Benutzer:Xenos/Genesis 4

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Kommentierte Rückübersetzung der romanischen Bibelübersetzung von Rudolf Filli und Jachen Ulrich Gaudenz [[1]] ins Deutsche, zugleich eine erneuerte Sicht auf die Luther- und die Zürcher Bibel durch das Rätoromanische als Vertiefungssprache:

Genesis 4

(4,1) Der Mensch aber erkannte[1] Eva, sein Weib, und sie empfing und gebar Kain (das bedeutet: «Erlangter»[2]). Und sie sprach: Ich habe einen Sohn erlangt mit der Hilfe des Herrn[3]. (2) Dann gebar sie Abel («Hauch»), seinen Bruder. Und Abel wurde Schafhirte, aber Kain Ackerbauer. (3) Nachdem einige Zeit verweht war[4], machte Kain mit den Früchten des Feldes dem Herrn ein Angebot. (4) Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Schafe und von ihrem Fett dar. Und der Herr schaute mit Wohlgefallen auf Abel und seine Darbietung. (5) Aber auf Kain und seine Darbietung schaute er nicht. Darüber erzürnte Kain fest und senkte seine Miene. (6) Und der Herr sprach zu Kain: Warum erzürnst du dich und senkst deine Miene ? (7) Ist es nicht so ? Sofern du recht tust, kannst du deinen Blick heben; aber wenn du nicht recht tust, dann lauert und späht[5] die Sünde vor der Tür, und ihre Wünsche gehen dir nach; aber du sollst Herrn sein über sie.

(8) Und Kain sprach zu seinem Bruder Abel: Lass uns hinausgehen aufs Feld ! Und als sie draussen waren auf dem Feld, griff Kain seinen Bruder Abel an und schlug ihn tot. (9) Und der Herr sprach zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel ? Und Kain sprach: Ich weiss es nicht; bin ich vielleicht der Wächter meines Bruders ? (10) Gott aber sprach: Was hast du getan ? Lausche[6]: das Blut deines Bruders schreit von der Erde hinauf zu mir. (11) Und jetzt - verflucht seist du und verbannt von der Erde, die ihren Mund geöffnet hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders zu empfangen ! (12) Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir fortan seine Erzeugnisse nicht mehr geben. Fluchtsam[7] und ziellos umherirrend sollst du auf Erden sein. (13) Daraufhin sprach Kain: Untragbar sind die Folgen meines gottlosen Wesens. (14) Siehe, du treibst mich jetzt fort von diesem Land, und ich muss mich vor deinem Gesicht verstecken und fluchtsam und ziellos umherirrend sein auf Erden, und wer mir begegnet[8], wird mich töten. (15) Aber der Herr sprach zu ihm: Keineswegs ist es so ! Wer jemals Kain töten sollte[9], an dem soll dies gerächt werden siebenmal so viel. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, damit keiner, der ihm begegnet, ihn umbringt. (16) So zog sich Kain von dem Gesicht Gottes zurück und nahm seine Heimstätte im Lande Nod, in Richtung Osten von Eden.

(17) Und Kain erkannte seine Frau und sie empfing und gebar Henoch. Und Kain erbaute[10] eine Stadt und nannte sie nach dem Namen seines Sohnes Henoch. (18) Aber dem Henoch erwuchs Irad, und Irad zeugte Mehujael, und Mehujael zeugte Metusael, und Metusael zeugte Lamech. (18) Lamech nahm sich zwei Frauen, die eine trug den Namen Ada, die andere den Namen Zilla. (20) Und Ada gebar Jabal. Der wurde der Vater von jenen, die unter Zeltdächern und bei Herden leben. (21) Und der Name seines Bruders war Jubal; der wurde der Vater von jenen, die die Zitter und die Hirtenflöte spielen. (22) Aber auch Zilla gebar und zwar Tubal-Kain, den Vater all jener, die im Schmiedehandwerk arbeiten mit Kupfer und Eisen; die Schwester von Tubal-Kain war Naema. (23) Und Lamech sprach zu seinen Frauen: Ada und Zilla, hört meine Stimme, Frauen von Lamech, vernehmt, was ich euch sage: einen Menschen habe ich getötet für meine Wunde, einen Jüngling für meine Narbe. Wird Kain siebenmal gerächt, so Lamech siebenundsiebzigmal.

(25) Und Adam erkannte ein weiteres Mal seine Frau. Sodann gebar sie einen Sohn, dem sie den Namen Set («Stellvertreter») beilegte[11], denn - so sagte sie sich - Gott hat mir eine andere Nachkommenschaft gegeben anstelle von Abel, den Kain umgebracht hat. (26) Und auch dem Set erwuchs ein Sohn, und er legte ihm den Namen Enos bei. Dazumal begann man, den Namen des Herrn anzurufen.


Kommentar[Bearbeiten]

  1. die im Deutschen nicht adäquat wiederzugebende romanische Zeitform des Passà defini ist wichtig: der Mensch erkennt seine Frau an einem Punkt abschliessend, bis zu Ende. Gemeint ist die eheliche Intimität, die Frucht bringt, die also dort definitiv ist und zu ihrem Ziel kommt, wo sie offen für die Zukunft ist.
  2. Eva erlangt in der ausserparadiesischen Welt des Todes das Leben durch reine Passivität: sie wird erkannt, sie empfängt, sie gebiert. Alle Verben sind frei von der Verkrümmung in sich selbst, das den besitzen-wollendend Menschen auszeichnet; auch grammatikalisch sind die romanischen Verben durchweg nicht-reflexiv.
  3. die Hilfe (romanisch agüd) kehrt zurück: Gott selbst tritt an die Stelle, wo Genesis 2,20 der Mensch in seiner zweigeschlechtlichen Zusammengehörigkeit genannt war.
  4. das romanische spirà (wörtlich: verhaucht) nimmt die Bedeutung Abel = Hauch auf !
  5. Am besten teilt man im Deutschen die romanische Wendung far la guetta in die zwei Verben lauern und spähen auf, um die Doppelung zum Ausdruck zu bringen: die von der Sünde usurpierte Macht der den Menschen bedrohenden Haltung und die usurpierte Macht des bösen Blicks - bzw. anthropologisch die Unfreiheit in der Haltung und die Unfreiheit im Blick des Menschen, der unter die Macht der Sünde gerät. Es ist das gleiche Bild wie das Kauern im Garten Eden beim Hören von Gottes Gang und Stimme.
  6. romanisch tadlar = zuhören. Der Mensch, der auf Worte des Lebens hätte hören können, ist nun gezwungen, die Sprache des Blutes zu vernehmen, die er selbst erzeugt hat.
  7. Im Deutschen ein - verständliches - Kunstwort, das das romanische fügitiv aufnimmt. Das Adjektiv mit -iv-Endung beschreibt einen menschlichen Grundzug.
  8. romanisch s'inscuntrar = sich begegnen. Im Grunde ein Verb des Lebens: Begegnung. Hier nun steht die Begegnung unter dem Zeichen des Fluchs und des Todes. Die Welt ist pervertiert.
  9. romanisch avess als konjunktivische Einschränkung - der Mord ist in der Welt und bleibt doch die unmögliche Möglichkeit
  10. das romanische edifichar = erbauen impliziert (im Unterschied zu fabrichar = bauen) auch eine geistige Haltung; der erbauende Mensch ist auch derjenige, der sich erbaut (wie im Deutschen), der sich geistig erhebt
  11. romanisch metter i.S. einer räumlichen Tat: der Name wird gesucht und der Person hinzugelegt