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Aphorismen zur Lebensweisheit. Maximen.

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Erstdruck 1851


Paränesen und Maximen

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[Ermahnungen und Grundsätze]

Die Lebensregeln in diesem Kapitel hat Schopenhauer fortlaufend nummeriert. Dabei enthalten die bezifferrten Abschnitte mitunter mehrere Sentenzen.

Allgemeines

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[1]

  • Allerdings ist das Leben nicht eigentlich da, um genossen zu werden, sondern um überstanden, abgetan zu werden.
  • Daher soll man sein Augenmerk nicht auf die Genüsse und Annehmlichkeiten des Lebens richten, sondern darauf, dass man den zahllosen Übeln desselben – soweit möglich – entgeht.
  • Das Resultat eines Lebens sind nicht die Freuden, die genossen wurden, sondern die Übel, denen man entgangen ist. Glücklich leben bedeutet, weniger unglücklich leben.
  • Dass die flüchtigen Genüsse auf Dauer beglücken, ist ein Wahn, - den der Neid zu seiner eigenen Strafe hegt. (vgl. [10])
  • Kommt zu einem schmerzlosen Zustand noch die Abwesenheit von Langeweile, so ist das das irdische Glück im Wesentlichen erreicht, denn das Übrige ist Schimäre.[1]
  • Der Tor läuft den Genüssen des Lebens nach und sieht sich betrogen. Der Weise vermeidet die Übel.
  • Die allermeisten Herrlichkeiten sind bloßer Schein, wie die Theaterdekoration, und das Wesen der Sache fehlt.
  • Festivitäten haben nur den Zweck, glauben zu machen, hier wäre Freude eingekehrt.[2]
  • Denn wo viel Gäste sind, ist viel Pack. (vgl. [22])
  • Die wirklich gute Gesellschaft nämlich ist, überall und notwendig, sehr klein. (vgl. [22])
  • Viel weniger irrt wer, mit zu finsterem Blicke, diese Welt als eine Art Hölle ansieht und demnach nur darauf bedacht ist, sich in derselbe eine feuerfeste Stube zu verschaffen. [3]

[2]

  • Ärger über kleine Kümmernisse bedeutet Wohlbefinden, denn im Unglück sind wir gegen Kleinigkeiten unempfindlich.

[3]

  • Seine Ansprüche, im Verhältnis zu seinen Mitteln jeder Art, möglichst niedrig zu stellen, ist demnach der sichertes Weg, großem Unglück zu entgehen.


  1. Glück - um Schopenhauer zu widersprechen - bedeutet Erfüllung. Erfüllung setzt Ziele voraus, einen Lebensplan, eine Sinnfindung. Schopenhauer unterschätzt den Wert von glücklichem Erinnerungsbesitz.
  2. Das gilt nur für das durch Enttäuschungen gehärtete Alter, denn Jugend lebt in Geselligkeit auf.
  3. “Mein Herr Fauste, die Hell und derselben Refir ist unser aller Wohnung und Behausung, die begreifft soviel in sich, als die gantze Welt.“ (Historia von D. Johann Fausten (1587), Kapitel 12)




Unser Verhalten uns selbst gegenüber

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[4]

Intuition als Lebenskompass

  • Erst im Rückblick lässt sich eine Periode oder das ganze Leben nach seinem Wie und Wodurch beurteilen. Oft zeige sich dann, dass es Inspiration gewesen ist, die unter tausend Abwegen den einzig richtigen Weg habe finden lassen. (vgl. [48])

[5]

Gegenwärtiges und Künftiges

  • Viele leben zu sehr in der Gegenwart: die Leichtsinnigen; - andere zu sehr in der Zukunft: die Ängstlichen und Besorglichen. Selten wird einer genau das richtige Maß halten.

Jetzt und hier

  • Übertriebenes Vorwärtssehen unter Vernachlässigung des Gegenwärtigen sei eselhaft. Mit einem solchen Leben ad interim betrüge man sich um sein ganzes Dasein.

Künftiges und Vergangenes

  • Statt also mit den Plänen und Sorgen für die Zukunft ausschließlich und immerdar beschäftigt zu sein, oder aber uns der Sehnsucht nach der Vergangenheit hinzugeben, sollten wir nie vergessen, dass die Gegenwart allein real und allein gewiß ist; hingegen die Zukunft fast immer anders ausfällt, als wir sie denken, ja auch die Vergangenheit anders war.

Verfehlte Hoffnungen

  • Verdruß über verfehlte Hoffnungen oder Besorgnisse für die Zukunft dürften keine, auch nicht eine Stunde, die frei ist von Widerwärtigkeiten, verderben.

Eine gute gegenwärtige Stunde

  • Denn es ist durchaus töricht, eine gute gegenwärtige Stunde von sich zu stoßen, oder sie sich mutwillig zu verderben aus Verdruß über das Vergangene oder Besorgnis wegen des Kommenden.

Jetzt und hier

  • Die Gegenwart allein ist wahr und wirklich: sie ist die real erfüllte Zeit, und ausschließlich in ihr liegt unser Dasein.

[6]

Selbstgenügsamkeit

  • Alle Beschränkung beglückt. Die Richtigkeit dieser Erkenntnis zeige sich darin, daß die einzige Dichtungsart, welche glückliche Menschen zu schildern unternimmt, das Idyll, sie stets und wesentlich in höchst beschränkter Lage und Umgebung darstellt.[1]

Harmonie

  • Demgemäß wird die möglichste Einfachheit unserer Verhältnisse und sogar die Einförmigkeit unserer Lebensweise, solange sie nicht Langeweile erzeugt, beglücken.[2]

[7]

Regsamkeit

  • Um den Leben Unterhaltungswert abzugewinnen kommt es in letzter Instanz darauf an, womit das Bewußtsein erfüllt und beschäftigt sei. Hier wird nun im [G]anzen jede rein intellektuelle Beschäftigung dem ihr fähigen Geiste viel mehr leisten, als das wirkliche Leben.

[9]

Selbst

  • Sich selber genügen, sich selber alles in allem zu sein, und sagen können omnia mea mecum porto [3], ist gewiß für unser Glück die förderlichste Eigenschaft.

Schein

  • Kein verkehrterer Weg zum Glück als ein Leben in der Welt, in Saus und Braus (highlife). Die Enttäuschung bleibe hier nicht aus, ebensowenig wie das gegenseitige Einanderbelügen.

Unfreiheit

  • Zwang ist der unzertrennliche Gefährte jeder Gesellschaft.

Einsamkeit als Selbstschutz

  • Demgemäß wird jeder in genauer Proportion zum Wert seines eigenen Selbst die Einsamkeit fliehen, ertragen oder lieben.

Außenseiter

  • Je höher einer auf der Rangliste der Natur steht, um so einsamer steht er, und zwar wesentlich und unvermeidlich.[4]

„Man kann sich nicht kleiner machen, als man ist“: [5]

  • In jeder Gesellschaft herrsche das Gemeine vor, sobald sie zahlreich sei. Sie verpflichtet uns, gegen jede Torheit, Narrheit, Verkehrtheit, Stumpfheit grenzenlose Geduld zu beweisen; persönlich Vorzüge hingegen sollen Verzeihung erbetteln oder sich verbergen. (vgl. [22])

„Weißt du was, so schweig.“ [6]

  • Geistreiche Reden oder Einfälle gehören nur vor geistreiche Gesellschaft: in der gewöhnlichen sind sie geradezu verhaßt.(vgl. [34])

Individualität

  • Je mehr einer an sich selber hat, umso weniger können ihm die anderen sein.

Geistige Öde

  • Was die gewöhnlichen Leute so gesellig mache, liege daran, dass es ihnen leichter falle, andere zu ertragen, als sich selbst. Innere Leere und Überdruß sind es, von denen sie sowohl in die Gesellschaft, wie in die Fremde und auf Reisen getrieben werden.

"Hüte dich, bleib wach und munter" [7]

  • Geselligkeit gehört zu den gefährlichen, ja, verderblichen Neigungen, da sie uns in Kontakt bringen mit Wesen, deren große Mehrzahl moralisch schlecht und intellektual stumpf oder verkehrt ist. [8]

Konfliktpotential

  • Fast alle unsere Leiden würden aus der Gesellschaft entspringen.

Affinität

  • Alle Lumpe sind gesellig, zum Erbarmen.

Langweiler

  • Die Monotonie des eigenen Wesens sei es, die die Monotonen nicht nur so langweilig, sondern auch so gesellig mache. Denn was dem Gegenüber als Einzelwesen an Qualität abgehe, suche der Ablenkungsbedürftige durch Quantität zu ersetzen.

Selbstfindung

  • Liebe zur Einsamkeit sei nichts Ursprüngliches, sondern resultiere aus Erfahrung und Nachdenken. Und sie entwickle sich nach Maßgabe der eigenen geistigen Kraft.[9]

Lebensreife

  • In den sechziger Jahren ist der Trieb zur Einsamkeit ein wirklich naturgemäßer, ja instinktartiger. […] Man sieht klar in tausend Dingen, die früher noch im Nebel lagen: man gelangt zu Resultaten und fühlt seine ganz Überlegenheit. Infolge langer Erfahrung hat man aufgehört, von den Menschen viel zu erwarten.

Lebenserfahrung

  • Nur höchst dürftige und gemeine Naturen werden im Alter noch gesellig sein, wie ehedem.

Unter Mitmenschen

  • Zum Verhalten in Gesellschaft rät Schopenhauer, man solle lernen, dass man auch dort in gewissem Grade allein sei und demnach den Anderen nicht sofort mitteilen, was man denke, andrerseits nicht zu genau nehmen, was sie sagen, sondern davon ausgehen, dass moralisch wie intellektuell von den Mitmenschen nicht viel zu erwarten sei. Und was deren Meinungen betreffe, so soll man diejenige Gleichgültigkeit in sich festigen, die von der Umwelt als lobenswerte Toleranz empfunden wird.

[10]

Neid

  • Der Neid der Menschen zeigt an, wie unglücklich sie sich fühlen.
  • Zu den Folgen für den Beneideten meint Schopenhauer, daß kein Haß so unversöhnlich ist, wie der Neid.
  • Neid bleibt aus bei denen, die selbst etwas sind. Nach Schopenhauer, einer Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, gibt es drei Aristokratien: 1. die der Geburt und des Ranges, 2. die Geldaristokratie und 3. die geistige Aristokratie. Die letztgenannte sei eigentlich die vornehmste. Jede dieser Aristokratien ist umgeben von einem Heer ihrer Neider. Sofern der Privilegierte nicht gefürchtet wird, wird man ihm zu verstehen geben: „Du bist nichts mehr als wir!“ Aber gerade dieser Anspruch, diese Forderung verrät das unterschwellige Wissen um den bestehenden Unterschied. Gehört jedoch jemand einer der drei Aristokratien an, vertrage er sich meist mit den Vertretern der beiden anderen, empfindet keinen Neid, weil jeder seinen Vorzug dem anderen gegenüber in die Waage legt. [10]

[11]

Getroffene Entscheidungen

  • Reiflich überlegte Entschlüsse soll man, hat man bereits begonnen, sie zu verwirklichen, nicht weiter bedenken, sondern gefasst das Ende abwarten von dem, was in Gang gebracht worden ist.

[12]

Rückschläge

Sind sie nicht mehr zu ändern, müssen sie akzeptiert werden. Es sei nutzlos, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Vielmehr soll der Gescheiterte einen fatalistischen Standpunkt einnehmen, indem er sich die große Wahrheit verdeutlicht, dass alles, was geschieht, notwendig eintritt, also unabwendbar ist. [11]

Erfahrungen

  • Dagegen sollen begangene Fehler, aus Verwegenheit oder Nachlässigkeit, in der Selbstwahrnehmung nicht beschönigt oder verkleinert werden. Dem Vorsatz, diese in Zukunft zu vermeiden, sei es dienlich, sich ihre ganze Größe deutlich vor Augen zu halten.

[13]

Morgenstunden

  • Der Morgen ist die Jugend des Tages. Er ermögliche die besten Leistungen des Tages, geistige wie körperliche. Hingegen ist der Abend das Alter des Tages.

Der Tag

  • Jeder Tag ist ein kleines Leben, - jedes Erwachen und Aufstehen eine kleine Geburt, jeder frische Morgen eine kleine Jugend und jedes Zubettegehn und Einschlafen ein kleiner Tod.

Erlittenes Unrecht

solle man sich nicht ständig vergegenwärtigen. Man laufe damit Gefahr, es sich durch ungezügelte Phantasie in der Erinnerung zu vergrößern. Alles Unangenehme soll man vielmehr höchst prosaisch und nüchtern auffassen, damit man es möglichst leicht nehmen könne.

[14]

Besinnung

  • Was wir besitzen, Eigentum, Gesundheit, Freunde, Geliebte, Weib, Pferd und Hund [12], sollen wir zuweilen ansehen mit dem Gedanken: Was wäre es uns, hätten wir es verloren.
  • Meistens belehrt erst der Verlust uns über den Wert der Dinge.

Spekulation auf günstige Möglichkeiten,

um sich über Misslichkeiten der Gegenwart hinwegzutrösten, bringe meist nur Enttäuschung. Dagegen helfe die Spekulation großer Unglücksfälle, diesen vorzubeugen. Auch ließen sich bei dieser Haltung kleinere Rückschläge leichter ertragen.

[15]

Die Sorge für eine wichtige Angelegenheit

soll nicht die Sorgfalt für die vielen kleinen Angelegenheiten des Alltags mindern. Wir müssen also gleichsam Schiebfächer für unsere Gedanken haben, von denen wir eines öffnen, derweilen die anderen geschlossen bleiben. Dadurch erlangen wir, daß nicht eine schwer lastende Sorge jeden kleinen Genuß der Gegenwart verkümmere und uns alle Ruhe raube.

Sich selbst führen

  • Ein kleiner, an der rechten Stelle angebrachter Selbstzwang, beugt nachmals vielem Zwang von außen vor.
Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Toren niemals ein. (Faust II, 5061 – 62)

[16]

Realismus

  • Ohne sich bewusst zu sein, dass dem Einzelnen nur ein unendlich kleiner Teil alles Wünschenswerten erreichbar ist, werden weder Reichtum noch Macht verhindern können, daß wir uns armselig fühlen.

[17]

Tätigkeit,

etwas treiben, womöglich, etwas machen, wenigstens aber etwas lernen, [ist] zum Glück des Menschen unerlässlich.

Sich zu mühen

und mit dem Widerstande zu kämpfen, ist dem Menschen Bedürfnis. - Fehle ihm die Gelegenheit dazu, jage der eine, der andere spiele Bilboquet,[13] wieder andere würden Händel suchen, Intrigen spinnen oder sich auf Betrügereien und allerlei Schlechtigkeiten verlegen, nur um dem unerträglichen Zustand der Ruhe ein Ende zu machen.

[19]

Nicht wankend gemacht zu werden,

fällt auf Dauer überaus schwer, wenn alle, die uns umgeben, anderer Meinung sind als wir und danach sich benehmen, selbst wenn wir von ihrem Irrtum überzeugt sind.[14]


  1. Kommentar: Glück bringend wohl nur für Menschen mit reichem Innenleben oder im Zusammenleben mit einer heiteren Bezugsperson. Den munteren Part kann auch ein Hund mit fröhlichem Naturell übernehmen, wie es Thomas Mann in dem „Idyll“ Herr und Hund schildert.
  2. Kommentar: Für junge Menschen dürfte diese Lebensweisheit noch nicht zutreffen. Erst im Alter, nachdem die Stürme des Lebens bestanden sind, bereitet das Gewohnte mehr Behagen als Abwechslung.
  3. Alle meine Habe trage ich bei mir
  4. Als wiederkehrendes Motiv bei Thomas Mann von Tonio Kröger (1903) bis Doktor Faustus (1947)
  5. Thomas Mann: Leiden und Größe Richard Wagners (1933)
  6. Historia von D. Johann Fausten (1587)
  7. Joseph von Eichendorff, «Zwielicht».
  8. In der Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft kann sie zu Nachahmungen animieren, nur um nicht zurückzustehen und damit zur Belastung mit Überflüssigem; nicht selten auf Kredit, also mit Geld, das noch nicht vorhanden ist.
  9. Freiwilliges Außenseitertum.
  10. Kommentar: Neid verengt den Blick. Er fokusiert Einzelnes und blendet den Lebensballast, den jeder, auch der Beneidete, mit sich schleppt, aus.
  11. Nietzsche hat diesen Gedanken zu einer zentralen Aussage seiner Philosophie gemacht und ihn amor fati (Liebe zum Schicksal) genannt.
  12. In dieser Reihenfolge so von Schopenhauer aufgezählt.
  13. Spiel, bei dem eine Kugel mit einem Fangbecher aufgefangen werden muss.
  14. Es ist ein Trugschluss, angesichts einer weit verbreiteten Auffassung zu folgern: „So viele können sich doch nicht irren.“ Doch, die Menge kann durchaus irren, und man ist, soweit man im Moment sehen kann, der Einzige, der den allgemeinen Irrtum durchschaut.



Unser Verhalten gegen andere betreffend

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[21]

Equipierung

  • Um durch die Welt zu kommen, ist es zweckmäßig, einen großen Vorrat von Vorsicht und Nachsicht mitzunehmen: durch erstere wird man vor Schaden und Verlust, durch letztere vor Streit und Händel geschützt.

„Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind. Es gibt keine anderen“ [1]

  • Die Individualität eines Mitmenschen, sei sie auch die schlechteste, erbärmlichste oder lächerlichste, soll man hinnehmen als ein Unabänderliches. Verdammen wir nun sein Wesen ganz und gar; so bleibt ihm nichts übrig, als in uns einen Todfeind zu bekämpfen: denn wir wollen ihm das Recht zu existieren nur unter der Bedingung zugestehen, daß er ein anderer werde, als er unabänderlich ist.
  1. Konrad Adenauer

[22]

Gesellschaftliche Begabung

  • Durchschnittlichkeit erkläre, warum die ganz Gewöhnlichen so gesellig sind und überall so leicht recht gute Gesellschaft finden, – so rechte, liebe, wackere Leute. Bei den Ungewöhnlichen fällt es umgekehrt aus, und desto mehr, je ausgezeichneter sie sind.

Geistiges Potential und private Kommunikation

  • Jeder kann dem anderen nur soviel sein, wie dieser ist. Die eigentlichen großen Geister horsten, wie die Adler, in großer Höhe, allein.

[23]

Erkennen von persönlichen Vorzügen

  • Jeder sieht am anderen nur so viel, als er selbst auch ist.

Wertschätzung

  • Jede Wertschätzung ist ein Produkt aus dem Werte des Geschätzten mit der Erkenntnissphäre des Schätzers.

Selbstachtung

  • Hieraus folgt, daß man sich mit jedem, mit dem man spricht, nivelliert, indem alles, was man ihm voraus haben kann, verschwindet und sogar die dazu erforderliche Selbstverleugnung völlig unerkannt bleibt.

Selbstschutz

  • Auch wird man einsehen, daß, Dummköpfen und Narren gegenüber es nur einen Weg gibt, seinen Verstand an den Tag zu legen, und der ist, daß man mit ihnen nicht redet.

[24]

Auf Reisen gehen

  • Vielen Leuten hingegen sieht man an, daß bei ihnen das Sehen die Stelle des Denkens eingenommen hat.

[25]

Beliebtheit

  • Hauptsächlich wird einer in dem Maße beliebt sein, als er seine Ansprüche an Geist und Herz der anderen niedrig stellt, und zwar im Ernst und ohne Verstellung.

Verehrung

  • Sie wird ihnen [den Mitmenschen] nur wider Willen abgezwungen, auch, deshalb, meistens verhehlt.

[26]

Unerreichbarkeit der Mitmenschen

  • Die meisten Menschen sind so subjektiv, […] daß sie bei allem, was gesagt wird, sogleich an sich denken, […] so daß sie für den objektiven Gegenstand der Rede keine Fassungskraft übrig behalten.

Ungewollte Beschämung

  • Bei manchen geht nun aber die Sache so weit, daß sie Geist und Verstand, im Gespräch mit ihnen an den Tag gelegt, oder doch nicht genugsam versteckt, geradezu als eine Beleidigung empfinden, wenngleich sie solche noch vorderhand verhehlen; wonach dann aber nachher der Unerfahrene vergeblich darüber grübelt, wodurch in aller Welt er sich ihren Groll oder Haß zugezogen haben könne.
Was klagst du über Feinde?
Sollten je solche werden Freunde,
Denen das Wesen, wie du bist,
Im Stillen ein ewiger Vorwurf ist? (West-östlicher Divan)

[28]

Souveränität

  • Überlegenheit im Umgang erwächst allein daraus, daß man der anderen in keiner Weise bedarf und dieses sehen läßt.

[29]

Misanthropie als Selbstschutz

  • Von den Menschen, im [G]anzen genommen, [steht] zu erwarten [ ], daß nämlich fünf Sechstel derselben in moralischer oder intellektueller Hinsicht so beschaffen sind, daß, wer nicht durch die Umstände in Verbindung mit ihnen gesetzt ist, besser tut, sie vorweg zu meiden.

Charakter als Lebenskonstante

  • Der Charakter ist schlechthin inkorrigibel.

[30]

Menschenkenntnis

  • Das Affektieren irgendeiner Eigenschaft, das Sichbrüsten damit, ist ein Selbstgeständnis, daß man sie nicht hat. Sei es Mut oder Gelehrsamkeit oder Geist oder Witz oder Glück bei Weibern oder Reichtum oder vornehmer Stand, oder was sonst, womit einer großtut, so kann man daraus schließen, daß es ihm gerade daran an etwas gebricht. [1]
  1. Die auftrumpfende Selbstbehauptung: „Ich bin doch nicht blöd!“ verrät eine unterschwellige Unsicherheit in diesem Punkt. So formulierrte Werbeslogens haben als Zielgruppe die Dummen.

[34]

Geistvolle Eloquenz

Was für ein Neuling ist doch der, welcher wähnt, Geist und Verstand zu zeigen, wäre ein Mittel, sich in Gesellschaft beliebt zu machen.[1]

  1. Intellektuelle Überforderung der Mitwelt bleibt nicht ungestraft.

Persönliche Vorzüge

Ist doch Geist und Verstand an den Tag legen nur eine indirekte Art, allen anderen ihre Unfähigkeit vorzuwerfen. Zudem gerät die gemeine Natur in Aufruhr, wenn sie ihr Gegenteil ansichtig wird, und der geheime Anstifter des Aufruhrs ist der Neid.

Unkompliziertheit

Hingegen gereicht geistige Inferiorität zur wahren Empfehlung.

Selbstbehauptung

Manchen Leuten gegenüber freilich unterstellte Inferiorität zu beweisen – da gehört etwas dazu.

[35]

Zutraulichkeit

An unserem Zutrauen zu anderen haben sehr oft Trägheit, Selbstsucht und Eitelkeit den größten Anteil.

Misstrauen

Misstrauen ist ein Kompliment für die Redlichkeit, indem der Misstrauische sie für rar hält.[1]

  1. Zusammengefasste Wiedergabe

[36]

Höflichkeit

  • Sie ist eine still schweigende Übereinkunft, gegenseitig die moralisch und intellektuell elende Beschaffenheit voneinander zu ignorieren.

[37]

Eigenständigkeit

  • Für sein Tun und Lassen darf man keinen anderen zum Muster nehmen.

Wahrhaftigkeit

  • Auch im Praktischen ist Originalität unerläßlich: sonst paßt[,] was man tut[,] nicht zu dem, was man ist.

[38]

Widerspruch

  • Man bestreite keines Menschen Meinung.
Laß dich nur in keiner Zeit
Zum Widerspruch verleiten,
Weise fallen in Unwissenheit,
Wenn sie mit Unwissenden streiten. (West-östlicher Divan)

[39]

Im Diskurs

  • Wer da will, daß sein Urteil Glauben finde, spreche es kalt und ohne Leidenschaft aus.

[40]

Selbstlob

  • Auch beim besten Rechte dazu, lasse man sich nicht zum Selbstlobe verführen.In mäßigen Dosen empfiehlt es Schopenhauer aber doch.

[42]

Wissensvorsprung

  • Überhaupt ist des geratener, seinen Verstand durch das, was man verschweigt, an den Tag zu legen, als durch das, was man sagt.

Neugier auf Privates

  • Denn je unempfänglicher und gleichgültiger die Leute gegen allgemeine Wahrheiten sind, um so erpichter sind sie auf individuelle.

[44]

Zur Unveränderlichkeit des Charakters

  • Einen schlechten Zug eines Menschen jemals vergessen, ist wie wenn man schwer erworbenes Geld wegwirft.

[45]

Empörung

  • Zorn oder Haß in Worten oder in Mienen blicken zu lassen ist unnütz, ist gefährlich, ist unklug, ist lächerlich, ist gemein. Man darf also Zorn nur in Taten blicken lassen.



Unser Verhalten gegen den Weltlauf und das Schicksal betreffend

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[48]

Instinkt als Lebensorientierung

  • Die Entscheidungen an den Wendepunkten des Lebens werden intuitiv getroffen, nach einem inneren Impuls, man möchte sagen Instinkt, der aus dem tiefsten Grund unseres Wesens kommt. [Vgl.[4])

Lebensbilanz

  • Nur das glücklich erreichte Alter ist, subjektiv wie objektiv, befähigt, die Sache [1] zu beurteilen.
  1. Ein geglücktes oder versäumtes Leben

[49]

Der Faktor Zeit

  • Man sollte beständig die Wirkung der Zeit und die Wandelbarkeit der Dinge vor Augen haben.
  • Der Wechsel allein ist das Beständige.

[51]

Die Janusköpfigkeit des scheinbar Gedeihlichen wie des scheinbar Nachteiligen

  • Fast jeder [hat] einmal geklagt [ ] über das, was nachher sich als sein Bestes auswies, oder gejubelt über das, was die Quelle seiner größten Leiden geworden ist.

Lebenslügen

  • Jedes große oder kleine Missgeschick sei meist nur ein verkapptes Ungeschick.

[52]

Schicksal als gelebter Charakter [1]

  • Was aber die Leute gemeiniglich das Schicksal nennen[,] sind meist nur ihre dummen Streiche.
  1. Thomas Mann: „Denn Schicksal ist ja nur die Auswirkung des Charakters.“ (Leiden und Größe Richard Wagners, 1933)

[53]

Mut

  • Nächst der Klugheit aber ist Mut eine für unser Glück sehr wesentliche Eigenschaft.- Und doch ist auch hier ein Exzeß möglich: denn der Mut kann in Verwegenheit ausarten.


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