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Benutzer:Cethegus/Münchhausen

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Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken von Karl Immermann ist ein satirischer romantischer Roman, in den eine realistische Dorferzählung, "Der Oberhof", eingefügt ist.

Textbeispiele

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Am Beginn leben von der Seitenlinie der adligen Familie Schnuck, die auf dem Schloss Schnick-Schnack-Schnurr ihren Sitz hat, nur noch der alte Baron und seine Tochter Emerentia. Diese hat als Zwölfjährige mal auf dem Schoß eines Fürsten gesessen.

Emerentias Liebe

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„Die Zeit verwischte zwar den Fürsten Xaverius Nicodemus den Zweiundzwanzigsten, da sie ihn nicht wiedersah, allgemach aus ihrem Herzen, dagegen setzte sich in ihr die Standesvorstellung, die Vorstellung an sich, daß sie bestimmt sei, mit einem Hechelkramischen Fürsten in zärtliche Verhältnisse zu treten, immer fester in ihr, wobei sie sich durchaus nichts Arges dachte, woran sie aber mit solcher Innigkeit hing, wie ihr Vater an seinen Geheimenratsgedanken. Weil nun das Herz nicht in das Leere seinen Drang versenden mag, sondern gern an liebevoll-gediegner Wirklichkeit ausruht, so hatte ihre schwärmende Phantasie nach einigem Umherschweifen im leeren Raume auch bald den sichtbaren Gegenstand gefunden, der ihr den künftigen Liebhaber unter den Fürsten von Hechelkram vorbilden mußte. In der Tat war dieser Gegenstand ganz geeignet, die Einbildungskraft eines fühlenden Mädchens knacken, der Mund wollte zwar seines Berufes wegen für die Gesetze reiner Verhältnisse etwas zu groß erscheinen, aber ein schwarzer Schnurrbart von wunderbarer Fülle, welcher über den Lippen hing, machte diesen Übelstand wieder gut. Die großen, grellen, himmelblauen Augen blickten sanft und grade vor sich hin, und ließen auf eine Seele vermuten, in welcher die Milde bei der Stärke wohnte.

Bekleidet war dieser idealisch-schöne Nußknacker mit einer rotlackierten Uniform und weißem Unterzeuge; auf dem Haupte aber trug er einen imponierenden Federhut. Emerentia hatte ihn zu ihrem Namenstage geschenkt bekommen. Sobald sie seiner ansichtig wurde, erzitterte sie, erseufzte sie, errötete sie. Niemand verstand ihre Regung. Sie aber trug den Nußknacker auf ihr einsames Zimmer, stellte ihn auf den Kamin, blickte ihn lange glühend und weinend an, und rief endlich: [63] »Ja, so muß der Mann aussehen, dem sich dieses volle Herz zu eigen ergeben soll!« Von der Zeit an war der Nußknacker ihr vorläufiger Geliebter. Sie hielt mit ihm die zärtlichsten Zwiegespräche, sie küßte seinen schwarzen Schnurrbart, sie hatte dem ganzen Verhältnisse eine so tiefe Beseelung gegeben, daß sie jederzeit des Abends, wenn sie sich zum Schlafengehen entkleiden wollte, schamhaft zuvor ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ sich das alles gefallen, stand zuversichtlich auf seinen Füßen, und blickte mit den großen, blaugemalten Augen mildkräftig vor sich hin.

Emerentien hatte diese schöne Liebe rasch gereift. Von der Natur war sie, wenn auch nicht mit Reizen, doch mit blühenden Gesichtsfarben und runden Armen ausgestattet worden; es konnte ihr daher an Verehrern unter den benachbarten Landjunkern nicht fehlen. Aber sie schlug alle Bewerbungen von der Hand und sagte, sie folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an. Unter dem Ideal verstand sie den auf dem Kamin und unter der Zukunft einen Hechelkramischen Fürsten.

Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie sagten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck-Puckelig seien alle Gefühle seit Jahrhunderten der heraldisch-richtigen Bahn gefolgt. Es lasse sich also nichts daran ändern und modeln, was ihre Tochter empfinde.“

Ein Lehrer kommt durch einen neuen Lehrplan um seinen Verstand

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„Da ereignete es sich, daß die allgemeinen Steigerungen des Zeitalters auch einen neuen Lehrplan im Lande hervorriefen, der bis zu den Dorfschulmeistern umbildend durchgreifen sollte. Seine Vorgesetzten schickten ihm ein Lehrbuch der deutschen Sprache zu, eines von denen, welche die ABC-Wissenschaft tiefsinnig und philosophisch begründen wollen, und erteilten ihm die Weisung, seine bisherige rohe Empirie zu rationalisieren, sich selbst zuvörderst aus dem Buche zu unterrichten, und dann danach die veränderte Belehrung der Jugend anzufangen. Der Schulmeister las das Buch durch, er las es noch einmal durch, er las es von hinten nach vorn, er las es aus der Mitte, und er wußte nicht, was er gelesen hatte. Denn es war darin gehandelt von Stimmlauten und Mitlauten, von Auf- In- und Umlauten; er sollte daraus die Laute trüben und verdünnen lernen, er sollte durch Säuseln, Zischen, Pressen, durch Näseln und Gurgeln die Laute hervorbringen, er vernahm, daß die Sprache Wurzeln treibe und Seitenwurzeln, er erfuhr endlich daraus, daß das I der reine Urlaut sei, und daß dessen Erzeugung durch starkes Zusammendrücken des Kehlkopfes nach dem Gaumen hin geschehe.

Er bat Gott um Erleuchtung in diesen Finsternissen, aber sein Flehen prallte zurück von dem ehernen Himmel. Er setzte sich wieder vor das Buch, mit der Brille auf der Nase, um schärfer zu sehen, wiewohl er bei Tageslicht wohl noch ohne Gläser fertig werden konnte. Ach, nur deutlicher traten seinen bewaffneten Augen die furchtbaren Rätsel des Daseins, die Sause-Zisch- Preß- Nasen- und Gurgellaute entgegen! Darauf legte er das Buch weg, fütterte seine Gänse und gab einem Jungen, der gerade dazukam und sagte, der Vater wolle das Schulgeld nicht zahlen, zwei derbe Maulschellen, um durch das praktische Leben Aufschluß für die Theorie zu gewinnen. Umsonst. Er aß eine Knackwurst, sich körperlich zu stärken. Vergebens. Er leerte einen ganzen Senftopf, weil er gehört hatte, dieses Gewürz schärfe den Verstand. Eitles Bemühen!

Er legte das Buch abends vor dem Schlafengehen unter sein Kopfkissen. Leider fühlte er am anderen Morgen, daß weder [81] die Wurzeln, noch die Seitenwurzeln ihm in den Kopf gedrungen waren. Gern hätte er das Buch, wie Johannes jenes vom Engel getragne, auf die Gefahr der empfindlichsten Leibschmerzen hin, verschlungen, wäre er dadurch des Inhaltes Meister geworden; aber welche Hoffnungen konnte er nach dem Bisherigen von einem so gewagten Versuche hegen? Die Schule stand still, die Kinder fingen Maikäfer, oder jagten die Enten in den Teich. Die Alten aber schüttelten den Kopf und sagten: »Mit dem Schulmeister hat es seine Richtigkeit nicht.« Eines Tages, nachdem er sich wieder in seinen verzweiflungsvollen Bemühungen um den Sinn der Dünnung und Trübung abgearbeitet hatte, rief er: »Wenn ich dieser Bestie von Buch nur erst an einem Flecke beigekommen bin, so gibt sich vielleicht das übrige von selbst!« – Er nahm sich vor, zuvörderst den reinen Urlaut I nach der Anweisung des Buchs zu erzeugen.

Er setzte sich daher auf seinen Grasfleck zum Rinde, welches dort, unbekümmert um rationelle Lauterzeugung, empirisch brummte, stemmte die Arme in die Seite, drückte den Kehlkopf stark nach dem Gaumen hin, und stieß nun die Töne hervor, welche sich auf solche Weise veranstalten lassen wollten. Sie waren höchst sonderbar, und so auffallend, daß selbst das Rind vom Grase emporblickte und seinen Herrn mitleidig ansah. Eine Menge Bauern hatte der Schall herbeigezogen; sie standen neugierig und verwundert um den Schulmeister her. »Gevattern!« rief dieser und ruhte einen Augenblick von seiner Anstrengung aus, »paßt einmal auf, ob es der reine Urlaut I wird?« Darauf gab er sich wieder an die Kehlkopf-Gaumendrückung. »Gott behüte!« riefen die Bauern, und gingen nach Hause, »der Schulmeister ist übergeschnappt, er quiekt schon wie ein Ferkel.«

Und wirklich stand der arme Schulmeister nahe an der Grenze, über welche die Bauern ihn bereits gesprungen glaubten. Die Frist war abgelaufen, welche man ihm zum Selbstunterrichte gesetzt hatte, er sollte jetzt nach dem Buche lesen lernen lassen, eine Visitation seiner Schule durch den Herrn Schulrat Thomasius nahte heran, die Verzweiflung trat ihm zum Herzen, und seine Gedanken begannen zu schwärmen.[82] Andre sind durch das Brüten über der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria, oder über dem Geheimnisse der Trinität, oder von dem Gedanken an die Ewigkeit verrückt geworden; warum sollte ein Dorfschulmeisterlein nicht durch eine moderne Sprachlehre den Verstand verlieren können?“

Immermann: Münchhausen, 1. Buch 6. Kapitel, S.80 - 82

Der Schriftsteller Immermann trifft auf seine Figur Münchhausen

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„»Nein, Herr von Münchhausen«, erwiderte der Schriftsteller, der plötzlich ernst geworden war, kalt. »Vergeuden wir die edle Zeit nicht mit müßigen Spielen des Witzes! Ich bin mit Ihnen sehr unzufrieden. Immer noch sah ich Sie auf der Höhe der Wogen, jetzt aber scheinen Sie gänzlich unter der Flut zu sein. Was soll dieses Schlafen? Was soll das Verrammeln in einem Hause, welches nicht Ihnen gehört? Fühlen Sie denn nicht, daß Sie durch solche Eulenspiegeleien sich fallenlassen?« »Herr Immermann, Sie irren«, versetzte Münchhausen. »Ich schlief ein, als ich mir gegen den alten Narren, meinen Wirt, durchaus nicht anders mehr zu helfen wußte. Darin ahmte ich nur das Stratagem erfinderischer Köpfe nach. Ich versichere Sie, man wird vielleicht bald von dem chronischen Schlummer mehrerer Projektenmacher hören, wenn ihr Latein erschöpft ist.« [...] Sie haben mich in Ihrer [568] rauhen Manier angefahren, Sie haben einen hohen Ton gegen mich angestimmt, als seien Sie wunder wie weit über mir und ich nur eine mediokre Figur. Ich bin gegen solche Beleidigungen empfindlich. Deshalb frage ich Sie jetzt, womit habe ich sie verdient? Wissen Sie einen einzigen schlechten Streich von mir, mein Herr?« Der Schriftsteller versetzte nach einigem Besinnen: »Nein. Wahrheit muß Wahrheit bleiben. Einen eigentlich schlechten Streich weiß ich allerdings nicht von Ihnen. Wie hätte ich mich auch mit einem Escroc so weit einlassen mögen?« »Nun denn!« rief Münchhausen, und seine Gestalt, von der roten Uniform gehoben, nahm eine Art komischer Erhabenheit an. »Ich habe phantasiert, ja! Ich habe tolle Streiche ausgehen lassen, ja! Ich habe es mit der Wahrheit ziemlich oder vielmehr unziemlich leicht genommen, ja! Ich war überall und nirgends, mein Name war mir stets so gleichgültig wie der Rock, den ich gerade zufällig trug – aber mein Ehrenwort hatte ich mir darauf gegeben, alles dieses Schwärmen, Phantasieren, Fabulieren, Vagabondieren uneigennützig zu treiben, und obgleich ich der Freiherr von Münchhausen heiße, dieses Ehrenwort habe ich gehalten. [...] Was soll ein gescheiter Kerl jetzt anders tun als lügen, die Prahlhänse zum besten haben, umherlaufen, sich wandeln und verwandeln? In Kriegsdienste gehen? – Napoleon hat das Heldentum ausgebeutet, wie er selbst ungefähr mit den nämlichen Worten auf Sankt Helena sagte, für fünfzig und mehrere Jahre, es ist heutzutage als sähe man bleierne Soldaten aufgestellt, darunter ist auch immer noch einer als General und mehrere sind als Hauptleute lackiert, aber bleierne Soldaten sind sie alle. In der Staatskunst sich versuchen? Auch da verlangt man nach einem Chef, der's ist, der nicht bloß so heißt. Zeigt mir einen Richelieu, oder nur einen schlauen, geschminkten Mazarin und ich werde Legationsrat. In Papier spekulieren? Pfui! Ich bin ja kein Jude. Den Tiefdenker machen, das Original, den Sonderling, den Unglücklichen? Abgebraucht. Was bleibt übrig? Lügen, Flirren, Flausen produzieren. Ein [570] Lügner war ich, ein Lügner bin ich, ein Lügner will ich sein! Ich habe auf Tollheiten spekuliert, das ist das höchste und nobelste Hasardspiel, was es gibt. Lucian ist mein Evangelium und Ebu Seid von Serug mein Herr und Meister! Und da ich ein solcher bin, wie können Sie, mein Herr, sich herausnehmen, mir so unhöflich zu begegnen?« »Was!« rief der Schriftsteller Immermann, »du empörst dich, Geschöpf, wider deinen Schöpfer?« »Alter Freund«, versetzte der Freiherr mit ruhiger Hoheit, »Ihr seid nicht der Mann, einen Mann wie mich zu schaffen. Ihr habt einige meiner Abenteuer aufgeschrieben und demnach ein Stück meiner Biographie geliefert, das ist das Ganze, und wer weiß noch, ob mir und meinem Rufe damit sehr gedient gewesen ist, denn Ihr habt wenig Kredit in der Literatur. Ihr besorgt mir die Flaschen mit der Hühneraugenessenz an den Oberkammerherrn, und wollt mir durch dieses und andere Mittel mein sicheres Brot bei dem Erbprinzen von Dünkelblasenheim verschaffen. Ob ich Euch dafür zu danken habe, weiß ich erstlich noch gar nicht, denn vielleicht sagt mir die gebundene Lage nicht zu. Wäre das aber auch, so sind jene Dienste kleine Gefälligkeiten, die ich Euch dadurch reichlich vergütet habe, daß ich Euch erlaubte, aus mir ein Buch zu machen.« »Sie behaupten also im vollen Ernste, ein selbständiger Charakter zu sein?« fragte der Schriftsteller befremdet. »Freilich. Ich weiß gar nicht, wie Sie mir vorkommen. Nehmen Sie sich nur in acht, daß Sie nicht ganz gegen mich verschwinden, daß Sie nicht für eine Erfindung von mir gelten. Was hätten Sie mir geben oder leihen können? – Sie sind kein Genie –« »Nein«, versetzte der andere ohne alle Ironie oder Empfindlichkeit. »Sie sind höchstens ein Talent, doch sind Sie auch das nicht, sondern nur ein Nachahmer. Sie ahmten immer nach, erst Shakespeare, dann Schiller, zuletzt Goethe. In Ihren Arbeiten ist mehr Witz, Phantasie, Reichtum als in denen der andern, die Ideen strömen Ihnen aus ergiebigeren Quellen zu als den andern, aber Sie sind ein mittelmäßiger Kopf und ein seichter Geist. Adel und Hoheit der Weltanschauung kann man Ihnen [571] nicht absprechen, wenn Sie nur nicht so trivial wären. Sie haben einige Figuren in vollendeter Wahrheit geschaffen, könnten Sie sich an eine Erscheinung hingeben, so wäre Ihnen vielleicht geholfen. Sie waren stets ein Dichter von Gesinnung, leider aber ohne alles Gefühl und ohne Liebe.« Der Schriftsteller schüttelte dem Freiherrn die Hand, lachte und sagte: »Ich hatte schon gemeint, daß Ihr ernsthaft mit mir anbinden wolltet, nun sehe ich aber, daß Ihr Spaß macht, alter Spötter. Ihr habt den Ton meiner öffentlichen Beurteiler ziemlich lustig kopiert.“

Immermann: Münchhausen, 6. Buch 6. Kapitel, S.566-571

weitere Textbeispiele

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Der wilde Jäger - der Oberhof

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Der Hofschulze

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„Im Hofe zwischen den Scheuren und Wirtschaftsgebäuden stand mit aufgekrempten Hemdärmeln der alte Hofschulze und schaute achtsam in ein Feuer, welches zwischen Steinen und Kloben am Boden entzündet, lustig flackerte. Er rückte einen kleinen Amboß, der danebenstand, zurecht, legte sich Hammer und Zange zum Griffe bereit, prüfte die Spitzen einiger großen Radnägel, die er aus dem Bruststücke des vorgebundenen Schurzfells zog, legte die Nägel auf das Bodenbrett des Leiterwagens, dessen Rad er ausbessern wollte, und drehte die Stelle des Rades, von welcher ein Stück Schiene abgebrochen war, achtsam nach oben, worauf er durch untergeschobene Steine das Rad in seiner Stellung festigte. [...]

»Da Ihr so vernünftig redet, so werdet Ihr meinen Antrag jetzt besser erwogen haben«, hob der Rezeptor an. »Wie gesagt, die Regierung will alle Korngefälle der Höfe in hiesiger Gegend in Geld umwandeln. Sie hat allein den Schaden davon, denn Korn bleibt Korn, aber Geld ist heute so viel und morgen so viel wert, indessen ist es nun einmal ihr Wille, um der Last des Aufspeicherns quitt zu werden. Ihr tut mir also den Gefallen, und unterschreibt diese neue, auf Geld lautende Urkunde, die ich da zu diesem Behufe schon mitgebracht habe.« »Durchaus nicht«, antwortete der Hofschulze eifrig. »Es ist ein alter Glaube hierzulande, daß wer seinem Hofe eine Last auflegt, dafür zur Strafe nach seinem Tode auf dem Hofe umgehen muß. Ich weiß nicht, wie es damit beschaffen ist, aber das weiß ich: Vom Oberhofe sind seit vielen hundert Jahren nur Körner an die Gotteszelle gegeben worden, und damit wolle sich also das Rentamt begnügen, wie das Stift sich damit begnügt hat. Wächst Geld auf meinem Acker? Nein. Korn wächst darauf. Woher wollen sie also das Geld nehmen?« [...]

»Ein starres, widerhaariges Volk hierzulande«, sagte der Rezeptor. »Ich bin erst vor kurzem aus Sachsen herversetzt, und merke den Abstand. Dort wohnen die Leute beisammen und deshalb müssen sie schon höflich und nachgiebig und betulich miteinander sein. Aber hier sitzt ein jeder auf seinem Kampe, hat sein Holz, sein Feld, seinen Wiesewachs um sich, als gäbe es sonst nichts in der Welt. Darum halten sie auch auf ihre alten Schnurren und Faxen so steif, die anderwärts überall abgekommen sind. Was für Mühe habe ich schon mit den andern Bauern wegen der dummen Umschreibereien gehabt, aber dieser hier ist doch der schlimmste.« »Das kommt daher, Herr Rezeptor, weil er so reich ist«, bemerkte der Pferdehändler. »Mich wundert, daß Sie es mit den andern in der Bauerschaft ohne ihn durchgesetzt haben, denn der hier ist ihr General und Advokat und alles, sie richten sich in jeglicher Sache nach ihm. Er bückt sich vor keinem. Vorm Jahre kam ein Prinz hier durch; wie er den Hut vor dem abnahm, war es wahrhaftig, als wollte er sagen: Du bist der und ich bin der. Der Mistfink! Für die Stute sechsundzwanzig Pistolen haben zu wollen! Aber das ist das Unglück, wenn der Bauer zu viel Vermögen kriegt. Wenn Sie dort durch das Eichholz hindurch sind, gehen Sie eine geschlagene halbe Glockenstunde durch seine Felder. Und alles bestellt, daß es nur so eine Art hat. Ich bin mit meiner Koppel vorgestern durch den Roggen und Weizen geritten, und Gott strafe mich, wenn was [140] anderes als die Köpfe von den Pferden über die Ähren hinübersahen. Ich dachte, ich würde ersaufen.«“

Immermann: Münchhausen, 2. Buch, 1. Kapitel, S.135 - 140

Die Liebenden

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„Die glückselige Zeit begann, wenn Lisbeth von ihrer Arbeit ruhte und frische Luft schöpfte. Dann war es gewiß, daß beide zusammentrafen, der Jäger und sie. Und wäre er noch so weit hinten im Gebüsch gewesen, es kam ihm dann vor, als sagte ihm jemand: »Jetzt ist Lisbeth im Freien.« Dann flog er hin, wo er sie vermutete, und siehe, seine Ahnung hatte ihn nicht getäuscht, denn schon von weitem erblickte er die schlanke Gestalt und das liebliche Antlitz. Sie pflegte sich dann wohl seitwärts nach einer Blume zu bücken, als achte sie seiner nicht. Vorher hatte sie freilich nach der Gegend gesehen, woher er kam. Nun gingen sie zusammen durch Feld und Aue, denn er bat sie darum herzlich, daß es ihr wie eine Sünde vorkam, ihm die kleine Bitte abzuschlagen. Und je weiter sie sich vom Hofe in die wallenden Felder, in die grünen Wiesen verloren, desto freier und fröhlicher wurde ihnen zumute. Und wenn die rote sinkende Sonne alles ringsumher und ihre jugendlichen Gestalten mit verklärte, dann meinten sie, es könne ihnen keine Angst und Pein mehr im Leben kommen. Der Jäger tat der Lisbeth auf diesen Gängen alles zu Gefallen, was er ihr nur an den Augen absehen konnte. Wenn sie [449] zufällig nach einem Busche wilder Feldblumen sah, die entfernt vom Wege auf einer hohen Hecke blühten, so hatte er sich auf die Hecke geschwungen, ehe noch der Wunsch nach den Blumen in ihre Seele gekommen war. Und wo der Weg sich etwas abschüssig senkte, oder ein Stein im Wege lag, oder wo es ein geringes Wässerlein zu überschreiten gab, da streckte sich sein Arm ihr stützend und führend entgegen und sie lachte über die unnötige Dienstfertigkeit, und – nahm den Arm dennoch, und ließ ihren noch eine Zeitlang in dem seinigen, auch wo der Weg wieder eben geworden war. Auf diesen stillen und anmutigen Gängen hatten die jungen Seelen einander viel mitzuteilen. Er erzählte ihr von den schwäbischen Bergen, von dem grünen Neckar, von der Alb, vom Murgtale und von dem Berge Hohenstaufen, auf dem das große Kaisergeschlecht entsprossen sei, dessen Taten er ihr auch erzählte. Dann sprach er von der großen Stadt, worin er studiert habe, und von den vielen klugen Leuten, die ihm dort bekannt geworden seien. Und endlich erzählte er ihr von seiner Mutter, wie er diese so zärtlich lieb gehabt habe, und wie es daher wohl kommen möge, daß ihm nachher jede Frau teuer und wert erschienen sei, weil er bei jeder an seine selige Mutter gedacht habe. Die Lisbeth mußte dagegen von ihrem einfachen Leben erzählen. Darin kamen keine großen Städte und keine klugen Leute vor und – auch keine Mutter! – Und dennoch meinte er, nie etwas Schöneres gehört zu haben. Denn jede niedere Pflicht, die sie geleistet, hatte sie durch Liebe geadelt, und von dem Fräulein und dem alten Herrn Baron wußte sie tausend rührende Züge anzugeben, auf allen Plätzen im Schloßgarten und hinter demselben waren ihr Geschichten begegnet, und aus den Büchern, die sie sich verstohlen vom Söller geholt, hatte sie erstaunliche Dinge über fremde Völker und Länder herausgelesen, und sonderbare Vorgänge zu Wasser und zu Lande, und alles hatte sie behalten. Wohl hatte der Diakonus recht gehabt, als er die Lisbeth mit der Blume verglich, die in Dust und Moder erblüht war. Die Natur hatte an diesem blonden Mädchen ihre Allmacht bewähren wollen. Sie hatte sich in einem Maienrausche vorgesetzt, [450] durch die Tat zu sprechen: »Sehet da mein Werk! Eure Erziehung ist Stückerei und Flickerei.« – In der Seele dieses Mädchens war alles neu, ganz, frisch, jungfräulich. Dieses Mädchen war verständig, wie ein Rechenmeister, und hatte mit den Bauern um den letzten Zinsgroschen sich gestritten, den sie ihrem Pflegevater verschaffen wollte, und dieses Mädchen war doch auch ganz lyrisch, ganz hingerissen, ganz quellendes und wiedergebärendes Empfangen. Über ihr Antlitz zogen die Geister der Dinge, die sie sah und hörte, ein sichtbarer Reigen. Wenn der Jäger ihr von den klugen Gesprächen der Weisen erzählte, so lag ein feines Verstehen um die Lippen, wenn er ihr sagte, daß Karl von Anjou mit finsterem unbeweglichem Gesichte zugesehen, als er den jungen unschuldigen Konradin hinrichten lassen, so faltete sich die reine Stirn und Tränen flossen unter diesen lieben zornigen Falten; aber eine süße Trunkenheit, ein seliger Sonnenschein durchleuchtete das Antlitz, wenn er ihr das grüne, wilde Murgtal schilderte und dazu mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme das Lied sang:

Süßer, goldner Frühlingstag! Inniges Entzücken! Wenn mir je ein Lied gelang, Sollt' es heut nicht glücken?

Alles, was er in diese unberührte Brust säte, das keimte, sproßte, wurzelte darin, blühte und trug Frucht. Der Jäger ward nicht müde, ihr aus seinem Vorrate zu geben, denn er empfing wieder das hundertste Korn; seine Welt kam ihm verklärt, gelichtet, vergöttlicht zurück aus dem Lächeln Lisbeths und von ihren frischen Lippen. So wogte es zwischen ihnen hin und wider, ein Seliges, Unausgesprochenes, Unaussprechliches und war der Wonne kein Ende. Jegliches gefiel ihm an ihr. Wenn er ihr an einer schlimmen Stelle des Weges die Hand reichte und wohl fühlte, daß der leise Druck leiser erwidert wurde, so durchschauerte ihn die Freude, und wenn er ihr dann gleich wieder die Hand drückte und die ihrige nun regungslos in der seinigen blieb, gleich als wollte sie sagen: »Verschwenden wir das Beste nicht!« so gefiel ihm das auch. Ebenso war es [451] mit den Blicken. Ihr Auge ruhte einmal oder zweimal des Tages hingegeben an ihm und dann nicht wieder, er mochte es mit dem seinigen auffordern, wie dringend er wollte. Daß sie in allem Maß hielt, gefiel ihm so sehr.“

Immermann: Münchhausen, 5. Buch, 4. Kapitel, S.448 - 451

Das Freigericht

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„Nicht lange nach diesem Auftritte wanderten zehn bis zwölf Bauern von verschiedenen Seiten die Pfade den Hügel hinauf nach dem Freistuhle. Es waren die reichsten Hofesbesitzer der Umgegend. Die Gesichter dieser Leute waren ernsthaft und [712] feierlich. Ihre Schritte übereilten sie nicht, und wo auch zwei zusammen gingen, wurde dennoch kein Wort gewechselt. Diese alten Freibankbauern trugen auch heute noch ihren Feierputz, und die großen breitkrempigen Hüte gaben ihnen ein schweres und würdiges Ansehen. Der Nebel, der noch immer fortdauerte, umhüllte die heimlichen und schweigenden Wanderer.

Als sie oben am Freistuhle angekommen waren, einer nach dem anderen, setzten sie sich schweigend und einander nicht begrüßend auf die Steine umher, die in der Einsenkung zwischen den Brombeergebüschen lagen, der größte aber unter den drei alten Linden blieb leer und für den Freigrafen aufbehalten. Sie saßen wohl eine Viertelstunde lang, ohne einander anzusehen, geschweige daß sie zusammen geredet hätten. Jeder blickte starr und fest vor sich hin. Zuletzt kam der alte Bauer, welcher mit dem Hofschulzen gesprochen hatte, der Fronbote; nächst dem Besitzer des Oberhofes der kundigste in den Sitten und Gebräuchen der Väter. Dieser stellte sich außerhalb des Kreises der Steine hin, auf seinen Knotenstock gestützt und nach der Gegend des Oberhofes hinuntersehend.

Von dieser Gegend kam nach einer Viertelstunde der Hofschulze heraufgegangen, der Freigraf. Neben ihm ging sein Eidam. Feiermäßig war auch sein Anzug, aber gebückt und kummervoll sein Gang. Den Eidam ließ er an einer über hundert Schritte vom Freistuhl entfernten Stelle zurückbleiben, das Gesicht von diesem abgekehrt. Der Fronbote ging dem Hofschulzen entgegen, führte ihn bis an den Kreis und sagte:

Femegericht Gemälde von F. Hiddemann, 1880

Herr Graf, mit Urlaub und mit Behagen
Tue ich Euch fragen;
Soll ich; Euer Knecht,
Euch den Königsstuhl setzen, wie Recht?

Der Hofschulze erwiderte:

Alldieweil die Sonne mit Rechte
Bescheinet Herren und Knechte
Und alle unsere Werke,
Spreche ich, das Recht zu stärken,
[713] Den Stuhl zu setzen eben,
Und rechte Maß zu geben.

[...] Der Hofschulze gab nun dem Fronboten einen Wink, dieser ging zu dem Eidam und führte ihn herbei. Der junge Bauer sah sehr stolz und freudig aus, als er in den Kreis trat, in welchem er die höchste Ehre von seinesgleichen empfangen sollte. Der Fronbote gab ihm Anweisung, darauf entblößte der junge Bauer sein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor seinem Schwiegervater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Fronbote vorhielt, und empfing in dieser Stellung vom Hofschulzen die Vermahnung vor Eidbruch, die ihm unter schweren Verwünschungen erteilt wurde. Bei der Weide solle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der Linde, die er sehe, an den Baum, der den Verräter trage. Vermaledeit sei dessen Fleisch und Blut, der Wind solle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Tiere in der Luft sollen ihn verführen und verzehren. Noch schrecklichere Drohungen enthielt dieses Verwarnen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Fronbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachsprach. Er schwor, die Feme zu hüten:

[716]

Vor Mann, vor Weib,
Vor Dorf, vor Traid,
Vor Stock, vor Stein,
Vor groß, vor klein,
Auch vor Quick
Und vor allerhand Gottesgeschick,
Ohne vor dem Mann,
Der die heilige Feme hegen und hüten kann,
Und nicht zu lassen davon
Um Lieb noch um Leid,
Um Pfand oder Kleid,
Noch um Silber, noch um Gold,
Noch um keinerlei Schuld.

Als der Eidam den Eid geleistet hatte, wollte er aufstehen, der Fronbote hielt ihn aber in seiner knienden Stellung fest und sagte, sich vergessend, und aus der feierlichen Redeweise in seine Bauersprache fallend: »Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe sein? Ihr kriegt ja erst die Losung.«

»Auch gut!« rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben schien. »Her mit der Losung!«

Der Hofschulze setzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun sagte jener: »Die Losung und das Notzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain.« »Gut«, versetzte der Eingeweihte. »Stock, Stein, Gras, Grain, das ist wohl zu behalten. Aber was bedeutet: Stock, Stein, Gras, Grain?«

»Neige dein Ohr zu meinem Munde«, versetzte der Freigraf, »du sollst den heimlichen Sinn erfahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen.«

Indem der Eidam sich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüberbeugte, rief aber der alte Fronbote überlaut: »Halt! Das Ding ist geschändet, wir haben einen Lauscher in der Nähe, ich hörte ein Geräusch ganz deutlich.« »Nun ja«, sagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, gezwungen lachend, »ich habe euch belauscht. Ich stand in dem hohlen Baume da. Das Horchen, welches ich noch nie [717] getan, wollte mir aber so schlecht behagen, daß ich mich rührte, um fortzugehen, womöglich da in den Forst, euch unbemerkt. Nehmt mir 's nicht übel, ich werde nichts von euren Sachen verraten, es ist, als ob ich sie nicht gehört hätte.« – Er trat in den Forst zurück und verlor sich unter den Bäumen.

Wie wenn bei einem fröhlichen Mahle plötzlich ein fremder Eindringling durch eine ungeheure Beleidigung der ganzen Gesellschaft den Fehdehandschuh hinwirft – anfangs ist alles lautlos und gleichsam versteinert, mit einem Male aber springt jeder auf und läßt das verletzte Gefühl in Blick, Gebärde, Drohung, Zornes- und Racheworten ausschäumen, so wirkte hier die unerwartete Erscheinung des fremden Zeugen anfangs nur ein atemloses Staunen und die Bauern sahen ihm, ohne ein Wort zu sagen, nach, bis er im Forste verschwunden war. Dann aber sprangen sie wütend auf, ballten die Fäuste und ergossen sich in einem Strome von wilden Reden, Drohungen, Verwünschungen. Einige riefen: »Soll das geschehen dürfen wider uns?« Andere antworteten: »Nimmermehr; tot sollte man ihn schlagen!« – »Tot!« riefen alle und bekräftigten dieses finstere Wort durch ein lautes Murren, welches schauerlich von der nebelumgebenen Höhe klang. – An eine Fortsetzung des Freigerichts wurde nicht gedacht.“

Immermann: Münchhausen, 7. Buch, 9. Kapitel, S.709 - 717

Zwei Briefe

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Erster Brief

„Sie wollen mir, lieber Herr Buchbinder, wie ein Londoner Publikum, das Nachspiel zu der Tragödie, die einen heiteren Ausgang gewann, nicht erlassen. [...] Münchhausen wird in den höchsten Kreisen der Gesellschaft ganz außerordentlich vermißt.

Von dem Verschwinden dieses wunderbaren Mannes ist der Schleier nie gelüftet worden. Natürlich muß die Krypte einen geheimen Ausgang gehabt haben, wer nur wüßte, wo? – Eine ganz sonderbare Nachricht verbreitete sich unlängst. Ein Reisender wollte nämlich in einem kleinen Gebirgsstädtchen im Hohenzollern-Hechingenschen einen Mann, genau aussehend wie unser Held, mit einer ältlichen Dame lustwandeln gesehen haben. Auf Befragen hatte man dem Reisenden gesagt, jener Mann heiße Münch, genannt Hausen, lebe vom Ackerbau, sei ein nützlicher Staatsbürger, guter Gatte und würde ohne Zweifel ein ebenso guter Vater werden, wenn seine Frau noch Kinder bekommen könnte. Wäre dieser unschädliche Acker- und Staatsbürger wirklich Freiherr von Münchhausen, so hätte sich in unserer lehrreichen Geschichte gerade das Gegenteil von dem ereignet, was in anderen Geschichten vorzukommen pflegt. Denn in denen werden meistens alle Vernünftigen toll, in der unsrigen aber wären durch tüchtige Eingriffe des Lebens, sei es mittelst Nichtachtens auf die Schrolle, sei es mittelst Fallens auf den Kopf, oder mittelst Wiedererscheinens einer alten Geliebten, alle Tollen oder Halbtollen vernünftig geworden.“

Immermann: Münchhausen, Anhang, S.805 - 807

Zweiter Brief

Kompass mit Peilvorrichtung (Bossole) - Peilung 220° durch die Optik

„Du fragst mich nach Oswald und Lisbeth. Ihre Geschichte sei ja noch nicht aus, sagst du. Nein, ihre Geschichte ist auch nicht aus, sie hat erst begonnen. Ich hätte nicht solchen Anteil beiden gewidmet, wenn sie zu denen gehörten, deren Blüte das Läuten der Hochzeitglocken zu Grabe läutet. Die Geschichte ihres Herzens und innersten Geistes nahm von dem Segen des Priesters den Ausgang. [...]

Unsere Zeit ist ein Kolumbus. Sie sieht wie der Genueser mit den Blicken des Geistes das ferne Land hinter der Wüste des Ozeans. Desselbengleichen erlebt sie die Geschicke des Kolumbus. Auch ihr laufen die Kinder nach, halten sie für wahnwitzig und zeigen an den Kopf. Auch sie steht vor manchem Rate von Salamanca und soll sich aus Kirchenvätern widerlegen lassen. Auch heuer gibt es diesen und jenen heuchlerischen Johann von Portugal, der ihr das Geheimnis abgekauft zu haben wähnt und die Karavelle aussendet von den Inseln des Grünen Vorgebirges, aber nach vierzehn Tagen den schlechten Bootsmann entmutigt wiederkehren sieht. – Sie hat die Anker gelichtet und steuert und steuert.

Aber der Genueser hatte die Bussole am Bord und nach der richtete er sein Schiff und ließ sich nicht irremachen, als die Nadel unter entlegenen Graden abzuweichen begann. Die Nadel zeigte ihm den Pfad.

In das Schiff der Zeit muß die Bussole getan werden, das Herz. Und keine Abweichung muß den Seefahrer irren, wenn die Reise immer weiter und weiter vordringt. Dann wird nach verzweiflungsvollem Hoffen und Harren plötzlich in einer Nacht vom Schiffe: »Land!« gerufen werden, und die Insel San Salvador wird nächsten Morgens entdeckt daliegen, wild, üppig, mit großen und schönen Wäldern, mit unbekannten Blumen und Früchten, von reinen, lieblichen Lüften überhaucht und umspült von einem kristallklaren Meere. – Und es kann sein, daß auch die Zeit nach Ophir und nach des Tartarkhanes Gebiete entsteuert zu sein wähnet, und in diesem Wahne, ein erhaben phantasierender Kolumbus, abstirbt, und daß erst spätere Jahre erfahren, Amerika sei an jenem Morgen entdeckt worden.“

Immermann: Münchhausen, Anhang, S.809 - 812

Literatur

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