Geschichte des Islams im Jemen
Mit dem Islam kam der Jemen erstmals in den 620er Jahren in Berührung, als einzelne Jemeniten wie Abū Huraira und Abū Mūsā al-Aschʿarī nach Medina auswanderten und sich dem Propheten Mohammed anschlossen.[1] Bis zum Frühjahr 630 stand der Jemen aber noch nicht unter der Kontrolle Mohammeds. Das lässt sich daran erkennen, dass nach der Eroberung Mekkas im Januar 630 ein wichtiger Gegner des Propheten, ʿIkrima ibn Abī Dschahl in den Jemen flüchtete. Kurz danach sandte Mohammed Briefe an die im Jemen lebenden Stämme und forderte sie auf, den Islam anzunehmen.
Außerdem sandte Mohammed mehrere seiner Gefährten, unter anderem Muʿādh ibn Dschabal in den Jemen, um dort die Sadaqa einzusammeln. Muʿādh baute in seiner Residenzstadt al-Dschanad nördlich von Ta'izz eine Moschee. Auf Befehl soll in dieser Zeit auch schon die Große Moschee von Sanaa errichtet worden sein.[1] Als Muhammad nach Medina zurückkehrte, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand erheblich. Am 8. Juni 632 starb er.
Nach dem Tode des Propheten setzte bei den Stämmen der Arabischen Halbinsel eine breite Absetzbewegung ein, die in den Quellen als Ridda-Kriege bezeichnet wird. Im Jemen etablierte sich der Gegenprophet al-Aswad al-ʿAnsī, der in kurzer Zeit weite Gebiete Südarabiens unter seine Kontrolle bringen konnte.[1] Er trat wie Mohammed im Namen Allāhs auf und verstand es, Ressentiments gegen die neue Abhängigkeit von Medina für seine Sache auszunutzen. Diejenigen Stämme, die sich der Ridda-Bewegung angschlossen, weigerten sich, weiterhin die Zakāt zu zahlen. Der erste Kalif Abū Bakr sandte gegen die Aufständischen im Jemen eine Armee unter der Kommando von ʿIkrima ibn Abī Dschahl und al-Muhādschir ibn Abī Umaiya aus. Folglich kam es zu Kämpfen im Jemen. Besonders erbitterten Widerstand leisteten die Kinda unter ihrem letzten Stammeskönig al-Aschʿath ibn Qais. Mit der Einnahme ihrer Festung Nudschair im Hadramaut endete die Ridda-Bewegung.
Jemenitische Stämme spielten danach eine führende Rolle in den arabisch-islamischen Eroberungsfeldzzügen im Vorderen Orient und siedelten sich mit ihren Familien in den eroberten Städten an.[1] Als der zweite ʿUmar ibn al-Chattāb 638 Jerusalem für die Muslime in Besitz nahm, war es ein zum Islam übergetretener Jude aus dem Jemen, Kaʿb al-Ahbār, der ihn begeleitete und anschließend den Tempelberg reinigte. Für den Jemen ergab sich durch die Eroberungszüge ein großer Verlust seiner politisch und kulturell aktiven Bevölkerung.[1]
In zwei jemenitischen Städten, al-Dschanad und Sanaa, entstanden bedeutende Stätten der islamischen Traditionsgelehrsamkeit. In Sanaa war Wahb ibn Munabbih (654-732) aktiv, der auch Qādī der Stadt war. Er galt als ein Kenner biblischer Überlieferung und zog diese für die Auslegung der koranischen Prophetengeschichten heran. Zu den bedeutendsten Vertretern der Traditionsschule von Sanaa gehörte ʿAbd ar-Razzāq as-Sanʿānī (744-827).
Nach dem Tod von ʿUmar trat ʿAlī als sein Nachfolger auf, seine Tötung brachte eine mehrjährigen Periode der Zwietracht über die islamische Gemeinschaft, die in den arabischen Quellen als Fitna („Versuchung“) bezeichnet wird.
Die Größe der charidschitischen Armee schwoll unterdessen immer weiter an. Eine charidschitische Bewegung bildete sich auf der Arabischen Halbinsel. Der Charidschit Nadschda ibn ʿĀmir trat 686 in al-Yamāma in Ostarabien als Führer einer Gruppe von Charidschiten hervor und konnte ein großes Gebiet, das Bahrain am Persischen Golf und Oman sowie Teile des Jemen und Hadramauts im Süden umfassten, unter seine Herrschaft bringen.
In den 730er Jahren hatte sich eine neue Strömung gebildet, die auf religiös-politischen Ausgleich bedacht war. In den verschiedenen Außenposten der ibaditischen Gemeinde kam es ab 745 zu Aufständen. Im Hadramaut wurde 746 ein erstes ibaditisches Imamat begründet, dessen Truppen 747 Sanʿāʾ, die Hauptstadt Südarabiens, sowie Mekka und Medina einnehmen konnten, aber 748 von umaiyadischen Truppen niedergeworfen werden.
Auch die zaiditischen Schiiten blieben weiter aktiv, 893 wurde ein zaiditisches Imamat in der jemenitischen Stadt Saʿda errichtet. Dieser Imamat hatte, mit kurzen Unterbrechungen, bis ins 20. Jahrhundert Bestand. Im Jemen hat sich die Zaidīya als eigene schiitische Lehrrichtung auch bis heute erhalten. In der Theologie orientierten sich die Zaiditen durchgehend an dem Rationalismus der Muʿtazila.
Während die Zaiditen lokale Herrschaften begründeten und sich in ihren theologischen Grundlagen festigten, entstand parallel eine andere Bewegung, die ebenfalls großen Einfluss auf die islamische Welt ausübte: die ismailitische Daʿwa. Im Jahr 881 entsandte die Bewegung zwei Dāʿīs, Ibn Hauschab und ʿAlī ibn al-Fadl, in den Jemen, wo sie eine Burgruine zur Dār al-Hidschra („Stätte der Auswanderung“) ausbauten und offen zur Gefolgschaft des erwarteten Mahdī aufriefen. Innerhalb weniger Jahrzehnte (875–900) spann die ismailitische Daʿwa ein Netzwerk von Gemeinden, das von Nordafrika bis Südasien reichte und den gesamten islamischen Raum erfasste. Doch diese Bewegung blieb nicht frei von internen Konflikten, dies zeigte, dass die Daʿwa von Beginn an nicht nur eine politische, sondern auch eine tief religiöse Bewegung war, deren Dynamik immer wieder von theologischen und ideologischen Differenzen geprägt wurde.
Literatur
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- Bruck, Gabriele vom: Islam, memory, and morality in Yemen: ruling families in transition. New York 2005.
- Bruck, Gabriele vom, “Regimes of Piety Revisited: Zaydī Political Moralities in Republican Yemen,” Die Welt des Islams 50 (2010): 185–223.
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- Madelung, Wilferd: "Der Islam im Jemen" in Werner Daum (Hrsg.): Jemen : [... aus Anlaß der gleichnamigen Ausstellung "Jemen, 3000 Jahre Kunst und Kultur des Glücklichen Arabien" im Staatlichen Museum für Völkerkunde München, (29. April bis 31. Dezember 1987)]. Innsbruck 1987. S. 165-172.
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