weg/Windungszahl/Integral/Homotopieinvarianz/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und sei \maabbdisp {\gamma} {[a,b]} { {\mathbb C} \setminus \{ P \} } {} ein stetiger, \definitionsverweis {geschlossener}{}{} stückweise \definitionsverweis {stetig differenzierbarer Weg}{}{.}}
\faktuebergang {Dann erfüllt die \definitionsverweis {Windungszahl}{}{} folgende Eigenschaften.}
\faktfolgerung {\aufzaehlungdrei{\definitionsverweis {Homotope Wege}{}{} \zusatzklammer {innerhalb von
\mathl{{\mathbb C} \setminus \{P\}}{}} {} {} haben die gleiche Windungszahl. }{Wenn \maabbdisp {\Psi} { \pi_1( {\mathbb C} \setminus \{ P \}) } { \Z } {} ein \definitionsverweis {Gruppenisomorphismus}{}{} der \definitionsverweis {Fundamentalgruppe}{}{} mit $\Z$ ist, bei dem die \definitionsverweis {Standardumrundung}{}{} \maabbeledisp {} {[0,2 \pi ] } {{\mathbb C} \setminus \{ P \} } {t} { P + e^{ { \mathrm i} t} } {,} auf $1$ abgebildet wird, dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) }
{ =} { \Psi( [\gamma]) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Insbesondere ist die Windungszahl ganzzahlig. }{Es sei $\tilde{\gamma}$ eine \definitionsverweis {Liftung}{}{} von $\gamma$ zur \zusatzklammer {verschobenen} {} {} \definitionsverweis {Exponentialfunktion}{}{} \maabbeledisp {} { {\mathbb C} } { {\mathbb C} \setminus \{P\} } {z} { P+ \exp z } {.} Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } { \left( \tilde{\gamma} (b) - \tilde{\gamma} (a) \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

\aufzaehlungdrei{folgt aus Satz 22.3. }{Die Windungszahl der angegebenen Umrundung ist gleich $1$. Deshalb und wegen (1) muss der Windungszahlhomomorphismus mit der Abbildung aus (2) übereinstimmen. }{Sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Der Weg \maabbeledisp {\gamma} {[0,2 \pi]} { {\mathbb C} \setminus \{0\} } {t} { e^{ t { \mathrm i} } } {,} besitzt die Liftung \maabbeledisp {\tilde{\gamma}} {[0,2 \pi] } {{\mathbb C} } {t} { t { \mathrm i} } {.} Daher ist der Ausdruck in (3) für diesen Weg gleich $1$. Diese Aussage folgt, da der Ausdruck in (3) nach Satz 21.13 homotopieinvariant und einen Gruppenhomomorphismus definiert. }

}





\inputfaktbeweis
{Meromorphe Funktion/Stetiger Weg/Transformation/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Zu einer \definitionsverweis {meromorphen Funktion}{}{} \maabbdisp {h} {G} { {\mathbb C} } {} auf einer \definitionsverweis {offenen Menge}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ G }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{h(a) }
{ = }{h(b) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und einem stetigen Weg \maabbdisp {\gamma} { [0,1]} {G } {} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \gamma(0) }
{ = }{a }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \gamma(1) }
{ = }{b }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,} wobei $h$ auf
\mathl{\gamma([0,1])}{} weder Null- noch Polstellen habe, ist}
\faktfolgerung {
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\int_{ h \circ \gamma} { \frac{ 1 }{ w } } dw }
{ =} { \int_\gamma { \frac{ h'(z) }{ h(z) } } dz }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} das $2 \pi { \mathrm i}$-fache der \definitionsverweis {Windungszahl}{}{} von $h \circ \gamma$ um den Nullpunkt.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Wir können annehmen, dass $h$ auf einer offenen Umgebung von
\mathl{\gamma([0,1])}{} weder eine Nullstelle noch einen Pol besitzt. Nach Lemma 12.8 und Aufgabe 11.24 ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\int_{ h \circ \gamma} { \frac{ 1 }{ w } } dw }
{ =} { \int_\gamma h^* \left( \frac{ dw }{ w } \right) }
{ =} { \int_\gamma { \frac{ h'(z) }{ h(z) } } dz }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} der linke Ausdruck ist nach Definition das $2 \pi { \mathrm i}$-fache der Windungszahl von $h \circ \gamma$.

}


\inputfaktbeweis
{Komplexe Ebene/Standardweg/Windungszahl/Innen konstant/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \delta(t) }
{ = }{ P+e^{ 2 \pi { \mathrm i} t } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die \definitionsverweis {Standardumrundung}{}{} von $P$.}
\faktfolgerung {Dann ist für jeden Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ Q }
{ \in }{ U { \left( P,1 \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die \definitionsverweis {Windungszahl}{}{} gleich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ind}_{ \delta } ( Q ) }
{ =} { 1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{ Siehe Aufgabe 23.2. }







\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Winding curve.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Winding curve.svg } {} {Lorelami} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}





\inputfaktbeweis
{Komplexe Ebene/Weg/Windungszahl/Punktabhängigkeit/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei \maabb {\gamma} { [0,1] } { {\mathbb C} } {} ein \definitionsverweis {geschlossener}{}{} \definitionsverweis {stetiger Weg}{}{} und es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ = }{ {\mathbb C} \setminus \gamma([0,1]) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist die \definitionsverweis {Windungszahl}{}{} \maabbeledisp {} {U} { \Z } {P} { \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) } {,} \definitionsverweis {stetig}{}{} und somit \definitionsverweis {lokal konstant}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es ist
\mathl{\gamma([0,1])}{} kompakt nach Lemma 17.6 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)) und daher \definitionsverweis {abgeschlossen}{}{} nach Lemma 17.2 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)), somit ist $U$ offen. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Wir zeigen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) }
{ =} { \operatorname{ind}_{ \gamma } ( Q ) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} für alle Punkte
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ Q }
{ \in }{ V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} aus einer offenen Umgebung $V$ von $P$. In
\mathl{{\mathbb C} \setminus \{P\}}{} ist $\gamma$ nach Satz 21.15 \definitionsverweis {homotop}{}{} zu einem mehrfach durchlaufenen Standardweg $\delta$ um $P$ und nach Lemma 23.2  (1) zählt die Windungszahl die Anzahl der Umläufe \zusatzklammer {mit Orientierung} {} {.} Es sei \maabbdisp {H} {[0,1] \times [0,1] } { {\mathbb C} \setminus \{ P\} } {} eine \definitionsverweis {Homotopie}{}{} zwischen $\gamma$ und $\delta$. Da $H$ stetig und
\mathl{[0,1] \times [0,1]}{} \definitionsverweis {kompakt}{}{} ist, ist auch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ H ([0,1] \times [0,1] ) }
{ \subseteq} { {\mathbb C} \setminus \{ P\} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} kompakt und damit \zusatzklammer {in \mathlk{{\mathbb C} \setminus \{ P\}}{} und auch} {} {} in ${\mathbb C}$ abgeschlossen. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ V }
{ = }{ {\mathbb C} \setminus H ([0,1] \times [0,1] ) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{}
} {}{}{,} diese offene Menge ist insbesondere disjunkt zu
\mathl{\gamma([0,1])}{.} Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ Q }
{ \in }{ V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} kann man $H$ auch als eine Homotopie zwischen \mathkor {} {\gamma} {und} {\delta} {} innerhalb von
\mathl{{\mathbb C} \setminus \{Q\}}{} auffassen. Damit ist unter Verwendung von Lemma 23.4
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) }
{ =} { \operatorname{ind}_{ \delta } ( P ) }
{ =} { \operatorname{ind}_{ \delta } ( Q ) }
{ =} { \operatorname{ind}_{ \gamma } ( Q ) }
{ } { }
} {}{}{.}

}







\inputbemerkung
{}
{

Es sei \maabbdisp {\gamma} {[a,b]} { {\mathbb C} } {} ein \definitionsverweis {geschlossener}{}{} stetiger und bis auf Überkreuzungen injektiver Weg. Nach Lemma 23.5 ist die Windungszahl auf den zusammenhängenden Teilmengen von
\mathl{{\mathbb C} \setminus \gamma([a,b])}{} konstant. Diese Windungszahlen kann man folgendermaßen bestimmen. Außerhalb des Weggeschehens \zusatzklammer {was man als die unbeschränkte Zusammenhangskomponente von \mathlk{{\mathbb C} \setminus \gamma([a,b])}{} definieren kann} {} {} ist die Windungszahl gleich $0$. Wenn man von außen nach innen hineinwandert, so muss man bei jeder Überquerung von
\mathl{\gamma([a,b])}{} \zusatzklammer {kein Überkreuzungspunkt} {} {} die Windungszahl um $1$ erhöhen, wenn bei der Überquerung \zusatzklammer {gesehen von der Überquerungsrichtung} {} {} der Weg von links nach rechts verläuft, und um $1$ vermindern, wenn der Weg von rechts nach links verläuft. Die Richtigkeit dieses Prinzips kann man sich folgendermaßen klar machen. Es seien \mathkor {} {P} {und} {Q} {} Punkte, die in benachbarten Zusammenhangskomponenten liegen und wobei der direkte lineare Weg von $P$ nach $Q$ den Weg, der von links nach rechts verlaufe, einfach im Punkt $S$ überquert. Wir betrachten den abgeänderten Weg $\tilde{\gamma }$, der vor dem Durchstoßungspunkt $\gamma$ im Punkt $C$ verlässt und einen \anfuehrung{Halbbogen}{} $\delta$ macht, der $Q$ miteinschließt und hinter dem Durchstoßungspunkt wieder im Punkt $D$ auf $\gamma$ einbiegt. Es liegen dann \mathkor {} {Q} {und} {P} {} in der gleichen Zusammenhangskomponente von $\tilde{\gamma}$ und ihre Windungszahl stimmt überein. Wir schreiben $\gamma$ als Aneinanderlegung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \gamma }
{ =} { \gamma_1 \gamma_2 \gamma_3 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei $\gamma_2$ den Weg von \mathkor {} {C} {nach} {D} {} beschreibt. Es ist dann der Weg
\mathl{\gamma_2 ( - \delta)}{} ein einfacher Umlauf von $Q$ mit Windungszahl $1$. Daher ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ \operatorname{ind}_{ \gamma } ( Q ) }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma { \frac{ dz }{ z-Q } } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } { \left( \int_{\gamma_1 } { \frac{ dz }{ z-Q } } +\int_{\gamma_2 } { \frac{ dz }{ z-Q } } + \int_{\gamma_3 } { \frac{ dz }{ z-Q } } \right) } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } { \left( \int_{\gamma_1 } { \frac{ dz }{ z-Q } } +\int_{\gamma_2 (- \delta) } { \frac{ dz }{ z-Q } } + \int_{\delta } { \frac{ dz }{ z-Q } } + \int_{\gamma_3 } { \frac{ dz }{ z-Q } } \right) } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_{ \tilde{ \gamma} } { \frac{ dz }{ z-Q } } + 1 }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ =} { \operatorname{ind}_{ \tilde{ \gamma } } ( Q ) + 1 }
{ =} { \operatorname{ind}_{ \tilde{ \gamma } } ( P ) + 1 }
{ =} { \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) + 1 }
{ } {}
} {}{.}

}






\zwischenueberschrift{Der Residuensatz}

Der folgende Satz heißt \stichwort {Residuensatz} {,} mit ihm kann man Wegintegrale in einem einfach zusammenhängenden Gebiet zu einer Differentialform, die außerhalb von endlich vielen Punkten holomorph ist, allein durch die \zusatzklammer {rein topologisch gegebene} {} {} Windungszahlen in den Ausnahmepunkten und den dortigen Residuen bestimmen.





\inputfaktbeweis
{Residuum/Mehrfach punktiert/Integralbeschreibung/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ G }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {einfach zusammenhängendes}{}{} \definitionsverweis {Gebiet}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ D }
{ \subseteq }{G }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine endliche Teilmenge, \maabbdisp {\gamma} {I} { G \setminus D } {} ein \definitionsverweis {geschlossener}{}{} \definitionsverweis {stetiger Weg}{}{} und sei \maabbdisp {f} {G \setminus D} { {\mathbb C} } {} eine \definitionsverweis {holomorphe Funktion}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma f(z)dz }
{ =} { \sum_P \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P ) \operatorname{Res}_{ P } \left( f \right) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei über alle Punkte
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{ D }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} summiert wird.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es seien
\mathl{P_1 , \ldots , P_n}{} die Punkte von $D$. In jedem Punkt $P_i$ betrachten wir die \definitionsverweis {Laurent-Entwicklung}{}{} von $f$ und schreiben
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f }
{ =} { h_i + g_i }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit dem \definitionsverweis {Hauptteil}{}{} $h_i$ und dem \definitionsverweis {Nebenteil}{}{} $g_i$. Die Hauptteile selbst schreiben wir wiederum als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ h_i }
{ =} { { \frac{ r_i }{ z-P_i } } + \tilde{h}_i }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei $r_i$ das Residuum von $f$ in $P_i$ ist und $\tilde{h}_i$ die anderen Summanden zusammenfasst. Aufgrund von Lemma 16.14  (1) sind die Hauptteile $h_i$ auf ganz
\mathl{G \setminus \{ P_i\}}{} \zusatzklammer {und auch auf \mathlk{{\mathbb C} \setminus \{ P_i\}}{}} {} {} konvergent. Es ist
\mathl{f -h_1 - \cdots - h_n}{} holomorph auf $G$, daher ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_\gamma f(z) -h_1(z) - \cdots - h_n(z) dz }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} nach Korollar 22.5. Ferner ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_\gamma \tilde{h}_i (z) dz }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} nach Korollar 12.12, da die $\tilde{h}_i$ nach Lemma 16.14  (2) eine Stammfunktion auf
\mathl{G \setminus \{P\}}{} besitzen. Somit ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma f(z) dz }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma h_1(z) dz + \cdots + { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma h_n(z) dz }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma { \frac{ r_1 }{ z-P_1 } } dz + \cdots + { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma { \frac{ r_n }{ z-P_n } } dz }
{ =} { r_1 \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P_1 ) + \cdots + r_n \operatorname{ind}_{ \gamma } ( P_n ) }
{ } { }
} {} {}{.}

}


Der Satz gilt auch, wenn $D$ eine diskrete Teilmenge ist, da dann innerhalb des Weges auch nur endlich viele Ausnahmepunkte liegen und die Windungszahlen in den Punkten außerhalb gleich $0$ sind.





\inputfaktbeweis
{Gebiet/Einfach zusammenhängend/Ohne Punkte/Differentialform/Residuum/Exakt/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ G }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {einfach zusammenhängendes}{}{} \definitionsverweis {Gebiet}{}{,} es seien
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P_1 , \ldots , P_n }
{ \in }{ G }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} Punkte und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ = }{ G \setminus \{P_1 , \ldots , P_n \} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist der Komplex
\mathdisp {0 \longrightarrow {\mathbb C} \longrightarrow \Gamma (U, {\mathcal O} ) \stackrel{d}{\longrightarrow} \Gamma (U, \Omega ) \stackrel{ \operatorname{Res}_{ P_i } \left( - \right) }{\longrightarrow } {\mathbb C}^n \longrightarrow 0} { }
von \definitionsverweis {komplexen Vektorräumen}{}{} exakt. Insbesondere ist der \definitionsverweis {Restklassenraum}{}{} der \definitionsverweis {holomorphen Differentialformen}{}{} modulo der \definitionsverweis {exakten Differentialformen}{}{} isomorph zu ${\mathbb C}^n$.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die Abbildungen sind nach Lemma 11.2  (4) und Lemma 19.3  (4) ${\mathbb C}$-\definitionsverweis {linear}{}{.} Da $U$ selbst ein Gebiet ist, stimmen die konstanten Funktionen mit den Funktionen überein, deren Ableitung gleich $0$ ist. Deshalb ist der Komplex in
\mathl{\Gamma (U, {\mathcal O} )}{} exakt. Die Surjektivität hinten ist klar, da die auf $U$ holomorphe Differentialform
\mathl{{ \frac{ a_1 dz }{ z-P_1 } } + \cdots + { \frac{ a_n dz }{ z-P_n } }}{} auf das Residuentupel
\mathl{\left( a_1 , \, \ldots , \, a_n \right)}{} abbildet.

Es sei eine holomorphe Funktion $f$ auf $U$ gegeben, und es sei
\mathl{\sum_{n \in \Z} c_n (z-P_i)^n}{} die \definitionsverweis {Laurent-Reihe}{}{} von $f$ in $P_i$. Die zugehörige Differentialform
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ df }
{ =} { f'dz }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} besitzt dann in $P_i$ eine Laurent-Reihe mit verschwindendem Residuum. Es sei nun umgekehrt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \omega }
{ = }{ hdz }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine holomorphe Differentialform auf $U$, deren Residuen in den Punkten
\mathl{P_1 , \ldots , P_n}{} gleich $0$ seien. Nach dem Residuensatz ist das Wegintegral zu $\omega$ in $U$ für jeden geschlossenen Weg $\gamma$ gleich $0$. Nach Satz 12.16 ist daher die holomorphe Differentialform $\omega$ exakt.

}





\inputfaktbeweis
{Gebiet/Einfach zusammenhängend/Ohne Punkte/Exponentialkomplex/Differentialformkomplex/Residuum/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ G }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {einfach zusammenhängendes}{}{} \definitionsverweis {Gebiet}{}{,} es seien
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P_1 , \ldots , P_n }
{ \in }{ G }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} Punkte und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ = }{ G \setminus \{P_1 , \ldots , P_n \} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann liegt ein kommtatives Diagramm
\mathdisp {\begin{matrix} 0 & \stackrel{ }{\longrightarrow} & \Z 2 \pi { \mathrm i} & \stackrel{ }{\longrightarrow} & \Gamma (U, {\mathcal O} ) & \stackrel{ \exp \left( - \right) }{\longrightarrow} & \Gamma (U, {\mathcal O} )^{\times} & \stackrel{ \operatorname{ind}_{ - \circ \delta_i } ( P_i ) }{\longrightarrow} & \Z^n & \stackrel{ }{\longrightarrow} & 0 \\ \downarrow & & \downarrow & & \downarrow = \!\!\!\!\! & & \downarrow d log \!\!\!\!\! & & \downarrow & & \downarrow \\ 0 & \stackrel{ }{\longrightarrow} & {\mathbb C} & \stackrel{ }{\longrightarrow} & \Gamma (U, {\mathcal O} ) & \stackrel{ d }{\longrightarrow} & \Gamma (U, \Omega ) & \stackrel{ \operatorname{Res}_{ P_i } \left( - \right) }{\longrightarrow} & {\mathbb C}^n & \stackrel{ }{\longrightarrow} & 0 &\!\!\!\!\! \end{matrix}} { }
von \definitionsverweis {kommutativen Gruppen}{}{} mit exakten Zeilen vor. Bei der letzten horizontalen Abbildung oben wird eine holomorphe \definitionsverweis {Einheit}{}{} $f$ auf das Windungszahltupel
\mathl{\left( \operatorname{ind}_{ f \circ \delta_1 } ( 0 ) , \, \ldots , \, \operatorname{ind}_{ f \circ \delta_n } ( 0 ) \right)}{} abgebildet, wobei $\delta_i$ eine \definitionsverweis {Standardumrundung}{}{} von $P_i$ innerhalb von $U$ bezeichnet.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die Abbildungen sind wohldefiniert, da nach Lemma 23.2  (2) die Windungszahltupel stets ganzzahlig sind. Die Kommutativität des dritten Quadrats ergibt sich aus Aufgabe 19.11, die Kommutativität des vierten Quadrats folgt aus Lemma 23.3 in Verbindung mit Lemma 19.2, angewendet auf jeden einzelnen Punkt $P_i$. Die Exaktheit der zweiten Zeile ist Satz 23.8. Die Exaktheit der ersten Zeile in
\mathl{\Gamma (U, {\mathcal O} )}{} ist eine Umformulierung von Satz 21.5 (Analysis (Osnabrück 2021-2023))  (2). Zum Nachweis der Exaktheit in
\mathl{\Gamma (U, {\mathcal O} )^{\times}}{} sei zunächst
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ = }{ \exp h }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit $h$ holomorph auf $U$. Nach Aufgabe 19.11 ist die logarithmische Ableitung von
\mathl{\exp h}{} gleich $h'$ und deren Residuen sind gleich $0$, was sich auf die Windungszahlen überträgt. Es sei nun
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ \in }{ \Gamma (U, {\mathcal O} )^{\times} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} derart, dass die Windungszahlen, also die Residuen der logarithmischen Ableitung
\mathl{{ \frac{ f' }{ f } }}{,} gleich $0$ sind. Es ist zu zeigen, dass es eine holomorphe Funktion $h$ auf $U$ gibt mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ = }{ \exp h }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Wegen der Residueneigenschaft und der Exaktheit der zweiten Zeile gibt es eine holomorphe Funktion $h$ mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ h' }
{ =} { { \frac{ f' }{ f } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Es haben dann $f$ und
\mathl{\exp h}{} die gleiche logarithmische Ableitung. Durch Addition einer Konstanten zu $h$ können wir ferner davon ausgehen, dass $f$ und
\mathl{\exp h}{} in einem bestimmten Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ Q }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} den gleichen Wert besitzen. Dann ist
\mathl{{ \frac{ \exp h }{ f } }}{} eine Funktion, deren logarithmische Ableitung gleich $0$ ist. Dann ist nach Aufgabe 19.12 auch die Ableitung von
\mathl{{ \frac{ \exp h }{ f } }}{} gleich $0$ und wegen der Übereinstimmung in einem Punkt folgt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ { \frac{ \exp h }{ f } } }
{ =} { 1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ = }{ \exp h }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Die logarithmische Ableitung von
\mathl{(z-P_1)^{k_1} \cdots (z-P_n)^{k_n}}{} ist
\mathl{{ \frac{ k_1 }{ z-P_1 } } + \cdots + { \frac{ k_n }{ z-P_n } }}{} und die zugehörigen Residuen sind
\mathl{k_1 , \ldots , k_n}{,} deshalb ist die letzte Abbildung oben auch surjektiv.

}





\inputfaktbeweis
{Gebiet/Einfach zusammenhängend/Holomorphe Einheit/Exponentialrealisierung/Fakt}
{Korollar}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ G }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {einfach zusammenhängendes}{}{} \definitionsverweis {Gebiet}{}{} und es sei \maabb {f} {G} { {\mathbb C} } {} eine nullstellenfreie \definitionsverweis {holomorphe Funktion}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann gibt es eine holomorphe Funktion \maabb {h} { U} { {\mathbb C} } {} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ = }{ \exp h }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Dies ist ein Spezialfall von Satz 23.9.

}


Die folgende Aussage ist eine wesentliche Verschärfung und Präzisierung der lokalen Aussage Satz 5.10.





\inputfaktbeweis
{Gebiet/Einfach zusammenhängend/Holomorphe Einheit/Beliebige Wurzel/Fakt}
{Korollar}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ G }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein \definitionsverweis {einfach zusammenhängendes}{}{} \definitionsverweis {Gebiet}{}{} und es sei \maabb {f} {G} { {\mathbb C} } {} eine nullstellenfreie \definitionsverweis {holomorphe Funktion}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ k }
{ \in }{ \N_+ }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann gibt es eine holomorphe Funktion \maabb {g} { U} { {\mathbb C} } {} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ = }{ g^k }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Nach Korollar 23.10 gibt es eine holomorphe Funktion \maabb {h} {G} { {\mathbb C} } {} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ f }
{ =} { \exp h }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Daher besitzt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ g }
{ =} { \exp \left( { \frac{ h }{ k } } \right) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} nach Satz 7.8 die geforderte Eigenschaft.

}