- Sei
ein Wahrscheinlichkeitsraum. Eine zufällige Größe
auf diesem Raum heißt normalverteilt mit den Parametern
und
, wobei
und
sind, falls
die folgende Dichtefunktion besitzt:
- (3.1)

- Symbolisch schreiben wir
. Falls
, so heißt
standardnormalverteilt. Die Normalverteilung nennt man auch Gauß-Verteilung.
Wir setzen als aus der Analysis bekannt voraus
- (3.2)

Aus (3.2) folgt, dass
eine Dichtefunktion ist. Für
erhalten wir nach Substitution

- Sei
. Dann gilt
und
.
- Sei
. Beweise, dass gilt
- (3.3)

- wobei für ungerade natürliche Zahlen
die Doppelfakultät
als das Produkt aller ungeraden natürlichen Zahlen bis
definiert ist, also
.
- Sei
ein Wahrscheinlichkeitsraum,
. Ein zufälliger Spaltenvektor
auf diesem Raum heißt
-dimensional normalverteilt mit Erwartungswertvektor
und Kovarianzmatrix
, wobei
eine symmetrische positiv definite
-Matrix ist, falls
die folgende Dichtefunktion besitzt:
- (3.4)

- Symbolisch schreiben wir
.
Es ist noch zu zeigen, dass Definition 3.2 korrekt ist, dass also
der Erwartungswertvektor und
die Kovarianzmatrix ist. In finanzmathematischen Anwendungen nennt man
auch Volatilitätsmatrix.
- Die Verteilung
, wobei
der Nullvektor in
und
die
-Einheitsmatrix ist, heißt
-dimensionale Standardnormalverteilung.
Die Dichte eines
-verteilten Zufallsvektors
hat die Form
- (3.5)

Man beachte, dass
genau dann gilt, wenn
unabhängige standardnormalverteilte Zufallsgrößen sind. Damit ist es in diesem Spezialfall offensichtlich, dass
der Erwartungswertvektor und
die Kovarianzmatrix ist.
Der in Definition 3.2 beschriebene allgemeine normalverteilte Zufallsvektor lässt sich aus einem standardnormalverteilten Zufallsvektor durch eine affine Abbildung gewinnen. Den folgenden Satz setzen wir als aus der Analysis bekannt voraus.
- Sei
ein zufälliger Spaltenvektor mit Dichtefunktion
und
eine affine Abbildung,
mit
und
. Der Zufallsvektor
hat die Dichte
- (3.6)

- Seien
unabhängige standardnormalverteilte Zufallsgrößen,
. Weiter sei
eine reguläre
-Matrix,
ein gegebener Spaltenvektor und
. Es gilt
mit
.
Jeder normalverteilte Vektor lässt sich durch eine affine Transformation aus einem standardnormalverteilten erzeugen. Dies folgt daraus, dass sich jede symmetrische positv definite
-Matrix
in der Form
darstellen lässt, wobei
eine reguläre
-Matrix ist. Somit erhält man für beliebig gegebenes positiv definites und symmetrisches
und jeden Vektor
einen
-verteilten zufälliger Vektor
aus einem standardnormalverteilten Vektor
durch die Transformation
.
Nach Theorem 3.2 gilt für





wobei wir die Beziehung
verwendet haben.
q.e.d.
- Sei
. Für alle
gilt

Zu
existiert eine reguläre Matrix
mit
. Es gilt
mit
. Für
gilt

Mit
bezeichnen wir die Elemente der Matrix
. Da
als unabhängig und standardnormalverteilt vorausgesetzt wurden, gilt für alle
die Beziehung
, woraus folgt



was zu beweisen war.
q.e.d.
Ein Charakteristikum für normalverteilte Zufallsvektoren ist, dass Unabhängigkeit und Unkorreliertheit äquivalent sind.
- Sei
. Die zufälligen Größen
sind genau dann unabhängig, wenn sie unkorreliert sind.
Da
die Kovarianzmatrix ist, ist Unkorreliertheit äquivalent zu
für
(d. h.
ist eine Diagonalmatrix). Weiterhin gilt
. Die zur Diagonalmatrix
inverse Matrix
ist wiederum diagonal mit den Einträgen
auf der Diagonalen. Folglich ist
genau dann unkorreliert, wenn die Dichtefunktion
die Form

hat.
q.e.d.
Im folgenden identifizieren wir die lineare Abbildung mit der sie beschreibenden Matrix. Eine Abbildung (Matrix)
heißt orthogonal, falls
. Folglich gilt auch
. Orthogonale Abbildungen im
sind Drehspiegelungen.
- Sei
-dimensional standardnormalverteilt und
eine orthogonale Transformation. Dann ist
wiederum standardnormalverteilt.
Aus Theorem 3.3 folgt unmittelbar
, denn
.
q.e.d.
Wir geben noch an, wie sich
-dimensional normalverteilte Zufallsvektoren bei allgemeinen affinen Transformationen verhalten.
- Es sei
eine beliebige affine Abbildung,
für
, wobei
eine
-Matrix mit Rang
ist und
. Weiter sei
-dimensional normalverteilt,
. Dann ist
-dimensional normalverteilt und zwar gilt
- (3.7)

Wir verzichten hier auf den Beweis.
Als Spezialfall erhalten wir das folgende Ergebnis:
- Sei
. Dann gilt
. Sind die Zufallsgrößen
unkorreliert (unabhängig), so ist
.
Gegeben sei die
-Matrix
. Dann gilt
. Aus Theorem 3.7 schlussfolgern wir
. Es gilt
sowie
, womit der Beweis beendet ist.
q.e.d.
Für normalverteilte Zufallsgrößen kann man also mühelos die Verteilung der Summe ermitteln. Im allgemeinen kann man meist nur unter der zusätzlichen Annahme der Unabhängigkeit die Verteilung der Summe explizit ermitteln.
- Eine Familie von Zufallsgrößen
über einem Wahrscheinlichkeitsraum
heißt stochastischer Prozess.
oder
heißt dabei die Zeitparametermenge. Falls
höchstens abzählbar ist, so heißt
zeitlich diskreter stochastischer Prozeß, sonst zeitlich stetig.
kann auch als Funktion mit
mit 
beschrieben werden. Dann ist
eine Zufallsgröße
und
heißt
Trajektorie (oder Pfad) von
.
- Sei
ein Wahrscheinlichkeitsraum. Eine Familie von
-Algebren
mit

- heißt Filtration in
.
- Ein Wahrscheinlichkeitsraum
heißt vollständig, falls
alle Nullmengen
enthält. Dabei ist
- (3.8)

- Eine Filtration
heißt vollständig, falls
vollständig ist.
- Sei
Filtration in
,
stochastischer Prozess über
.
heißt stochastischer Prozess mit Filtration, falls
-messbar ist
.
heißt dann an die Filtration
adaptiert.
- Die Filtration mit
heißt die kanonische Filtration von
.
und
seien stochastische Prozesse mit Filtrationen über
.
heißt Modifikation von
, falls
-f. s.
.
und
heißen ununterscheidbar, falls
.
Falls
und
ununterscheidbar sind, so ist
Modifikation von
.
- Sei
Modifikation von
und beide haben
-f. s. stetige Trajektorien. Dann sind sie ununterscheidbar.
- Sei
stochastischer Prozess über
. Die Verteilungen aller möglichen Zufallsvektoren
heißen die endlich-dimensionalen Verteilungen von
.
Der Funktionenraum
enthält alle Trajektorien eines stochastischen Prozesses
. Demzufolge läßt sich
als zufälliges Element von
auffassen. Dazu betrachten wir
- (3.9)

die
-Algebra der Zylindermengen im
.
Gegeben sei ein stochastischer Prozess
.
sei
das Verteilungsgesetz des zufälligen Vektors
, also das Wahrscheinlichkeitsmaß auf
mit
- (3.10)

Falls ein Prozess gegeben ist, so existieren die endlich-dimensionalen Verteilungen.
Sei
eine Familie von Wahrscheinlichkeitsmaßen mit

heißt konsistent, falls
und für alle Permutationen 
- (3.11)

und
und 
- (3.12)

- gilt.
Satz 3.14 (Existenzsatz von Kolmogoroff)
[Bearbeiten]
- Sei
eine konsistente Familie von Wahrscheinlichkeitsmaßen. Dann existiert ein Wahrscheinlichkeitsmaß
auf
und ein stochastischer Prozess
auf
, so dass
und
gilt:
- (3.13)

- Hierbei ist
.
- Ein stochastischer Prozess heißt Gauß-Prozess, falls alle endlich-dimensionalen Verteilungen (mehrdimensional) normalverteilt sind.
sei stochastischer Prozess.
mit
,
mit
und
mit

- heißen Erwartungswert-, Kovarianz- und Varianzfunktion von
.
Seien
i. i. d. Dann ist
Gauß-Prozess mit:
- (3.14)
und 
Dieser Prozess hat allerdings höchst irreguläre Trajektorien.
- Ein stochastischer Prozess
heißt streng stationär oder stationär im engeren Sinne, falls die endlich-dimensionalen Verteilungen invariant sind gegenüber Indexverschiebung, d. h.
und
mit
gilt:
- (3.15)

- Speziell gilt:
.
heißt stationär (im weiteren Sinne), falls
und
mit
und
gilt:
- (3.16)

heißt Prozess mit stationären Zuwächsen, falls
mit
und
gilt:
- (3.17)

heißt Prozess mit unabhängigen Zuwächsen, falls
die Zuwächse

- unabhängig sind.
sei Prozess mit unabhängigen Zuwächsen. Wir setzen
und
.
Dann sind die
unabhängig und

Auch die Umkehrung gilt.
hat unabhängige Zuwächse genau dann, wenn
Summe unabhängiger Zufallsgrößen ist.
- Ein stochastischer Prozess
heißt Wiener-Prozess oder Brownsche Bewegung, falls die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
,
ist ein Prozess mit unabhängigen und stationären Zuwächsen,
- für alle
gilt
,
-fast alle Trajektorien sind stetig.
Zeige, dass für die Zuwächse
eines Wiener-Prozesses gilt
.
, also je größer
, um so größer die Fluktuationen um den Erwartungswert
.
- Für einen Wiener-Prozess gilt
.
- Ein Wiener-Prozess ist ein Gauß-Prozess.
- Die kanonische Filtration eines Wiener-Prozesses
ist die Filtration
- (3.18)

- die Filtration
- (3.19)

- heißt Brownsche Filtration, wobei
die Familie der Nullmengen (s. (3.8)) bezeichnet.
Die Brownsche Filtration ist vollständig. Das hat u. a. folgenden Vorteil: Ist
ein Wiener-Prozess mit Brownscher Filtration und ist
eine Modifikation von
, so ist
auch
-messbar, also es ist auch eine Filtration für
. Die Brownsche Filtration ist also in gewisser Weise universell.
- Ein stochastischer Prozess
heißt
-selbstähnlich,
, falls für alle
, für alle
und für beliebiges
gilt
- (3.20)

Selbstähnlich heißt, dass eine andere Skalierung (Ausschnitt, Vergrößerung) wieder eine ähnliche Form hat wie das Original. Aber das gilt natürlich nicht trajektorienweise, sondern in Verteilung.
- Der Wiener-Prozess ist 1/2-selbstähnlich, also falls für alle
, für alle
und für beliebiges
gilt
- (3.21)

Selbstähnliche Prozesse (und damit auch der Wiener-Prozess) haben ziemlich verrückte Trajektorien. Man beachte, dass die Trajektorien stetig sind, aber sie sind nicht differenzierbar.
Theorem 3.12 (Nichtdifferenzierbarkeit selbstähnlicher Prozesse)
[Bearbeiten]
- Sei
ein
-selbstähnlicher Prozess mit
und
habe stationäre Zuwächse. Für alle
gilt
- (3.22)

- d. h.
-fast alle Trajektorien sind in keinem Punkt differenzierbar.
Karl Weierstrass entdeckte als erster stetige nirgends differenzierbare Funktionen.
Theorem 3.13 (Unbeschränkte Variation der Brownschen Bewegung)
[Bearbeiten]
- Für
-f. a. Trajektorien
eines Wiener-Prozesses
und alle
ist die Variation von
auf
unendlich, d. h. bezeichnen wir mit
die Menge aller endlichen Zerlegungen
, so gilt für
-f. a.
- (3.23)

Die unbeschränkte Variation ist (neben der Nichtdifferenzierbarkeit) der Hauptgrund dafür, dass die herkömmliche Integrationstheorie nicht anwendbar ist und neue Methoden - nämlich die stochastische Analysis - entwickelt werden mussten. Man beachte aber auch Satz 4.1.
- Sei
ein Wiener-Prozess. Der Prozess
mit
- (3.24)
![{\displaystyle X_{t}:=W_{t}-t\cdot W_{1}\quad (t\in [0,1])}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/f2775df985815fcb9fe0fc7045235951d8a20b26)
- heißt Brownsche Brücke.
Zeige, dass
ein Gauß-Prozess ist und dass gilt
sowie
.
Aufgabe 3.4 (Brownsche Bewegung mit Drift)
[Bearbeiten]
- Sei
ein Wiener-Prozess,
und
Konstanten. Der Prozess
mit
- (3.25)

- heißt Brownsche Bewegung mit Drift.
Zeige, dass
ein Gauß-Prozess ist mit
sowie
.
L. Bachelier beschrieb als erster die Preise von risikoreichen Anlagen durch eine Brownsche Bewegung. Die Brownsche Bewegung kann aber - wie jeder Gauß-Prozess - auch negative Werte annehmen, was für die Modellierung von Preisen nicht wünschenswert ist. In den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Arbeiten von Black, Scholes und Merton wird vorgeschlagen, nicht mit der Brownschen Bewegung selbst, sondern mit einer Funktion davon die Modellierung vorzunehmen.
Aufgabe 3.5 (Geometrische Brownsche Bewegung)
[Bearbeiten]
- Sei
ein Wiener-Prozess,
und
Konstanten. Der stochastische Prozess
mit
- (3.26)

- heißt geometrische Brownsche Bewegung mit Drift.
Zeige, dass
kein Gauß-Prozess ist und dass gilt

In der Physik bezeichnet man eine gewisse "Ableitung" der Trajektorien des Wiener Prozesses als weißes Rauschen. Da die Trajektorien nirgends differenzierbar sind, ist dies nur im Sinne einer gewissen Konvergenz zu verstehen. Eine gewisse Approximation dieses weißen Rauschens ist das sog. farbige Rauschen.
Aufgabe 3.6 (Gaußsches farbiges Rauschen)
[Bearbeiten]
- Sei
ein Wiener-Prozess und
eine Konstante. Der Prozess
mit
- (3.27)

- heißt Gaußsches farbiges Rauschen.
Zeige, dass
ein Gauß-Prozess ist und dass gilt
und
.
Für
gilt
, d. h. (die Zufallsgrößen sind normalverteilt!) zu weiter als
voneinander entfernten Zeitpunkten sind die Zufallsgrößen unabhängig. Wäre
differenzierbar, so würde für
in (3.27) im Limes die Ableitung des Wiener-Prozesses stehen. In diesem Sinne ist das farbige Rauschen eine Approximation des weißen Rauschens. Beachte auch, dass
gilt. Je kleiner
, um so größer die Varianz der Zufallsgrößen.
- a) Sei
differenzierbar in
. Berechne

- b) Sei
ein Wiener-Prozess,
. Berechne

- c) Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Ergebnisse?
In Definition 3.8 wurde der Begriff eines adaptierten stochastischen Prozesses eingeführt. Ein stochastischer Prozess
ist adaptiert an die Filtration
, falls für alle
gilt
, die
besitzen also nicht mehr Information als
. Ist
(
ist zeitlich diskret), so heißt das speziell
für alle
.
- Ein stochastischer Prozess
heißt Martingal in stetiger Zeit bezüglich der Filtration
, falls folgendes gilt:
für alle
,
adaptiert ist an
sowie
- (3.28)
für alle
.
- Ein stochastischer Prozess
heißt Martingal in diskreter Zeit bezüglich der Filtration
, falls folgendes gilt:
für alle
,
adaptiert ist an
sowie
- (3.29)
für alle
.
Sei
ein Martingal in diskreter Zeit bezüglich der Filtration
. Zeige, dass für alle
gilt
- (3.30)

Sei
ein Martingal in diskreter Zeit bezüglich der Filtration
und
die Folge der Martingaldifferenzen:
. Zeige, dass für alle
gilt
.
Beweise, dass die Erwartungswertfunktion eines Martingals konstant ist, also dass für alle
gilt
.
Sei
ein Wiener Prozess mit der kanonischen Filtration
. Zeige, dass
kein Martingal bezüglich der Filtration
ist.
Sei
ein Wiener Prozess mit der kanonischen Filtration
. Welche der folgenden stochastischen Prozesse sind bezüglich
ein Martingal:
- (3.31) a)
,
- (3.32) b)
,
- (3.33) c)
?
Sei
ein Wiener Prozess mit der kanonischen Filtration
. Finde einen Prozess
, so dass
bezüglich
ein Martingal ist.
Sei
eine Folge von unabhängigen Zufallsgrößen über einem Wahrscheinlichkeitsraum
, und es gelte
für alle
sowie
. Wir setzen

Weiter sei
die kanonische Filtration zu
, also
.
- a) Zeige, dass gilt
.
- b) Beweise, dass
bezüglich der kanonischen Filtration ein Martingal ist.
Sei
eine Zufallsgröße über einem Wahrscheinlichkeitsraum
mit
und
eine beliebige Filtration in
. Beweise, dass

bezüglich der Filtration
ein Martingal ist.
Sei
eine Folge von Martingaldifferenzen (s. Aufgabe 3.9) bezüglich einer Filtration
und es sei
ein stochastischer Prozess mit der Eigenschaft
- (3.34)

Ein solcher Prozess heißt vorhersagbar bezüglich der Filtration
. Wir definieren einen neuen stochastischen Prozess
vermöge
- (3.35)

Symbolisch schreiben wir
und nennen
die Martingaltransformierte von
mit
. Beweise, dass
ein Martingal und
eine Folge von Martingaldifferenzen bezüglich der Filtration
ist.
Sei
ein Wiener Prozess mit der kanonischen Filtration
und
eine Zerlegung von
,

- a) Beweise, dass die Folge
,

- eine Folge von Martingaldifferenzen bezüglich der Filtration
mit

- darstellt.
- b) Zeige, dass
vorhersagbar ist bezüglich
und dass die Martingaltransformierte
ein Martingal bezüglich der Filtration
ist, wobei gilt
