Benutzer:Cethegus/Schach von Wuthenow

Aus Wikiversity

Schach von Wuthenow Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes ist eine Erzählung von Theodor Fontane, die 1883 in Buchform erschien. Sie behandelt eine Liebes- und Ehrenaffäre aus Preußen in der Zeit vor der Schlacht von Jena und Auerstedt (1806).

Textausschnitte[Bearbeiten]

  • Nachdem der Rittmeister Schach von Wuthenow vom Regiment Gensdarmes sich am Abend seiner Hochzeit mit Victoire von Carayon erschossen hat, gibt eine Bekannter von ihm sein Urteil über den Vorgang ab:

„Wie lag es denn? Ein Offizier verkehrt in einem adligen Hause; die Mutter gefällt ihm, und an einem schönen Maitage gefällt ihm auch die Tochter, vielleicht, oder sagen wir lieber sehr wahrscheinlich, weil ihm Prinz Louis eine halbe Woche vorher einen Vortrag über »beauté du diable« gehalten hat. Aber [506] gleichviel, sie gefällt ihm, und die Natur zieht ihre Konsequenzen. Was, unter so gegebenen Verhältnissen, wäre nun wohl einfacher und natürlicher gewesen als Ausgleich durch einen Eheschluß, durch eine Verbindung, die weder gegen den äußeren Vorteil noch gegen irgendein Vorurteil verstoßen hätte. Was aber geschieht? Er flieht nach Wuthenow, einfach weil das holde Geschöpf, um das sich's handelt, ein paar Grübchen mehr in der Wange hat, als gerade modisch oder herkömmlich ist, und weil diese »paar Grübchen zuviel« unsren glatten und wie mit Schachtelhalm polierten Schach auf vier Wochen in eine von seinen Feinden bewitzelte Stellung hätten bringen können. Er flieht also, sag ich, löst sich feige von Pflicht und Wort, und als ihn schließlich, um ihn selber sprechen zu lassen, sein »Allergnädigster König und Herr« an Pflicht und Wort erinnert und strikten Gehorsam fordert, da gehorcht er, aber nur, um im Momente des Gehorchens den Gehorsam in einer allerbrüskesten Weise zu brechen. Er kann nun mal Zietens spöttischen Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen Ansturm von Karikaturen, und in Angst gesetzt durch einen Schatten, eine Erbsenblase, greift er zu dem alten Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre.

Da haben Sie das Wesen der falschen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem Schwankendsten und Willkürlichsten, was es gibt, von dem auf Triebsand aufgebauten Urteile der Gesellschaft, und veranlaßt uns, die heiligsten Gebote, die schönsten und natürlichsten Regungen eben diesem Gesellschaftsgötzen zum Opfer zu bringen. Und diesem Kultus einer falschen Ehre, die nichts ist als Eitelkeit und Verschrobenheit, ist denn auch Schach erlegen, und Größeres als er wird folgen. Erinnern Sie sich dieser Worte. Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand gesteckt, um nicht zu hören und nicht zu sehen. Aber diese Straußenvorsicht hat noch nie gerettet. Als es mit der Mingdynastie zur Neige ging und die siegreichen Mandschuheere schon in die Palastgärten von Peking eingedrungen waren, erschienen immer noch Boten und Abgesandte, die dem Kaiser von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil es [507] gegen »den Ton« der guten Gesellschaft und des Hofes war, von Niederlagen zu sprechen. Oh, dieser gute Ton! Eine Stunde später war ein Reich zertrümmert und ein Thron gestürzt. Und warum? weil alles Geschraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod. Entsinnen Sie sich des Abends in Frau von Carayons Salon, wo bei dem Thema »Hannibal ante portas« Ähnliches über meine Lippen kam? Schach tadelte mich damals als unpatriotisch. Unpatriotisch! Die Warner sind noch immer bei diesem Namen genannt worden. Und nun! Was ich damals als etwas bloß Wahrscheinliches vor Augen hatte, jetzt ist es tatsächlich da. Der Krieg ist erklärt. Und was das bedeutet, steht in aller Deutlichkeit vor meiner Seele. Wir werden an derselben Welt des Scheins zugrunde gehn, an der Schach zugrunde gegangen ist.“

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow,zeno.org, S.505-507
  • Die düpierte Braut Victoire von Carayon, die ein uneheliches Kind von ihm zur Welt gebracht hat, urteilt ihrerseits anders über Schach:

„Meine liebe Lisette, wie lösen sich die Rätsel? Nie. Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und geheimsten Triebfedern andrer oder auch nur unsrer eignen Handlungsweise hineinzublicken ist uns versagt. Er sei, so versichern die Leute, der schöne Schach gewesen und ich, das mindeste zu sagen, die nichtschöne Victoire – das habe den Spott herausgefordert, und diesem Spotte Trotz zu bieten, dazu hab er nicht die Kraft gehabt. Und so sei er denn aus Furcht vor dem Leben in den Tod gegangen.

So sagt die Welt, und in vielem wird es zutreffen. Schrieb er mir doch Ähnliches und verklagte sich darüber. Aber wie die Welt strenger gewesen ist als nötig, so vielleicht auch er selbst. Ich seh es in einem andern Licht. Er wußte sehr wohl, daß aller Spott der Welt schließlich erlahmt und erlischt, und war im übrigen auch Manns genug, diesen Spott zu bekämpfen, im Fall er nicht erlahmen und nicht erlöschen wollte. Nein, er fürchtete sich nicht vor diesem Kampf, oder wenigstens nicht so, wie vermutet wird; aber eine kluge Stimme, die die Stimme seiner eigensten und innersten Natur war, rief ihm beständig zu, daß er diesen Kampf umsonst kämpfen und daß er, wenn auch siegreich gegen die Welt, nicht siegreich gegen sich selber sein würde. Das war es. Er gehörte durchaus, und mehr als irgendwer, den ich kennengelernt habe, zu den Männern, die nicht für die Ehe geschaffen sind. Ich erzählte Dir schon, bei früherer Gelegenheit, von einem Ausfluge nach Tempelhof, der überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns [509] bedeutete. Heimkehrend aus der Kirche, sprachen wir über Ordensritter und Ordensregeln, und der ungesucht ernste Ton, mit dem er, trotz meiner Neckereien, den Gegenstand behandelte, zeigte mir deutlich, welchen Idealen er nachhing. Und unter diesen Idealen – all seiner Liaisons unerachtet, oder vielleicht auch um dieser Liaisons willen – war sicherlich nicht die Ehe. Noch jetzt darf ich Dir versichern, und die Sehnsucht meines Herzens ändert nichts an dieser Erkenntnis, daß es mir schwer, ja fast unmöglich ist, ihn mir au sein de sa famille vorzustellen. Ein Kardinal (ich seh ihrer hier täglich) läßt sich eben nicht als Ehemann denken. Und Schach auch nicht.“

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow,zeno.org, S.508-509


Zur Behandlung im Unterricht[Bearbeiten]

Eine ungewöhnliche Art der Behandlung der Erzählung stellt Uwe Johnson in seinen Jahrestagen vor.

„Wir lesen “Schach von Wuthenow”: kündigte er an; hatte uns klipp und klar seine Absichten dargelegt. Wie beängstigt wären wir gewesen, hätten wir sie begriffen. Deutsch hatten wir vier Stunden in der Woche; Weserich erzählte uns vom 5. Mai 1789 an das Lebensjahrhundert Theodor Fontanes. Er begann mit dem Grafen Mirabeau, dem Abgeordneten / des Dritten Standes, er stellte seine Fallen öffentlich aus; wir übersahen sie. Er erzählte uns aus Fontanes Kinderjahren, seinen Zeiten in England und Frankreich, las vor aus Briefen an die Familie [...] Am 11. September leistete er sich die Stirn, uns zu ersuchen um unsere ersten Eindrücke von der Lektüre des erwähnten Werkes von Th. Fontane. Aus dem Blauen heraus, von einer Woche auf die andere, vorfreudigen Blicks!

Anita meldete sich, die wollte sich opfern; er übersah sie, lächelte ihr aber zu, ihr allein. Wir anderen, an die dreißig Mann hoch, durften ihm vorhalten, einen Abdruck davon gebe es nur einmal in der Bibliothek des Kulturbunds, in den häuslichen Bücherschränken seien bloß Sachen wie “Effi Briest” zu finden; versuchten ihm sein Vorhaben auszureden. Das Ende von diesem Lied war, er machte uns Komplimente, pries unsere Findigkeit; versprach uns einen wiederholten Auftritt seiner Erkundigung für den 18. September. - Wir werden uns ja des öfteren sehen: versprach er. [...] Zwei Wochenstunden über das Rätsel: Warum setzt Fontane hier Kapitel-Überschriften, anders als in "Unterm Birnbaum" nur drei Jahre früher, als im "Graf Petöfy" ein Jahr nach "Schach"? Was ist eine Überschrift. Sie steht oben (aber warum tragen Gemälde ihre Namen unten oder seitwärts?); sie verweist auf das, was folgt. Sie ist eine Höflichkeit gegenüber dem Leser [...]

Die Elf A Zwei benötigte für die ersten sechs Seiten der Erzählung an die drei Wochen; sah man Herrn Weserich an wegen der Verschwendung von Zeit, so ließ er sich keine grauen Haare wachsen. [...] “Schach” wurde abgesetzt. Den Rest des Mai, den Juni raste er mit dieser Klasse durch den Roman “Frau Jenny Treibel”, wir hatten zwei Wochen übrig am Schluß des Schuljahrs. [...]

Und wir hatten bei ihm das Deutsche lesen gelernt.“

Uwe Johnson: Jahrestage. Aus dem Leben der Gesine Cresspahl, Frankfurt/M 1970-83, S.1694-1706

Fragen[Bearbeiten]

  1. Welchen Eindruck von Schachs Motiven haben Sie bei der Lektüre gewonnen?
  2. Was ließe sich aufgrund des Schlusses von Kapitel 9 über Schachs Motive sagen?
  3. Welche anderen Passagen der Erzählung lassen Rückschlüsse darauf zu, welches der beiden Urteile der Erzähler als das treffendere angesehen wissen will?
  4. Was spricht dafür, dass Fontane von der Position des Erzählers abweicht?
  5. Fontane hat in Schach von Wuthenow keine auktoriale Erzählhaltung gewählt. Was für Folgen hat das für die Beantwortung der oben genannten Fragen 1 - 4?

Links zur Behandlung im Unterricht[Bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten]

  • Sibylle Schönborn: Das Erbe der Melusine. Der literarische Dialog zwischen Uwe Johnsons ‚Jahrestagen‘ und Theodor Fontanes ‚Schach von Wuthenow‘. In: Theodor Fontane: Am Ende des Jahrhunderts. Internationales Symposium des Theodor-Fontane-Archivs zum 100. Todestag Theodor Fontanes 13. - 17.9.98. Hg. Von Hanna Delf von Wolzogen in Zusammenarbeit mit Helmuth Nürnberger. Bd. III. Geschichte, Vergessen, Großstadt, Moderne. Würzburg (Königshausen & Neumann) 2000. S. 227-242.

Linkliste[Bearbeiten]

Text[Bearbeiten]