Benutzer:Psychonaut01/Auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage fussen die Mitwirkungsrechte?

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Hier dürfte das Volk viel Platz für seine Anstalten haben. Die Gefahr des Platzmangels besteht hier zum Glück nicht.
der richtige "Platz" für das Volk?

Viele meinen, daß die Mitwirkungsrechte der Einwohner sowie der Bürger im einfachrechtlichen Bezirksverwaltungsgesetz steht und keinen Bezug zur verfassungsmäßigen Ordnung und ihren Grundrechten – einschließlich der dort verbrieften Bürgerrechte – hat.

Diese Menschen unterliegen einem Irrtum. Denn es ist nicht nur das einfache Recht, das den Bürgern die Kompetenz zur Bürgerbeteiligung verleiht. Es ist die Verfassung selbst – bekräftigt einerseits durch die verfassungsmäßige Ordnung, andererseits durch die Bürgerrechte sowie durch die Bürgerkompetenzen.

Bürgerbeteiligung und bürgerliche Selbstvertretung geschieht in einem verfassungsmäßigen Raum, der als "Umsetzung des Volkssouveränitätsprinzips" bezeichnet werden kann. Wer das Gegenteil behauptet, verkennt die verfassungsrechtliche Grundlage der Bürgerbeteiligung sowie der bürgerlichen Selbstvertretung.

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin hat in zwei Urteilen vom 06.10.2009 unter VerfGH 63/08[1] folgendes verlautbarend erklärt:

"Der Berliner Gesetzgeber hat – wie bereits dargelegt – insbesondere mit der Ausdehnung direktdemokratischer Berechtigungen und diesbezüglicher Verfahrenserleichterungen verstärkt Vertrauen in das Volk als Mitgestalter der landesrechtlichen, aber auch der politischen Rahmenbedingungen gesetzt. Wenn er hiervon ausgehend in Ausübung seiner Einschätzungsprärogative entschieden hat, es bedürfe keiner umfassenden Vorabkontrolle der Volksbegehren (mehr), ist dagegen aus verfassungsrechtlicher Sicht auch unter Berücksichtigung der geschilderten Einwände nichts zu erinnern." (vgl. S. 28 des o.a. Urteils).

Setzen Sie so viel Vertrauen in dieses Volk?
... oder in dieses?
Das obrigkeitliche "Geschenk" der Bürgerbeteiligung als angemessene "Belohnungskekse" fürs Volk und für den Bürger?

Demnach sieht es so aus, als ob das Parlament dem Volk etwas geschenkt hätte, weil es meinte, das Volk habe nach vielen Jahren, sich artig zu benehmen, dieses Geschenk auch verdient. Das hört sich bürgerlich-rechtlich wie das schuldrechtliche Verhältnis der Schenkung i.S.d. § 516 BGB[2] an.

In Wirklichkeit hat das Parlament nichts anderes getan als die verfassungsmäßige Ordnung umgesetzt. Zu dieser Ordnung gehört die Umsetzung des Volkssouveränitätsprinzips.

Ähnliches steht im Urteil des gleichen Tages unter VerfGH 143/08[3] wie folgt:

"Art. 62 Abs. 2 VvB ist schließlich nicht isoliert neu gefasst worden, sondern im Zuge einer generellen Erweiterung der Gegenstände der Volksinitiative und Volksgesetzgebung als Instrumente der direkten Demokratie und der Erleichterung ihrer Handhabung (Abghs-Drs. 15/5038, S. 3). Nunmehr kann selbst die Verfassung durch Volksentscheid geändert werden. Wie bereits die Einführung des Bürgerentscheids auf Bezirksebene im Jahr zuvor (Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin vom 28. Juni 2005 – GVBl. S. 346 –; Siebentes Gesetz zur Änderung der Bezirksverwaltungsgesetzes vom 7. Juli 2005 – GVBl. S. 390), ist die Erweiterung der plebiszitären Einflussmöglichkeiten auf Landesebene im Jahr 2006 Ausdruck einer verfassungspolitischen Entscheidung für mehr direkte Demokratie und eines gewachsenen Vertrauens in das Volk als Mitgestalter der landesrechtlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen." (vgl. S. 20 des o.a. Urteils)

Die These, daß das Landesparlament dem Volk "Belohnungskekse" ausgeteilt hat, weil es jahrelang artig war, ist mit dem Volkssouveränitätsprinzip allerdings nicht vereinbar.

Die Gültigkeit des Volkssouveränitätsprinzips hat allerdings das Bundesverwaltungsgericht vor allem in zwei Urteilen bestätigen können., obwohl ausgerechnet dieses Gericht und diese Gerichtsbarkeit traditionell konservativ und obstruktionsfreudig in bezug auf die Umsetzung der Grundrechte handelt und urteilt.

Demnach kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß der Abgeordnete [oder auf Bezirksebene der Verordnete] über ein "freies Mandat" verfügt, welches von der Entstehung des Mandats durch die Wahlkompetenz des Staatsbürgersöllig losgelöst ist, da sich der Parlamentarier vom Wahlberechtigten verselbständigt hat.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zum ersten Mal die Gültigkeit des Volkssouveränitätsprinzips in seinem Urteil vom 07.07.2004 unter 6 C 17.03 verkündet. Dort erklärte es folgendes zu diesem Prinzip der "republikanischen Rechtsstaatlichkeit" auf Abs. 54 des Urteils:

"Die in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Volkssouveränität bedeutet, dass die Staatsgewalt keine anderen Legitimationsquellen als das Volk haben darf."[4][5]

Wird dieses Rechtsdogma berücksichtigt, so muß man zum Schluß kommen, daß das Abgeordnetenhaus von Berlin seinem Volk keine "Belohnungskekse" wegen des bisher artigen Verhaltens eines eigentlich zur Ochlokratie neigenden Volks ausgeteilt hat, sondern lediglich die verfassungsmäßige Ordnung umgesetzt, denn diese Umsetzung war ja längst hinfällig.

Das Recht des Volks, des Bürgers und der Bürgerschaft auf Teilhabe am politischen Leben läßt sich nicht nur aus dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein, d.h. auf die Achtung und den Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ableiten, sondern aus dem Wahlrecht, welches die praktische Folge des Volkssouveränitätsprinzips darstellt, sowie aus der Wahlkompetenz, welche die Folge des Wahlrechts selbst ist.

Schließlich hat die Verfassung von Berlin eigene Volkssouveränitätsklauseln, diese sind Art. 2 und Art. 3 VvB.

Art. 2 Satz 1 VvB legt fest, wer der Souverän ist. Es heißt nämlich dort:

"Träger der öffentlichen Gewalt ist die Gesamtheit der Deutschen, die in Berlin ihren Wohnsitz haben." Satz 2 erklärt, wie die Gesamtheit der Deutschen, die Träger der Volkssouveränität sind, ihre Souveränität zum Ausdruck bringen. Es heißt dort:

"Sie [Mehrzahl ist an dieser Stelle gemeint, d.h. die Deutschen] üben nach dieser Verfassung uihren Willen unmittelbar durch die Volksvertretung aus."

Daß die Verfassung diese Rechte wenigstens partiell auf Einwohner übertragen darf, die keine Staatsbürger sind, wird in Art. 2 Satz 2 VvB[6] festgelegt.

Art. 3(1) Satz 1 VvB beschreibt den Umfang weiterer staatsbürgerlicher Kompetenzen der Träger der Volkssouveränität, indem er von Volksabstimmungen, Volksentscheidungen, Volksvertretung und Bürgerentscheiden spricht.


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  1. Urteil des VerfGH Berlin vom 06.10.2009 unter VerfGH 63/08
  2. § 516 BGB – Begriff der Schenkung
  3. Urteil des VerfGH Berlin vom 06.10.2009 unter VerfGH 143/08
  4. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.07.2004 unter 6 C 17.03 – im Internet
  5. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.07.2004 unter 6 C 17.03, das die Legaldefinition von Volkssouveränität enthält, a.a.O.– als *.pdf-Datei
  6. Art. 2 Satz 2 VvB lautet: "Die Vorschriften dieser Verfassung, die auch anderen Einwohnern Berlins eine Beteiligung an der staatlichen Willensbildung einräumen, bleiben unberührt." Gemeint ist u.a. Art. 61(1) VvB, aber auch teilweise Art. 34 VvB.