Das Deutsche in der Wortstellungstypologie

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Die Untersuchung der Wortstellungsvariation ist seit der Pionierarbeit von Greenberg (1963) eines der prominentesten Gebiete der Sprachtypologie. Innerhalb dessen ist wiederum die relative Anordnung von Subjekt / Verb / Objekt eine der meistbehandelten Fragestellungen. In diesem Kapitel soll daher mit der Einordnung des Deutschen hinsichtlich der S/V/O-Wortstellungstypologie begonnen werden, gefolgt von der Frage nach Reihenfolgeeigenschaften innerhalb der Satzglieder. Dabei ist dann eine der Hauptfragen z.B. ob es Parallelen zwischen der Abfolge von V/O auf der einen Seite und Präpositionen mit ihren Ergänzungen auf der anderen Seite gibt und ob generell "Harmonieprinzipien" wirksam sind, die die Abfolge von Köpfen und Nicht-Köpfen verschiedener Kategorie gleichermaßen regeln. Da eine besonders charakteristische Wortstellungseigenschaft des Deutschen die Verbzweit-Regel im Hauptsatz ist, soll dieses Wortstellungsprinzip, das zur S/V/O-Andordnung querläuft, in einem dritten Teil noch eigens in einer typologischen Perspektive betrachtet werden.

Das Deutsche und die V-S-O Typologie[Bearbeiten]

1. Kontrastpaare, Kontrastfokus und Kontrastbetonung[Bearbeiten]

Anhand der folgenden verschiedenen Realisierungen eines Satzes wird die Wortstellung im Deutschen veranschaulicht.

  1. Gestern biss der Hund den Briefträger. (AdvBes-V-S-O)
  2. Den Briefträger biss der Hund gestern. (O-V-S) (!)
  3. Der Hund biss gestern den Briefträger. (S-V-O)
  4. Biss der Hund den Briefträger gestern? (V-S-O)
  5. …, dass der Hund den Briefträger gestern biss (S-O-V)
  6. …, dass den Briefträger der Hund gestern biss (O-S-V) (!)'


Stellt man sich die Frage, in welcher Realisierung der Satz am 'neutralsten' bzw. am besten für den Leser klingt, so lassen sich folgende Antworten finden:

  • Satz (3) wird favorisiert, da er im Gegensatz zu einer Frage (4) keinen Kontext benötigt.
  • Satz (1) klingt nach einer 'Spontanäußerung einer Erzählung'. D.h. ein Hintergrund/Fokus wird durch Gestern erzeugt und hängt ebenso mit der Betonung zusammen (Bsp. Gestern biss er die Nachbarin. Heute die Besitzerin.)
  • steht das Verb zu Beginn des Satzes, wie in (4)handelt es sich um einen Frage- oder Aussagesatz.
  • Satz (1) und (3) werden favorisiert aufgrund ihrer pragmatischen Neutralität.

2. S-V-O Typologie im Deutschen[Bearbeiten]

Warum erscheinen dem Leser der Satz (1) und (3) am neutralsten?

  • Die Kriterien der pragmatischen Neutralität beinhalten, dass im Satz eine Konstituente vorne steht, ein Verb folgt und am Ende das Objekt steht. Denn: steht das Objekt vorne im Satz, benötigt man den Kontext.
  • Ein Satz kann problemlos mit einem Adverbial oder Subjekt beginnen ohne 'markiert' zu wirken.

2.1. Kontrastpaare[Bearbeiten]

Kontrastpaare entstehen durch Fokussierung. Unter Fokus versteht man in diesem Zusammenhang die Betonung. Bsp. "Gestern biss DER HUND den Briefträger." In diesem Beispiel wird DER HUND zu einer betonten Einheit, ruft einen Fokus hervor und steht in Kontrast zu etwas. Eine solche Kontrastbetonung kann überall gesetzt werden. So erscheint dem Leser beispielsweise der Satz (2) fokussiert aufgrund der Kontrastbetonung:

  1. (2) DEN BRIEFTRÄGER biss der Hund gestern.

Der Briefträger steht nun im Kontext aufgrund der Kontrastbetonung (Wen hat der Hund gebissen? Den Briefträger)

2.2. S-V-O Typologie[Bearbeiten]

Es lässt sich demnach festhalten, dass es zu einer Auffälligkeit kommt, wenn das Objekt das Vorfeld besetzt. Die Vorfeldbesetzung steht für einen Kontrast oder aber auch gegeben zu sein, d.h. das Topic zu sein (s. Satz (2). In der traditionellen deutschen Grammatik ist das Vorfeld die Anschluss- oder Druckstelle (Topic, Kontrastfokus).

  1. (3) Der Hund biss gestern den Briefträger. (S-V-O)

Satz (3)weist die im Deutschen 'typische' Wortstellung S-V-O auf und wird auch als die pragmatisch neutralste Realisierung wahrgenommen. Diese Variante des Satzes stellt keine Anforderungen an den Kontext, d.h. ein Text könnte mit einem solchen Satz problemlos beginnen ohne markiert zu sein. Zusammengefasst: Ein pragmatisch neutraler Satz ist derjenige, der in neutralem Kontext verständlich ist. Dabei könnnen Subjekt und Objekt vertauscht werden, allerdings ist der Fokushintergrund entscheidend: was ist gegeben und was wird fokussiert.

Zwischenfazit für S-V-O Typologie im Deutschen

  • Steht das Subjekt vor dem Objekt im Satz, wirkt der Satz neutral.
  • -> Es gilt: Subjekt vor Objekt
  • Die Stellung des Verbs scheint variierbar zu sein.


Verbzweitstellung in typologischer Sicht[Bearbeiten]

Was heißt Verb-Zweit-Stellung? Kurze Erläuterung anhand des Deutschen[Bearbeiten]

Das finite Verb steht an der zweiten Position, d.h. unmittelbar hinter der ersten Satzkonstituente. Beispiele dafür, die zeigen, dass das Deutsche eine Verb-Zweit-Stellung hat:

  • (a) Die Frau hat das Buch mit Vergnügen gelesen.
  • (b) Das Buch hat die Frau mit Vergnügen gelesen.
  • (c) Mit Vergnügen hat die Frau das Buch gelesen.
  • (d) Gelesen hat die Frau das Buch mit Vergnügen.
  • (e) Wenn sie Zeit gehabt hätte, hätte die Frau das Buch gelesen.

Anhand der hier aufgezeigten Beispiele lässt sich erkennen, dass an die erste Stelle im Satz beliebige Satzteile gestellt werden können. Wenn es allerdings kein Finitum (LSK = linke Satzklammer) braucht, ist das Verb normalerweise ganz hinten (spricht also für eine S-O-V Struktur). →Das Vorfeld kann mit einem beliebigen Satzglied besetzt werden.

→ Darauf folgt das finite Verb (linke Satzklammer).

Abgrenzung zur S-V-O Typologie[Bearbeiten]

In den S-V-O Sprachen folgt das Verb immer auf das Subjekt. In echten V2-Sprachen kann das Subjekt zwar das Vorfeld besetzen, muss es aber nicht und kann auch andere Satzglieder vorangestellt haben. Beispiele dafür

  • (a) *Die Frau das Buch hat mit Vergnügen gelesen.
  • (b) *Mit Vergnügen die Frau hat das Buch gelesen.
  • (c) *Wenn sie Zeit gehabt hätte, die Frau hätte das Buch gelesen.

Eine weitere Verb-Zweit-Eigenschaft ist, dass die Sätze, die mehr als eine präverbale Konstituente haben, ungrammatisch sind. Beispiele dafür

  • (a) *Die Frau das Buch hat gelesen mit Vergnügen.
  • (b) *Mit Vergnügen die Frau hat gelesen das Buch.
  • (c) *Das Buch mit Vergnügen hat die Frau gelesen.

Abgrenzung anhand des Französischen[Bearbeiten]

Anhand eines Beispiels der romanischen Sprache Französisch wird deutlich, dass diese keine strenge Verb-Zweit-Stellungsregel hat. Die Sätze sind nur dann grammatisch, wenn die Konstituente am Anfang die grammatische Funktion des Subjekts innehat:

  • (a) La femme a lu le livre avec plaisir.
  • (b) *Le livre a la femme lu avec plaisir.
  • (c) *Avec plaisir a la femme lu le livre.
  • (d) *Lu a la femme le livre avec plaisir.
  • (e) *Si elle avait eu le temps, aurait la femme lu le livre.

Die Verbstellung in Verb-Zweit-Sprachen[Bearbeiten]

Die Verbzweit-Stellung ist nach der Transformationsgrammatik (Bierwisch 1963) ein Standardbeispiel einer abgeleiteten Wortstellung. D.h. als Basis einer Ableitung kann die Abfolge S-O-V herangezogen werden, die in ihrer Reinform in Nebensätzen anzutreffen ist Beispiel (S-O-V) …Weil Klaus (S) vorgestern Obst (O) gekauft hat (V finit)

Wird das finite Verb nun vorangestellt, erhält man eine Verberst-Stellung (V1-Stellung) Beispiel …hat (V) Klaus (S) vorgestern Obst (O) gekauft

Besetzt man nun mit einem beliebigen Satzglied das Vorfeld, erhält man eine Verbzweitstellung (V2-Stellung)

Vorgestern2 hat1 Klaus (S) [ -- 2 ] Obst (O) gekauft [ -- 1 ]

oder:

 Obst2 hat1 Klaus (S) vorgestern  [ -- 2 ]  gekauft  [ -- 1 ] 

oder:

 Klaus2 hat1 [ -- 2 ]  vorgestern Obst gekauft  [ -- 1 ] 

oder:

 [Obst gekauft]2 hat1  Klaus vorgestern [ -- 2]  [ -- 1 ]


Bei Nebensätzen, die durch eine Konjunktion eingeleitet werden, gibt es keine Verbzweit-Stellung

  • (a) Die Frau hat ein Buch gelesen.
  • (b) *Die Frau ein Buch gelesen hat.
  • (c) *Ich glaube, dass die Frau hat ein Buch gelesen.
  • (d) Ich glaube, dass die Frau ein Buch gelesen hat.

Dies gilt auch für satzeinleitende Konditionalsätze. D.h. entweder steht in satzinitialer Position das finite Verb oder die Konjunktion. Sie können nicht gleichzeitig an satzinitaler Position auftreten. Beispiele dafür

  • (a) Wenn die Frau Zeit gehabt hätte, hätte sie ein Buch gelesen.
  • (b) *Wenn hätte die Frau Zeit gehabt, hätte sie ein Buch gelesen.
  • (c) Hätte die Frau Zeit gehabt, hätte sie ein Buch gelesen.
  • (d) *Hätte wenn die Frau Zeit gehabt, hätte sie ein Buch gelesen.


Abgrenzung zum S-V-O Wortstellungsmuster[Bearbeiten]

Bei S-V-O Sprachen steht das Verb ebenfalls an zweiter Stelle, allerdings steht bei ihnen das Verb immer nach dem Subjekt. Der Unterschied zu S-V-O ist: Bei Verbzweitsprachen kann das Subjekt (bspw. im Vorfeld) auch vor dem Verb stehen. Die Verbzweitstellung im Deutschen wird deutlich, sobald das Prädikat noch Bestandteile im Infinitiv hat. Beispiel

  • 1) Paul (S) kaufte (V) Obst (O)
  • 2) Paul (S) hat Obst (O) gekauft (V)


Welche anderen Sprachen verfügen über eine Verb-Zweit-Stellung?[Bearbeiten]

Grundsätzlich ist die Verb-Zweit-Stellung typisch für germanische Sprachen:

  • Niederländisch,
  • Bretonisch,
  • Altfranzösisch,
  • Schwedisch,
  • Norwegisch,
  • Isländisch,
  • Taiof,
  • Sisiqa
  • und Kashmiri.

Allerdings gibt es da auch Ausnahmen, wie z.B. Englisch, Rätoromanisch.

Darüber hinaus lassen sich die V2-Sprachen in zwei Gruppen einteilen:

1) General embedded V2 languages (GV2): Isländisch und Jiddisch und

2) limited embedded V2 languages (LV2): Dänisch, Niederländisch, Färöisch, Friesisch, Deutsch, Norwegisch und Schwedisch

Kashmiri als Verb-Zweitsprache[Bearbeiten]

==== Wo wird Kashmiri gesprochen? ==== In Indien, genauer: Jammu und Kashmir

Fetter Text

Die Verb-Zwei-Stellung im Kashmiri[Bearbeiten]

1) bei Hauptsätzen:

mye per yi kyitāb az.

I read this book today.

2) Sätze, die mit Adverb beginnen:

az per mye yi kyitāb.

Today read I this book.

3) bei Nebensätzen:

mye von zyi mye per yi kyitāb az.

I said that I read this book today.

4) bei Nebensätzen mit vorangestelltem Adverb:

mye von zyi az per mye yi kyitāb.

I said that today read I this book.

5) bei Relativsätzen: keine V-2Stellung!

yi chi swa kyitāb ywas mye rāth per.

This is the book which I yesterday read.

6) bei Relativsätzen mit eingebettetem Nebensatz:

yi chi swa kyitāb ywas mye az veny zyi mye per rāth.

This is the book which I today said that I read yesterday.

Auffälligkeiten zum Deutschen: Während W-Sätze im Deutsche nicht markiert sind (Bsp. 'Wer hat die Milch gekauft?'), sind sie im Kashmir markiert. Beispiel (Bhatt 1999:107)

?kyaa dyutnay rameshan tse

What gave Ramesh you

‚What is it that Ramesh gave to you?‘

Isländisch als Verb-Zweitsprache[Bearbeiten]

Das Isländische hat eine S-V-O Abfolge als Basis im Gegensatz zum Deutschen (S-O-V). Es bildet mit dem Jiddischen zusammen eine Ausnahme unter den V2-Sprachen, nämlich:

Das finite Verb kann in beide Richtungen wandern bei Haupt- wie auch Nebensätzen, wenn sie von Complenteizern (C) eröffnet werden. Das heißt, sie können die Position des finiten Verbs variieren.

Eine weitere Ausnahme findet man bei den eingebetten Sätzen, bei denen das Verb ebenfalls an zweiter Position stehen kann (im Gegensatz zum Deutschen). Beispiel

Hvort Maria hefur ekki lesiô bokina

Whether Mary has not read the book

‚whether Mary hasn‘t read the book.‘

Das Jiddische als Verb-Zweit-Sprache[Bearbeiten]

eingebettete Sätze haben eine V2-Stellung, Beispiel:

Ikh meyn az haynt hot Max geleyent dos Bukh

ich denke dass heute hat Max gelesen das Buch

'Ich denke, dass Max heute das Buch gelesen hat.'


Gemeinsamkeiten bei V2-Sprachen[Bearbeiten]

Das Kashmiri, Isländisch und Jiddisch haben gemeinsam, dass sich das Verb in Haupt- wie auch Nebensätzen bewegen darf.

In V2-Sprachen steht das Subjekt meistens vor dem finiten Verb, Beispiel Kashmiri

Rameshas cha azkal shiilaa khosch karaan

Ramesh these days Sheila happy do-NPRF

'Ramesh likes Sheila these days.'

In V2-Sprachen erscheint der Satz markiert, wenn das Objekt an erster Stelle im Satz steht, Beispiel Kashmiri

Darvaaz mustroov Ramesh-an

door opened Ramesh-ERG

'It was the door that Ramesh opened.'

Literatur[Bearbeiten]

  • Bayer, Josef (2010): What is Verb Second? http://www.hum.au.dk/engelsk/engsv/nyvad-abstracts/bayer-ho.pdf
  • Bhatt, Rakesh M. (1999), Verb Movement and the Syntax of Kashmiri. Dordrecht: Kluwer.
  • Bierwisch, Manfred (1963): Grammatik des deutschen Verbs. Berlin: Akademie-Verlag
  • Hrafn Hrafnbjargarson, Gunnar/Wiklund, Anna-Lena (2009): General Embedded V2: Icelandic A, B, C, etc., In: Working Papers in Scandinavian Syntax 84 (2009), 21–51.
  • Kaiser, Georg (2002): Verbstellung und Verbstellungwandel in den romanischen Sprachen. Tübingen: Max Niemeyer Verlag
  • Vikner, Sten (1995): Verb movement and expletive subjects in the Germanic languages. Oxford University Press
  • http://de.wikipedia.org/wiki/V2-Stellung Version 31. Mai 2014