Benutzer:H.-P.Haack/Erstausgaben Thomas Mann/89.2.

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19 x 11,5 cm


[89.2] Die Betrogene. Erzählung. Frankfurt am Main: S. Fischer 1953, 127 Seiten. Original-Leinen, Original-Umschlag. Erster Druck für den Handel: Potempa E 33.4, Bürgin I 95 A, Wilpert-Gühring² 126.

Entstehung: 14. Mai 1952 bis 18. März 1953. (Tagebuch)


Selbstkommentar Thomas Manns

Die Geschichte nenne ich «Die Betrogene». Es ist eine wahre Geschichte. Sie spielt in Düsseldorf am Rhein und handelt von einer Frau naiven Charakters, Witwe, herzlich naturliebend, in vorgerückten Jahren, der es wie es in der Bibel heißt, „schon nicht mehr nach der Weiber Weise geht“,[1] die sich aber plötzlich leidenschaftlich in einen jungen Amerikaner, Englisch-Lehrer ihres Sohnes, verliebt. Es sind die zwanziger Jahre. Der Junge ist vom 1. Weltkrieg herübergebracht worden. Ihr Gefühl, dieser unverhoffte Seelenfrühling, macht die Frau sehr glücklich, erfüllt sie aber auch mit Scham und Scheu, da sie sich nicht mehr als vollwertiges Weib fühlt. Da fließt eines Tages der Brunnen ihres Blutes wieder! Sie triumphiert, denn sie legt die Erscheinung als einen Sieg des Psychischen über das Physische, als eine Wiederbelebung des Körperlichen durch die Liebe aus. Ganz anders, als Vollweib wieder, tritt sie nun dem jungen Geliebten gegenüber. Aber ihr Glück ist kurz. Die Blutung erweist sich als Produkt eines in der Stille längst weit fortgeschrittenen Gebärmutter-Krebses, der schon andere Organe ergriffen hat und rasch zum Tode führt. Es hat also nicht das Seelische über’s Physische triumphiert, sondern das Gefühlswunder war das Werk pathologischer Reizung, ein grausamer Betrug der Natur, den ihr aber die Frau nicht verübelt. Sie hat noch einmal lieben und leben dürfen und dankt es der Natur, daß sie den Tod so hold verkleidete. (Thomas Mann am 5. Juli 1952 an Agnes E. Meyer)

  1. Vgl. 1. Mose, XVIII, 11


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