Die essayistischen Einschaltungen in Goethes «Dichtung und Wahrheit». 1.Teil.

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Erster Teil. Erstes bis fünftes Buch.


Der Mensch, der nicht gezüchtigt wird, wird nicht erzogen.


Erwähltheit

Am Beispiel des biblischen Volkes Israel folgert Goethe: Eine Besondere Religion, eine von den Göttern diesem oder jenem Volk geoffenbarte, führt den Glauben an eine besondere Vorsehung mit sich, die das göttliche Wesen gewissen begünstigten Menschen, Familien, Stämmen und Völkern zusagt. Diese scheint sich schwer aus dem Inneren des Menschen zu entwickeln. Sie verlangt Überlieferung, Herkommen, Bürgschaft aus uralter Zeit. (I/4)

Daß einer mehr von den Göttern begünstigt sein könne als der andere, hält Goethe wenige Sätze später noch einmal fest, - sich weiterhin auf die Stammväter des Alten Testaments berufend. (I/4)

Gleichheit

Das Familienwesen eines jeden Handwerks, das Gestalt und Farbe von der Beschäftigung erhielt, war gleichfalls der Gegentand meiner stillen Aufmerksamkeit, und so entwickelte, so bestärkte sich in mir das Gefühl der Gleichheit, wo nicht aller Menschen, doch aller menschlichen Zustände, indem mir das nackte Dasein als die Hauptbedingung, das übrige alles aber als gleichgültig und zufällig erschien. (I/4)

Es ist ganz einerlei, vornehm oder gering zu sein, das Menschliche muß man immer ausbaden. (Maximen und Reflexionen)

Goethes Pantheismus

Die allgemeine, die natürliche Religion bedarf eigentlich keines Glaubens, denn die Überzeugung, daß ein großes, hervorbringendes, ordnendes und leitendes Wesen sich gleichsam hinter der Natur verberge, um sich uns faßlich zu machen, eine solche Überzeugung dringt sich einem jeden auf; ja, wenn er auch den Faden derselben, der ihn durchs Leben führt, manchmal fahren ließe, so wird er ihn doch gleich und überall wieder aufnehmen können. (I/4)

Mythologie und Religion

Goethe sieht im alten Testament ein Gemisch von Fabel und Geschichte, Mythologie und Religion. (I/4)

Goethe zur biblischen Josephs-Legende

Höchst anmutig ist diese natürliche Erzählung, nur scheint sie zu kurz und man fühlt sich berufen, sie ins einzelne auszumalen. (I/4)

Thomas Mann hat, was Goethe liegen gelassen hatte, mit der Roman-Tetralogie Joseph und seine Brüder ausgeführt.


Aphorismen und Sentenzen[Bearbeiten]

Kindheitserinnerungen

  • Wenn man sich erinnern will, was uns in der frühesten Zeit der Jugend begegnet ist, so kommt man oft in den Fall, dasjenige, was wir von anderen gehört, mit dem zu verwechseln, was wir wirklich aus eigener anschauender Erfahrung besitzen. (I/1)

Väterliche Erwartungen

  • Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das, was ihnen selbst abgegangen, an den Söhnen realisiert zu sehen, so ungefähr, als wenn man zum zweitenmal lebte und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte. (I/1)

Undank für schöne Stunden

  • Und so erfuhr ich frühzeitig, daß uns die Menschen für das Vergnügen, das wir ihnen gewährt haben, sehr oft empfindlich büßen lassen. (I/1)

Fremde Biographien als Lebenshilfe

  • Denn das ist ja eben das Lehrreiche solcher sittlichen Mitteilungen, daß der Mensch erfahre, wie es anderen ergangen, und was auch er vom Leben zu erwarten habe, und daß er, es mag sich ereignen, was will, bedenke, dieses widerfahre ihm als Menschen und nicht als einem besonders Glücklichen oder Unglücklichen. Nützt ein solches Wissen nicht viel, um die Übel zu vermeiden, so ist es doch sehr dienlich, daß wir uns in die Zustände finden, sie ertragen, ja sie überwinden lernen. (I/1)

Hohn und böser Wille unter Schulkindern

  • Gewalt ist eher mit Gewalt auszutreiben; aber ein gut gesinntes, zur Liebe und Teilnahme geneigtes Kind weiß dem Hohn und dem bösen Willen wenig entgegenzusetzen. (I/2)

Selbstbetrug

  • So wahr ist es, daß alles, was den Menschen innerlich in seinem Dünkel bestärkt, seiner heimlichen Eitelkeit schmeichelt, ihm dergestalt höchlich erwünscht ist, daß er nicht weiter fragt, ob es ihm sonst auf irgendeine Weise zu Ehre oder Schmach gereichen könne. (I/2)

Kinderanblick

  • Wir können die kleinen Geschöpfe, die vor uns herumwandeln, nicht anders als mit Vergnügen, ja mit Bewunderung ansehen; denn meist versprechen sie mehr, als sie halten. […] Wüchsen die Kinder in der Art fort, wie sie sich andeuten, so hätten wir lauter Genies. […] Doch kann man hinterdrein wohl bemerken, was auf ein Künftiges hingedeutet hat. (I/2)

Besserkönner

  • Die Menschen sind nun einmal so, daß jeder, was er thun sieht, lieber selbst vornehme, er habe nun Geschick dazu oder nicht. (I/3)

Bildnisse

  • Nicht leicht ist jemand mit dem Konterfei eines Gegenwärtigen zufrieden, und wie erwünscht ist uns jeder Schattenriß eines Abwesenden oder gar Abgeschiedenen. (I/4)

"Das Gesetz, wonach du angetreten"

  • Der Mensch mag sich wenden, wohin er will, er mag unternehmen, was es auch sei, stets wird er auf jenen Weg wieder zurückkehren, den ihm die Natur einmal vorgezeichnet hat. (I/4)

Das alte Testament

  • So menschlich, schön und heiter die Religion der Erzväter auch erscheint, so gehen doch Züge von Wildheit und Grausamkeit hindurch, aus welcher der Mensch herankommen oder worein er wieder versinken kann. (I/4)

Abfall vom Glauben

  • Zur Überzeugung kann man zurückkehren, aber nicht zum Glauben. (I/4)

Verbotene Bücher

  • Wenn es dem Autor um Publizität zu thun war, so hätte er selbst nicht besser dafür sorgen können. (I/4)

In der freien Reichsstadt Frankfurt am Main erlebte Goethe als Kind die öffentliche Verbrennung eines verbotenen Buches. Die Zuschauer versuchten, Blätter zu erhaschen, die von der aufsteigenden Bandluft umhergewirbelt wurden.

Ursachen der Schadenfreude

Eine läßliche Bosheit, eine selbstgefällige Schadenfreude sind ein Genuß für diejenigen, die sich weder mit sich selbst beschäftigen, noch nach außen heilsam wirken können. Kein Alter ist ganz frei von solchem Kitzel. (1/5)

  • Durch eine Reihe von Jahren war ich zu der Erfahrung gekommen, daß es gegen das Böse manches Gleichgewicht gebe, daß man sich von den Übeln wohl wieder herstelle, und daß man sich aus Gefahren rette und nicht immer den Hals breche.

Gläubigkeit

  • Denn auch der Einzelne vermag seine Verwandtschaft mit der Gottheit nur dadurch zu bethätigen, daß er sich unterwirft und anbetet. (1/5)


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