Bildungsmanagement 2.0

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Beitrag im Rahmen des 2. Ludwigsburger Symposiums Bildungsmanagement:

erscheint in: Schweizer, Gerd; Adam, Thomas (Hrsg. 2009): Wert und Werte im Management. Nachhaltigkeit, Ethik, Bildungscontrolling. Bielefeld: Bertelsmann

Ulrich Iberer, Simon Frank, Christian Spannagel (2009)

Bildungsmanagement 2.0: Potenziale und Anforderungen von Social Software in Bildungsorganisationen


Ein Fallbeispiel[Bearbeiten]

Das Lernen mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen bildet das Charakteristikum einer Sprachenschule. So kommen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus über 50 Ländern hierher, um gemeinsam eine fremde Sprache zu erlernen. Der individuelle Erfolg ist schwer zu bestimmen, der Lernprozess ist stark abhängig von den Zielen und der (Selbst )Lernbereitschaft des einzelnen Teilnehmers. Eine Strategie dieser Schule liegt darin, die Kommunikation zwischen Lernenden, Dozenten und Mitarbeitern vielseitig zu gestalten, so die Begeisterung für das Sprachenlernen in dieser Einrichtung zu wecken und die Lerner zu einer erneuten Teilnahme zu motivieren.

Die Schulleitung und die Dozenten setzen diese Ziele in unterschiedlichen didaktischen Lernkonzepten um, das Sprechen in authentischen Situationen trägt dazu ebenso bei wie eine internetgestützte Lernplattform. Letztere wird hauptsächlich von den Dozenten gestaltet, um die Möglichkeiten onlinegestützten Lernens im und für den Unterricht zu nutzen (E-Learning). Die virtuellen Lernangebote werden von Teilnehmern mehr oder weniger intensiv aufgegriffen. Deutlich aktiver bewegen sich vor allem die jungen Leute in ihrer privaten Internetnutzung verstärkt in virtuellen sozialen Netzwerken wie Facebook oder YouTube. Der regelmäßige Austausch mit Freunden und Bekannten aus vorherigen Lernsituationen gelingt hier nahezu spielerisch und grenz- bzw. kulturübergreifend. Die Schule sieht sich dadurch immer mehr aufgefordert, diese Lebenswirklichkeit ihrer Lernenden in ihren Unterrichts- und Kommunikationsstrukturen zu berücksichtigen und aufzugreifen.

Die Verantwortlichen der Schulleitung sind jedoch verunsichert: Können die offenen, von der Institution kaum steuerbaren Internet-Anwendungen eine verlässliche Möglichkeit schaffen, um mit den Schülern und Absolventen in Kontakt zu bleiben? Wäre nicht ein exklusives, von den Mitarbeitern der Institution moderiertes Online-Diskussionsforum auf der Schulwebsite besser geeignet, um ein zielorientiertes Sprachenlernen zu unterstützen? Wie kann die Kernauftrag der Schule, das Erlernen einer Fremdsprache durch aktives Sprechen, auch hier realisiert werden? Die Bildungseinrichtung steht vor der Herausforderung, ihre institutionellen Prozesse und Strukturen auf die Erwartungen des Web-2.0-Zeitalters auszurichten.


Ausgangssituation[Bearbeiten]

Im Zuge der Innovation von modernen Internet-Anwendungen bestimmen Funktionalitäten die Weiterentwicklung, die unter dem Schlagwort "Web 2.0" propagiert oder als "Social Software" deklariert werden. Wollte man Social Software näher illustrieren, so sind Weblogs, Wiki-Systeme und virtuelle soziale Netzwerke hierfür typische Anwendungen. Darüber hinaus werden kontinuierlich neue interaktive Funktionen in das weltweite Netz eingebracht, die sich von den bislang bekannten Internet-Strukturen sowohl in technischer als auch in soziokultureller Hinsicht abheben. Kennzeichen von Social Software sind die einfache, intuitive Handhabung für den Anwender, die unmittelbare Kombination von Inhalten und Diensten sowie die veränderte Wahrnehmung bzw. Nutzung dieser Funktionen hin zu offenen, transparenten und partizipativ produzierten Artefakten im weltweiten Netz.

Auch im Kontext pädagogischer Kategorien wie Bildung, Unterricht, Lehren und Lernen wird Social Software bereits vielseitig aufgegriffen. So finden sich Berichte, die den Einsatz von virtuellen Lern- bzw. Lesetagebüchern in einer Schulklasse beschreiben (vgl. Raith 2006), Dokumentationen über die Rolle von Weblogs in organisationalen Veränderungsprozessen (vgl. Lang 2009) und Konzepte für Podcasts in der Hochschullehre (vgl. Reinmann 2009), um dies stellvertretend für drei unterschiedliche pädagogische Handlungsfelder anzuführen.

Zwar steigt die Zahl von Bildungsinstitutionen, deren Internet- bzw. Intranet-Homepages mit Kommentar-Funktionen oder Online-Umfragen ausgestattet werden. Inwieweit mit dieser Entwicklung Social Software letztlich in nachvollziehbaren, bedeutenden Maßen auch in den Kernprozessen von Schulen, Bildungshäusern oder Universitäten Eingang finden, nämlich dem gemeinsamen Lehren und Lehren, ist jedoch unklar. Es scheint, dass die vorliegenden Beispiele, in denen das Web 2.0 effektiv verwendet wird, noch eher im Versuchsstadium verharren beziehungsweise bestenfalls als Bottom-Up-Prozess von besonders motivierten Lernenden und Lehrenden in den Bildungseinrichtungen initiiert werden. Offen bleibt insbesondere die Rolle von Leitungspersonen und Führungskräften, um solche Innovationen mitzutragen und im Sinne eines gerichteten, strategischen Managementhandelns in die Strukturen und Prozesse einer Bildungsorganisation zu integrieren. Der folgende Beitrag will diese Situation zum Ausgangspunkt nehmen, hinsichtlich der Auswirkungen auf Bildungsmanagement untersuchen und Potenziale und Anforderungen zusammentragen, wie sie für Bildungsorganisationen bzw. für die Entwicklung und Steuerung selbiger im Kontext von Social Software bedeutsam sind – pointiert: Bildungsmanagement 2.0.


Lehren und Lernen im Web 2.0[Bearbeiten]

Web-2.0-Anwendungen wie Wikis, Weblogs und Online-Communities bestimmen nicht nur die unmittelbaren medialen Nutzungsformen für den einzelnen Anwender, sondern verändern grundsätzlich die Beziehungsstrukturen der mit diesen Technologien kommunizierenden Personen. Dabei sind drei Tendenzen festzumachen (Kerres 2006): Die Grenzen zwischen Autor ("producer") und Nutzer ("user"), zwischen zentral verorteten und dezentral vernetzten Informationsquellen sowie zwischen geschlossenen, privaten und öffentlich einsehbaren virtuellen Interaktionsfeldern verschwimmen. In der weiteren Folge führt dies dazu, dass Realität und Virtualität immer mehr vernetzt werden und sich gegenseitig beeinflussen. So werden soziale Bindungen real und virtuell geführt, der gemeinsame Austausch findet online und offline statt, und die Grenze zwischen "Beruf" und "Freizeit" wird durchlässig.

Werden Web2.0-Anwendungen im Unterricht, in Seminaren, in Trainings, usw. angewandt, hat der darin immanente Grad an Vernetzung und Öffnung enorme Auswirkungen auf die dort etablierten Bildungsprozesse. Die permanente Vernetzung von Lernenden und Lehrenden hat weitreichende Konsequenzen auf das Verständnis von Lerngruppe, Lernzeit, Lernort, Lernziel und Lernprozess.

  • Lerngruppe: Die vernetzte Gruppe ist ein nach außen hin geöffnetes soziales Netzwerk. Befindet sich die Gruppe real in einem Raum der Bildungsinstitution (beispielsweise einem Klassenzimmer), so ist die Gruppe über die Vernetzung ihrer Mitglieder nach außen offen. Lernende können Informationen von Personen außerhalb der Bildungsinstitution einholen, selbst Informationen in die virtuellen Netze einspeisen und so den Radius der im Bildungskontext Handelnden vergrößern. Die Lerngruppe ist in die sozialen virtuellen Netzwerke ihrer Mitglieder eingebettet.
  • Lernzeit und Lernort: Wenn Mitglieder einer Lerngruppe die Möglichkeit zur permanenten virtuellen Vernetzung haben, bekommt das reale Treffen an einem realen Lernort eine andere Bedeutung. Es ist nun nicht mehr eine diskrete Zeiteinheit, in der gemeinsam gelernt wird, da gemeinsames Lernen permanent möglich ist. Es ist vielmehr das Zusammenkommen permanent vernetzter Lernender zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, um in der realen Verdichtung gemeinsame Erfahrungen der virtuellen Kooperationsphase zwischen dem letzten und dem jetzigen Realtreffen zu diskutieren und um persönlichen Beziehungen durch ganzheitliche Begegnungen zu stärken.
  • Lernziel und Lernprozess: Durch die Vernetzung der Lerngruppe wird ein komplexer Handlungsraum geschaffen. Die Offenheit von bislang geschlossenen Lerngruppen führt dazu, dass Anregungen von außen Einfluss nehmen können auf den Fortgang von Bildungsprozessen. Eine starre Festlegung von Lernzielen und Lernprozessen muss der Offenheit gegenüber neuen aus realen und virtuellen Kooperationen entstehenden Entwicklungen weichen. Die Lernenden und insbesondere auch die Lehrpersonen müssen flexibel auf Einflüsse von außen reagieren und diese in kreativen Umformungsprozessen in den Bildungskontext integrieren. Lernziele können sich so ändern, Lernprozesse können ungeahnte Wege einschlagen.

Die aus dem hohen Vernetzungsgrad resultierende Unkontrollierbarkeit von Bildungsprozessen könnte Lehrer, Dozenten und Trainer, aber auch die Leitungspersonen einer Bildungseinrichtung durchaus irritieren: Es wird in grundlegende Aufgaben und Strukturbereiche der Organisation eingegriffen, wie die Entwicklung bestimmter Fachcurricula oder die Organisation und Durchführung von Lehrveranstaltungen. Schier revolutionär und letztlich unvereinbar mit den etablierten institutionellen Strukturen erscheinen die web-2.0-basierten Lehr-Lernszenarien, wenn sie zur Öffnung des gewohnten Lernraums hinein in unbestimmbare, virtuelle Interaktionssphären auffordern. Es wäre allerdings ein Fehler, diese Entwicklungen nicht wahrhaben oder ignorieren zu wollen. Bildungsinstitutionen müssen die Bedingungen, Ansprüche und Wünsche vernetzter Lernender analysieren und produktiv in Änderungsprozesse im Rahmen der Bildungsinstitution integrieren (vgl. König 2009). Ein erster Zugang, dieses Dilemma zu lösen, kann über die didaktische Gestaltung von Lernumgebungen auf unterschiedlichen Ebenen realisiert werden:

  • Veranstaltungsebene: Bildungsprozesse können bereits in der Planungsphase offen angelegt werden. Dadurch wird die Vernetzung der Lernenden konzeptuell in den Bildungsprozess integriert. Ein Beispiel hierfür können öffentliche Seminare sein, in denen die Lernenden mit Projektpartnern außerhalb der Bildungsinstitution virtuell vernetzt sind und mit diesen Projekte durchführen (vgl. Spannagel/Schimpf 2009). Ein anderes Beispiel ist die Integration von Weblogs in Lehrveranstaltungen, die den Lernenden die Möglichkeit zur persönlichen Reflexion und zum Austausch mit Personen innerhalb und außerhalb der Bildungsinstitution bieten.
  • Dozentenebene: Auch die Lehrperson kann durch die Bildung eigener virtueller Netze Bildungsprozesse öffnen. So kann sie beispielsweise virtuelle Lernräume der Lernenden in die persönlichen virtuellen Netze (z. B. im Dozentenweblog oder in Twitter) einspeisen und Personen von außerhalb einladen, am Bildungsprozess zu partizipieren. Über die eigenen Netze können somit externe Projektpartner "angelockt" werden (ebd.).
  • Institutionsebene: Die Bildungsinstitution selbst muss einen Rahmen bieten, in dem offene Bildungsprozesse wachsen können. So muss Dozenten gestattet werden, offene Lehrveranstaltungen durchführen zu können und sich selbst als Repräsentant der Bildungsinstitution öffentlich vernetzen zu dürfen. Über die bloße Duldung öffentlichen Arbeitens hinaus kann die Bildungsinstitution eigene Plattformen für die virtuelle Kooperation bereitstellen, z. B. durch die Instanziierung einer Wiki-Plattform oder einer Blogfarm (vgl. Akbari/Schmidt/Spannagel 2008).

Bei dem in der Einleitung beschriebenen Szenario der Sprachenschule beispielsweise können folgende Nutzungsszenarien zur Öffnung der Lehr-Lernsituationen und zur vernetzten Interaktion mit Lernpartnern außerhalb der Bildungsinstitution führen:

  • Auf der Veranstaltungsebene werden in den Seminaren fremdsprachige virtuelle Communities und Kooperationsplattformen eingesetzt. Lernende kommunizieren z. B. in Facebook mit Lernenden von Sprachenschulen in anderen Ländern und mit Muttersprachlern in der zu erlernenden Sprache. Hierdurch wird der interkulturelle Austausch zwischen Personengruppen gefördert und ein authentischer Sprachkontext erzeugt. Darüber hinaus arbeiten Lernende in der fremdsprachigen Wikipedia, ergänzen dort Texte und setzen sich in der Fremdsprache mit Wikipedianern auseinander.
  • Der Dozent macht in seinem Twitteraccount Dozenten und Lernende anderer Sprachenschulen auf virtuelle Arbeitsumgebungen seiner Lernenden aufmerksam. Hierdurch wird erreicht, dass die Lernenden mit Anfragen und Kommentaren fremdsprachiger Personen konfrontiert werden und darauf reagieren müssen. Zudem durchstöbert der Dozent regelmäßig auch die Twitternachrichten und Weblog-Beiträge von Muttersprachlern und Dozenten und Lernenden anderer Sprachenschulen, um interessante Handlungsfelder für seine Lernenden zu entdecken und nutzbar zu machen.
  • Die Sprachenschule stellt alle Mitglieder der Einrichtung ein Weblog-System zur Verfügung, in der die Lernenden und Lehrenden über ihre Lern- und Lehrerfahrungen in der Fremdsprache schreiben können bzw. die vom Dozenten gestellten Aufgaben beantworten. Durch die Integration in das organisationale System können die Lernenden sich auch klassenübergreifend vernetzen und in Austausch treten.
  • Ist dieses Weblog-System öffentlich, unterstützt die Bildungsinstitution auch die Kommunikation und Kooperation mit Personen außerhalb der Organisation. Besondere aktuelle Blogbeiträge können zudem auf der Webseite der Institution angezeigt werden. Hierdurch macht die Institution deutlich, dass sie Kommunikationsprozesse mit der ihrer Öffentlichkeit nicht nur duldet, sondern explizit erwünscht.

Die Verwendung des Web 2.0 außerhalb von Bildungsorganisationen ist in der Regel selbstbestimmt motiviert und in informelle Lernprozesse eingebettet (vgl. Reinmann/Bianco 2008). Wird nun die Nutzung von Web-2.0-Werkzeugen und virtuellen Netzwerken in formelle Bildungsprozesse integriert, so besteht die Gefahr, dass die Wirkungsweisen dieser Umgebungen falsch eingeschätzt und durch formale Bedingungen (z. B. Prüfungsanforderungen) ad absurdum geführt werden. So kann es beispielsweise geschehen, dass die Benotung von Weblog-Artikeln dazu führt, dass Lernende nicht mehr authentische Beiträge für die Community schreiben, sondern Artikel nur für eine einzige Person verfassen, nämlich den bewertenden Dozenten. Die Öffnung von Bildungsprozessen muss daher einhergehen mit einem motivationalen Design, das selbstbestimmte Formen der Motivation fördert (vgl. Spannagel 2007), und mit entsprechenden offenen Prüfungsformaten. Wenn es gelingt, Web-2.0-Werkzeuge in Bildungsprozesse derart zu integrieren, dass die Lernenden sich als selbstbestimmt agierend erleben, dann kann vermutet werden, dass die Nutzung dieser Werkzeuge auch über den institutionalisierten Bildungskontext hinaus in persönlichen Bildungsprozessen im Kontext lebenslangen Lernens und für das persönliche Wissensmanagement verwendet werden.


Organisationale Funktionen von Social Software am Beispiel des Bildungsmarketings[Bearbeiten]

Neben der prozessbezogenen Perspektive, d. h. der Frage, welche Rolle Social Software für Lehren und Lernen einnimmt, werden Web 2.0-Funktionen auch in organisationsbezogenen Aufgabenfeldern aufgegriffen. So finden sich in der Bildungspraxis Beispiele für den Einsatz von Social Software im Zusammenhang von organisationalem Wissensmanagement, der Personalführung, der Organisationsentwicklung oder des Bildungsmarketings. Stellvertretend für die strukturelle Perspektive soll hier das letztgenannte Beispiel, Bildungsmarketing, herangezogen werden.

Im Zuge der steigenden Popularität von Social Software streben verschiedenste Organisationen (Unternehmen, Parteien, Verbände, Interessensgruppen usw.) gegenwärtig danach, über diese neue Form der Außenkommunikation für die Organisation relevante Zielgruppen und Personenkreise zu erschließen und in unterschiedlichster Form deren (Online-)Aktivitäten für die eigenen Organisationsziele zu Nutze zu machen. So werden dem Trend folgend Weblogs, Fanseiten in Facebook oder Twitteraccounts erstellt, jedoch ohne im Vorfeld zu eruieren, inwieweit deren Gebrauch den vorliegenden Strategien dienlich ist, Anpassungen in der institutionellen Struktur erforderlich werden oder gar eine bestimmte, veränderte Organisationskultur notwendig wird.

Häufig scheitern Online-Marketingprojekte an einem unüberlegten Aktionismus und übersehen die Notwendigkeit, dass web-2.0-basiertes Marketing für eine Einrichtung letztlich einer Integration in ihre Organisationsstrukturen bedarf. Dabei gilt es ausgehend von einer definierten Vision Strategien abzuleiten, diese in Ziele zu präzisieren und erst im letzten Schritt daraufhin zu bestimmen, mit welchen Instrumenten diese Ziele bestmöglich erreicht werden können. Die Möglichkeiten von Social Software hierfür aufzugreifen kann eine Maßnahme innerhalb des gesamten Marketing-Management-Prozesses bzw. der Öffentlichkeitsarbeit der Organisation darstellen. Auf die strategische Planung, die eine zentrale Rolle spielt und die häufigste Ursache für das Scheitern von Online-Marketingmaßnahmen ist, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden (vgl. dazu Hörner 2006, Schmahl 2007). Festzuhalten bleibt, dass vorab ein tragfähiges Konzept entwickelt werden sollte, in dem Fragen wie „An wen richten sich die Internet-Aktivitäten?“ und „Welche Ziele sollen erreicht werden (z. B. Markenpflege, Neukundengewinnung, Adressgewinnung, Bindung des vorhandenen Kundenstamms etc.)?“ beantwortet werden sollten (vgl. Hohn 2004: 173ff, Hörner 2006: 63f).

Die für Social Software charakteristischen Phänomene der "Öffnung" und "Vernetzung" rufen nicht nur in prozessbezogener Hinsicht, wie im vorangegangenen Abschnitt im Kontext von Lehren und Lernen dargestellt, sondern eben auch in den Strukturen einer (Bildungs )Organisation Veränderungsprozesse hervor. Bei der Betrachtung von Marketingaufgaben betrifft dies im Besonderen die Form der Kommunikation mit verschiedenen Personen und Anspruchsgruppen. Basiert klassisches Marketing vereinfacht gesprochen primär auf einer Einkanal-Kommunikation, in der die Bildungseinrichtung mit Hilfe unterschiedlichster Instrumente potenzielle Kunden über die Einrichtung informiert und diese bewirbt ("Business-to-Consumer (B2C)"), so rückt im Kontext des Web 2.0 der Rückkanal, also der Dialog mit verschiedenen Personen, in den Mittelpunkt. Dies schließt insbesondere die bislang eher unbekannte Form mit ein, dass die an der Einrichtung interessierten Personen zwar physisch außerhalb dieser, so doch aber untereinander in Austausch treten ("Consumer-to-Consumer (C2C)"). In der gemeinsamen Interaktion von Lernenden, Lehrenden, Verantwortlichen der Einrichtung, Interessierten, Kunden usw. entstehen neue und für alle gleichermaßen zugängliche Inhalte, medialisiert in der Form von kombinierten und zeit- und ortsunabhängig verfügbaren Schrift-, Bild-, Ton und Filmdokumenten. Der amerikanische Verleger Tim O’Reilly, dem die Erfindung des Begriffs "Web 2.0" zugesprochen wird, nennt das Prinzip des "user-generated content" als zentralen Baustein des Web 2.0. Dieses Konzept sorgte in den letzten Jahren dafür, dass bestimmte Websites (wie Facebook, Wikipedia und Twitter) sprunghaft eine enorme Popularität erlangten. User-generated content heißt, dass der Internetnutzer die Rolle des passiven Konsumenten verlässt und das Netz aktiv mitgestaltet. Die neuen Anwendungen ermöglichen nun jedem Internetnutzer mit vergleichsweise geringem zeitlichen und technischen Aufwand Autorenfunktionen zu übernehmen und selbst Inhalte (content) im Internet zu generieren. Das Internet ist, einer im deutschsprachigen Raum üblichen Übersetzung folgend, zum „Mitmach-Internet“ geworden. Für das Bildungsmarketing heißt es, genau diese Idee aufzugreifen und attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die „User“, also die Dozenten, Teilnehmer, Schüler, Kunden usw. fortlaufend auf die Funktion und Inhalte der Bildungseinrichtung bezogene virtuelle Artefakte schaffen. Für die Bildungsorganisation erweitern sich dadurch die institutionellen Strukturen, mithilfe derer sie weitere, andere (Marketing )Prozesse umsetzen kann.

Wie dies in der Praxis aussehen könnte, kann an dem anfangs aufgeführten Fallbeispiel erläutert werden. Bei der vorgestellten Sprachschule kann es eben gerade als positive Herausforderung gesehen werden, dass sich die Schüler nicht ausschließlich auf der von der Einrichtung gestellten (E-Learning-)Plattform austauschen, sondern auch in den von Millionen genutzten Communities wie Twitter oder Facebook. Darunter verbergen sich mitunter zahlreiche ehemalige und mögliche neue Teilnehmer, deren Kontakt die Einrichtung (wieder) aufgreifen möchte. Bildungsmarketing hätte in diesem Fall den besonderen Schwerpunkt von "Community Marketing" und beinhaltet, die Diskussionen, den Austausch und den Dialog der aktuellen, ehemaligen und zukünftigen Teilnehmer in den bereits im Web 2.0 etablierten Communities aufzunehmen, im Sinne der Schule positiv zu beeinflussen und am Laufen zu behalten. Die Anforderung besteht darin, ...

  • deutlich zu kommunizieren, dass die Bildungseinrichtung die Kommunikation in der Community unterstützt. Dies kann durch Verlinkung der Community-Seite mit der Website der Bildungseinrichtung geschehen oder durch ein Aktivwerden der Bildungseinrichtung innerhalb der Community. So kann beispielsweise von offizieller Seite eine Facebook-Fanseite oder ein YouTube-Kanal eingerichtet werden.
  • sich an der Community intensiv zu beteiligen. Für die eine Sprachschule hieße dies, dass nicht nur ein Praktikant hin und wieder in der Community „vorbeischaut“, sondern dass Dozenten gefunden werden, die sich bei der Community regelmäßig beteiligen, denn dies sind ja genau diejenigen Personen, mit denen die Sprachschüler ins Gespräch kommen wollen.
  • die Community zu bereichern, indem interessante Inhalte durch die Akteure der Bildungsorganisation beigesteuert werden. Bei der Sprachschule könnten dies beispielsweise die aktuellen Nachrichten der Einrichtung sein, welche die Studierenden dann bequem in „ihrer“ Community lesen können anstatt sich umständlich in die Plattform der Bildungseinrichtung einzuloggen. Darüber hinaus sind auch Ausschnitte aus Lehrmaterial (z. B. Videos) oder Fotos von Veranstaltungen Inhalte, welche die Teilnehmer oder Interessenten zum Fremdsprachenlernen an dieser Schule inspirieren bzw. motivieren können.
  • die Community zu nutzen und die Kommunikation gezielt anzuregen. So könnte beispielsweise die Sprachschule interessantes Lehrmaterial exklusiv in ein soziales Netzwerk einspeisen, um so die Sprachschüler zu motivieren, sich entsprechende Aktivitäten der Einrichtung anzusehen. Auch der Einsatz von sogenannten "Incentives" wäre denkbar, z. B. eine Verlosung eines Büchergutscheins unter allen, die in einem bestimmten Zeitraum in der Community zu der Frage, warum sie bei dieser Sprachschule eingeschrieben sind, einen Beitrag schreiben. Diese Diskussion wird dann durch die Vernetzung der einzelnen Personen in der Community nicht nur von den Sprachschülern, sondern ebenso von deren Freunden im Netzwerk (bzw. dort auch „Fan“ oder „Follower“ genannt) gelesen – im Kontext des Marketings ein deutlicher Vorteil, anstatt dies lediglich in der geschlossenen Community der eigenen Lernplattform durchzuführen.
  • die Beiträge der User in der Community, insbesondere negative Kritik, ernst zu nehmen und darauf angemessen zu reagieren. Wird beispielsweise bei der Sprachschule die Arbeitsweise des Sekretariats kritisiert, so sollte eine prominente Person der Institution (Leitung, Dozent) auf diese Kritik eingehen. Aber auch alle anderen Mitarbeiter können die persönliche Atmosphäre einer Community nutzen um zu erklären, was die Gründe für eine bestimmte Entscheidung waren.

Die Liste ließe sich weiter fortführen, aber der Grundgedanke sollte bereits jetzt deutlich werden: Beteiligt sich eine Bildungseinrichtung aktiv und mit interessanten und authentischen Inhalten, ist es möglich, dass es die Mitglieder der Community aufnehmen und in ihren Netzwerken „weitererzählen“ und somit den Effekt des so genannten "user-generated advertising" anstoßen.


Handlungsfelder für das Bildungsmanagement[Bearbeiten]

Die hier fokussierten Perspektiven machen die Wirkung von Social Software in Bildungsinstitutionen beobachtbar und deuten Konsequenzen für die didaktische Gestaltung von Lehr-Lern-Szenarien einerseits und Managementaufgaben für die Bildungsinstitution andererseits an. Tatsächlich kann das Potenzial von Web 2.0 für Bildungsprozesse nur dann adäquat genutzt werden, wenn die beiden Handlungsfelder gleichermaßen und auch in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit berücksichtigt werden: Prozesse benötigen Strukturen, Strukturen wirken auf Prozesse. Diese Verschränkung soll im Folgenden in einem allgemeinen Handlungsraster nachgezeichnet sowie anschließend reflektiert werden, um der Ausgangsfrage nachzugehen, welche Potenziale und Herausforderungen Social Software für Bildungsinstitutionen in ihrer Gesamtheit bietet bzw. zur Konsequenz hat.

Unter den verschiedenen Modellen für ein allgemeines Verständnis von Bildungsmanagement dominieren gegenwärtig solche Ansätze, die ein systemtheoretisch geprägtes Verständnis von Bildungsinstitutionen aufbauen zu Grunde legen. Ein darauf ausgerichtetes (Weiter )Bildungsmanagement "[…] hat sich mit der Innenkonstitution des Systems, der Rezeption seiner Umwelt und der Grenzschärfung zwischen System und Umwelt zu beschäftigen" (Meisel 2009, S. 427). Bildungsmanagement wird in diesem vorliegenden Beitrag verstanden als "die institutionelle Steuerung und Entwicklung von sozialen Systemen, die dem Zweck der Bildung von Menschen dienen" (Iberer 2009; vgl. auch Müller 2007 und Müller 2009 i.d.B.). Dieses systemische Verständnis fokussiert die in einer Bildungsinstitution handelnden Personen, ihre Aufgaben in den Lehr-Lernprozessen sowie die darauf bezogenen organisationalen Rahmenbedingungen. Die institutionelle Perspektive betont dabei die Aufgabe, diese Handlungsfelder für Bildungsmanagement miteinander zu verschränken, auch um im Sinne einer lernenden Organisation die Lehr-Lernprozesse für die eigene Organisationsentwicklung nutzbar zu machen.

Wie bereits oben angedeutet, werden Lehr-Lernprozesse mit Social Software oftmals von selbstbestimmten und/oder selbstorganisierten informellen Lernprozessen angestoßen und zunächst außerhalb der Systemgrenzen institutioneller Bildungsprozesse realisiert. Eine Verschränkung bzw. Integration der inner- und außerinstitutionellen Lehr-Lernszenarien ist auf Anhieb nicht unproblematisch und erscheint komplex. Zudem zeigen die verschiedenen Pilotprojekte und „bottom-up“-Ansätze aus Bildungseinrichtungen, dass Web 2.0 auch im traditionellen institutionellen Bildungskontext erfolgreich eingebracht werden kann. Aus Fallbeschreibungen von web-2.0-basierten Lehr-Lernszenarien können unterschiedliche Nutzungsmuster ausgemacht werden:

  1. In den Fällen, wo Social Software in formelle Bildungskontexte integriert wird, beabsichtigen die Lehrenden und Lernenden einer Bildungsinstitution, in die bereits vorhandenen medialen Infrastrukturen der Bildungsinstitution (z. B. eine Lernplattform) verschiedene ausgewählte Web-2.0-Technologien zu integrieren, und zwar derart, dass die Kommunikations- und Interaktionsbeziehungen weiterhin auf den Personenkreis der Bildungsorganisation konzentriert bleiben. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine schulinterne Lernumgebung mit einer Wiki-Umgebung aufgebaut wird, auf die primär die Lernenden und Lehrenden der Einrichtung Zugriff haben und die von der Bildungseinrichtung gezielt entwickelt und unmittelbar verantwortet wird.
  2. Dem gegenüber zielen Lehr-Lernszenarien, die sich bestimmter Plattformen und Portale im "World Wide Web" bedienen, darauf ab, das inhaltliche Potenzial von Web-2.0-Anwendungen zu erschließen, insbesondere um den schier grenzenlosen Vernetzungsgrad mit Personen und Inhalten außerhalb der (System-)Grenzen der Bildungsorganisation zu nutzen. Die Lehrenden und Lernenden streben in solchen Fällen danach, über das institutionelle Lernfeld hinaus unmittelbare Begegnungen mit Personen und Inhalten der Gegenwart zu ermöglichen. Aus dem Blickwinkel des Bildungsmanagements wird solches Vorgehen mitunter auch mit der Strategie verknüpft, diese extrainstitutionellen Ressourcen für die originären Aufgaben nutzbar zu machen und eigene Anliegen nach außen hin zu kommunizieren.
  3. Nicht selten lösen sich Lehr-Lernszenarien gänzlich vom Einfluss traditioneller Bildungsinstitutionen und etablieren sich als selbstorganisierte virtuelle Lern-Communities, die für alle am Lernthema interessierten Personen offen sind. Dieser radikal anmutende Schritt ist nicht erst in den Online-Communities und sozialen Netzwerken realisiert. Selbstorganisierte Nachhilfegruppen oder Lern-Tandems, die sich neben den institutionellen Strukturen organisieren, sind schon lange vor dem Aufkommen der Internettechnologien bekannt. Das Novum für Fragen des Bildungsmanagements bildet die zunehmende Institutionalisierung solcher informeller Lehr-Lernszenarien, in deren Folge ein verstärkter Wettbewerb "äquivalenter Institutionalformen" (vgl. Schäffter 2005) zu konstatieren ist. Tatsächlich können virtuelle Lern-Communities bestimmte Merkmale, die bislang exklusiv den traditionellen Bildungsinstitutionen zugesprochen wurden, auch eine institutionalisierte, d. h. eine eingeführte und mit Strukturen versehene Umgebung für Lehr-Lernprozesse bieten, beispielsweise der Zugang zu spezifischen Inhalten oder die Interaktion mit Fachexperten.
  4. Schließlich wird auf Web-2.0-Technologien auch innerhalb der Systemstrukturen einer Bildungsinstitution zurückgegriffen, und zwar nicht nur organisiert und gesteuert wie im Kontext formeller Bildungsprozesse, sondern auch in hohem informellen Maße in individuellen und von Einzelnen praktizierten Arbeitsformen. Den Autoren dieses Beitrags liegen Tätigkeitsanalysen von (v. a. jungen) Lehrkräften vor, die in der Interaktion mit den Lernenden auch ihre virtuelle Präsenz in sozialen Netzwerken einsetzen, oder wo die Administration und medientechnische Umsetzung v.a. von kollaborativen Arbeitsaufgaben in Web-2.0-Funktionen des Internets ausgelagert werden.

Die Relevanz von Social Software für das Bildungsmanagement erstreckt sich über die Mauern der Bildungseinrichtung, über formelle Nutzungsformen hinweg. Unter Rückgriff auf systemische Managementansätze richtet ein "Bildungsmanagement 2.0" seinen Blick über die bislang betrachteten Systemgrenzen hinaus und etabliert sich in vier Handlungsfeldern:

Handlungsfelder für das Bildungsmanagement

Die jeweiligen Handlungsfelder entsprechen in der dargestellten Nummerierung den oben aufgeführten Nutzungsmustern und beinhalten entsprechend unterschiedlichen Potenziale bzw. Anforderungen für das Bildungsmanagement.

Neben der Verschiedenartigkeit der Handlungsfelder macht das Raster deutlich, dass Social Software die klassische Bildungsorganisationen in ihren Strukturen massiv herausfordert, vor allem in dem hohen Grad und bislang nicht bekanntem Ausmaß offener Nutzungs- und Beteiligungsformen. Dass sich Rahmenbedingungen für Leitungshandeln fortlaufend ändern, ist in der Managementpraxis nicht unbekannt. Moderne Managementansätze antworten darauf mit systemisch-evolutionären Management-Modellen, indem sie die wechselseitige Interaktion von System und Systemumwelten weniger als problembehaftete Anforderung, sondern vielmehr als konstitutionelles Element eines kontinuierlichen Organisationsentwicklungsprozesses aufgreifen. Die besondere Herausforderung im Kontext von Web 2.0 liegt darin, einerseits die die Bildungsinstitution umgebenden Systemumwelten, wie sie durch Social Software erschlossen werden, mit den Strukturen und Prozessen der Organisation zu vernetzen und gleichzeitig die inneren Systemkategorien vor dem Hintergrund dieser Vernetzung zu stabilisieren. Die bekannten Instrumentarien des (Bildungs )Managements, wie beispielsweise strategieorientierte Organisations- und Personalentwicklung, bieten hierfür durchaus operable Handlungsmodelle, auch wenn diese Ansätze zunächst die Aufgabenbewältigung im Systeminneren fokussieren. Die besonderen Wirkformen von Web 2.0 machen darüber hinaus erforderlich, dass diese ihr Vorgehen im Lichte der verstärkten Interaktion mit Systemumwelten abstimmen müssen.

Zusammenfassung und Ausblick[Bearbeiten]

Das besondere Potenzial von Social Software für Bildungsorganisationen liegt darin, Menschen mit ähnlichen Interessen bzw. Anliegen orts- und zeitunabhängig miteinander zu verbinden und in Interaktion zu bringen. Für Bildungsinstitutionen in allen Bildungsbereichen, die sich schon immer als Treffpunkt von Menschen für gemeinsames Lehren und Lernen verstanden haben, bietet sich in den neuen Internet-Funktionen eine Chance, diese Grundcharakteristik metaphorisch auch auf virtuelle Welten weiterzuentwickeln, und zwar sowohl auf prozessbezogener wie struktureller Ebene, in formeller als auch in informeller Ausprägung. Eine entscheidende, erfolgsbestimmende Komponente ist unserer Auffassung nach die strategische und didaktische Verschränkung von Formen der präsenzbasierten Bildungsarbeit mit den neuen internetgestützten Möglichkeiten von Social Software. Mit dem dem Schlagwort „Blended Learning“ liegt bereits ein etablierter Fachbegriff vor, der diese mediendidaktische und lernmethodische Integration postuliert. Die Verbindung wird hier nicht nur als Addition zweier unterschiedlicher Lernformen aufgefasst, sondern vielmehr als ein Lern- und Funktionsfeld umfassendes Lehr-Lernkonstrukt (vgl. Iberer 2009, S. 121). Entsprechend dieser didaktischen Verschränkung gilt es jetzt auch für die Kategorien des Bildungsmanagements, d. h. die Fragen der Entwicklung und Steuerung von Bildungsorganisationen, auszuweiten (vgl. auch Iberer/Schnurer/Vogel 2007).

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung über solche Fragen hat gerade begonnen, es liegen verschiedene Hypothesen, theoretische Modelle und Konzeptionen vor (Iberer 2009; Baumgartner/Himpsl 2008; Kerres u.a. 2009), die allerdings die Fragen der Bildungspraxis, v.a. hinsichtlich der Spezifika der unterschiedlicher Bildungsbereiche, nicht erschöpfend beantworten. Ein offener Fragekomplex besteht beispielsweise darin, wie eine Bildungsinstitution ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Lernenden und Lehrenden auch in der Interaktion in den offenen Welten des Web 2.0 erfüllen kann. Dies betrifft vor allem die Belange der Privatsphäre des Einzelnen in virtuellen Netzwerken (Anforderungen von Datensicherheit und Datenschutz) und die Wahrung der lernförderlichen Eigenschaften eines geschützten Lernraums. Aber auch umgekehrte Überlegungen, ob nicht die institutionelle Steuerung von Social Software dessen Grundprinzipien widerspricht, stehen im Raum. So ist nicht ausgeschlossen, dass die generelle Attraktivität der Web-2.0-Technologien gerade darin begründet liegen kann, dass sie von ihren Nutzern gezielt als Freizeitaktivität oder in anderen Kontexten angewendet werden, eben als bewusste Andersartigkeit, als Abschalten vom täglichen Erleben der institutionalisierten Strukturen in Schule oder Beruf (vgl. Dittler 2008). Um nochmals das eingangs beschriebene Fallbeispiel heranzuziehen: Die Sprachschule muss, wenn Sie aus strategischen Zielen heraus die Interaktion mit ihren und anderen Personen in den Sphären von Social Software sucht, den Wettbewerb aufnehmen, muss aufzeigen, dass sie wertvolle Angebote bietet, das Sprachenlernen in der Lebenspraxis, eben bewusst in Freizeitumgebungen usw. aufgreift und mit den institutionalisierten Lernumgebung des Präsenzlernens zu kombinieren vermag.

Social Software wird in entscheidendem Maße von den Aktivitäten ihrer Anwender getragen, im Kontext einer Bildungsorganisation gleichermaßen von Lernenden, Lehrenden und Leitungsverantwortlichen. Die beschriebenen Potenziale können sich erst dann entfalten, wenn sich möglichst viele Mitglieder einer Bildungseinrichtung offen für die neuen Funktionen zeigen und sich in den verschiedenen Communities einbringen. Den Führungspersonen kommt dabei die Rolle zu, durch ihr aktives Mitwirken Vorbild- und Führungsverantwortung von „top-down“ zu zeigen und den Einsatz von Social Software authentisch zu vertreten. Für viele Bildungsmanager und Lehrende sind Web-2.0-Funktionen gegenwärtig eher noch unbekannt und kaum in ihren jeweiligen Arbeitskontext integriert. Social-Software-getriebene Organisationsveränderungen beginnen zuvorderst in der persönlichen Entwicklung der Bildungsmanager und Lehrenden und zwar weniger über insolierte autodidaktische Verfahren, sondern eher indem sie Web-2.0-Werkzeuge auf ihre Aufgaben hin ausprobieren, ihren individuellen Bildungsprozess öffnen und diesen mit den selbigen ihrer Mitarbeiter und Lernenden im besten Web-2.0-Sinne vernetzen.


Danksagung[Bearbeiten]

Wir bedanken uns bei Mareike Ziegler, stellvert. Abteilungsleiterin im Schulreferat der Stadt Reutlingen, für das Fallbeispiel. Frau Ziegler hatte den realen Fall im Rahmen ihres berufsbegleitenden Studiums im Masterstudiengang Bildungsmanagement an einer Fremdsprachenschule in Irland aufgegriffen und in ihre Lern-Community eingebracht. Des Weiteren danken wir Oliver Tacke für seine wertvollen Anregungen während der wikibasierten Vorbereitung dieses Artikels (siehe auch im Internet unter http://de.wikiversity.org/wiki/Bildungsmanagement_2.0).

Wir freuen uns hier auf weitere Kommentare und Anmerkungen.


Literatur[Bearbeiten]

  • Akbari, Mostafa; Schmidt, Tim; Spannagel, Christian (2008): Ein Planungsraster zum Einsatz von Weblogs in der Lehre. In: Lucke, Ulrike; Kindsmüller, Martin; Fischer, Stefan; Herczeg, Michael.; Seehusen, Silke. (Hrsg.): Workshop Proceedings der Tagungen Mensch & Computer 2008, DeLFI 2008 und Cognitive Design 2008. Berlin: Logos. S. 305-310.
  • Baumgartner, Peter; Himpsl, Klaus (2008): Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur? Was die Schule von Web 2.0 lernen kann. In: LOG IN – Informatische Bildung und Computer in der Schule, Heft 152, Berlin: LOG IN Verlag. Online im Internet: http://www.peter.baumgartner.name/publications-de/pdfs/baumgartner_schule_web_2008.pdf (zuletzt abgerufen am 01.11.2009).
  • Dittler, Ulrich (2008): Chatprotokoll "E-Learning 2.0: Von den Hochschulen gehypt – bei Studierenden unerwünscht?". E-teaching.org. Online im Internet: http://e-teaching.org/community/communityevents/expertenchat/chatprotokoll_dittler (zuletzt abgerufen am 01.11.2009).
  • Iberer, Ulrich (2009): Bildungsmanagement von Blended Learning. Entwicklungsstudie zur institutionellen Steuerung eines weiterbildenden Masterstudiengangs. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg: Dissertation (im Druck).
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