Benutzer:Almeida/Birbaumer
Vorbemerkung
[Bearbeiten]Im Lucius-Verlag erscheint eine außergewöhnlich interessante Zeitschrift. Sie heißt Erwägen - Wissen - Ethik (vormals Ethik und Sozialwissenschaften - Streitforum für Erwägungskultur), versteht sich als "Forum der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen (wissenschaftlichen) Schulen, Strömungen und Richtungen" und will "den erwägenden Umgang mit (wissenschaftlicher) Vielfalt fördern". Zu diesem Zweck werden in jeder Ausgabe Diskussionseinheiten zu interessanten wissenschaftlichen Positionen veröffentlicht. Sie bestehen aus einem Hauptartikel, in dem ein namhafter Vertreter einer Wissenschaftsrichtung den Forschungsstand zu einem Thema aus seiner Sicht referiert, und Kritiken dazu von anderen Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Positionen. Zum Schluss hat der Hauptautor die Gelegenheit zu einer Replik.
Der Hauptartikel der 8. Diskussionseinheit des Jahrgangs 2002 (Jg. 13, Heft 4) trägt den Titel "Der Mensch, das abwehrbegabte Wesen - Abwehrvorgänge aus psychodynamischer und kognitionspsychologischer Sicht" und stammt aus der Feder von Prof. Wolfgang Mertens, Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Abteilung Psychologie der LMU München. Prof. Mertens ist ein international anerkannter Psychoanalytiker, der sich vor allem um die Verbindung von Psychoanalyse und akademischer, empirisch orientierter Psychologie sehr verdient gemacht hat. Er setzt sich in seinem Artikel mit Abwehrvorgängen wie Verdrängung, Rationalisierung oder Projektion auseinander und plädiert für eine "psychoanalytische Psychologie, in der psychodynamische und kognitiv neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden integriert werden".
Um diesen interessanten Artikel geht es mir hier jedoch gar nicht. Mir geht es um die im gleichen Heft (S. 522-523) abgedruckte Kritik daran von einem der bekanntesten deutschen Neurowissenschaftler, Prof. Dr. Niels Birbaumer, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen (Wikipedia-Artikel über Prof. Birbaumer). Diese Kritik ist die wohl ungewöhnlichste Veröffentlichung, die ich im wissenschaftlich-psychologischen Bereich jemals gelesen habe. Daher habe ich mir die Mühe gemacht, sie hier in wesentlichen Auszügen wiederzugeben.
Birbaumer-Kritik an der Psychoanalyse
[Bearbeiten]Niels Birbaumer: Die Psychoanalyse als Parasitäre Pseudowissenschaft: Kognitive Neurowissenschaft, rette uns!
((1)) Die Psychoanalyse hat es 100 Jahre verstanden, Gesellschaft, Patienten und Kultur- und Literaturwissenschaften an der Nase herumzuführen, vor allem aber sich parasitär an ihr, vor allem den leidtragenden und verarmenden Patienten (über Jahre) festzusaugen. Wie der Autor W.M. formuliert, "besitzt die Psychoanalyse nicht zuletzt auch aufgrund ihres nunmehr über einhundertjährigen Bestehens ein profundes klinisches Wissen...". Der Aderlass als Therapie hat mehr als 200 Jahre überlebt (weniger die Patienten), übrigens mit derselben Strategie: eine pseudologische, pseudowissenschaftliche und vor allem antirationalistische Sprache (...), eine mafiöse Organisation von am Modell der Organ-Medizin orientierten Clubs (Vereine), die hohe finanzielle und zeitliche Ansprüche stellen (Ausbildung, Lehranalyse), sodass danach der Verbleib im religiös (Freud als Gott) und autoritär geführten Club allein wegen der ihm gebrachten Opfer gesichert ist. Die parsitäre Lebensweise der Psychoanalyse hätte aber das 20. Jahrhundert aufgrund ihrer gut dokumentierten Fehler (Fisher & Greenbey 1996; Mecacci 2000), vor allem aufgrund der geradezu selbstmörderischen "Therapien" an ihren eigenen Vertretern (siehe die Fälle von Honegger bis Bettelheim) nicht überlebt, wäre ihr nicht ein halbgebildeter, paranoider und antisemitischer österreichischer Gefreiter, Adolf Hitler, zu Hilfe gekommen. Wie die Österreicher mutieren die Psychoanalytiker nun zu Widerständlern. Dies betont der Autor auch (wie alle Psychoanalytiker), vergisst aber dabei, dass zwar die jüdischen Vertreter der Psychoanalyse im Nazireich wie alle Juden verfolgt, ermordet und verjagt wurden, dass aber der Großteil der deutschsprachigen Psychoanalyse die nationalsozialistische Anpassung ohne Probleme vollzog. Also auch hier stimmt das Bild vom Blutegel als wissenschaftlicher Vater. Die (auch österreichisch geprägte) Hitlerei als "latent homoerotische Kamaraderie" (siehe Paragraph 11) zu psychoanalysieren verletzt die Homosexuellen und zeigt die latent faschistoide, antirationalistische Argumentationsweise des psychoanalytischen Bundes.
Um am Leben zu bleiben und sich fortzupflanzen, muss der Parasit sich an gesunde Wirtsorganismen heften: die Psychoanalyse hat dazu unterschiedliche Wissenschaften bemüht, bisher mit erstaunlichem Erfolg. Zunächst die klinische Medizin, vor allem die Neurologie, von der Freud seine mechanistische und vereinfachende Logik übernahm: "wenn Du mich nicht magst, dann willst Du mich unbewusst sexuell doch" etc. Nachdem sich selbst die Psychiatrie von diesem Unfug distanzierte, versuchte man es mit Archäologie, Kunst- und Altertumswissenschaften. Ödipus und Leonardo leiden heute noch daran. In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg versuchte die Psychoanalyse eine Annäherung an die Mutterwissenschaft, die Psychologie, sogar die Lernpsychologie, welche man bisher standhaft als "technikgläubig und positivismushörig" (W.M. ((14))) ignoriert und bekämpft hatte. Wie alle andern an Aufklärung, Kritik und Rationalität orientierten Disziplinen lehnte die Lernpsychologie aber auch dankend ab, aus wissenschaftspolitisch-hygienischen Gründen und angesichts des katastrophalen wissenschaftlichen und theoretischen Niveaus der Psychoanalyse.
((2)) Es gab noch einige Versuche, Verhaltenstherapie und Psychoanalyse anzunähern, die aber nur einfachen Gemütern oder handfest an Honoraren Orientierten "gelang".
((3)) folgt