Goethes Faust. Eine heitere Tragödie. Prolog im Himmel.

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Dieser, nach der Zueignung („Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten“) und dem Vorspiel auf dem Theater dritte Vorspann ist die überirdische Regieanweisung für Fausts Erdenwandel. "Der Herr" wird präsentiert als der eigentliche Zuschauer.[1] Am Ende werden es die Engel sein, der darüber befinden, wie Faust vor ihm bestanden hat. Nach dem hymnischen Dreigesang der drei Erzengel, die das All als tönende Sphären preisen, als ein kosmisches Klingen, für Menschenohren nicht hörbar, tritt Mephistopheles auf und begrüßt den Herrn respektlos:

Mephistopheles
Da du, o Herr, dich wieder einmal nahst,
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst:
So siehst du mich auch unter dem Gesinde. (271 - 72)

Er macht sich vor dem Herrn lustig über die Mühen und Bemühungen der Menschen. Goethe teilt ihm dabei einen hüpfenden Versrhythmus zu. Der Herr antwortet in erhabener, ruhig-atmender Sprache. Den Gedanken menschlicher Mühen aufnehmend, macht er den Teufel auf Faust aufmerksam. Er nennt ihn „meinen Knecht“ (299) [2] und kündigt Fausts künftige Selbstfindung an.

Der Herr
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient,
So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen. (308 - 09)

Der Teufel fühlt sich bei so viel Zuversicht herausgefordert:

Mephistopheles
Was wettet ihr? Den sollt ihr noch verlieren. (312)

Der Herr nimmt die Wette an und lässt den Teufel gewähren.

Der Herr
Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern, die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last. (337 - 339)

Denn des Menschen Ehrgeiz erschlaffe nur zu schnell. Darum habe er ihm den „Gesellen“ zugegeben, „der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen“. (343)

Damit gehört der Teufel zu Gottes Schöpfungsplan. Später, in der Szene „Studierzimmer (I)“, äußert sich Goethe nochmals zur Theodizee, diesmal aus der Sicht von Mephistopheles. Er, der Teufel, sei „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ (1335 - 36) Bösartige Quertreiberei weckt Kreativität.

Der Herr beendet den Diskurs und wendet sich abschließend an die „echten Göttersöhne“ (344), wobei offen bleibt, ob er damit die Erzengel meint, oder ob er ins Publikum spricht. Laufen doch seine Worte auf das hinaus, was Dichter vermögen

Der Herr
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken. (348 - 49)
Szenenanweisung: "Der Himmel schließt sich, die Erzengel verteilen sich." Mephistopheles steht allein auf der Bühne.
Mephistoheles
Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zusprechen. (350 - 54)

Welch behender Wechsel von Feierlichkeit und Pathos zu Ulk und Possenreißerei! Das letzte Wort gibt Goethe dem „Schalk“ und lässt das Vorspiel in den oberen Rängen mit einer frechen Pointe enden.


  1. Schöne, Albrecht: Johann Wolfgang Goethe Faust Kommentare. Frankfurt am Main: Klassiker Verlag 1994, S.162
  2. Gottesknecht ist der Ehrennahme für einen von Jahve Erwählten, aber auch der Titel des erwarteten Messias der Israeliten.


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