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Hauptseite/Geragogik/Digitalisierung

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Thesenpapier wird derzeit ausserhalb der Wikiversity überarbeitet, es handelt sich hier also nicht um die akuelle Fassung. Bei Rückfragen bitte an den AK Geragogik wenden! Kontakt: Janina Stiel <stiel@bagso.de>

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Anläßlich der Jahrestagung 2019 des AK Geragogik entsteht hier ein Dialogpapier zur geragogischen Annäherung zum Thema Digitalisierung.

Dialogpapier zur geragogischen Annäherung an Digitalisierungsprozesse in Bezug auf ältere Menschen: Welche Bildungskonzepte und -initiativen brauchen wir?[Bearbeiten]

Autor*innenkollektiv AK-Geragogik – 2. 02. 2019 Köln, Entwurfsfassung (zuletzt bearbeitet von Janina Stiel, 08.08.2019)(Redaktion: Elisabeth Bubolz-Lutz)

1. Was ist mit Digitalisierung gemeint?[Bearbeiten]

Die Digitalisierung (auch digitale Transformation) ist kein neuer Prozess – sie begann bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts z.B. mit dem ersten funktionsfähigen Digitalrechner Z3 von Konrad Zuse im Jahr 1941 und hat noch frühere Ursprünge in der Verwendung eines binären Universalcodes - charakteristisch ist heute die Beschleunigung, in der technologische Entwicklung voranschreiten. Die neue gesellschaftliche Aktualität der Digitalisierung ist derzeit durch folgende Aspekte gekennzeichnet (exemplarisch): Miniaturisierung, weltweite Vernetzung (Internet der Dinge, Soziale Netzwerke), Big Data („Daten sind das neue Öl“ und führen zur Vermessung des Menschen) und schließlich Künstliche Intelligenz. Die Triebfedern der Digitalisierung sind Forschung und Wirtschaft, während Politik und Gesellschaft scheinbar nur einen begrenzten Einfluss haben.

2. Digitalisierung birgt gerade für die 2. Lebenshälfte Chancen und Risiken.[Bearbeiten]

Sowohl die Chancen als auch die Risiken der Digitalisierung sind im Hinblick auf ihre ethischen Implikationen kontinuierlich kritisch zu reflektieren. Ältere benötigen Informationen, Zugang, Bildungs- und Beratungsangebote sowie Lernorte mit Lernbegleitenden(siehe BAGSO Positionspapier). Diese Bedingungen sind unter aktiver Mitwirkung der älteren Menschen selbst zu schaffen. Bildung und Zugang für und zur Digitalisierung sind aufgrund der speziellen Relevanz für das Alltagsleben älterer Menschen als eine Aufgabe der Daseinsvorsorge anzusehen.

3. Für digitale Bildung im Alter wird eine geragogisch orientierte Lern-/ Bildungsstrategie gebraucht.[Bearbeiten]

Digitalisierung als gesellschaftlich relevantes Thema ist allgegenwärtig – ihre Auswirkungen auf das persönliche Leben von Einzelnen bis zum Lebensende und der Zivilgesellschaft sind gravierend (auch die Wechselwirkungen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge sind zu bedenken). Neben den Kontexten Schule und Aus- und Weiterbildung in beruflichen Kontexten wird auch für das Alter eine geragogisch orientierte Lern-/Bildungsstrategie benötigt. Dabei sind vier Ebenen für die theoretischen, empirischen und praktischen Zugänge zu berücksichtigen: das Individuum selbst (Subjektdimension/ Mikroebene), das Gegenüber bzw. die Gemeinschaft (Beziehungsdimension/ Mesoebene), die Organisation der Bildungsprozesse (Institutionsdimension/ Exoebene) und die Gestaltung der Gesellschaft (Gesellschaftsdimension/ Makroebene).

4. Geringe Technik- und Medienkompetenz im Alter birgt Exklusionsrisiken und kann die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben einschränken.[Bearbeiten]

Aus geragogischer Perspektive wird die Heterogenität des Alters beachtet. Digitale Teilhabe – also das Beteiligtsein an der Nutzung des Internets, digitaler Medien und moderner Technologien – ist gesellschaftlich ungleich verteilt. Zu den in Bezug auf digitale Teilhabe exklusionsgefährdeten Gruppen zählen in Deutschland eher Frauen als Männer, eher Hochaltrige als junge Alte, eher Ältere mit geringerer formaler Bildung, eher Alleinlebende und eher Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Diesen ungleichen digitalen Teilhabechancen ist zu begegnen, weil sie schon bestehende soziale Ungleichheiten (im Alter) noch verstärken, also zu weiteren Benachteiligungen führen können.

5. Im Mittelpunkt stehen der Mensch und seine Möglichkeiten und Einschränkungen zu persönlicher Entwicklung als auch zu Kommunikation und Teilhabe.[Bearbeiten]

Im Kontext des Alterns in einer digitalisierten Welt ist digitale Teilhabe für alle (siehe Punkt 4) zu ermöglichen. Dennoch ist auch eine informierte Entscheidung zur Nicht-Nutzung bestimmter Medien und Technologien zu respektieren und sind alternative Wege weiterhin zu gewährleisten (z.B. in der öffentlichen Verwaltung). Die geragogische Perspektive lässt keine einseitige positive oder negative Bewertung von Techniknutzung zu.

6. Als ein zentrales Lernziel in der geragogischen Praxis erscheint die Befähigung, bewusst Entscheidungen in Bezug auf die Nutzung/ Nicht-Nutzung digitaler Medien oder moderner Technologien treffen zu können.[Bearbeiten]

Geragogisch relevante Fragestellungen sind u.a. aus altersunabhängiger Perspektive:

  • Was gehört dazu, um befähigt sein zu entscheiden, ob ich etwas nutze oder nicht (Aufklärung als erster Schritt)?
  • Werden die Risiken der Digitalisierung unterschätzt? Gibt es eine Balance von „real/ analog“ und „digital“ (Worst-Case-Szenarien und bewusstes „Gegensteuern“)?
  • Wie lassen sich Prozesse öffnen, Räume schaffen, in denen Menschen mit überlegen, wie sie Bildungsprozesse gestalten wollen?
  • Welche (gesellschaftlichen) Strukturen werden benötigt – und wer ist dafür zuständig (z.B. Kommune)?
  • Welche Aufgaben kommen der Politik zu (Felder zu eröffnen, in denen Ältere mitreden und mitentscheiden können)?

Geragogisch relevante Fragestellung – speziell auf das Altern bezogen – sind u.a.:

  • Gibt es Belastungs- und Zumutungsgrenzen bei der Nutzung digitaler Medien und Technik – speziell in Lebenssituationen Älterer? Welche? Was bedeutet Techniknutzung für den Einzelnen?
  • Wird die Qualität und Quantität von menschlichem Kontakt durch Techniknutzung beeinflusst (ethischer Diskurs)?
  • Welche Lernkonzepte eigenen sich für die unterschiedlichen Gruppen in verschiedenen Lebenswelten von älteren und sehr alten Menschen? (Weltverstehen)

7. Aktuelle geragogische Ansätze konstatieren ein verändertes Lernverständnis – insofern wird der Wechsel vom systematischen zum erprobenden und entdeckenden Lernen als grundlegend angenommen.[Bearbeiten]

Weitere Konzepte aus anderen Disziplinen sind in geragogische Konzeptionsentwicklungen einzubeziehen (z.B. gefühlter Kontrollgewinn durch Verstehbarkeit, Vorhersagbarkeit, Gestaltbarkeit; Bedeutung der Medien-/ Lernbiografie; Selbstwirksamkeitserleben).

8. Geragogische Praxis setzt auch methodisch auf Partizipation.[Bearbeiten]

Ansatzpunkte für die geragogische Praxis sind die (technischen) Herausforderungen im Alltagsleben der Älteren unter Beachtung ethischer Aspekte. Zentrale Aspekte sind etwa (Selbst-)Reflexion über Bedeutungen und Auswirkungen von Technik; Orientierung geben zu einem Umgang mit Digitalisierungsprozessen in Arbeits- und Lebenswelt; Technikeinsatz als Co-Lösung zur Verbesserung von Lebensqualität.

9. Geragogische Forschung setzt auf einen inter-/transdisziplinären Ansatz.[Bearbeiten]

Geragogische Forschung orientiert sich an den Sinnzusammenhängen der verschiedenen Disziplinen und setzt auf kontinuierlichen Dialog (Aufbau interdisziplinärer Kompetenzen und interdisziplinäre Dialogfähigkeit vgl. IDA: Interdisziplinäres Dialoginstrument). Sie bewertet die vorliegenden Studien kritisch (etwa im Hinblick auf Auftraggebende, wirtschaftliche Interessen), setzt Impulse für einen prospektiven Diskurs sowie auf kontinuierliche Ko-Produktion Älterer in Forschungs- und Entwicklungsprozessen.

10. Zivilgesellschaftliche Potenziale in Bezug auf Entwicklung von Technik- und Medienkompetenz sind zu fördern.[Bearbeiten]

Zivilgesellschaftliche Beteiligungsformen sind aktive Lernfelder. Sie bieten Gelegenheiten für Partizipation und sind Gestaltungsräume für eine „Sozio(logisch)-technologische Phantasie“ (z.B. Technikbegleitende/- botschafter*innen reflektieren gemeinsam mit Nutzenden: Wohin bringen uns die Technologien? Was bedeuten sie für Ältere?). Dabei geht es auch um die Ermöglichung politischer Teilhabe („Digitalisierung von unten“).Die zivilgesellschaftliche Perspektive wird geprägt von der zentralen Frage: Wie können die Älteren Gestalter*innen werden (z.B. in dem sie Technik nach individuellem Bedarf nutzen oder auch nicht und sich auch Freiräume schaffen). Auch im intergenerationellen Austausch haben nicht nur die jungen Menschen sondern auch Ältere aufgrund ihrer Lebenserfahrung etwas zur Entwicklung von Medienkompetenz einzubringen (z.B. einen reflektierten Umgang mit persönlichen Daten im Netz).

11. Strukturen zur Befähigung zu Technik- und Medienkompetenz im Alter sind zu schaffen und mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren.[Bearbeiten]

Die Geragogik verfügt über (auf Teilhabe hin angelegte, auch intergenerationelle) erprobte Strategien, Methoden und Inhalte zur Förderung von Technik- und Medienkompetenz im Alter. Entsprechend gilt es, diese Ansätze gezielt weiterzuentwickeln, auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und strukturell zu verankern.