Zum Inhalt springen

Historische Notizen zur ostdeutschen DDR-Nostalgie.

Aus Wikiversity
Von H.-P.Haack


Das TV-Nachrichtenmagazin KONTRASTE vom 9. Juli 2009 berichtete über dass Ergebnis einer Umfrage, nach dem 57% der Einwohner in den „neuen Bundesländern“ der ehemaligen DDR nachtrauern. Dieses Ergebnis entspricht vorangegangen Umfragen. Hier zwei Gründe für diese Stimmung:


(1) Die Karriere-Förderung von durchschnittlich Begabten, sofern sie aus einem proletarischen Elternhaus stammten oder SED-Mitglieder waren.

Die sowjetische Besatzungsmacht und die von ihr eingesetzte Regierung wollten eine klassenlose Gesellschaft errichten. Ziel war die Schaffung des „Neuen Menschen“, dem Arbeit ein natürliches Bedürfnis geworden war und kein Broterwerb. Soziale Schichten („Klassen“) würden so wegfallen.

Als Führungs-Instanz proklamierte die SED „die Arbeiterklasse im Bündnis mit der Intelligenz“. Wurden in einer politischen Diskussion Forderungen gegenüber einem SED-Funktionär geäußert, war "Arbeiterklasse" das letzte und entscheidende Drohwort.

Im "Staat der Arbeiter und der Bauern" spielte für Bildung und beruflichen Aufstieg die "soziale Herkunft" eine entscheidende Rolle: Den Nachkommen von Angestellten und Selbständigen wurde der Zugang zu Bildungseinrichtungen erschwert, den Kindern von Arbeitern und Kleinbauern dagegen erleichtert. Aufgabe der Lehrer war es, die Eltern von Arbeiter-Kindern zu ermuntern, ihrem Nachwuchs den Besuch der Erweiterten Oberschule (9. - 12. Klasse, Abitur) zu ermöglichen, sofern die Voraussetzungen dafür einigermaßen mitgebracht wurden. Dort wurden Arbeiterkinder „gefördert“. In Lehrerkonferenzen diskutierte der Schuldirektor mit den einzelnen Lehrern, in welchen Fächern lernschwache Kinder aus Arbeiterfamilien auf bessere Zensuren gebracht werden konnten, um den Notendurchschnitt zu verbessern.[1] An Universitäten und Hochschulen gab es diese Gängelei nicht, zumindest nicht im Medizinstudium. Aber bei einer wissenschaftlichen Laufbahn war wieder die „soziale Herkunft“ entscheidend oder der Eintritt in die SED. Das galt auch für leitende Positionen in der Wirtschaft, die in der DDR fast vollständig verstaatlicht war. Bei dem Misstrauen der DDR-Führung gegenüber der eigenen Bevölkerung inbezug auf ideologische Zuverlässigkeit wurde die soziale Herkunft höher veranschlagt als fachliches Können. Die SED-Ideologie ging davon aus, dass das Heranwachsen in einem proletarischem Elternhaus den "richtigen Klassenstandpunkt" verbürgt.

Die beruflich so Geförderten und Aufgebauten denken heute dankbar an dieses System zurück, erst recht, wenn sie in der für sie ungewohnten Leistungsgesellschaft nicht mehr mithalten konnten.


(2) Die Proletarisierung in der DDR.

Die westlichen Demokratien sind Konkurrenzgesellschaften. In ihnen hat Individualität einen hohen Stellenwert. „Otto Normalverbraucher“ will keiner sein. Es gilt, eine Fassade aufzubauen, um das mittelmäßige Sein mit viel Schein zu kompensieren. Die Forderung nach Datenschutz entspringt zu einem großen Teil dieser Fassadenmentalität.

Individualismus wurde von der SED-Ideologie als reaktionär verunglimpft. Auch Selbstverantwortung und Selbstbestimmung stießen auf Ablehnung, da die SED das "Hirn der Klasse" war, der führenden Klasse im "Arbeiter- und Bauernstaat." Der sozialistische Mensch sollte in einem Reifungsprozess alle Eigenheiten und Extravaganzen abgelegt haben.

Die Wirtschaftspolitik des Politbüros der SED - Ministerien waren in der DDR nur ausführende Organe - folgte nicht ökonomischen Prinzipien, sondern diente der Etablierung des Sozialismus, auch in den Entwicklungsländern (Export, Wirtschaftschaftshilfe). Rentabilität stand an zweiter Stelle. Der technische Rückstand in der DDR ging mit einem ständigen Mangel an Arbeitskräften einher. Arbeitslosigkeit gab es daher im "real existierenden Sozialismus" nicht.

Für unkreative und bequeme Persönlichkeiten waren die Gleichmacherei und Entmündigung in der DDR ein Trost, der ihnen in der Wettbewerbsgesellschaft verloren gegangen ist. Die Kreativen und Fleißigen wünschen sich die DDR nicht zurück.
  1. In der Leipziger Richard-Wagner-Oberschule wurde es so zwischen 1955 und 1959 gehandhabt. Die Mutter des Verfassers, SED-Mitglied und Mitglied des Elternbeirats, hat diese Diskussionen miterlebt. Diese Lehrerkonferenzen waren vermutlich nicht nur typisch für die genannte Oberschule, sondern von der DDR-Führung flächendeckend angeordnet. Politische Einzelinitiativen waren von der SED unerwünscht, erst recht im Bildungswesen. Hier herrschte ein straffer Zentralismus.


Nachtrag zum Bildungswesen in der DDR (12. Oktober 2009)

Was die DDR-einheitlichen Lehrpläne betrifft, darf nicht unterschlagen werden, dass in Ostdeutschland ein gediegenes Bildungswissen vermittelt wurde. Und es wurde Bildungsbesitz als eigenständiger Wert proklamiert, erstrebenswerter als materielle Güter. Was ja seine Richtigkeit hat. Bildung vermehrt den Unterhaltungswert, der sich dem Leben abgewinnen lässt.


Siehe auch

[Bearbeiten]
Diskussion

Der Beitrag wurde von fremder Hand hinzugefügt. Soll er stehen bleiben. Warum denn nicht. Meine Mutter - die Genossin Edeltraut - ist verstorben, vor der Wende, im Westen. In der Stadt, in der ihr Sohn gelebt hat. Legale "Republikflucht" als Rentnerin und Witwe. --Hans-Peter Haack (Diskussion) 03:01, 29. Dez. 2012 (CET)

"Die Kreativen und Fleißigen wünschen sich die DDR nicht zurück." Woher kommt denn diese Weisheit - zu viel "West-Fernsehen" gesehen, oder?

Für diese Weisheit wüsste ich gerne die genaue Quelle. Die Beleidigung gilt z.B. meiner Mutter (wünscht sich seit ewigkeiten ernsthaft die DDR zurück). Meine Mutter ist aber ausgesprochen fleissig. Viel fleissiger als ich... Ich vermute: Es ist eher so, dass ihr Fleiss ein - wenn auch kleiner - Mitgrund ist, dass sie sich die DDR zurückwünscht. Weil : In der DDR musste normalerweise, im Durchschnitt, nicht die Arbeit für mehr als einen Menschen machen. Schon gar nicht musste ein Mensch allein die Arbeit für 5, 10 oder 20 Menschen machen. Da meine Mutter ein sehr fleissiger Mensch ist, lässt sie keine Arbeit liegen - niemals. Wenn ihr jemand aufträgt, Arbeit für 20 Menschen alleine zu tun - mit der selben Deadline, wie als es noch 20 Menschen waren, dann macht sie die Arbeit für 20 Menschen und wird zur Deadline fertig, zu der sonst 20 Menschen fertig geworden sind. Und das Ergebnis ist am Ende genauso genau und gewissenhaft, wie wenn sie nur die Arbeit für einen Menschen zu tun hätte. Und wenn ihr das tatsächlich einmal nicht gelingen sollte, dann ist sie so fleissig, dass das für sie fast gar nicht geht....

Meine Mutter ist so dermassen extrem fleissig, dass sie definitiv eines nicht kann: Arbeit liegen lassen, Arbeit nicht tun, Fristen verstreichen lassen, oder ungenauer als auf die genauest mögliche Weise zu arbeiten. Und das ist einer der Gründe, weshalb Kapitalismus überhaupt nicht in ihr Weltbild passt. ___________________________________________________________________________________________

Ich verdanke meiner Mutter viel: Meinen Fleiß und meinen Leistungswillen, sowohl genetisch als auch erzieherisch.
Hans-Peter Haack (Diskussion) 03:01, 29. Dez. 2012 (CET)