Faszinosum Streuobstwiese

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Dies ist ein Projekt des Promotionsstudiengangs "Biodiversität und Gesellschaft" (im echten Leben getragen von der Georg-August-Universität Göttingen).

Beiträge werden bis Dienstag, den 5. Juni 16:00 Uhr erbeten. Dann wollen wir uns auch treffen.

Übersicht[Bearbeiten]

1. Einführung: Was sind Streuobstwiesen?

Streuobstwiesen sind eine traditionelle Form des Obstanbaus. Es handelt sich um Grünland, auf dem verstreut hochstämmige Obstbäume unterschiedlicher Arten, Sorten und Altersstufen stehen (Rösler 2007:149 f.). Somit dienen Streuobstwiesen sowohl der Obsterzeugung als auch der Heugewinnung bzw. der direkten Weidenutzung. Typische Streuobstwiesen werden gemäß dem ökologischen Landbau extensiv bewirtschaftet, d. h. auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und anorganischem Dünger wird weitestgehend verzichtet (Rösler 2007: 152 f.). Streuobstwiesen enthalten eine herausragende Vielfalt von wildlebenden Tier- und Pflanzenarten und sind darüber hinaus von großer Bedeutung für den Erhalt der Obstsortenvielfalt (Rösler 2007:160 ff).

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren Streuobstwiesen die vorherrschende Form des Obstanbaus in Deutschland. Seitdem geht die betriebswirtschaftliche Bedeutung der Streuobstwiesen stark zurück und der Obstbau findet immer mehr in den profitableren Niederstamm-Plantagen statt. Mit dem Rückgang der Streuobstwiesen nahm das Bewusstsein für die ökologische, landschaftsbildliche und kulturelle Bedeutung der Streuobstwiesen stark zu. Heute werden Streuobstwiesen auf der „Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen der Bundesrepublik“ geführt. Der gesellschaftliche Wert der Streuobstwiesen spiegelt sich zunehmend in den Bemühungen von Bevölkerung und Staat wieder Streuobstwiesen trotz betriebswirtschaftlicher Problematiken zu erhalten (Rösler 2007:135 f.).


2. Ökologie der Streuobstwiesen

2.1 Lebensraumfunktion und biologische Vielfalt wildlebender Tier- und Pflanzenarten

Streuobstwiesen sind der Lebensraum für mindestens 5000 wildlebende Tier- und Pflanzenarten (Rösler 1997:10 zitiert nach Rösler 2007:172). Sie gehören damit zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Etwa 400 der vorkommenden Arten sind gefährdet oder selten (Simon 1992 zitiert nach Herzog 1998:67).Der Artenreichtum ist durch die Kombination von Gehölzstrukturen (Baumschicht) und Grünland (Krautschicht) bedingt. So kommen nebeneinander sowohl Offenlandarten als auch eher waldgebundene Arten vor.

Die Krautschicht von typischen Streuobstwiesen gehört zur Pflanzengemeinschaft der Glatthaferwiesen. In extensiv bewirtschafteten Glatthaferwiesen kommen regelmäßig 70-80 Pflanzenarten vor (Müller 1988:19 zitiert nach Rösler 2007:175), dreimal mehr als in intensiv bewirtschafteten Wiesen (BfN 2012;). Insgesamt wurden in Streuobstwiesenbeständen 400 verschiedene Pflanzenarten nachgewiesen (Breunig et al. 1986 nach Herzog 1998:68). Besonders erwähnenswert sind die zahlreichen bunt blühenden Kräuter, deren Verbreitung in intensiv bewirtschafteten stark abgenommen hat (Müller 1988:19 nach Rösler 2007:175). Charakteristische Arten der Glatthaferwiese sind neben dem namensgebenden Glatthafer u.a. Wiesen-Labkraut, Wiesen-Pippau, Wiesen-Glockenblume und Zaun-Wicke (BfN 2012).

In erster Linie ausschlaggebend für den hohen Pflanzenartenreichtum in den Glatthaferwiesen der Streuobstwiesen ist die extensive Bewirtschaftung der Flächen (Rösler 2007:175). Extensive Bewirtschaftung bedeutet, dass Dünger und Pflanzenschutzmittel nur wenig oder nicht verwendetet werden, sowie, dass das Grünland in geringer Häufigkeit bzw. Intensität gemäht oder beweidet wird.

Durch den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln verdrängen schnellwüchsige und gegenüber Pflanzenschutzmitteln robuste Pflanzenarten viele andere Pflanzenarten und die Artenvielfalt nimmt ab. Wird eine Fläche zu häufig gemäht führt dies zur Dominanz von schnittunempfindlichen Pflanzen und zu großen direkten Verlusten der Individuenzahlen der Grünlandfauna durch Mähgeräte (Rösler 2007:176). Ebenso steigt bei zunehmender Beweidung die Tritt- und Verbissbelastung und die Eutrophierungsgefahr, was wiederum zur Abnahme der Artenvielfalt führt (Rösler 2007:177). Allerdings führt der völlige Verzicht auf eine regelmäßige Mahd bzw. Beweidung zur Verbuschung und schließlich zur Bewaldung.

Gegenüber offenen Glatthaferwiesen, wird der Pflanzenartenreichtum der Krautschicht von Streuobstwiesen durch Wechselbeziehungen zwischen Baumschicht und Krautschicht noch weiter gefördert. So entsteht durch den Einfluss der Obstbäume ein Mosaik von Standorten mit unterschiedlichen Licht- Nährstoff und Feuchtigkeitsverhältnissen das Pflanzenarten mit den unterschiedlichsten Ansprüchen einen Lebensraum bietet (Zehnder & Weller 2006:58).

Zusätzlich zu den Arten der Krautschicht kommen eine Reihe von Pflanzenarten vor, die auf den Obstgehölzen wachsen, wie z.B. Efeu und Laubholz-Mistel. Im Gegensatz zum Efeu ist die Laubholz-Mistel ein Parasit und kann den Baum negativ beeinflussen, weshalb sie in regelmäßig gepflegten Streuobstwiesen entfernt wird. Gleiches gilt für viele parasitäre Pilze die auf den Obstbäumen vorkommen, wie z.B. den Erreger des „Obstbaumkrebs“ Nectria galligena.

Die Artenvielfalt der Tiere in den Streuobstwiesen ist noch weitaus größer, als die Artenvielfalt der Pflanzen (Zehnder & Weller 2006:66). Hierbei besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der hohen Artenvielfalt der Tiere in den Streuobstwiesen und der Artenvielfalt der Pflanzen. Im Durchschnitt kommen in Grünlandökosystemen auf jede Pflanzenart zehn Tierarten, die diese Pflanze als Nahrungsgrundlage nutzen (Rösler 2007:173). Eine weitere Ursache für den hohen Artenreichtum der Tiere in den Streuobstwiesen ist die Vielfalt an unterschiedlichen Lebensraumstrukturen, welche Tierarten mit den unterschiedlichsten Ansprüchen Lebensräume bietet. Wichtige Lebensraumstrukturen für Tiere sind u.a. Baumstämme, Baumkronen, Baumhöhlen, Totholz, sowie Grünlandbereiche mit unterschiedlichen Temperatur-, Strahlungs-, Feuchtigkeits- und Vegetationsverhältnissen (Rösler 2007:166 ff.; Hintermeier & Hintermeier 2009:8 ff.). Mit zunehmendem Alter finden sich, regelmäßige Pflege vorausgesetzt, immer mehr Lebensraumstrukturen wie Baumhöhlen, Totholz und Bäume unterschiedlicher Altersstufen.

Der mit Abstand größte Teil der Artenvielfalt entfällt auf die Gliederfüßer, zu denen u.a. die Insekten, Spinnen und Tausendfüßler gehören (Zehnder &Weller 2006:66; Rösler 2007:173). Die Anzahl der vorkommenden Gliederfüßer-Arten in den Streuobstwiesen wird auf mehrere tausend geschätzt (Zehnder & Weller 2006:66). Es finden sich u.a. zahlreiche stark gefährdete Insekten wie etwa der Kirsch-Prachtkäfer oder die Kerblippige Holzameise (Rösler 2007:173 f.).

Streuobstwiesen gehören mit über 100 nachgewiesenen Vogelarten (Rösler 2007:173) zu den Lebensräumen mit dem größten Artenreichtum der Vögel innerhalb der Kulturlandschaft (Hintermeier & Hintermeier 2009:141). Ein Grund für die hohe Artenvielfalt ist das reichhaltige Angebot an Insekten und anderen Gliederfüßern in einer Vielzahl von Lebensraumstrukturen. Die Biomasse an Gliederfüßern in Streuobstwiesen kann bis zu siebenmal höher sein als in benachbarten Wäldern (Funke et al. 1986 zitiert nach Herzog 1998:69). Einige Vogelarten suchen ihre Nahrung vorwiegend im Luftraum (z.B. Grauschnäpper), bei anderen Arten findet die Nahrungssuche am Boden (z.B. Wiedehopf), an Baumstämmen (z.B. Kleinspecht), an exponierten Ästen (z.B. Mäusebussard) oder im Blattwerk (z.B. Meisen) statt. Streuobstwiesen mit hohen Altholzbeständen sind für Spechte, durch das Vorhandensein von für den Höhlenbau geeigneten Bäumen, besonders wertvoll. Von den Spechthöhlen profitieren wiederum viele bedrohte Höhlen- und Halbhöhlenbrüter wie der Steinkauz, der Wiedehopf und der Gartenrotschwanz (Hintermeier & Hintermeier 2009:142). Insgesamt sind ein Fünftel der vorkommenden Vogelarten gefährdet. Unter diesen Arten finden sich auch viele für Streuobstwiesen besonders charakteristische Vögel wie etwa Grünspecht, Kleinspecht, Wendehals und Steinkauz (Zehnder & Weller 2006:67).

Aufgrund der reichhaltigen Flora und Fauna in den Streuobstwiesen sowie den guten strukturellen Bedingungen zur Aufzucht von Jungtieren existieren dort auch viele Säugetierarten (Hintermeier & Hintermeier 2009:152; Rösler 2007:173). Hintermeier & Hintermeier 2009 nennen über 30 Säugetierarten die in den Streuobstwiesen vorkommen, darunter auch einige gefährdete Arten wie den Feldhasen, die Fransenfledermaus und die Zwergfledermaus (152 ff.).

Mäuse, Eichhörnchen und Bilche ernähren sich von den Früchten der Streuobstwiese (Herzog 1998:68 f.). Einige der zu diesen Gruppen gehörenden Arten, wie z.B. der Gartenschläfer, wurden hierbei früher als Obstschädlinge angesehen und entsprechend bekämpft (Hintermeier & Hintermeier 2009:157). Maulwürfe, Igel und Fledermäuse sind zum großen Teil auf Insekten spezialisiert. Die Nahrung der Dachse besteht sowohl aus kleinen Wirbeltieren, Insekten, Schnecken als auch aus pflanzlichen Bestandteilen. Die vorhandenen Kleinsäugetiere locken wiederum Jäger wie den Europäischen Iltis, den Hermelin und das Mauswiesel an (Hintermeier & Hintermeier2009:152 ff.). Besonders hervorzuheben ist die große Bedeutung der Streuobstwiesen für die altholz- und baumhöhlennutzende Arten der Spechte, Bilche und Fledermäuse (Zehnder & Weller 2006:67; Hintermeier & Hintermeier 2009:142). Dies ist der Fall, da die Lebensraumqualität für diese Arten in den Wirtschaftswäldern, aufgrund des immer geringer werdenden Altholzanteils , abgenommen hat (Hintermeier & Hintermeier 2009:142).

Reptilien und Amphibien sind in Streuobstwiesen nur mit vergleichsweise wenigen Arten vertreten. Zu den vorhandenen Arten gehören u.a. Blindschleiche, Zauneidechse, Erdkröte und Grasfrosch und Regenwurm (Zehnder & Weller:68). Obwohl die Artenzahl von Würmern und Schnecken mit bis zu 30 Arten eher klein ist, kann ihre Individuenzahl mit bis zu 12 Millionen Individuen pro Hektar sehr hoch sein. Würmer und Schnecken haben mit dem Abbau von Biomasse und der Humusbildung wichtige ökologische Funktionen.


2.2 Abiotische ökologische Funktionen

Die Kombination aus Grünland und Gehölzen in den Streuobstwiesen ist sehr robust gegenüber Erosion. Dies ist besonders wichtig an Hanglagen, an denen Streuobstwiesen häufig vorkommen (Herzog 1998:69). Zusätzlich zur Erosion verhindert das dichte Wurzelsystem der Streuobstwiesen die Auswaschung von Nährstoffen und wirkt somit der Eutrophierung naheliegender Gewässer entgegen (Herzog 1998:69; Schramayr & Nowak 2000:49).

Zudem trägt der Gehölzbestand von Streuobstwiesen zur Windbremsung bei und kann in gewissem Umfang Verunreinigungen aus der Luft Filtern (Weller 2012). Durch die Windbremsung kommt es dazu, dass weniger CO2 aus nahegelegenen Böden entweicht. Dies kann auf angrenzenden Feldern gegebenenfalls zu Ertragssteigerungen von bis zu 20% führen (Lucke et al. 1992:43).

Die Baumkronen der Streuobstwiesen bewirken eine Stabilisierung der Temperatur, da sowohl Einstrahlung als auch Ausstrahlung reduziert werden. Dies wird als wichtiger Faktor bei der historischen Entstehung von Streuobstwiesen interpretiert, da an heißen Tagen Menschen und Weidetiere unter den Bäumen Schutz suchen konnten (Zehnder & Weller 2006:52)


2.3 Genreservoir der Obstsorten

Insgesamt gibt es in Deutschland über 5000 Obstsorten, von denen nur noch die wenigsten in „modernen“ Obstplantagen verwendet werden, d.h. Streuobstwiesen sind ein großes Genreservoir der Obstsorten. Die Sortenvielfalt ist eine Folge der in den vergangenen Jahrhunderten betriebenen Züchtungsbemühungen. Mit den Züchtungen wurden vor allem die Anpassung an standörtliche und klimatische Bedingungen und Robustheit gegenüber Schädlingen verfolgt (Rösler 2007:162). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es, vor allem von Seiten der Händler, verstärkte Bemühungen die Obstware durch Begrenzung „unerwünschter Sorten“ (Seitzer 1950 nach Rösler 2007:164) stärker zu standardisieren (Rösler 2007:162 ff.). 1950 stellte Brucker fest: „Wir haben bei den einzelnen Obstarten, […] immer noch viel zu viel Sorten“ (Brucker 1950:47 nach Rösler 2007:163).

Eine kleinere genetische Basis für Anbau und Züchtung von Obstsorten bedeutet jedoch immer auch größere Anfälligkeit gegenüber Schadorganismen und sich verändernden Boden- und Klimabedingungen(Rösler 2007:166). Außerdem kennzeichnen sich viele traditionelle, nicht auf optische Qualität und Hochleistung gezüchtete, Obstsorten oft durch besonderen Geschmack und Vitamingehalt aus. Daher besteht heute ein großes Interesse am Erhalt der Obstsortenvielfalt (Rösler 2007:165 f.).


Literatur (Einführung & Ökologie)

BfN (2012) Glatthaferwiesen URL http://www.bfn.de/natursport/info/SportinfoPHP/infosanzeigen.p hp?z= Lebensraum&code=f510 (zuletzt besucht am 10.07.2012)

Breunig J H et al.(1986) Erfassung und Massnahmen zur Erhaltung des Streuobstanbaues in Hessen. Forschungsanstalt für Weinbau, Gartenbau, Getränketechnologie und Landespflege, Geisenheim am Rhein (unveröffentlicht)

Brucker (1950) Rascheste Sortenverringerung ist dringliches Gebot! Wer nicht mitmacht – kommt unter die Räder. Der badische Obst- und Gartenbauer 3:47-48.

Funke W et al. (1986) Arthropodengesellschaften im Ökosystem ‘Obstgarten’. Verhandlungen der Gesellschaft für Ökologie 14: 131–141.

Herzog F (1998) Streuobst: a traditional agroforestry system as a model foragroforestry development in temperate Europe. Agroforestry Systems 42:61-80.

Hintermeier H & Hintermeier M (2009) Streuobstwiesen Lebensraum für Tiere

Lucke R et al. (1992) Obstbäume in der Landschaft. Ulmer: Stuttgart.

Müller T (1988) Bedeutung des Streuobstbaus für den Naturschutz. Nürtinger Hochschulschriften 7/1988:18-22.

Rösler S (2007) Natur- und Sozialverträglichkeit des Integrierten Obstbaus. Universität Kassel Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung: Kassel.

Rösler, M. (1997) Streuobstbau und Biodiversität- In: NABU (Hrsg.) (1997) Biologische Vielfalt in Deutschland. Dokumentation der NABU-Fachtagung in Potsdam vom 24.-26.1.1997. Bonn: 108-121.

Schramayr G & Nowak H (2000) Obstgehölze in Österreich – Ökologie, Landschaft und Naturschutz. Umweltbundesamt:Wien.

Seitzer J (1950) Das neue Landessortiment. Der Obstbau 1950/12:178-179.

Simon L (1992) Entwurf, Ergebnisse und Konsequenzen der wissenschaftlichen Begleituntersuchungen zum Biotopsicherungsprogramm ‘Streuobstwiesen’ des Landes Rheinland-Pfalz. Beiträge zur Landespflege in Rheinland-Pfalz 15:5-56.

Weller F (2012) Streuobstwiesen schützen. aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz: Bonn.

Zehnder M & Weller F (2006) Streuobstbau – Obstwiesen erleben und erhalten. Ulmer:Stuttgart.

Begründungsmöglichkeiten für den Schutz von Streuobstweisen[Bearbeiten]

2. Ausgewählte Begründungsmöglichkeiten für den Schutz von Streuobstweisen

Das Ziel des sich hier anschließenden Abschnitts ist es der Frage nachzugehen, welche Begründungsmöglichkeiten sich für den Schutz von Streuobstwiesen ergeben. Es handelt sich also um eine Vorauswahl von Argumenten, die unter der spezifischen Perspektive der Begründung des Schutzes der Streuobstwiese als Beispiel einer Kulturlandschaft dargestellt werden. Damit fällt an dieser Stelle eine Abwägung mit anderen, diesem Schutz entgegen stehenden Argumenten weg. Die hier allgemein aufgeführten Argumentationswege werden in den sich anschließenden Abschnitten aufgegriffen, erweitert und erläutert.

2.1. Die Streuobstwiese als Kulturlandschaft. Kulturlandschaft als Eigenwert?

Wie in der Einführung dargestellt wurde, handelt es sich bei der Streuobstwiese um eine Form der Kulturlandschaft, also um einen geschlossenen Bereich der Natur, der anthropogen zum Zweck der Bewirtschaftung verändert wurde. Die Betrachtung der Kulturlandschaft ist folglich eine Schnittstelle zwischen zwei Perspektiven auf „Natur“: einerseits erscheint uns die Natur als dasjenige, das nicht von dem Menschen gemacht wurde (Krebs 1997, S. 340) und andererseits umfasst unser Verständnis von „Natur“ ebenso dasjenige, das von Menschen verändert wurde. Es handelt sich hier um eine „Schnittstelle der Verschränkung von Natur und Kultur“ (Lanzerath 2008, S. 203).

Im Hinblick auf Begründungsmöglichkeiten für den Schutz von Streuobstwiesen ergibt sich daraus möglicherweise der folgende Ansatzpunkt: Vorausgesetzt Kulturlandschaften wie die Streuobstwiese sind tatsächlich Teil dessen, das wir mit „Natur“ bezeichnen und vorausgesetzt, wir schreiben Natur im Allgemeinen einen Eigenwert zu, sollten wir dann Kulturlandschaften wie die Streuobstwiese als einen solchen Eigenwert schützen?

Eine ausführliche Diskussion des Eigenwerts der Natur kann hier nicht erfolgen. An dieser Stelle sei auf Angelika Krebs’ hilfreiche Unterscheidung dreier Kategorien von Eigenwerten verwiesen: absolute, moralische und eudaimonistische Eigenwerte (Krebs 1996, S. 31). In Bezug auf den Bereich der Natur folgert sie die Abwesenheit absoluter Eigenwerte (d.h. Werte, die unabhängig von menschlicher Zuschreibung bestehen), den moralischen Eigenwert der leidfähigen Bestandteile der Natur und den eudaimonistischen, d.h. dem guten menschlichen Leben zuträglichen Wert ausgewählter Bereiche der Natur (Krebs 1996, S. 45).

Der eudaimonistische Eigenwert resultiert unter anderem in der Ästhetik und Heimatfunktion von Natur. Der eudaimonistische Eigenwert der Natur umschreibt hier folglich den Beitrag, den die Natur zu dem guten Leben der Menschen leistet. Dabei erfolgt diese Zuschreibung immer aus einer anthropozentrischen Perspektive: diejenigen Elemente der Natur, die förderlich sind für das gute menschliche Leben, tragen eudaimonistischen Eigenwert.

„Die Forderung nach Naturschutz gründet sich damit zum einen anthropozentrisch auf die moralischen Rechte aller Menschen auf ein gedeihliches Leben in der Natur [eudaimonistischer Eigenwert] und zum anderen pathozentrisch auf die moralischen Rechte empfindungsfähiger Tiere [moralischer Eigenwert].“ (Krebs 1996, S. 45)

Angewandt auf die Begründungsmöglichkeiten für den Schutz von Streuobstwiesen bedeutet dies: Da zu ihr zwar auch empfindungsfähige Tiere wie etwa Igel gehören, die Mehrzahl ihrer Bestandteile aber nicht empfindungsfähig ist, bietet sich für die folgende Argumentation nur der Verweis auf den eudaimonistischen Eigenwert der Streuobstwiese an. Inwiefern trägt dieses Biotop zu einem guten menschlichen Leben bei und welche Schutzbegründungen lassen sich aus diesem Beitrag ableiten?

2.2. Ästhetische Werte

Eine Form des eudaimonistischen Eigenwerts der Natur ist der „ästhetische Eigenwert schöner und erhabener Natur“ (Krebs 1996, S. 35). Die Betrachtung, Begegnung und Erkundung einer Streuobstwiese ist möglicherweise eine Form der Naturerfahrung, die für viele Menschen zu ihrem guten Leben dazugehört. Martin Seels Ansatz, den er z.B. in „Ästhetik der Natur“ darlegt, ist eine ausführliche Darstellung des Beitrags von ästhetischer Natur zum guten Leben (Seel 1991). In ihrer Ästhetik eröffnet sich uns ein eudaimonistischer Eigenwert, der den Schutz dieses Biotops begründen könnte. So erscheint uns Seel zufolge Kulturlandschaft als „Gegenwelt in der alltäglichen Welt“ (Seel 1991, S. 231). Die Begegnung mit ihr kann uns stellenweise die drei Dimensionen der Naturwahrnehmung eröffnen, die in Seels Konzeption das Naturschöne bilden, welche wiederum in eine Ethik des guten Lebens mündet.

Allgemein können wir in der Begegnung mit Natur Abstand von unserem alltäglichen Dasein nehmen ("Natur als Raum der Kontemplation"; Seel 1991, S. 38ff.), in ihr Inspiration bezüglich und Kritik an unserer gegenwärtigen Lebensführung erhalten ("Natur als Ort der Korrespondenz"; Seel 1991, S. 89ff.) und sie als Spiegel/Sinnbild unserer gegenwärtigen Situation im Leben nehmen ("Natur als Schauplatz der Imagination"; Seel 1991, S. 135ff.). Stellenweise ist die Erfahrung des Naturschönen auch in der Begegnung mit der Streuobstwiese denkbar, sie wird damit zu einer wichtigen ästhetischen Erfahrung.

2.3. Heimat

Eine andere Begründungsstrategie ergibt sich aus der Funktion der Streuobstwiese als Heimat (Krebs 1999, S. 55ff.). Die Streuobstwiese stellt als (Kultur)Landschaft im Sinne Seels einen größeren Raum ästhetischer Natur dar (Seel 1991, S. 221), der für Einzelne konstitutiv für ihre Identität und ihr Heimatverständnis ist. Eine Streuobstwiese kann z.B. Sinnbild der eigenen Kindheit oder einer anderen biographischen Phase sein, die Gefühle der Vertrautheit, Geborgenheit und der Selbstverortung hervorruft. Die Streuobstweise wäre damit Bestandteil der eigenen Heimat, der eigenen Identität. Das Herausbilden einer eigenen Identität ist wiederum konstitutiv für ein gutes Leben, hieraus ergibt sich folglich eine andere Begründung des eudaimonistischen Eigenwertes der Streuobstwiese.

Im Gegenzug kann aber durchaus auch ein urbanes Umfeld wie bspw. ein Container-Hafen Teil des eigenen Heimatkonzeptes sein. Die Streuobstwiese als Kulturlandschaft ist damit nur eine der möglichen geographischen Umgebungen, die konstitutiv für die eigene Identität und Heimat ist. Die Argumentation für den Schutz der Streuobstwiese entlang des Heimat-Argumentes muss also immer in Relation zu anderen Umgebungen gestellt werden, die ebenfalls für Einzelne konstitutiv für ihre Heimatkonzeption ist.

2.4. Kulturerbe

Die Streuobstwiese ist als eine Form der Kulturlandschaft das Ergebnis meist jahrzehnte-, teilweise jahrhundertelanger menschlicher Kultivierung eines Raums der Natur. Während die Streuobstwiese einerseits als Teil der Natur wahrgenommen wird, ist sie ebenso Zeugnis einer kulturellen Entwicklung. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass auch einzelne Kulturlandschaften Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind. In dem Richtlinienkatalog des Komitees heißt es:

“Cultural landscapes are cultural properties and represent the "combined works of nature and of man" […]. They are illustrative of the evolution of human society and settlement over time, under the influence of the physical constraints and/or opportunities presented by their natural environment and of successive social, economic and cultural forces, both external and internal.”

(http://whc.unesco.org/en/guidelines/ 25.05.2012)

Die Streuobstwiese wird an dieser Stelle nicht als Weltkulturerbe definiert, vielmehr soll betont werden, dass auch Landschaften kulturellen Wert besitzen und sich darüber neue Argumentationsebenen für den Schutz von Kulturlandschaften ergeben.

2.5. Transformative Werte

Der Schutz der Streuobstwiese lässt sich möglicherweise über ihre Funktion als Quelle transformativer Werte begründen. Der Ansatz der transformativen Werte wurde im Hinblick auf die Natur u.a. von Bryan G. Norton ausgearbeitet (Norton 1987). Er unterscheidet zunächst drei Wertkategorien, die in unterschiedlichen Ansätzen der Natur zugeschrieben werden: „demand values“ (Nutzwerte), „intrinsic values“ (intrinsische Werte) und „transformative values“ (transformative Werte) (Norton 1987, S. 14). Intrinsische Werte entsprechen bei Norton Krebs’ Definition absoluter Werte – sie werden von ihm nicht vorausgesetzt und sollen im Folgenden ausgeklammert werden (Norton 1987, S. 185,195). Sein Fokus liegt auf der Zuschreibung und Ausgestaltung der instrumentellen Werte der Natur, zu der transformative und Nutzwerte zählen (Norton 1987, S. 12, 221). Nutzwerte beruhen auf rationalen Präferenzen der Akteure, in Bezug auf Natur also beispielsweise auf der Präferenz, sie als Quelle für Nahrungsmittel zu kultivieren. Die Besonderheit transformativer Werte besteht in ihrer Funktion die Nutzwerte zu bewerten, die Kriterien der Wertzuschreibung zu reflektieren und ggf. die eigene Einstellung dazu zu ändern. Ein Teil der Natur trägt transformativen Wert “if it [an object] provides an occasion for examining or altering a felt preference rather than simply satisfying it.” (Norton 1987, S. 10). Der Ansatz der transformativen Werte schließt dabei nicht die Nutzung der Natur aus, sondern nur einen ggf. nötigen Wandel der Einstellungen und Rahmenbedingungen (Norton 1987, S. 235).

Als Begründungsansatz für den Schutz der Streuobstwiese ergeben sich aus dem Vorhergehenden die folgenden Schutzbegründungen: Zum einen kann die Erfahrung der Natur, hier der Streuobstwiese, die Reflexion der eigenen Einstellungen und Lebensweise befördern. Norton spricht von “character-building transformative value of interactions with nature” (Norton 1987, S. 12). Beispielsweise kann aus der Begegnung mit Natur der Wandel zu einem weniger konsumierenden, nachhaltigen Lebensstil erfolgen, der die eigene Zufriedenheit ggf. erhöht (Norton 1987, S. 234). In der Begegnung mit Natur eröffnen sich zum anderen allgemeine neue Wertzugänge wie z.B. die soziale Fähigkeit des Mitleids und des Perspektivenwechsels. Diese verändern auch wiederum den Zu- und Umgang mit der Natur (Norton 1987, S. 190). Aus der veränderten, positiven Werteinstellung gegenüber der Natur entsteht ein zusätzlicher Grund für ihren Schutz einzutreten. Die Funktion der Natur als Quelle transformativer Werte kann sie nur erfüllen, wenn sie uns in unterschiedlichen Erscheinungsweisen zugänglich ist (Norton 1987, S. 210) – die Streuobstwiese wird damit zu einer Form der Erfahrung von Natur, die es zu schützen gilt. Dieser Aspekt wird im späteren Kapitel zur Umweltpädagogik aufgegriffen.

2.6. Biophilia-Hypothese

Ein weiteres Argument für den Schutz der Streuobstwiese eröffnet die Biophilia-Hypothese, die v.a. auf Edward O. Wilson zurückgeht (Wilson 1984). In dieser behauptet er, dass Menschen eine “innate tendency to focus on life and lifelike processes” besitzen (Wilson 1984, S. 1). Zusätzlich zu dieser evolutionär-genetisch bedingten, menschlichen „Hingezogenheit“ zur Natur im Allgemeinen scheinen auch vereinzelte ästhetische Präferenzen als Ergebnis der gemeinsamen evolutionären Vergangenheit von Menschen geteilt zu werden. Die ästhetisch als ideal empfundene Landschaft ist dieser Argumentation zufolge eine Savannenlandschaft, die das optimale Gleichgewicht von klimatischen Bedingungen, Schutz, Ernährung und Abwechslung erfüllt (Kahn 1999, S. 12). Mit ihrem Baumbestand lässt sich möglicherweise eine Parallele zwischen den evolutionären Vorteilen der und den ästhetischen Präferenzen für die Savanne und dem Erscheinungsbild der Streuobstwiese aufzeigen. Die Biophilia-Hypothese lässt sich hier bis zu der Vermutung ausdehnen, dass wir evolutionär bedingt auf den Zugang zu unterschiedlichen Formen von Natur angewiesen sind, um ein gutes Leben zu führen. Die Streuobstwiese würde damit zu einem Biotop, das einen solchen Zugang eröffnete.

2.7. Ökosystemdiensleistungen

Auch innerhalb der Ökologie lassen sich Gründe für den Schutz der Streuobstwiese aufzeigen. Den Rahmen dazu bietet der Ansatz der Ökosystemdienstleistungen, der in dem von den Vereinten Nationen initiierten „Millenium Ecosystem Assessment“ ausgearbeitet und angewandt wird (http://www.maweb.org/en/About.aspx 25.05.2012). Ausgangspunkt ist darin, dass Ökosysteme Dienstleistungen erbringen, die essentiell für das menschliche (Über)Leben sind. Angesichts der aktuellen, menschlich verursachten Bedrohung der Ökosysteme untersucht das MEA den Zusammenhang von menschlichem Wohlergehen und Ökosystemdienstleistungen und erstellt eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Gefährdung der Ökosysteme und des davon abhängigen menschlichen Wohlergehens. Grundsätzlich wird zwischen „bereitstellenden, regulierenden, kulturellen und unterstützenden Dienstleistungen“ der Ökosysteme unterschieden. (Mutke und Barthlott 2008, S. 48).

Der Bogen zum Schutz der Streuobstwiese lässt sich so aufschlagen: Zunächst ist die Streuobstwiese als ein Ökosystem zu betrachten, in diesem Kontext also auch als Dienstleister. Die ausführliche Darstellungen der einzelnen Typen von Dienstleistungen und ihre Anwendung auf das Biotop der Streuobstwiese erfolgt in den sich anschließenden Kapiteln (s. insb. „Ökosystemdienstleistungen“). Beispielsweise wird auf die bereitstellende Funktion der Streuobstwiese als „Produzent“ von Obst und Honig und auf die kulturelle Funktion der Erholung in der ästhetischen Umgebung der Streuobstweise eingegangen.

2.8. Erhaltung der Biodiversität

Streuobstwiesen sind ein wichtiges Biotop für einzelne bedrohte Arten. Die Artenvielfalt ist wiederum neben der Vielfalt der Gene und der Ökosysteme eine der drei zentralen Kategorien der Biodiversität, der biologischen Vielfalt. Die Erhaltung der Streuobstwiese als Kulturlandschaft leistet damit auch einen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität. Hier ergibt sich eine neue Begründungsebene für die Erhaltung der Streuobstwiese, die im Folgenden (2.1.) näher ausgeführt werden wird.

2.9. Fazit

Im Vorhergehenden wurde gezeigt, dass sich für den Schutz der Streuobstwiese eine Reihe von unterschiedlichen Argumenten anführen lässt. Es handelt sich dabei nur um eine Auswahl möglicher Begründungsansätze, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. In den folgenden Abschnitten werden einzelne Argumente aus einer fachlich spezifischen Perspektive aufgegriffen, ausführlich diskutiert und verstärkt. Insgesamt eröffnet sich dem Leser/ der Leserin eine vielseitige, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Biotop der Streuobstwiese und den Gründen für seine Erhaltung.



Literatur

Kahn, Peter H. (1999): The human relationship with nature. Development and nature. Cambridge, Mass., USA: The MIT Press.

Krebs, Angelika (1996): „Ich würde gern mitunter aus dem hause tretend ein paar Bäume sehen.“. Philosophische Überlegungen zum Eigenwert der Natur. In: Hans G. Nutzinger (Hg.): Naturschutz - Ethik - Ökonomie. Theoretische Begründungen und praktische Konsequenzen. Marburg: Metropolis-Verl. (Ökologie und Wirtschaftsforschung, Bd. 21, 21), S. 31–48.

Krebs, Angelika (1997): Naturethik im Überblick. In: Angelika Krebs (Hg.): Naturethik. Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 337–379.

Krebs, Angelika (1999): Ethics of nature. A map. Diss. phil Frankfurt a.M. 1993. Berlin ;, New York: W. de Gruyter (Perspektiven der analytischen Philosophie ; 22, 22).

Lanzerath, Dirk (2008): Ethische Aspekte. In: Dirk Lanzerath, Jens Mutke, Wilhelm Barthlott, Stefan Baumgärtner, Christian Becker und Tade M. Spranger (Hg.): Biodiversität. Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsbericht des DRZEe. Originalausg. Freiburg im Breisgau: Alber (5).

Mutke, Jens; Barthlott, Wilhelm (2008): Biologische Aspekte. In: Dirk Lanzerath, Jens Mutke, Wilhelm Barthlott, Stefan Baumgärtner, Christian Becker und Tade M. Spranger (Hg.): Biodiversität. Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsbericht des DRZEe. Originalausg. Freiburg im Breisgau: Alber (5).

Norton, Bryan G. (1987): Why preserve natural variety? Princeton, N.J: Princeton University Press (Studies in moral, political, and legal philosophy).

Seel, Martin (1991): Eine Ästhetik der Natur. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Wilson, Edward Osborne (1984): Biophilia. Cambridge, London.

Der Pädagogische Blick[Bearbeiten]

“Biodiversity is the invisible basis for human existence.” (Taratsa, 2010:31)

Die Entstehung bzw. Ursachen für diesen Umstand sind schon im Kindesalter zu suchen. So zeigen zahlreiche Studien (vgl. dazu Charles & Louv, 2009), dass viele Kinder heutzutage nur sehr wenig Wissen über ihre natürliche Umwelt besitzen. Gründe dafür liegen zum einen häufig in einer reduzierten lokalen Biodiversität, bedingt durch eine zunehmend städtische Umwelt (vgl. Turner et al. 2004), und ferner auch darin, dass Kinder häufig keine direkten Erfahrungen mit Biodiversität machen. Lindemann-Matthies (2002) zeigte, dass allerdings eben diese Naturerfahrungen zu einer erhöhten Wertschätzung der einheimischen Flora und Fauna beitragen können und somit auch einem besseren Verständnis von Biodiversität zuträglich sind (vgl. Leske & Bögeholz, 2008). Die Studie von Bögeholz (2000) zeigte, dass Kinder die in naturbezogenen Gruppen aktiv sind, eine höhere Motivation umweltgerecht zu handeln vorzeigen. Beide Studien bescheinigen also Naturerfahrungen einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit einer Wertschätzung der Natur und umweltgerechten Verhalten. So soll die Inwertsetzung der Natur anhand von Naturerfahrungen Thema dieses Abschnitts sein.

Das Biotop Streuobstwiese eignet sich besonders als Ort erfahrener Natur, da sich in ihr ökologische, ästhetische, kulturelle und ökonomische Facetten widerspiegeln und verbunden werden können. Um derartige Facetten wertschätzen zu können, ist im Schulunterricht erfahrungsbasiertes arbeiten und lernen empfehlenswert (vgl. Bögeholz 2001b, Große und Bögeholz 2003). Dies ermöglicht es Schülerinnen und Schülern eigene Bedürfnisse und Werthaltungen in ihren Bewertungsprozess, hier speziell die Umweltbewertung, mit einzubeziehen.

Zunächst muss jedoch geklärt werden was umweltgerechtes Handeln ist und wie sich mit pädagogischen Mitteln Einfluss auf die Ausbildung einer Motivation zu umweltgerechten Verhalten nehmen lässt( vgl. Rost 1999)?


Naturerfahrung und Umweltgerechtes Handeln

Umweltgerechtes Handeln beginnt mit der Bildung eines allgemeinen Handlungsmotivs, welches sich durch eine Handlungsintention und die Formulierung eines konkreten Handlungsvorsatzes verdichtet (Bögeholz & Barkmann 1999). Somit kann man von einer Intentionsbildung für Umweltgerechtes Handeln sprechen. Die erfolgreiche Umsetzung einer Handlungsintention für umweltgerechtes Handeln unterliegt zum einen, teilweise restriktiven, situativen sowie sozialen Einflüssen (Bögeholz & Barkmann 1999) und zum andern lässt wird diese häufig auf eine Motivation zur Reduktion wahrgenommener Bedrohung durch Umweltgefahren zurückführen (Rost 1999). Bei letzterem spricht man auch von einer Schutzmotivation. Deutlich stärker jedoch wirkt sich die affektive Bedeutung von Naturerfahrung auf die Motivation zum Umweltgerechten handeln aus (Bögeholz 1999). Weiterhin hängt die Handlungsmotivation stark von der Art der primären Naturerfahrung ab.

Konträr gibt es natürlich auch einschränkende Faktoren. Diese könnte man als „Kosten“ bezeichnen, die dem Individuum bei der Realisierung eines Handlungsvorsatzes, in finanzieller, psychischer oder physischer Art wahrgenommen, entstehen (Bögeholz & Barkmann 1999). Diesem Kosten–Nutzenkalkül steht gegenüber, dass für Individuen unterschiedliche Umweltwerte verschieden wichtig sind und somit entsprechend auch Kosten individuell anders wahrgenommen und toleriert werden (Bögeholz & Barkmann 1999). Zusätzlichen Einfluss üben sozialen Faktoren, wie beispielsweise soziale Anerkennung durch die Mitmenschen wie Freunde oder Eltern sowie habituelles Verhalten aus (Bögeholz & Barkmann 1999). Speziell das Gewohnheitsverhalten, stellt einen erheblichen Faktor bei der Nutzenkalkulation dar. Denn habituelles Verhalten gewährt Sicherheit und diese schwächt unangenehme Konfliktsituationen, die bei der Entscheidungsfindung entstehen, ab. Dieser Umstand stellt gleichzeitig ein großes Hindernis bei der Verwirklichung umweltgerechten Verhaltens dar (Bögeholz & Barkmann 1999).


Modell zur Erklärung naturschützender bzw. naturgefährdender Bereitschaften und Entscheidungen

Ein weiterer Zugang soll über das von Kals et al. (1998) formulierte, an ökologisch relevantes Verhalten adaptiertes, Modell zur Erklärung naturschützender bzw. naturgefährdender Bereitschaften und Entscheidungen erfolgen. Basierend auf allgemeinen sozialpsychologischen Theorien zur Erklärung menschlichen Verhaltens, beinhaltet das Modell drei Prädiktoren erster Ordnung: „Naturbezogene Naturerfahrungs- und Interessensvariablen“, „moralbezogene Kognitionen“ und „moralbezogene Emotionen“. Diese primären Prädiktoren dienen wiederum zur Erklärung von zwei Prädiktoren zweiter Ordnung, die da wären „Wahrgenommene Verantwortung und Wahrgenommene Nutzungsrechte“. Zusammen tragen die Prädiktoren erster und zweiter Ordnung zu „Bereitschaften und Entscheidungen zum Schutz oder aber auch zu Lasten der Natur“ bei.


Die Naturerfahrung in der Streuobstwiese stellt nach dem Modell von Kals et al. (1998) einen Prädiktor erster Ordnung dar, d.h. dass „Naturbezogene Erfahrungs- und Interessensvariablen“ durch den Naturaufenthalt in der Streuobstwiese und dem dadurch erzeugten Interesse an der Natur sowie emotionaler Verbundenheit zur Natur, gebildet werden. Interesse an der Natur, welches motiviert ist durch erfahrene Natur, wird in der Literatur oft als starker Prädiktor für umweltschützende Bereitschaften gesehen (aus Leske & Bögeholz vgl. Kals et al. 1999b, Finke et al. 1999). Gleichzeitig ist die Naturerfahrung Streuobstwiese jedoch auch im Stande die beiden restlichen Prädiktoren, also Moralbezogene Kognitionen und Emotionen, zu motivieren. Dies sollte jedoch durch entsprechende pädagogische Maßnahmen (siehe weiter unten) unterstützt werden. Moralbezogene Kognitionen zu motivieren bedeutet nach dem Modell von Kals et al. (1998), dass ein Bewusstsein für die Gefährdung der Natur generiert wird und Möglichkeiten geboten werden, dass Einflussmöglichkeiten zum Schutz der Natur wahrgenommen werden können. Letztere können internal und external wahrgenommen werden. Für die Skala „Bewusstsein für die Gefährdung der Natur“ konnte schon gezeigt werden, dass diese eine Einfluss auf umweltschützende Bereitschaft hat (vgl. Kals 1996, Kals et al. 1999a) Der dritte Prädiktor erster Ordnung „Moralbezogene Emotionen“ wird durch Schuldgefühle aufgrund eigener Beteiligung an naturgefährdenden Handlungsweisen oder durch die Empörung über zu wenig bzw. zu viel Naturschutz begründet. Der Prädiktor zweiter Ordnung „Wahrgenommene Verantwortung“ beinhaltet sowohl eine persönliche Verantwortung (‚internale Verantwortlichkeit‘) sowie ein Zuschreibung von Verantwortlichkeit (‚externale Verantwortlichkeit) auf Politik und Wirtschaft (vgl. Leske & Bögeholz 2008, Kals 1998). Wem letztlich die Verantwortung zugeschrieben wird, scheint vom Alter abhängig zu sein. So zeigt eine Studie von Lang (2005), dass Kinder im Alter von 11 bis 13 Jahren Verantwortung an erster Stelle jedem Einzelnen, an zweiter Stelle der Politik und an dritter Stelle der Wirtschaft zuweisen. Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren jedoch schreiben die Verantwortlichkeit jedoch an erster Stelle der Wirtschaft, an zweiter der Politik und erst an dritter Stelle sich selbst zu (Guse 2005, Leske & Bögeholz 2008).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für die Absicht zum Umwelthandeln bzw. für umweltschützende Bereitschaften Naturerfahrungen sehr bedeutsam sind (Bögeholz 1999, vgl. auch Langeheine & Lehmann 1986, Finger 1994). Naturerfahrungen können zusätzlich die Wertschätzung der einheimischen Flora und Fauna steigern und so zu einem besseren Verständnis von Biodiversität beitragen (Lindemann-Matthies 2002). Einflussfaktoren auf Umwelthandeln sind auch soziodemographischen Faktoren wie Alter (sieh oben) aber auch Geschlecht. So zeigen Mädchen stärkere umweltbezogene Handlungsabsichten bzw. Bereitschaften auf als dies für Jungen der Fall ist (Bögeholz 1999, Szagun, Mesenholl & Jelen 1994). Naturerfahrungen können auch für die Ausbildung von Gestaltungskompetenz nutzbar gemacht werden (Bögeholz, Bögeholz et al., 2006). Gestaltungskompetenz ist ein essentielles Kriterium der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). So formulierte Bögeholz (2000, S. 17) die explizite Geltung von Naturerfahrung wie folgt:

„Die Bedeutung von Naturerfahrung ist fast siebenmal so groß wie die Bedeutung des Umweltwissens.“ (vgl. Schmidt, 2009, S. 68).

Für eine genauere Betrachtung der pädagogischen Einflussnahme soll hierfür auf die „Streuobstwiesenpatenschaft – die Streuobstwiese als außerschulischer Lernort für Schulklassen“ eingegangen werden. Da sich die Streuobstwiese nicht nur in der biologiedidaktischen Forschung sondern auch in der schulischen Praxis bewährt hat, lässt sich hier auf beispielhafte, unterrichtskonzeptionelle Überlegungen zurückgreifen. Schülerinnen und Schüler lernen anhand von erfahrener Natur die ökologische, ökonomische und soziale Bedeutung der historischen Kulturlandschaft Streuobstwiese kennen (vgl. Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz, 2002).


Beispiel Streuobstwiesenpatenschaft der Grundschule Fredenbeck (NiBiS 2012):

Ziel dieser Streuobstwiesenpatenschaft ist es sowohl ein Bewusstsein für Umweltfragen zu erzeugen als auch die Bereitschaft für einen verantwortlichen Umgang mit der Umwelt zu fördern (NiBiS 2012). Um dies umzusetzen, liegen Schwerpunkte der Umwelterziehung in der Vermittlung von Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur, der Bedeutung und Geschichte der heimatlichen Kulturlandschaft sowie in der persönlichen Lebensgestaltung in Bezug zur Umwelt. Die Umwelterziehung findet dabei auf einer Natur- sachkundlichen, Handlungs- und erfahrungsorientierten sowie fächerübergreifenden Ebene statt (NiBiS 2012). Auf der Natur- sachkundlichen Ebene sollen sich die Schülerinnen und Schüler der unterschiedlichen Merkmale zwischen herkömmlichem Obstanbau und einer Streuobstwiese bewusst werden, einen Einblick in die Vielfalt der Struktur einer Streuobstwiese gewinnen, erfahren, dass zwischen Tier und Pflanze, zwischen Lebewesen und Lebensraumstrukturen eine Beziehung besteht, erkennen, dass bei herkömmlichen Obstanbau eine Verarmung an Lebensstrukturen vorliegt. Letzt genanntes bedingt ein Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler dafür, dass nur nachhaltig in den Naturhaushalt eingegriffen werden darf. Bereits auf dieser Ebene ist eine Motivation der drei Prädiktoren erster Ordnung nach Kals et al. (1998) möglich. Auf Handlungs- und erfahrungsorientierte Zielebene bieten sich zahlreiche Erfahrungen an die im Stande sind wahrgenommene Verantwortung, und Rechte auf Nutzung der Natur zu motivieren. Beispielsweise der Schutz und die Pflege von Pflanzen bedingt, dass Schülerinnen und Schüler Verantwortung für die Natur, zum Beispiel in Form einer Baum-Patenschaft, übernehmen. Ökologische Erfahrungswerte liegen in der Beobachtung und Beschreibung von Entwicklungsabläufen, Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten in der Streuobstwiese. Also die Entwicklung von der Knospen, Bestäubung, usw. Gleichzeitig kann man hierbei auf Störfaktoren diese eingehen. Die vielfältigen Möglichkeiten zur Verwertung und Vermarktung des Streuobstes können bieten sich besonders an Schülerinnen und Schüler auf die Rechte der Nutzung der Natur aufmerksam zu machen, besonders wenn dabei eine Gefährdung der Natur bzw. der biologischen Vielfalt in Kauf genommen wird. Durch die Anlage einer Streuobstwiese als Bestandteil des Pausenhofes bieten sich zusätzlich zahlreiche fächerübergreifende Lerninhalte. Beispiele hierfür wären das messen, wiegen, zählen, rechnen im Mathematikunterricht, das malen und zeichnen im Kunstunterricht (ästhetischer Wert der Streuobstwiese) sowie die Vermarktung der Anbauprodukte über eine Schülerfirma im Wirtschaftsunterricht.


Literatur:

Bögeholz, S. (1999). Qualitäten primärer Naturerfahrung und ihr Zusammenhang mit Umweltwissen und Umwelthandeln. Opladen: Leske und Budrich.

Bögeholz, S. & Barkmann, J. (1999). Kompetenzerwerb für Umwelthandeln: Psychologische und pädagogische Überlegungen. In: DDS, 91, 1.

Bögeholz, S. (2000). Natur erleben und gestalten: Naturerfahrung: Ein Baustein der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Politische Ökologie, 18 (Sonderheft 12), 17-18.

Bögeholz, S. (2001). Naturerfahrungen auf Lern- und Schulbauernhöfen: Ihr Einfluss auf Umweltwissen und Umwelthandeln. In: überland 02/2001, Evangelische Landjugendakademie Altenkirchen, Westerwald, 3-11 (Leitartikel).

Bögeholz, S., Bittner, A. & Knolle, F. (2006). Nationalpark Harz als Bildungsort – Vom Naturerleben zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung. GAIA, 15(2), 135-143.

Bögeholz, S. (2006). Nature experience and its importance for environmental knowledge, values and action – Recent German empirical contributions. Environmental Education Research, 12(1), 65-84.

Charles, C. & Louv, R. (2009). Children’s Nature Deficit: What We Know – and Don’t Know. Children & Nature network. Zugriff am 01.06.2012 von: http://www.childrenandnature.org/downloads/CNNEvidenceoftheDeficit.pdf

Finger, M. (1994). From Knowledge to Action? Exploring the Relationships between environmental experiences, Learning and Behavior. Journal of Social Issues, 50(3), 141-160.

Finke, E. , Eisenmann, C. & Klee R. (1999). Entwicklung von Biologieinteressen in der Sekundarstufe I: Altersbezogene Veränderungen und Anregungsfaktoren. In D. Graf (Hrsg.), Und sie bewegt sich doch... Die Biologiedidaktik im Spiegel 25jähriger Forschung unter Prof. Dr. Karl-Heinz Berck (S. 121-132).Schriftenreihe des Instituts für Biologiedidaktik der Justus-Liebig-Universität Gießen Bd. 2.

Große, F. & Bögeholz, S. (2003). Förderung der Bewertungskompetenz von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II am Beispiel der Streuobstwiese: In: Erkenntnisweg Biologiedidaktik 2003, 103-119

Guse, D. (2005). Umwelthandeln von deutschen Schülern in den USA und in Deutschland. Eine vergleichende empirische Studie. Dissertation, Leibniz Universität Hannover, Zugriff am 02.06.2012 von: http://edok01.tib.uni-hannover.de/edoks/e01dh05/47876040X.pdf.

Kals, E. (1996). Verantwortliches Umweltverhalten. Umweltschützende Entscheidungen erklären und fördern. Weinheim: Beltz.

Kals, E., Becker, R. & Rieder, D. (1999a). Förderung umwelt- und naturschützenden Handelns bei Kindern und Jugendlichen. In V. Linneweber & E. Kals (Hrsg.), Umweltgerechtes Handeln. Barrieren und Brücken (S. 191-209). Berlin, Heidelberg: Springer.

Kals, E., Schumacher, D. & Montada, L. (1999b). Emotional Affinity toward Nature as a motivational Basis to protect Nature. Environment and Behavior, 31(2), 178-202.

Kals, E., Schumacher, D. & Montada, L. (1998). Experiences with Nature, emotional ties to Nature and ecological Responsibility as Determinants of Nature protect Behavior. Zeitschrift für Sozialpsychologie, 29, 5-19.

Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz (Hrsg.,2002). Streuobstwiesen – Ökologische Bedeutung, Pflege, Nutzung, Förderprogramm. 3. Auflage.

Lang, S. (2005). Umweltthemen in der Sportpädagogik. Evaluation eines Schulsportprojektes als Beitrag zur Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Dissertation, Universität Augsburg,Zugriff am 03.06.2012 von: http://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/frontdoor/index/index/docId/149.

Langeheine, R. & Lehmann, J. (1986). Die Bedeutung der Erziehung für das Umweltbewusstsein. Kiel: Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften IPN.

Leske, S. & Bögeholz, S. (2008). Biologische Vielfalt lokal und weltweit erhalten – Zur Bedeutung von Naturerfahrung, Interesse an der Natur, Bewusstsein über deren Gefährdung und Verantwortung. Zeitschrift für die Didaktik der Naturwissenschaften, 14 167-184.

Lindemann-Matthies, P. (2002). Vielfalt am Schulweg. In: Umweltdachverband (Hrsg.), Leben in Hülle und Fülle. Vielfältige Wege zur Biodiversität (S. 40-44). Wien: Forum Umweltbildung.

Niedersächsischer Bildungsserver [NiBiS] (2012). Zugriff am 30.05.2012 von: http://nibis.ni.schule.de/~gsfreden/htm/projekt_streuobstwiese.htm.

Rost, J. (1999). Was motiviert Schüler zum Umwelthandeln. In: Unterrichtswissenschaft, (Heft 3), S. 213-231.

Schmidt, C. (2009). Nachhaltigkeit lernen? Der Diskurs um Bildung für nachhaltige Entwicklung aus der Sicht evolutionstheoretischer Anthropologie, Schriftenreihe "Ökologie und Erziehungswissenschaft" der Kommission Bildung für eine nachhaltige Entwicklung der DGfE, Opladen; Farmington Hills, MI. : Budrich.

Szagun, G., Mesenholl, E. & Jelen, M. (1994). Umweltbewusstsein bei Jugendlichen – emotionale, handlungsbezogene und ethische Aspekte. Frankfurt am Main: Lang.

Taratsa, A. (2010). Biodiversity in the context of environmental sustainable development. In: Ulbrich, K., Settele , J. & Benedict, F.F. (Eds). Biodiversity in Education for Sustainable Development – Reflection on School-Research Cooperation, 31-37, Pensoft Publishers, Sofia-Moscow.

Turner, W. R., Nakamura, T., & Dinetti, M. (2004). “Global Urbanization and the Separation of Humans from Nature. Bioscience, 54(6), 585-590,

Regional- und Biomarketing am Beispiel des Projekts „Streuobst-Apfelsaft aus dem Landkreis Göttingen“[Bearbeiten]

Wie in Kapitel 2.7 dargestellt, sind Streuobstwiesen auch "Produzenten" wertvoller Lebensmittel wie Äpfel oder Honig und sollten nicht zuletzt auch aus diesem Grund geschützt werden. Im folgenden Abschnitt wird die Vermarktung des Streuobstwiesenapfelsaftes aus dem Göttinger Land anhand des Marketing-Mix analysiert, der traditionell für die Darstellung von Marketingaktivtäten verwendet wird. Der Marketing-Mix stellt die „Marketing-Werkzeuge“ oder auch „Marketing-Instrumente“ zur praktischen Umsetzung von Marketingplänen in Unternehmen oder Organisationen dar. Jerome McCarthy hat die Marketinginstrumente zu vier Gruppen, den vier Ps, zusammengefasst: Produkt (Produktpolitik), Price (Preispolitik), Promotion (Kommunikationspolitik), Place (Vertriebspolitik).

Für die Auswahl und den Einsatz der unterschiedlichen Marketinginstrumente (Marketingkonzept) müssen verschiedenste Einzelentscheidungen und –aktivitäten sinnvoll miteinander kombiniert und aufeinander abgestimmt werden. Alle Entscheidungen sollten sich dabei an den übergeordneten Marketingzielen und Marketingstrategien orientieren, die in der Regel darauf abzielen, sowohl Endverbraucher als auch Händler zum Kauf bzw. Verkauf der eigenen Produkte zu animieren. Um die Marketing-Mix-Entscheidungen in der Praxis umzusetzen, müssen weitere Entscheidungen getroffen werden wie die Festlegung zeitlicher Ablaufpläne, Verwaltung von Budgets, Definition von Aufgabenbereichen und die Zuweisung von Verantwortlichkeiten auf interne und externe Mitarbeiter bzw. Geschäftspartner wie Agenturen. Alle diese Tätigkeiten werden in der Literatur unter dem Begriff Marketingimplementierung zusammengefasst (vgl. Kotler, P. 2009, S.25).

Die verschiedenen Marketing-Instrumente Produktpolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik und Vertriebspolitik werden in diesem Abschnitt kurz vorgestellt. Anschließend werden die Besonderheiten in Bezug auf die regionale Vermarktung des Streuobstwiesenapfelsaftes aus dem Göttinger Land analysiert. Dabei wird sofern möglich der Status Quo der Vermarktung durch den Göttinger Landschaftspflegeverband zum jetzigen Zeitpunkt festgestellt und überprüft, inwiefern die Vermarktung des Streuobstwiesenapfelsaftes aus dem Göttinger Landkreis optimiert werden könnte.


4.1 Produktpolitik

Eine wichtige Aufgabe der Produktpolitik ist es, die einzelnen Produktmerkmale bzw. -attribute so zu gestalten, dass diese von der Zielgruppe in der subjektiven Wahrnehmung der Zielgruppe in Relation zum Preis besonders attraktiv erscheinen. Bei technischen Produkten sind dies beispielsweise verwendete Technologien, Service und Zuverlässigkeit. Bezüglich des Streuobstwiesenapfelsaftes aus dem Göttinger Land sind die folgenden Attribute von besonderer Bedeutung für die Produktpolitik:

• Geschmack (Apfelsorten, Herstellungsverfahren, Zusatzstoffe, etc.)

• Qualität des Produktes, die sich u.a. aus der Art des Saftes (Direktsaft, Apfelsaftkonzentrat, etc.) ergibt sowie der Einhaltung von Qualitätsstandards bei der Produktion, die beispielsweise durch die Zertifizierung des Saftes mit Qualitätssiegeln (Bio-Label, Ökotest-Label, etc.) belegt werden kann. Die Entscheidung für eine Bio-Zertifizierung hätte neben der Produktqualität auch einen besonderen Wert für die Kommunikation

• Wahl der Verpackung bzgl. Art (Glasflaschen, Tetra-Pak oder PET-Flaschen bzw. Mehrweg-Produkte oder Einwegprodukte), Form und Größe (z.B. zwischen 0,2l – 1l

• Design der Produktverpackung bzw. der Etiketten

Je nachdem welche Zielgruppe angesprochen werden soll, sind hier unterschiedliche Entscheidungen zu treffen. Zum einen variieren die geschmacklichen Präferenzen, das Qualitätsbewusstsein und die Zahlungsbereitschaft zwischen den unterschiedlichen Konsumentengruppen. Bio-zertifizierter Direktsaft hat beispielsweise eine höhere Qualität als Fruchtnektar, der in der Regel nur einen Saftanteil zwischen 25 % und 50 % besitzt. Zum anderen eignen sich 0,2l Glasflaschen beispielsweise eher für den Gastronomiebereich während Kartonverpackungen wie z.B. von Tetrapak häufig im Privatbereich bevorzugt werden. Die Gestaltung des Produktdesigns orientiert sich ebenfalls an den Ansprüchen der unterschiedlichen Zielgruppen, wobei sich heute die Qualität eines Saftes aus Sicht der Konsumenten nur noch schwer vom Produktdesign ableiten lässt, da auch bei vielen Fruchtnektaren und Fruchtsaftgetränken viel Wert auf ein ansprechendes Design gelegt wird.

Der Streuobstwiesenapfelsaft aus dem Göttinger Landkreis zeichnet sich durch eine hohe Qualität aus. Der Saft wird direkt nach der Pressung, nachdem er wie gesetzlich vorgeschrieben einmal kurz erhitzt wird, von der Kelterei Ott in Bernshausen in 0,75l Glasflaschen abgefüllt. Da eine Bio-Zertifizierung bei der Struktur der Streuobstwiesen relativ schwierig umzusetzen und mit höheren Kosten verbunden ist, hat sich der Landschaftspflegeverband bisher gegen eine Zertifizierung entschieden. Ein besonderes Problem stellt laut Aussage des Landschaftspflegeverbandes die Tatsache dar, dass die 20-30 relativ kleinen Streuobstwiesen der Region neben den eigentlichen Eigentümern von verschiedenen Gruppen genutzt werden. Dies sind zum einen Pächter die Nutztiere wie Pferde, Rinder, Schafe oder Schweine auf den Flächen halten. Zum anderen sind dies Pächter, die die Obstbäume bewirtschaften. Eine Zertifizierung bezieht sich allerdings in der Regel auf die gesamte Nutzfläche und schließt alle Pächter mit ein, was die Durchführung einer Zertifizierung zusätzlich erschwert. Vorteilhafter wäre die Bewirtschaftung von wenigen großen Flächen, die ausschließlich für den Streuobstanbau genutzt werden und bei denen ein großer Verband gleichzeitig der Bewirtschafter ist. Ohne Bio-Zertifzierung kann der Saft allerdings auch nicht in Bio-Läden verkauft werden und wird nur von Händlern angeboten, die auch konventionelle Produkte im Sortiment führen wie Tegut oder Rewe (vgl. Landschaftspflegeverband Göttingen 2012 b).


4.2 Preispolitik

Zur Preispolitik gehört die Festlegung des Endverkaufspreises bzw. des Handelsabgabepreises inklusive der Gestaltung der Liefer- und Zahlungsbedingungen (Rabatte, Boni, Skonti, etc.). Für die kosteneffiziente Produktgestaltung (Produktpolitik) muss ein Produktmanager herausfinden, welchen Preis die Kunden bereit sind, für ein "Paket" an Produktmerkmalen zu zahlen. Es geht also bei diesen beiden Instrumenten des Marketing-Mix um das in den Augen der Kunden im Vergleich zum Wettbewerb attraktivste Preis-Leistungs-Verhältnis. Normalerweise verhalten sich Preis und Nachfrage gegenläufig, d.h. je niedriger der Preis ist desto höher die Nachfrage und umgekehrt. Die Beziehungen zwischen Nachfrageverhalten und Preis müssen allerdings im Einzelfall untersucht werden, da es je nach Produkt, Wettbewerbssituation und Nachfrageverhalten der Konsumenten große Unterschiede geben kann. Beispielsweise wird ein hoher Preis z.B. für Güter mit hohem Prestigewert von vielen Konsumenten als Zeichen einer besseren und exklusiveren Qualität gesehen. Preis und Nachfrage verhalten sich in diesem Fall bis zu einem gewissen Punkt gleichläufig (vgl. Kotler 2007, S. 599).

Mit qualitativ hochwertigen Streuobstprodukten lässt sich laut NABU am Markt ein Preis erzielen, der deutlich über dem von konventionell erzeugten Obstprodukten liegt. Die Realisierung einer Aufpreisstrategie ermöglicht den Streuobstbewirtschaftern die Zahlung eines höheren Preises für ihr Obst. Die Bewirtschafter verpflichten sich als Gegenleistung, bestimmte Umwelt- und Naturschutzvorgaben einzuhalten. Häufige Anforderungen sind beispielsweise, dass auf den Einsatz chemisch-synthetischer Behandlungsmittel in den Beständen verzichtet wird, das abgeliefertes Obst ausschließlich von hochstämmigen Obstbäumen stammen darf und regelmäßige Qualitätskontrollen durchgeführt werden müssen (vgl. NABU 2012).

Auch die Bewirtschafter der Streuobstwiesen im Landkreis Göttingen bekommen im Rahmen des Streuobstwiesenprojektes des Landschaftspflegeverbandes für Ihre angelieferten Äpfel einen höheren Ankaufspreis. Der Preis beträgt laut Aussage des Landschaftspflegeverbandes ca. 12 Euro für einen Doppelzentner Äpfel, während konventionelle Bewirtschafter oftmals nur 5-10 Euro pro Doppelzentner erhalten (vgl. Landschaftspflegeverband Göttingen 2012 b). Durch die Aufpreisstrategie, die von vielen lokalen Naturschutzvereinen und –verbänden verfolgt wird, soll die zeitaufwendige Ernte und Pflege der hochstämmigen Obstbäume ansprechend honoriert werden (vgl. Blume 2010, S. 52).

Der Preis bei Apfelsäften variiert stark zwischen den einzelnen Qualitäten vom Bio-Direktsaft bis hin zum Saft aus Konzentrat und nach Verpackungsform (Tetrapak, Glasflaschen, PET). Größere Anbieter können zudem aufgrund der effizienteren Bewirtschaftung großer Flächen und der größeren Mengen die Apfelsäfte günstiger anbieten als kleine Anbieter. Einfluss auf den Preis hat zudem die Herkunft der Äpfel. So werden von vielen großen Herstellern Äpfel aus Billiglohnländern bezogen und kostengünstig auf den internationalen Märkten eingekauft. Letztlich entscheiden die Konsumenten über ihre Kaufentscheidung bzw. ihre Zahlungsbereitschaft, ob die Kulturlandschaft Streuobstwiese den wertvollen alten Obstsorten ihrer Heimatregion auch in Zukunft weiter erhalten bleiben kann (vgl. Grill 2005).

Der Apfelsaft aus dem Göttinger Landkreis wird beispielsweise bei Tegut in Göttingen für ca. 1,10 Euro verkauft. Mit großen Anbietern wie der Direkt-Apfelsaft der Marke BioBio von Plus, der für 0.99 Euro / Liter zusätzlich in Bio-Qualität erhältlich ist, kann der Apfelsaft aus der Region preislich allerdings nicht konkurrieren (vgl Landschaftspflegeverband Göttingen 2012 b). Um die preisliche Positionierung des Streuobstwiesenapfelsaft konkret festzustellen ist eine umfassende Wettbewerbsanalyse erforderlich. Daneben stellt sich die Frage, ob sich eine Bio-Zertifizierung aus ökonomischer Sicht für das Streuobstwiesenprojekt in Göttingen lohnt, also welche Menge zu welchem Premiumpreis für die Bio-Zertifizierung verkauft werden könnte. Um Konsumenten einen möglichst attraktiven Preis anzubieten ist natürlich auch zu prüfen, inwiefern sich die Effizienz der Bewirtschaftung noch weiter erhöhen lässt.


4.3 Kommunikationspolitik

Aus Marketingperspektive umfasst die Kommunikationspolitik die systematische Planung, Ausgestaltung, Abstimmung und Kontrolle der verschiedenen Kommunikationsmaßnahmen. Die wichtigste Aufgabe der Kommunikationspolitik ist es, die Kommunikationsziele und somit auch die nachgelagerten Marketing- und Unternehmensziele zu erreichen. Die Zusammenstellung der einzelnen Kommunikationsinstrumente (Kommunikationsmix) ist so zu gestalten, dass die angestrebte Wirkung mit möglichst geringen Kosten erzielt wird (vgl. Meffert 2012, S. 606).

Für die Bewerbung von Produkten können verschiedenste Kommunikationsinstrumente eingesetzt werden. Aus den folgenden Werbeträgern könnte beispielsweise ein Kommunikationsmix für die Vermarktung des regionalen Streuobstapfelsaft aus dem Landkreis Göttingen zusammengestellt werden:

• Anzeigenblätter der Vertriebspartner z.B. mit einer eigenen Rubrik „Das beste aus der Region“, die in Verbindung mit POS Promotions durchgeführt werden können

• Point-of-Sales (POS) Promotions. Weit verbreitet sind für diesen Zweck spezielle Displays oder Plakate, Sonderpositionierung bzw. Regalaufbauten mit entsprechenden Beschilderungen, Schaufensterwerbung, Durchsagen im Supermarkt oder Events/Ausstellungen

• Pressemeldungen in den lokalen Tageszeitungen über die Bedeutung von Streuobstwiesen und die Gewinner des Streuobstwettbewerbes für Imker des Landschaftspflegeverbandes mit Hinweis auf den Streuobstwiesenapfelsaft aus der Region.

• Außenwerbung wie Plakate an Litfaßsäulen bzw. Plakatwänden oder in Einrichtungen wie Bahnhöfen, Haltestellen, Sportstätten, Schulen oder Krankenhäusern.

• Website mit Infos zum Thema Streuobstwiese, Gewinnspiel, Hintergrundbilder und andere Downloads sowie Einsatz weiterer Online-Marketing-Tools wie z. B. virales Marketing mit Hilfe „schneller“ Medien wie Instant-Messenger, SMS, E-Mail, Blogs, Foren, Tell-A-Friend-Funktionen, Facebook, Youtube, etc. z.B. mit Hilfe eines Testimonial-Endorsements

• Mobile-Marketing-Tools, z.B. Einkaufsstättenfinder, Einkaufsratgeber, Spiel, etc. als App oder Nutzung von Messaging-Services wie WhatsApp, Facebook Messenger, Skype, etc.

• Werbespots in Kinos / Filmtheater etc. der Region, die den Apfelsaft vor Ort verkaufen oder Hörfunkspots über lokale Radiosender

• Guerilla-Marketing Maßnahmen bzw. Kampagnen in der Region

Derzeit werden vom Göttinger Landschafts- und Pflegeverband bereits verschiedene Kommunikationsinstrumente eingesetzt. Auf einer Website wird über die Bedeutung von Streuobstwiesen berichtet und ein Verkaufsstellenblatt zum Download bereitgestellt (vgl. Landschaftspflegeverband Göttingen 2012). Betrachtet man die Vielzahl an kreativen Möglichkeiten die unterschiedlichen Kommunikationsinstrumente zu kombinieren, besteht hinsichtlich der derzeitigen Außen-Kommunikation noch viel Potential.


4.4 Vertriebspolitik

Alle Aktivitäten auf dem Weg eines Produktes oder einer Dienstleistung vom Anbieter zum Kunden fallen in den Bereich der Vertriebspolitik. In der Praxis unterscheidet man in der Regel zwischen der logistischen Distribution (Transport und Lagerhaltung) sowie der akquisitorischen Distribution (Gewinnung und Bindung von Kunden). Primäre Aufgabe der Vertriebspolitik ist die effiziente Gestaltung der Vertriebsstrategie. Dies beinhaltet zum Beispiel Entscheidungen zur vertikalen und horizontalen Absatzkanalstruktur sowie zu verschiedenen Vertriebsprozessen einschließlich der Auswahl und Qualifizierung des Personals zur Förderung der Vertriebskompetenz (vgl. Meffert 2012, S. 550).

Eine ständig aktualisierte Verkaufsstellenliste des "Streuobstapfelsaftes aus dem Landkreis Göttingen" steht als Kommunikationsmittel auf der Website des Verbandes zur Verfügung und gibt eine schnelle Übersicht über die Verkaufsstellen in der Region. Der Streuobstwiesenapfelsaft wird derzeit über folgende Distributionskanäle bzw. Händler vertrieben (vgl. Landschaftspflegeverband Göttingen 2012).


Supermärkte Getränkemärkte Direktvertrieb/Hofläden
Edeka, GÖ-Nikolausberg Getränke-Ecke Nourmohammadi Walkemühlenweg 13 Ott’s Natursaftkelterei, Bernshausen am Seeburger See
Edeka-Neukauf, Ebergötzen Vollgut-Getränkemarkt, Hann-Münden Reinhäuser Hofladen, Herzberg
Frischmarkt, Gellersen
Gut Kauf-Laden, Groß Lengden
Herkules Markt, Herzberg
Löb-Frischmarkt, GÖ-Weende
REWE, Dransfeld
REWE-Markt, Steinsgraben 34
REWE-Markt, Annastr.
REWE-Markt, Groner Str. 54
REWE-Markt, Rosdorf
tegut, An der Lutter, Weende
tegut, Kaufpark Grone
tegut, Weender Str.
tegut, Zietenterassen


Es lässt sich feststellen, dass der Schwerpunkt des Vertriebs auf Supermärkten liegt und der Streuobstwiesenapfelsaft schwerpunktmäßig in Göttingen und vor allem über REWE, Tegut und Edeka verkauft wird. Zusätzlich wird der Saft bei zwei Getränkemärkten und zwei Hofläden angeboten.

Hier ist im Detail zu analysieren, ob der Vertrieb über Getränkemärkte und Hofläden ausgebaut werden sollte und das Vertriebsgebiet auf andere Regionen wie das Eichsfeld ausgeweitet werden könnte. Des Weiteren könnte geprüft werden, ob ein Direktvertrieb über einen Internetshop an Konsumenten aus ökonomischer Perspektive Sinn macht und ob es weitere Vertriebskanäle gibt, die bisher nicht genutzt werden (vgl. Hofbauer 2009, S. 81).

Weitere mögliche Vertriebskanäle sind zum Beispiel Cafés, Bars, Restaurants, Mensen der Universität, Unternehmenskantinen, Hotels, Jugendherbergen und Events in der Region. Ein Haustür-Direktverkauf bzw. ein Lieferservice könnte auch zusätzliche Kunden generieren. Aufgrund der fehlenden Bio-Zertifizierung ist ein Vertrieb über den Naturkostfachhandel (reine Bio-Läden) derzeit nicht möglich. Wie der „Vertriebsmix“ letztlich zusammengestellt wird, ist eine Frage der Vertriebsstrategie (vgl. Homburg 2010, S. 52).


4.5 Zusammenfassung

Die verschiedenen Marketing-Instrumente Produktpolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik und Vertriebspolitik wurden in diesem Abschnitt kurz vorgestellt, auf deren Grundlage die Vermarktung des Streuobstwiesenapfelsaftes analysiert wurde. In jedem Teil-Abschnitt wurde versucht einen Bezug zur regionalen Vermarktung des Streuobstwiesenapfelsaftes aus dem Göttinger Land herzustellen. Dabei wurden verschiedene interessante Forschungsfragen identifiziert, die einen Beitrag für die Optimierung der Vermarktung des Streuobstwiesenapfelsaftes aus dem Göttinger Landkreis leisten können.

Das Projekt "Streuobstapfelsaftes aus dem Landkreis Göttingen" eignet sich in besonderem Maße dazu von Herstellern und Händlern aus der Verkaufsregion aufgegriffen zu werden, um echtes Engagement im Umweltbereich zu praktizieren und lokal zu kommunizieren. Durch den Kauf des naturverträglich erzeugten Streuobst-Apfelsaftes erwerben Konsumenten schließlich nicht nur ein naturbelassenes und gesundes Produkt, sondern helfen durch den Kauf auch konkret mit, die landschaftsprägenden Streuobstwiesen zu erhalten. Durch einen fairen Preis werden

• die örtlichen kleineren Keltereien und die aufwendigen Pflege- und Erntearbeiten der Streuobstbewirtschafter angemessen entlohnt und Arbeitsplätze in der Region erhalten

• der Streuobst-Fonds des Landschaftspflegeverbandes unterstützt

• und einer der artenreichsten Lebensräume Mitteleuropas, Heimat von Bienen, Hummeln, Vögel, Insekten, Igeln und vielen weiteren Tiere geschützt.

Das Vermarktungspotenzial des Streuobstapfelsaftes aus dem Göttinger Land ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht voll ausgeschöpft und es bestehen verschiedene Optimierungsmöglichkeiten wie die Verbesserung der integrierten Markenkommunikation (Website, Prospekte der Händler, etc.) für die Erhöhung des Bekanntheitsgrades und Verbesserung des Images sowie eine mögliche Optimierung der Vertriebsstrategie und der Verkaufsförderungsaktivitäten z.B. durch spannende und informative Aktionen am POS. Von besondererem Interesse wäre die Frage, inwiefern sich die Einnahmen durch eine konsequente Bio-Zertifizierung mit einem bekannten und vertrauenswürdigem Biosiegel wie z.B. Bioland oder Demeter erhöhen lassen, die in den Erhalt und Ausbau von Streuobstwiesen reinvestiert werden können.

Bevor jedoch einzelne Maßnahmen des Marketingmix optimiert werden, sollte der gesamte Marketingplanungsprozess bezüglich der messbaren Marketingziele (z.B. Erhöhung des Bekanntheitsgrades in Göttingen bzw. im Landkreis oder Erhöhung der Umsatzzahlen) analysiert werden. In regelmäßigen Abständen (z.B. 1-2 mal pro Jahr) sollte die Effektivität der durchgeführten Marketingmixmaßnahmen durch Marktforschungsstudien und den Abgleich von Marketingkennzahlen überprüft werden.


Literatur

Blume, C. (2010): Die Streuobstwiese: Vielfalt erhalten - Lebensräume schaffen - Besonderes genießen. 1. Auflage. Darmstadt: pala-verlag.

Grill, D.; Keppel H. (2005): Alte Apfel- und Birnensorten für den Streuobstbau. 1. Auflage. Graz: Stocker.

Hofbauer, G.; Hellwig, C. (2012): Professionelles Vertriebsmanagement: Der prozessorientierte Ansatz aus Anbieter- und Beschaffersicht. 2. Auflage. Erlangen: Publicis Publishing.

Homburg, C.; Schäfer, H.; Schneider, J. (2010): Sales Excellence: Vertriebsmanagement mit System. 6. Auflage. Wiesbaden: Gabler Verlag.

Kotler, P.; Keller, K. L.; Bliemel F. (2007): Marketing Management: Strategien für wertschaffendes Handeln. 12. Auflage. London: Prentice-Hall.

Landschaftspflegeverband Göttingen (2012 a): http://www.goettingerland.de/lpv/pro_streu_apfel.html. Seitenaufruf vom 25.05.2012.

Landschaftspflegeverband Göttingen (2012 b): Telefoninterview mit der Leitung des Landschaftspflegeverbandes Göttingen vom 05.06.2012.

Meffert, H. (2012): Markteting: Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele. 11. Auflage. Wiesbaden: Gabler.

Nabu (2012): http://www.nabu-saar.de/lv/index.php?option=com_content&view=article&id=92:zusammenarbeit-bioland-und-nabu&catid=72:streuobst&Itemid=67. Seitenaufruf vom 23.05.2012



1.5 Zu den kulturellen Ökosystemdienstleistungen von Streuobstwiesen

Zu den kulturellen Ökosystemdienstleistungen[Bearbeiten]

1.5.1 Einleitung

In der aktuellen TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) (2010) werden drei Aspekte zur allgemeinen Wertschätzung von Natur hervorgehoben: 1. Werte der Natur anerkennen 2. Werte analysieren und darstellen 3. Werte in Entscheidungsprozess integrieren. Weiterhin verweist die TEEB-Studie darauf, dass Werte, die der Natur zugesprochen werden, in manchen Gesellschaften tief im Bewusstsein der Menschen verankert sind. Dies ist aber nicht in allen Gesellschaften der Fall. Folglich sind eine Quantifizierung und ökonomische Nachweise der Werte häufig für Politik und Wirtschaft sinnvoll. Dadurch kann nach der TEEB-Studie eine geeignete Zuordnung von Rechten unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure bei der Nutzung begrenzter natürlicher Ressourcen erfolgen. Eine Inwertsetzung von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (ÖDL) ist daher erstrebenswert. Im MEA (Millennium Ecosystem Assessment) (2005), der weltweiten Studie über den Zustand unserer Ökosysteme, werden vier Kategorien von ÖDL, die zum menschlichen Wohlergehen beitragen, erläutert. Diese Klassifizierung wird in der TEEB-Studie aufgegriffen: - Versorgungsdienstleistungen (Güter) - Regulationsdienstleistungen (Nutzen durch Ökosystemprozesse) - Basisdienstleistungen (Nährstoffkreisläufe, Photosynthese) - Kulturelle Dienstleistungen.

1.5.2 Was sind kulturelle ÖDL?

Insbesondere die kulturelle Komponente von ÖDL ist bis dato wenig untersucht worden. Sie ist setzt sich aus vielfältigen Faktoren zusammen. Die wichtigsten kulturellen ÖDL sind nach dem MEA (2005)

  • das ästhetische Erleben von Natur,
  • der Erholungs- und Gesundheitsfunktion,
  • die bildende Funktion,
  • sowie die spirituelle Bedeutung.

1.5.3 Herausforderung für die ökonomische Bewertung von ÖDL

Bei den kulturellen ÖDL handelt es sich also um immaterielle Werte und Nutzen, die Menschen Ökosystemen beimessen bzw. aus ihnen gewinnen. Es besteht eine Nachfrage nach Naturwerten und Menschen haben verschiedene Ansprüche, Anforderungen und Erwartungen an die Natur. Damit verknüpft sind unterschiedliche Wahrnehmungen, die in einem differenzierten Anspruch der Werterhaltung gipfeln. Die Umwelt-/Naturethik bzw. –philosophie (v.a. SEEL 1991, ROLSTON 1994, KREBS 1997) liefert Ansätze zur Wertschätzung von Natur Darin wird hervorgehoben, dass Menschen können die Natur intrinsisch wertschätzen können. Vor allem KREBS (1997) bekräftigt dazu, dass Werte jedoch subjektiv variieren können. Beispielsweise kann ein auffälliger, einzelner Baum auf einer Wiese von mehreren Menschen zwar als ästhetisch erachtet werden, die Empfindungen dabei können jedoch stark differenziert sein. Alter, Stärke, Größe, Schönheit, Würde, Unverwüstlichkeit, aber auch Furcht, Trauer, Unbehagen oder Grusel können mögliche Wahrnehmungen von verschiedenen Individuen sein. SEEL (1991) betont hierzu, dass ein Objekt von jedem Mensch anders wahrgenommen wird, da es sich immer um eine sinnengeleitete Wahrnehmung handelt. Jeder Mensch durchläuft einen Wertbildungsprozess, welcher sich im ästhetischen Wertgefühl manifestiert. Mit kulturellen ÖDL ist also nicht nur ein instrumenteller Wert verbunden, sondern auch ein eudaimonistischer Eigenwert. Doch es ist eine Herausforderung für ökonomische Bewertung, ob sich das eudaimonistische Eigenwert-Konzept in die ökonomische Bewertung integrieren lässt. Dies stellt einen neuen Forschungsansatz dar.

1.5.4 Literatur

  • KREBS, A. (1997): Naturethik. Grundtexte zur gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M.
  • MA – MILLENNIUM ECOSYSTEM ASSESSMENT (2005) „Millennium Ecosystem Assessment, General Synthesis Report“, Island Press, Washington D.C.
  • ROLSTON, H. (1994): Conserving Natural Value. Columbia Press. New York.
  • SEEL, M. (1991): Eine Ästhetik der Natur. Suhrkamp Verlag. Frankfurt a.M.
  • TEEB (2010) DIE ÖKONOMIE VON ÖKOSYSTEMEN UND BIODIVERSITÄT: DIE ÖKONOMISCHE BEDEUTUNG DER NATUR IN ENTSCHEIDUNGSPROZESSE INTEGRIEREN. (TEEB (2010) The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Mainstreaming the Economics of Nature) Ansatz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – eine Synthese.

Bedeutung von Wild- und Honigbienen auf Streuobstwiesen[Bearbeiten]

Die Streuobstwiese gehört zu einem von Menschenhand geschaffenen Kulturbiotop. Ohne die ständige Nutzung und Pflege könnte sich die Streuobstwiese nicht langfristig erhalten. Sie würde verbuschen und somit einer Vielzahl an Lebewesen den Lebensraum nehmen. Streuobstwiesen besitzen einen hohen ökologischen Wert, viele Tierarten, die bereits auf der Roten Liste zu finden sind fühlen sich hier heimisch. Für Streuobstwiesen besonders wertvoll sind Wild- und Honigbienen sowie Hummeln. Ohne die Bestäubungshilfe der Biene müssten die Menschen auf eine Vielzahl an Früchten wie beispielsweise Melonen, Äpfel und Birnen aber auch auf viele Hauptgemüsearten der Erde, auf einige Nutzpflanzen sowie Ölfrüchte verzichten (Gerlach 2001).

Die Wertschätzung der Honigbiene auf Obstbaumbeständen entwickelte sich schon früh, als die Sterilität von Kernobstarten gegenüber den eigenen Pollen erkannt wurde. Ohne eine aktive Bestäubung durch die Biene würden diese Bäume signifikant weniger Obst tragen. In einer Studie wurde untersucht wie sich der Ertrag an Früchten an Bäumen und Nutzpflanzen verändert wenn keine Bestäubungshilfe durch Bienen stattfindet.

Bei Raps kann ohne die Leistung der Bienen lediglich 50% der Ernte erzielt werden. Beim Apfel sind es nur 30% und bei der Birne sogar nur 20%. Am meisten Verlust hatte in dieser Studie der Rotklee zu verzeichnen. Ohne Bienenbestäubung konnte nur 10% der Leistung erreicht werden, die mit dem Einsatz von Bienen gewonnen werden können (Scheiblhofer, Feichtner 2011).

Im Bereich der Obst- und Kulturpflanzen wurde die bedeutende Stellung der Bienen schon früh erkannt, gut 80% dieser Pflanzen werden von Bienen bestäubt gäbe es sie nicht, verfielen wir schnell in eine Nahrungsmittelknappheit. Europaweit käme es damit zu einem Ernteverlust von 150. Mrd. Euro. Damit zählen sie für uns Menschen zum wertvollsten Insekt.

Obstbäume entwickeln im gesunden Zustand im Vergleich zu anderen Bäumen viele Blüten, da er durch diese attraktiver für Blütenbesucher wird und sich somit die Möglichkeit einer Bestäubung erhöht (Schreck 1979).Um für ausreichend Bienen und Hummeln auf Streuobstwiesen zu sorgen können diese angemietet werden, damit die Blüten der Obstbäume bestäubt werden und so eine möglichst gute Ernte erzielt werden kann. Der Obstbauer kann bestehende Volker anmieten und diese auf seinen Streuobstwiesen platzieren. Ein Bienenvolk kostet für 3 Wochen ca. 15 Euro. Für diese Dauer sollte das Volk mindestens auf der Fläche stehen bleiben. Je größer die Fläche der Streuobstwiese, desto mehr Völker werden benötigt um eine optimale Bestäubungsleistung zu erzielen. Die Platzierung der Bienen auf der Streuobstwiese hat nicht nur für den Obstbauern Vorteile sondern ebenfalls für den Imker. Die Bienenvölker finden an den Obstbäumen genügend Nahrung in Form von Pollen und Nektar, sodass die Honigbiene an diesen Standorten viel Honig eintragen kann (Behr 2012).

Um die Bestäubung trotz Honigbienenvölkern weiter zu fördern können ebenfalls Hummeln angemietet werden, da sich die Zeiträume ihrer aktiven Phase optimal ergänzen. Die Biene überwintert im Gegensatz zur Hummel als ganzes Volk, somit sind sie im Frühling zur Hauptbestäubungszeit bereits mit einem ganzen Volk im Einsatz (Wökock 2010). Die Hummel, bei der lediglich die Königin durch den Winter kommt ist zu dieser Zeit noch mit dem Aufbau ihres Volkes beschäftigt und kann somit nicht annähernd die Bestäubungsleistung der Honigbienen erbringen. In einer Beobachtungsstudie auf Streuobstwiesen im Main-Spessart Raum zeigte sich, dass sich die Aktivitätszeiträume von Bienen und Hummeln über den Tag hinweg optimal ergänzen. An warmen Tagen sind Hummeln eher abends aktiv, wohingegen Bienen die Obstbäume bevorzugt mittags anfliegen. An kühleren Tagen sind Bienen nur sehr selten aktiv, Hummeln nutzen den Nachmittag zum Sammeln von Nahrung (Paarmann 1977). Da sich die aktive Zeit von Honigbiene und Hummel unterscheiden und optimal ergänzen können in Obstanlagen auch Hummeln eingesetzt werden. In Gewächshäusern für Obst und Gemüse leisten diese schon erfolgreich ihre Dienste. Ein Hummelvolk besteht aus 200-300 Arbeiterinnen und kann 6-8 Wochen eingesetzt werden. Bei größeren Plantagen muss die Menge an Völkern entsprechend angepasst werden.

Um den wirtschaftlichen Wert der Biene festzulegen muss einerseits die jahresdurchschnittliche Produktion an Wachs und Honig berücksichtigt werden und anderseits auch die Kosten die durch die Haltung der Honigbiene entstehen. Der Nutzen, der durch die Bestäubungsleistung entsteht wird je nach Volk mit 10- bis 12-fachen des Wertes für die Honig- und Wachsproduktion angegeben (Gerlach 2011).

Honigbienen und Hummeln sind jedoch nicht die einzigen Bestäuber, die auf einer Streuobstwiese zu finden sind. Neben ihnen spielen auch noch Wildbienen eine wichtige Rolle. Honigbienen haben als Bestäuber Wildbienen gegenüber einige Vorteile. Zum einen überwintert die Honigbiene als ganzes Volk, wodurch im Frühjahr zahlreiche Individuen vorhanden sind. Wildbienen leben solitär und überwintern als Larve, wodurch sich der Bestand nach dem Winter erst erholen muss. Zum anderen haben Honigbienen einen sehr starken Sammeleifer während der Vegetationsperiode, da sie ihre Vorräte für den Winter aufstocken müssen. Ein weiterer Vorteil ist die Kommunikation der Honigbiene untereinander wodurch die Arbeiterinnen schnell zu effizienten Plätzen gelangen. Honigbienen sind außerdem sehr anpassungsfähig, wodurch die Verfügbarkeit an Nektar und Pollen steigt (BUND 2012). Untersuchungen von Schreck zufolge wird die Bestäubungsleistung auf Apfelplantagen hauptsächlich durch Honigbienen geleistet. Wildbienen besuchen die Blüten durchschnittlich seltener. Während des Untersuchungszeitraumes waren lediglich 17% der beobachteten Blütenbesucher Wildbienen (Schreck 1979).

Die Artenvielfalt auf Streuobstwiesen wird auf ca. 3.000 Arten geschätzt. Streuobstwiesen bieten aufgrund der zahlreichen Lebensräume ein optimales Habitat für Arten mit unterschiedlichsten Ansprüchen. Dazu zählen Arten, die Wiesen, Wälder oder Waldränder bevorzugen aber auch Offenlandbewohner fühlen sich hier wohl (Simon 2002). Durch den Rückgang an Streuobstwiesen in den letzten Jahren wurde der Lebensraum für diese Tierarten immer geringer und auch obwohl in jüngster Zeit immer häufiger der Wunsch zum Erhalt der Streuobstwiesen auftaucht erhalten neu angelegte Streuobstwiesen erst nach vielen Jahren den ökologischen Wert langjährig bestehender Flächen.

Aufgrund ihrer Vielfältigkeit bieten Streuobstwiesen auf mehreren Ebenen Lebensraum für Tiere. Besonders wertvoll sind diese, wenn sich sogenannte "Rote Liste Arten" auf ihnen heimisch fühlen. Zu diesen "Rote Liste Arten" gehören besipielsweise Vögel wie der Steinkauz und der Wendehals (NABU 2012). Die Rote Liste wird vom Bundesamt für Naturschutz verwaltet und alle 5 bzw. 10 Jahre aktualisiert. Sie dienen zum Einen der Öffentlichkeit zur Information über den Gefährdungsgrad von Arten und Biotopen und zum Anderen als Gutachten und Argumentationshilfe für raum- und umweltrelevante Planungen.Durch die übersichtliche Gestaltung und die aktuelle Verarbeitung der Daten zeigen die Roten Listen potentiellen Handlungsbedarf für den Naturschutz auf und erhöhen so unter Umständen den politischen Stellenwert des Naturschutzes. Durch die ständige Überarbeitung dienen die Listen der Überprüfung des Erfüllungsgrades der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt und zeigen zudem weiteren Forschungsbedarf auf (BfN 2009).

Auf der Roten Liste sind derzeit 478 Arten erfasst. Davon sind 213 Arten (45%) ungefährtet, 44 Arten (9%) stehen bereits auf der Vorwarnliste und 38 Arten (8%) gelten als extrem selten. 2009 galten 29 Arten (6%) als gefährdet und 47 (10%) sogar als stark gefährdet. Einen erschreckend großen Anteil machen die vom Aussterben bedrohten Tieraten mit 50 Arten (10%)und die bereits ausgestorbenen bzw. verschollenen Arten mit 37 (8%) aus. Der verbliebene prozentuale Rest setzt sich aus Arten zusammen zu denen momentan nicht genug Datenmaterial zur Verfügung steht (BfN 2009).

Auszug der Roten Liste in Nierdersachsen

Artengruppe Zahl der Arten davon gefährdet Anteil in % davon ausgestorben Anteil in %
Säugetiere 71 47 66,2 8 11,3
Brutvögel 211 100 47,4 14 6,6
Kriechtiere 7 5 71,4 1 14,3
Großschmetterlinge 1033 599 58,0 77 7,5
Wildbienen 341 212 62,2 46 13,5

( Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie un Klimaschutz 2010)


Literatur

Behr, S. 2012: Honig und Bestäubungsimkerei, URL: http://www.bestaeubungsimker.de/48/Bestäubungsimker.html, Abrufdatum 01.06.2012

Bundesamt für Naturschutz (BfN) 2009: Rote Listen, URL: http://www.bfn.de/0322_rote_liste.html, Abrufdatum. 09.07.2012

BUND 2012: Die Bedeutung der Honigbienen für Streuobstwiesen, URL:http://www.streuobstwiesen-niedersachsen.de/web/start/imkerseite, Abrufdatum: 24.05.2012

Gerlach, A. 2001: Die Bedeutung der Honigbiene für die Befruchtung von Kulturpflanzen, Deutscher Imkerbund e.V. 5.2.

NABU 2012:L Lebensraum Streuobst,URL: http://sachsen-anhalt.nabu.de/themen/streuobst/, Abrufdatum 09.07.2012

Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie un Klimaschutz 2010: Die Entwicklung der Artenvielfalt, URL: http://www.umwelt.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=2750&article_id=7755&_psmand=10, Abrufdatum:09.07.2012

Paarmann, W. 1977: Untersuchungen zur Bedeutung von Hummeln (Bombus spp.) für die Bestäubung blühender Obstbäume, Zeitschrift für angewandte Entomologie

Scheiblhofer, I., Feichtner, K. 2011: Vergleich Bestäubung mit und ohne Biene, URL: http://inku-imker.webnode.com/news/vergleich-bestaubung-mit-und-ohne-biene/, Abrufdatum: 30.05.2012

Schreck, E. 1979: Die Bedeutung des Wildbienen-Anteils bei der Bestäubung von Apfelblütenan einem Beispiel in Nordtirol, Innsbruck

Simon, L. 2002: Ökologische Bedeutung und Erhaltung einer historischen Kulturlandschaft, Landesamt für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz, 3. Auflage

Wökock, H.D. 2010: Lebensschule Bienen- Die göttliche Weisheit der Bienen, Pro Business


Streuobstwiesen als Element der Randzonennutzung in der Permakultur[Bearbeiten]

Streuobstwiesen als Bereicherung

Aus der Sichtweise der Permakultur ist eine Streuobstwiese ein Randzonen-Element, da es thematisch zwischen dem geschlossene Bestandesbewuchs (Wald) und der offenen Freifläche (Grünland, Acker) liegt. Die Streuobstwiesen und -weiden sind gemähte bzw. beweidete Flächen, die mit Hochstammobstbäumen besetzt sind (RÖSLER 1992). Dort fungiert das 2 Schicht-Nutzungsprinzip aus den zwei vorhandenen Stockwerken (der Krautschicht der Kräuter, Gräser und Stauden, sowie der Kronenschicht der Bäume). Dabei entstehen günstige kleinklimatische Verhältnisse. Gerade in der Permakultur werden Grenzflächen, an denen sich mehrere klimatische Elemente überschneiden bewusst für die Optimierung biologischer Produktion als Gestaltungsprinzip genutzt, da an diesen Übergangsbereichen zwischen Wald und Wiese oft eine besonders hohe Artenzahl beobachtet werden kann. Dabei ist im Speziellen der besondere Einfluss auf die Vogelwelt zu nennen, da die Vertreter der Höhlen-, Nischen- und Freibrütler solche Zonen gerne annehmen. Für sie wichtige Bestandteile wie Deckung, Nahrung und Schutz sind dort auf engstem Raum gewährleistet. Interessanterweise sind dort auch Insekten und Wirbellose um ein Vielfaches mehr vertreten als in kommerziellen Obstplantagen (siehe Quelle 3).


Permakultur als alternatives Konzept gegenüber der Intensiv-Landwirtschaft

Die Permakulturplanung (permacultural design) ist eine Methode zur intelligenten Planung von nachhaltigen Systemen. Dabei liegt die Orientierung bei den vorhandenen Ressourcen, den Prinzipien der Natur, ist einer sich selbst gegebenen Ethik. Den Forderungen der Permakultur wohnt immer die Grundkategorie der Verantwortlichkeit inne. Jeder ist immer für das verantwortlich, was er tut oder unterlässt, obwohl er es tun kann. 3 ethische Grundsätze der Permakultur:

  1. Care of the earth: Dafür arbeiten, dass Lebenssysteme fortbestehen und wachsen
  2. Care of people: Dafür sorgen, dass alle Menschen das erhalten, was sie für ihre Existenz benötigen.
  3. Setting limits to population and consumption: Das Bevölkerungswachstum und den Konsum beschränken, Abfall und Verschmutzung reduzieren; für Ausgleich bei verbrauchten Mineralien sorgen (Boden verbessern)


Weitere Ausbaumöglichkeiten zur Produktionsförderung

Eine weitere Möglichkeit die Schichtennutzung zu erhöhen und vielfältiger zu gestalten ist der gerichtete Bewuchs der Baumstämme mit Schlingpflanzen. Neben den dominierenden Gräsern in der Krautschicht einer Streuobstwiese beherbergt diese weit oft auch eine große Anzahl blühender Wiesenkräuter, die je nach Standortbedingungen verschieden zusammengesetzt sind. Dabei wird bei der klassischen Nutzungsweise wie vor allem durch eine extensive Beweidung mit Rindern oder Schafen eine artreiche Flora begünstigt. Ebenso ist die Pilzzucht z.B. an alten Eichenstämmen eine adäquate Ergänzung weitere Produktionswege für Nahrungsmittel zu erschließen. Dazu kann eine Heckenbepflanzung (Eberesche, Brombeeren, Himbeeren, etc.) mit Einschluss von Kräutern und weiteren Bäumen um das Gelände oder auch nur in Teilbereichen weiteren Tierarten Wohnraum bieten. Gerade auch die Verwendung von Leguminosen (z.B. Schmetterlingsblütler), die bekannt sind durch ihre Eigenschaft als Luftstickstoff-Binder durch ihre Knöllchenbakterien und den positiven Effekten des Herunterpflügens als Gründüngung, würde zur Regeneration des Bodens positiv beitragen. Dazu gibt es auch ein weiteres Merkmal, das ist ihr Wurzelwuchsstoff Heteroauxin. Dieser gelangt durch Blatt- und Wurzelausscheidungen in den Boden, wo er speziell für die Wurzeln von Obstbaumwurzeln förderlich zum beschleunigten Wachstum dienen kann. Aber auch weitere Pflanzen wie Gartenschwertlilien und Gladiolen können das Wachstum anderer Pflanzen anregen. Durch Pflanzenvergesellschaftung der Permakultur werden unterstützende Wirkungen ohne künstliche Düngemittel realisiert um die Umweltbelastung allgemein zu reduzieren. Bei dieser Allelopathie ist ein besseres Verständnis unseres Lebenssystems Voraussetzung (siehe Quelle 5).


Aussichten

Ein aktuelles Problem ist die korrekte Pflege: das Wissen darum, wie Hochstammobstbäume richtig gepflegt werden müssen, ist vielfach über die Zeit verloren gegangen. Auf Grund dieses fehlenden Knowhows sind viele Streuobstbestände überaltert und ungepflegt. Dem könnte entgegen gewirkt werden, wenn Fortbildungsmaßnahmen mehr angeboten und genutzt werden würden (siehe Quelle 4).


Quellen

1: RÖSLER 1992: Erhaltung und Förderung von Streuobstwiesen, Modellstudie Gemeinde Boll, Schwäbische Alb. Eigenverlag

2: Prinz et al., 2007: M. Prinz - C. Renetzeder - I. Schmitzberger - A. Stocker-Kiss - T. Wrbka, Obstbaumwiesen als Schlüsselelemente zur Erhaltung und Förderung der natürlichen Vielfalt in österreichischen Agrikulturlandschaften. Online-Fachzeitschrift des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Jahrgang 2007

3: Grüne Reihe des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien (BMLFUW) Band 7

4: http://web.archive.org/web/20120831162336/http://www.arche-noah.at/etomite/assets/downloads/ARCHE_NOAH/StreuobstSLKBericht2012-06-10.pdf

5: Gerda Kleber und Eduard W. Kleber: Gärtnern im Biotop mit Mensch, 2010. Fachverlag für Garten und Ökologie