"Helden wie wir...!"? Geschlechterverhältnisse im Fußball-Sport
„Tatsächlich sieht es so aus, obwohl der Frauenfußball durch die deutsche Nationalmannschaft spätestens mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahre 2003 und der Bronzemedaille bei Olympia 2004 eine feste Größe in Deutschland darstellt, Mädchen und Frauen in den Ballsportarten wie Fußball, auch Handball und Basketball, also in Sportspielen, die einen direkten Körperkontakt erfordern, immer noch unterpräsentiert sind.“ (Sobiech, S.68)
1. Fußball ist Männersache? Geschlechterdifferenzen im Wandel
Der aus England importierte Sport, folgte zunächst den Prinzipien der fortgeschrittenen Industrialisierung. Hierzu zählen die Schlagbegriffe wie Leistung und Wettbewerb, Ein- und Unterordnung, sowie Disziplin und Regelhaftigkeit. All diese Begriffe in Verbindung mit dem Streben nach Erfolg, sowie ein sportives Körperverhältnis wurden mit „Männlichkeit“ gleichgesetzt. Feminine Sportarten hingegen sind jegliche Ausführungen gymnastisch-expressiver Tätigkeiten, sowie leichte Spiele wie Federball, Tamburinball oder Sing- und Reigenspiele. Diese produzierte Geschlechterdifferenz und das dadurch resultierende Machtdispositiv, wird durch die Drohung der „Vermännlichung“ aufrechterhalten.
„Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen, wohl aber Korbball, Hockey, Tennis und so fort. Das Treten ist wohl spezifisch männlich, ob das Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.“ (Buytendijk 1953) Diese und andere Begründungen hetzten die Diskussion in den 50er Jahren um den Frauenfußball soweit auf, dass 1955 sogar ein regelrechtes Fußballverbot für Frauen ausgesprochen wurde.
2. Geschlechtertypischer Habitus und Positionierung in Spiel(-Räum)en
Inzwischen kann man davon ausgehen, dass die Sportaktivität insgesamt ausgeglichen zwischen den Geschlechtern ist. Eine Einschränkung muss jedoch getroffen werden. Bei bildungsfernen Schichten herrschen noch immer die Männer im Sport allgemein vor, da sich das Selbstbild der Frau stärker in der Abgrenzung von männlichen Attributen definiert. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Ballspiele mit Körperkontakt immer noch von Jungen bzw. Männern dominiert werden. Dies hängt auch mit der Sozialisation von Jungen und Mädchen zusammen. Während es ganz normal ist, dass Jungs nach der Schule auf der Straße oder dem Bolzplatz eine runde „kicken“ kommt es eher selten vor, dass Mädchen sich zum Fußballspielen treffen. So kommt es, das Mädchen gar keinen natürlichen Spiel-Sinn entwickeln, hingegen sich bei Jungen, durch die hohe Praxiserfahrung, ein natürlicher Sinn für das Spiel entwickeln kann. „Der Habitus wird durch Mitspielen, in relativ autonomen Feldern oder Spiel-Räumen erworben.“ (Sobiech, S.73) Während Jungen eher öffentliche Freiräume, wie Bolzplätze und Skatboard-Bahnen, in Anspruch nehmen, sind Mädchen häufiger in nahräumlichen Bereichen, wie Hinterhöfe und Gärten am Haus, zu finden. Durch die unterschiedliche Raumnutzung entstehen unterschiedliche Spielarten und spezifische Formen von sozialen Kontakten. Während Jungen sich in von Dominanzgeprägten Gruppen aufhalten, bevorzugen Mädchen eher gleichgestellte Zweiergruppen. Wir finden also einen geschlechtsspezifischen Habitus vor. Dieser äußert sich bereits in der engen Körperhaltung der Mädchen und raumeinnehmenden der Jungen. Verschiedene Studien sind sich einig, dass der größte Teil der Mädchen weder an gemischten noch homogenen körperbetonten Sportarten teilnehmen möchten.
Die Asymmetrie der Geschlechter wird im Schulunterricht und in der Medienwelt weitergetragen. Bis zu 50 Prozent der Mädchen verweigern sich während ihrer Schullaufbahn Sportartenmit Körperkontakt. Aber auch die Medien tragen diese Ungleichheit weiter. „Das bedeutet, dass bei Sportlerinnen ein ästhetisches und erotisches Erscheinungsbild ins Zentrum der Berichterstattung tritt, während Sportler als aktive und starke Männer dargestellt werden.“ (Sobiech, S.74)
Definition Habitus: „Habitus (lateinisch habitus = „Gehaben“, von habere = „haben“) ist ein Ausdruck für das Auftreten oder Benehmen eines Menschen; für die Gesamtheit seiner Vorlieben und Gewohnheiten; für die Art, sich auszudrücken, zu bewegen, also generell: sich zu verhalten.“
3. Erfolgreiche Positionierung von Mädchen und Frauen im Fußball-Sport
Erfolgsbilanz im Leistungsbereich des bundesdeutschen Mädchen- und Frauenfußballs:
- 2003: erfolgreiche Fußballweltmeisterschaft in den USA
- 2004: 3. Platz bei den olympischen Spielen in Athen
- 2004: Gewinn der U-16 Weltmeisterschaft in Thailand
- 2005: Gewinn der Europameisterschaft in England
Kurzfristig wirkte sich diese Erfolgsgeschichte sogar positiv auf die Berichterstattung der Medien aus.
Bereits wieder sinkende Beitrittserklärungen von Frauen und Mädchen in Fußballvereine zeigen, aber dass der kurze Aufschwung des Frauen-Fußballs nicht lange währen sollte. Dies ist sicher durch verschiedene Argumentationsansätze begründbar. Beispielsweise werden die meisten Frauen-Mannschaften durch Männer trainiert, da es nicht genügend Trainerinnen gibt. Aber auch in den höheren Etagen ist der Fußball, wie in den meisten anderen Bereichen durch Männer dominiert. So kommt auf 29 hauptamtliche Koordinatoren an den Talentstützpunkten gerademal eine Frau.
Was finden Fußballspielerinnen selbst attraktiv am Fußball?
Diese Fragestellung ist noch nicht ausreichend hinterfragt worden. Die Faktoren, welche die Beteiligung von Mädchen im Fußball-Sport (auch in der Organisation) ermöglichen oder verhindern müssen noch weitergehend untersucht werden. Um einer Antwort auf diese Fragestellung näher zu kommen hat Gertrud Pfister sich mit den Biografien erfolgreicher deutscher, englischer, norwegischer und spanischer Fußballerinnen beschäftigt.
Einige Erkenntnisse:
- Abweichung von der typischen Raumaneignung und Raumnutzung:
- „kicken“ mit den Jungs auf der Straße
- Sie trafen auf Akzeptanz bei den Jungs, da sie gut Fußballspielen konnten.
- Sie bezeichnen sich selbst als untypische und „wilde“ Mädchen
- Beitritt in einen Fußballclub, meist durch die Väter oder Brüder initiiert
- Höheres Maß der Unterstützung bei männlicher Bezugspersonen (Väter, Brüder, Lehrer…)
- Einige der Frauen versuchten in Mädchenteams zu finden, andere wiederrum spielten bis zum 14 Lebensjahr bei den Jungs mit.
Eigenschaften, welche im Fußball nötig sind, wie Aggressivität, Durchsetzungsvermögen und Disziplin haben auch den Charakter der Frauen geformt. Sie sind im allgemeinen Sprachgebrauch „männlicher“ geworden. Jedoch würde sich keine der untersuchten Frauen als „männlich“ klassifizieren, sie sehen sich als Frauen die Weiblichkeit selbst und neu definiert haben
4. Zusammenfassung und Ausblick
- „Der von Männern betriebene Sport gilt als universell und bedarf keiner besonderen Erwähnung. Hingegen erscheint das, was Frauen tun, als das Besondere, Partikulare und Abweichende.“ (Sobiech, S. 78)
- Helden, wie einst die „Helden von Bern“, bleiben in unserer Gesellschaft „männlich“ assoziiert, sodass sich die grundsätzliche Geschlechterordnung im Sport, die Einteilung in „Fußball“ und „Frauenfußball“, in absehbarer Zeit sicher nicht ändern wird.“ (Sobiech, S. 79)
- „Der Sport ist und bleibt eben ein Abbild der Gesellschaft, aus der er entstammt“ (Sobiech, S.79)