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Die Bibel. Aphorismen zum Buch der Bücher.

Aus Wikiversity

H.-P.Haack

Es ist so bequem, unmündig zu sein.[1]


Ich werde als Passant und Fußgänger hin und wieder von jungen Leuten angesprochen, die missionierend unterwegs sind. Lasse ich mich auf ein Gespräch ein und gebe mich als Agnostiker zu erkennen, werde ich ermahnt: „Lesen Sie die Bibel!“

Im unteren Teil der Leipziger Hainstraße bin ich am 27. April 2011 auf einen Informationsstand gestoßen, an dem drei Christen mit lächelnder Glaubensgewissheit auf die Vorübergehenden blickten. Anbei hatten sie eine Tafel aufgestellt: „Was sagt uns die Bibel wirklich?“ Auf meine Frage, ob die Bibel ein Gottesbeweis sei, wurde mir mit Nachdruck und bestimmt geantwortet: „Ja.“

Die Bibel ist Literatur, ein feierliches Sprachwerk, redigiert, mit ausgewählten Texten (die Apokryphen wurden ausgesondert), von großer Sprachkraft. Eingeschaltet sind Erzählungen, wie das Buch Esther oder die romanhafte Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. Ganz zu schweigen von der Legendenfülle mit ausgesprochen literarischem Einschlag, etwa der Flutmythos oder das Gleichnis vom verlorenen Sohn oder der Bericht über David, dessen Gottvertrauen ihn die Gewissheit hat finden lassen, ein Auserwählter zu sein, und den das Wissen um seine Erwähltheit befähigt hatte, Goliath zu besiegen.

Die vielen Grausamkeiten der Bibel, wie das Abschlagen von Köpfen (David /Goliath, Judith/Holofernes, Salome/Johannes der Täufer), zielen auf literarische Wirkung, auf narrative Erschütterung, - nicht anders als Mord und Totschlag in der Epik Homers. Die biblischen Kopfabschlag-Motive wurden aufgrund ihrer Expressivität auch Vorlagen und Inhalte der bildenden Kunst.

Christentum ist im weitesten Sinn ein Mythos, Bestandteil der Weltmythologien. Die Auferstehung Jesu von den Toten, um ein herausragendes Beispiel zu nenen, ist ein archaischer mythologischer Topos. Beweisen vermag die Bibel Gott nicht. Sie ist die Anleitung des Menschen im Umgang mit Gott und den Mitmenschen.

Zur Religion wird der Mythos Christentum durch die mosaischen Gebote und Verheißungen, den Verheißungen von Unsterblichkeit und des Himmelreichs. Im Paradies wird der verstorbene Greis, geplagt von Krankheiten, zum verklärten Jüngling, ist ausgesöhnt mit den Widrigkeiten des Lebens, ausgesöhnt mit seinen Feinden, erlöst von Ehrgeiz und der Tortour der Sexualität, wieder vereint mit während des Erdendaseins verlorenen Bezugspersonen, in ewiger, gleich bleibender Glückseligkeit. Dem Agnostiker ist ewige Ruhe der stärkere Trost. Die Auferstehung des Fleisches ist ihm ein Grauen. Hat er rechtschaffen gelebt, und sollte er irgendwann vor einem letzten Richter sich zu verantworten haben, sofern dieser existiert, wird er bestehen können. Richten wird ein christlicher Gott auch nur nach Menschenart, d. h. nach sozialen Aspekten, nach menschlichem Empfinden, da er im Menschen sein Ebenbild geschaffen hat.

Dass ein Gott mit einer Jungfrau einen Sohn zeugt, dem er Menschengestalt gibt, den er, um seine Liebe zu den Menschen zu beweisen, auspeitschen und den Opfertod am Kreuz sterben lässt, - auch dieses Dogma hat ausgesprochen mythologische Züge. Islamische Religionsgelehrte rümpfen die Nase über derartige Erniedrigungen einer Gottheit. Beim christlichen Abendmahl sind es Wein und Oblate, die in Analogie zu den antiken Opfertieren Blut und Fleisch des hingerichteten Gottessohns symbolisieren. In einer Ersatzhandlung verzehren die Gläubigen das Opfer wie im heidnischen Ritus.

Der Agnostiker Goethe, für den Gott und Paradies metaphorische Begriffe waren, kunsttauglich wie alle Mythologeme, lässt seinen Faust auf den Chorgesang der Engel erwidern: „Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ (765) [2] Der Atheist Sigmund Freud bezeichnete die Glücksversicherungen und den Leidensschutz der Religionen als „wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit“ und als „Massenwahn“.[3]

Vom Agnostizismus zum aufgeklärten Deismus ist es nur ein kleiner Schritt. Im Einzelfall mag das religiöse Empfinden des Agnostikers tiefer ausgeprägt sein, als beim bekennenden Gläubigen, bei den Angehörigen der drei abrahamitischen Religionen, allen voran die Anhänger des rechthaberischen Islams. Ohne dass ein Agnostiker dies bewusst reflektiert oder sich Rechenschaft darüber ablegt, können es letztlich Ehrfrucht und eine mythische Scheu sein, das Göttliche zu personifizieren, - zu einer Vaterfigur, mit der man im Gebet auf Du und Du steht. Das Schaf in des Pastors Herde ist frei von solchen Skrupeln, frei von der Ehrfurcht vor dem Numinosen. Von seinem Seelenhirten geführt, hegt es in kindhafter Unbefangenheit eine naive, anthropomorphe Gottesvorstellung und macht so aus Gottvater eine Art Familienangehörigen, wenn auch großartigen.

Dem reflektierenden Agnostiker soll das Göttliche ein Geheimnis bleiben, ein heiliges Geheimnis. Vordergründige Glaubensbekenntnisse, Bigotterie, frommer Rummel und religiöse Hierarchien befremden ihn, erst recht religiöse Belehrungen, die ihm aufgedrängt werden, christliche wie – die Zeiten haben sich gewandelt – islamische Missionierungsversuche. Juden, die Angehörigen der ältesten der drei abrahamitischen Religionen, missionieren nicht, zumindest nicht unter nichtjüdisch Geborenen. Eine exklusive Frömmigkeit, die sympathisch ist in Zeiten des wuchernden Islams und christlicher Neubesinnung.

<references>

--Hans-Peter Haack 12:34, 10. Feb. 2011 (CET)

  1. Kant, Imanuel: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Berlinische Monatsschrift 1784, Bd. 4, Zwölftes Stück, S. 481
  2. Zu Goethes Agnostizismus:
    Wer darf ihn nennen?
    Und wer bekennen:
    Ich glaub ihn?
    Wer empfinden,
    Und sich unterwinden,
    Zu sagen: Ich glaub ihn nicht? («Faust» 3430-37)
    Heil den unbekannten,
    Höheren Wesen,
    Die wir ahnen! («Das Göttliche»)

  3. Freud, S.: Das Unbehagen in der Kultur. 1930 (Erstdruck), S. 33