Inklusion (Pädagogik)/Begriffsgeschichte und Entwicklung

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Aufgabe für Lernende[Bearbeiten]

  • Analysieren Sie die aktuelle Umsetzung der Inklusion im Schulsystem und identifizieren Sie die geschichtlichen Ursprünge für die Realisierung der Implementation im Bildungswesen!
  • Welchen rechtlichen Rahmen hat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf die Umsetzung in Bildungssystem gehabt? Welche Herausfordungen entstehen im administrativen Bereich und bei Transformation von Lernprozessen in Regelschulen?

Begriffsgeschichte[Bearbeiten]

Obwohl die Inklusionspädagogik sich erst Anfang der 1990er Jahre etablierte, spielte der Inklusionsbegriff schon früher eine Rolle. Zumeist ging es bei den frühen Verwendungen um die Inklusion von bestimmten Lehrinhalten in die Curricula und die Inklusion von Eltern in schulische Prozesse. Außerdem findet sich der Begriff class inclusion (englisch, deutsch Klasseneinschluss; siehe mathematisch: Inklusionsabbildung), den der Schweizer Psychologe Jean Piaget eingeführt hatte und bei dem es darum geht, ob es psychische Unterschiede zwischen Kindern gibt, denen das Lesen leicht fällt und solchen, denen das Lesen schwerfällt.

Ab Ende der 1960er Jahre bekam der Begriff Inklusion konzeptionelle Bedeutung im Zusammenhang mit der Entwicklung der sogenannten gemeinsamen Schule.[1][2]

Entwicklung[Bearbeiten]

„Die unterschiedlichen sonderpädagogischen Fachrichtungen und mit ihnen die Sonderschultypen konstituierten sich aus verschiedenen philosophischen, sozialpolitischen und philanthropischen Impulsen heraus Ende des 18. und im Laufe des 19. Jahrhunderts, wobei dieser Konstitutionsprozess von Möckel (1988, 25) in seiner ´Geschichte der Heilpädagogik´ als ein Vorgang der ‚öffentlichen Anerkennung der behinderten Kinder‘ beschrieben wird. Diese Anerkennung beinhaltet auch, dass pädagogische Konzepte entwickelt wurden und dass für diese Schüler schulische Bildung überhaupt erstmals als denkbar angesehen wurde (Schwager 1993). Eine Ausnahme stellt die Hilfsschule bzw. die spätere Schule für Lernbehinderte dar, weil es ihr um Schüler ging, die bereits Schüler der allgemeinen Schule waren. Im Unterschied zu den anderen sonderpädagogischen Fachrichtungen bzw. zu den anderen Sonderschulen wurde hier das schulische Bildungsangebot also nicht auf vorher nicht beschulte Schülergruppen ausgedehnt, sondern es fand eine Ausdifferenzierung des Schulwesens und damit der Schülerschaft statt, die ursprünglich pädagogisch begründet wurde.“

Michael Schwager: Gesamtschule Holweide Köln, igs-holweide.de: Anerkennung von Heterogenität als Bedingung der inklusiven Schule. (20. Juni 2012).[3]

19. und 20. Jahrhundert[Bearbeiten]

Mitte des 19. Jahrhunderts gründete der britische Arzt John Langdon Down Fördereinrichtungen für Trisomie 21-Betroffene – später wurde das Syndrom nach ihm benannt – und wies auf deren Lernfähigkeit hin.[4]

1880 wurde in Deutschland die erste Hilfsschule für Kinder mit einer Lernbehinderung eingerichtet; dieses System war anfänglich nur Kindern höherer sozialer Schichten zugänglich.[5]

„Aufgrund einer Initiative des 1919 gegründeten ‚Selbsthilfebundes der Körperbehinderten‘ führte das Landesjugendamt Berlin im September 1929 eine Untersuchung mit Hilfe von Fragebögen an allen Volks- und Hilfsschulen Berlins durch. Es wurde festgestellt, dass von 830 Körperbehinderten Kindern 768 Volksschulen besuchten, der Rest Sonderschulen. … dass nämlich das Bildungsniveau der integrierten Kinder und Jugendlichen aufgrund verschiedenster Problemlagen gering war, in den Sonderschulen aber noch niedriger: ‚Aus den Fragebogen war festzustellen, daß die Kinder, die aus der Kinderheilstätte Buch [Heimsonderschule, V.S.] entlassen worden waren, um mehrere Jahre im Schulwissen gegen ihre Altersgenossen zurückstehen. […]‘“

Hilde Wulff: Zitiert nach Volker Schönwiese: Warum auf schulische Integration/Inklusion nicht verzichtet werden kann. In Paul Resinger, Michael Schratz (Hrsg.): Schule im Umbruch. Innsbruck 2008: Innsbruck University Press. Seite 51-63. online aufbidok der Universität Innsbruck[6]

Lübeck war der erste deutsche Staat, der einen Schulzwang für Taubstumme einführte und gleichzeitig eine selbstständige Schule für Schwachbefähigte einrichtete; als er zu Ostern 1888 die dortige privat geführte „Taubstummenschule“ übernahm. Zurückzuführen war das auf den Pädagogen Heinrich Strakerjahn, dem Kinder aller sozialer Schichten überlassen worden waren, nämlich „taubstumme“, „geistesschwache“ und „sprachlich zurückgebliebene“. Strakerjahn hatte daraufhin erfolgreich die Errichtung einer besonderen Schule für Schwachbegabte angestrebt.[7]

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte in der Bundesrepublik Deutschland keine Neuordnung des Schulwesens wie in den skandinavischen Ländern, sondern der Wiederaufbau geschah restaurativ: Die noch bestehenden allgemeinen Schulen und Sonderschulen setzten ihre Arbeit fort, obwohl im Dritten Reich der Besuch einer Hilfsschule ein Todesurteil gewesen sein konnte.

Bis 1960 stand der Ausbau des allgemeinen und beruflichen Schulwesens im Mittelpunkt bildungspolitischer Tätigkeiten und Verlautbarungen. Es gab keine flächendeckende Versorgung mit Sonderschulen, und manches Kind mit einer Behinderung „wurde wie selbstverständlich in die allgemeine Schule aufgenommen und mit nichtbehinderten Kindern unterrichtet. Im Zusammenhang mit der Entlastung der allgemeinen Schule von behinderten Kindern setzten negative schulische Selektionsprozesse ein.“[8][9]

1960 befürwortete die Ständige Konferenz der Kultusminister in ihrem Gutachten zur Ordnung des Sonderschulwesens die Separation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen als Rehabilitations- und Integrationshilfe: Von nun an erfolgte der massive Ausbau von Sonderschulen auch zur Entlastung der Regelschulen. Zwischen 1960 und 1973 verdoppelte sich so die Zahl der Sonderschulen, die Zahl der sie besuchenden Schüler verdreifachte sich beinahe,[10] die Zahl der an Sonderschulen Unterrichtenden vervierfachte sich.[11][9]

Nachdem im „Strukturplan für das Bildungswesen“ von 1970 das Sonderschulwesen bewusst ausgeklammert worden war, berief die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates (DB) noch 1970 einen Fachausschuss Sonderpädagogik;[12] daraufhin wurde in den 1970er-Jahren der „Gemeinsame Unterricht“ behinderter und nicht behinderter Kinder und Jugendlicher in Deutschland infolge eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz von 1972 (Empfehlungen zur Ordnung des Sonderschulwesens) sowie einer Empfehlung des Deutschen Bildungsrates von 1973 (Empfehlungen der Bildungskommission: Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher) in Schulversuchen getestet. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden entsprechende Versuche in zwei Abschnitten durchgeführt: 1981 bis 1989 sowie von 1989 bis 1993 (siehe auch: Schulversuch Gemeinsamer Unterricht in der Sekundarstufe I). Hierbei wurden Kinder aller Behinderungsarten gemeinsam mit so genannten „nicht behinderten“ Kindern unterrichtet. Die Versuche wurden von allen Beteiligten durchweg positiv beurteilt.[13]

Den integrativen Montessori-Bildungseinrichtungen der Münchener Aktion Sonnenschein und des Kinderhaus Friedenau e. V. werden eine Schlüsselfunktion für die Ausbreitung gemeinsamer Erziehung im Elementarbereich und in der Schule zugewiesen. Mit der Praxis der Münchener Integrativen Montessori-Grundschule (1970) und der Berliner Fläming-Grundschule, die 1976 die erste Integrationsklasse an einer staatlichen Schule in Deutschland errichtete, wird die bis dato in den bildungspolitischen Empfehlungen geltende Forderung „so viel Integration wie möglich und so wenig Segregation wie notwendig“ durch das „Gleichheitsrecht auf den Besuch der allgemeinen Schule“[14] und die Prämisse Integration ist unteilbar ersetzt:

„Der originelle Beitrag der Integrationsprojekte in der Geschichte der Pädagogik ist, dass sie bewiesen haben, dass es möglich ist, alle SchülerInnen in der ganzen Bandbreite menschlicher Vielfalt von den Schwerstbehinderten bis hin zu den Hochbegabten gemeinsam zu unterrichten.“

„Bis Mitte der 1980er-Jahre lassen sich bundesweit 19 Integrationsschulen, in denen Kinder mit verschiedenen Behinderungen gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen unterrichtet werden, … anführen.“[9]

Am 15. November 1994 trat ein neuer Satz im Artikel 3 des Deutschen Grundgesetz in Kraft:

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Damit wurde der Perspektivenwechsel von der Betrachtung „Behinderter“ als „Objekte von Fürsorge“ zu ihrer Wahrnehmung als selbständig handelnde und individuell zu behandelnde Subjekte manifestiert. Zugleich lässt sich aus dem Satz die Schlussfolgerung ziehen, dass eine Bevorzugung von Menschen, denen amtlich eine Behinderung bescheinigt wurde, in Form von „Nachteilsausgleichen“ nicht als verfassungswidrige „Benachteiligung Nicht-Behinderter“ bewertet werden darf.

1997 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Pflicht des Staates, bestimmte finanzielle oder Sachleistungen zu erbringen, laut ständiger Rechtsprechung des Gerichts dem „Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft verlangen kann“, unterliege;[15] d. h., dass niemand staatliche oder kommunale Instanzen zum Beschluss von Haushaltsansätzen zwingen könne, die die zur Entscheidung befugten Gremien für zu hoch halten: „Der Gesetzgeber ist […] verfassungsrechtlich nicht gehindert, die tatsächliche Verwirklichung dieser Integrationsformen von einschränkenden Voraussetzungen […] abhängig zu machen“, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Oktober 1997, als es den zwangsweisen Besuch einer Sonderschule durch ein körperbehindertes Mädchen und deren Ausschluss von einer gemeinsamen Beschulung mit nicht behinderten Kindern zu bewerten hatte; denn: „Die Überweisung eines behinderten Schülers an eine Sonderschule stellt nicht schon für sich eine verbotene Benachteiligung dar“.[16] Diese Position werde das Gericht nach Ansicht Michael Wrases nach der Unterschrift Deutschlands unter dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nicht mehr weiter vertreten können, wenn auch das Gericht sich bislang noch nicht von seinem 1997 verkündeten Urteil distanziert habe.[17]

Salamanca-Erklärung[Bearbeiten]

Vom 7. bis 10. Juni 1994 fand in Salamanca (Spanien) die UNESCO-Konferenz Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität statt. Ihr Hauptergebnis war die Salamanca-Erklärung[18] mit der Nennung der Inklusion.[19] Die Erklärung wurde das wichtigste Ziel der internationalen Bildungspolitik und in der Folge ein erster internationaler Rahmen für ihre Umsetzung.

„Das Leitprinzip, das diesem Rahmen zugrunde liegt, besagt, dass Schulen alle Kinder, unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten aufnehmen sollen. Das soll behinderte und begabte Kinder einschließen, Kinder von entlegenen oder nomadischen Völkern, von sprachlichen, kulturellen oder ethnischen Minoritäten sowie Kinder von anders benachteiligten Randgruppen oder -gebieten.“

Schon hier wird im englischen Originaltext wiederholt der Begriff inclusive verwendet; in der deutschen Version ist dies jeweils mit integrativ o. ä. wiedergegeben. Das englische Wort participate wird mit Teilhabe übersetzt, kann ebenso gut jedoch das eher Aktivität beschreibende Teilnahme bedeuten.[20][21]

21. Jahrhundert[Bearbeiten]

UN-Behindertenrechtskonvention[Bearbeiten]

In der 2006 beschlossenen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, ein inclusive education system (engl., amtliche dt. Übersetzung gem. Art. 24 (1) der UN-Konvention: integratives Bildungssystem) zu errichten, in dem Behinderte nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden (Art. 24 (2) a der Konvention) und ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben (Art. 24 (5) der Konvention).

Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung, wird in der UN-Konvention nicht explizit gefordert. Tatsächlich tauchen in der amtlichen deutschen Übersetzung weder der Begriff Inklusion noch das Wort gemeinsam auf. Obwohl Integration und Inklusion zwei verschiedene Dinge sind, wird in der öffentlichen Diskussion in Deutschland regelmäßig die UN-Konvention herangezogen, um die Inklusion zu begründen.

Im Januar 2016 wurde in einer unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und Mitwirkung der Kultusministerkonferenz (KMK) erstellten gemeinsamen Stellungnahme von Bund und Ländern zu einem Kommentar des UN-Fachausschusses zur Umsetzung von Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)[22] das nationale Sonderschulsystem verteidigt.[23][24]

Der Anfang September 2016 in Genf veröffentlichte „allgemeine Kommentar“ Nr. 4 zur UN-Behindertenrechtskonvention des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen („General Comment“),[25] welcher die staatlichen Verpflichtungen zur Umsetzung von Artikel 24 der Menschenrechtskonvention verbindlich normiert, hebt inklusive Bildung als ein Menschenrecht für alle hervor, das auch für Menschen mit Behinderungen auf allen Stufen des Bildungssystems gelte. Inklusive Bildung schließe ausdrücklich das Recht auf Nicht-Segregation, Nicht-Diskriminierung und Chancengleichheit ein. Inklusive Bildung sei das Recht des Kindes, Eltern hätten sich in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung am Recht der Kinder auszurichten.[26]

Schlussfolgerungen deutscher Juristen[Bearbeiten]

Ein Rechtsgutachten des Völkerrechtlers Eibe Riedel kommt Anfang 2010 zu dem Schluss, dass Kinder mit Behinderungen nur in Ausnahmefällen vom Besuch einer Regelschule abgehalten werden dürfen und gesteht ihnen ein Recht auf den Besuch einer allgemeinen wohnortnahen Schule zu.[27]

Nach Auffassung des Deutschen Instituts für Menschenrechte ist durch die Unterschrift der Bundesrepublik Deutschland unter die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit von Staatsorganen, sich auf einen „Ressourcenvorbehalt“ zu berufen, hinfällig geworden: Das Argument, für die Umsetzung des Inklusionsprinzips stehe nicht genug Geld zur Verfügung, dürfe also nicht mehr gegen Antragsteller ins Feld geführt werden.[28] Auch Gymnasien seien verpflichtet, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aufzunehmen.[29]

Weltbericht zur Behinderung[Bearbeiten]

Im Juni 2011 veröffentlichten die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Weltbank den ersten weltumfassenden Bericht zur Behinderung, World report on disability.[30]
Eine seiner zentralen Forderungen ist es, Inklusion vor allem im Bereich der Bildung in nachhaltige Konzepte einzubetten.[31]

„Bildung sei auch der Schlüssel zum ersten Arbeitsmarkt, so der Bericht weiter, der für Menschen mit Behinderung durch Vorurteile und Ignoranz, mangelnde Bereitstellung von Dienstleistungen sowie berufliche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten jedoch weitgehend verschlossen bleibe.“

– aktion-mensch.de[31]

Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen[Bearbeiten]

Die 2015 von der UN verabschiedeten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung nennen Inklusion bei mehreren Punkten, z. B. unter Ziel 4, Ensure inclusive and quality education for all and promote lifelong learning („Gewährleistung einer inkusiven und hochwertigen Bildung für alle und Förderung lebenslangen Lernens“),[32] Ziel 11: Make cities inclusive, safe, resilient and sustainable („Städte inklusive, sicher, belastbar und nachhaltig machen“)[33] oder Ziel 16: Promote just, peaceful and inclusive societies („Förderung gerechter, friedlicher und inklusiver Gesellschaften“).[34]

Folgerungen[Bearbeiten]

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung kam im September 2009 zu dem Ergebnis, dass damals in Deutschland lediglich 20 % der Kinder mit besonderem Förderbedarf einen gemeinsamen Unterricht besuchten.[35] In Ländern wie Italien, Norwegen oder Dänemark gibt es dagegen seit Jahren nur noch wenige Spezialschulen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Fast 100 Prozent der Kinder mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen gehen in diesen Ländern in eine gemeinsame Schule mit anderen Kindern (wenngleich auch nicht immer in dieselbe Klasse). Neuere Projekte in Deutschland verfolgen ebenfalls sowohl jahrgangsübergreifende wie auch inklusive Ansätze (im Sinne von Interessenverbänden von und für Menschen mit Behinderungen).[36][37] Dazu gehört vor allem die neue Schulform Gemeinschaftsschule.

In einer Umfrage zur „Gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Deutschland“ des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales kennzeichneten im Mai 2011 51 % der Befragten die Verwirklichung der gemeinsamen Erziehung und Bildung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher in Deutschland mit der Einschätzung weniger bzw. gar nicht gut.[38]

Die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in allgemeinen Schulen setzt sich in Deutschland nur mühsam durch – z. B. aufgrund allgemeiner oder Kosten-Vorbehalte, mangelnder Zurverfügungstellung von notwendigen Ressourcen, des Beharrens auf verschiedenen, teilweise parallel betriebenen diskriminierenden, stigmatisierenden, segregierenden und selektierenden Schulformen sowie Ängsten vor Bedeutungsverlust der Sonder- und Heilpädagogik.[39] Die Umsetzung inklusiver Ideen und Praktiken ist dabei aus eigener Sicht nicht nur für die Sonderpädagogik, sondern auch für die Allgemeine (Schul-)Pädagogik mit erheblichen Herausforderungen verbunden.[40] Unter Umständen wird Inklusion auch als weiteres Modell für die Integration von Schülern mit Behinderungen in den gemeinsamen Unterricht betrachtet.

Literatur/Quellenangaben[Bearbeiten]

  1. Edward Forman: The Inclusion of Visually Limited and Blind Children in a Sighted Physical Education Program. In: Educ Visually Handicapped. 1 (1969) 4, S. 113–115.
  2. Allen Adler: Inclusion and exclusion in the secondary school physical education class. University of Wisconsin, Madison 1972.
  3. Veröffentlicht in: Behindertenpädagogik 45 (2006) 4, S. 409–413.
  4. badische-zeitung.de, 11. November 2016, Ulrich Traub: Ein Brautkleid ohne Armlöcher: Das Down-Syndrom als Thema einer kulturhistorischen Schau (13. November 2016)
  5. Inklusion und Offener Unterricht, 2.2: Kurze Geschichte der Inklusionspädagogik. In: bidok.uibk.ac.at (20. Juni 2012).
  6. Volker Schönwiese: Warum auf schulische Integration/Inklusion nicht verzichtet werden kann. In Paul Resinger, Michael Schratz (Hrsg.): Schule im Umbruch. Innsbruck 2008: Innsbruck University Press. Seite 51-63. online aufbidok der Universität Innsbruck. Abgerufen am 16. Juli 2017.
  7. Local- und vermischte Notizen. In: Lübeckische Blätter, 30. Jahrgang, Nr. 48, Ausgabe vom 13. Juni 1888, S. 292.
  8. Rudolf Schindele (Hrsg.): Schulische und soziale Integration Behinderter. Unterricht und Erziehung Behinderter in Regelschulen, S. 89. Rheinstetten, 1977.
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 Birgit Hüwe, Christa Roebke: Elternbewegung gegen Aussonderung von Kindern mit Behinderungen: Motive, Weg und Ergebnisse. In: Zeitschrift für Inklusion, Nr. 1 (2006). Aus: inklusion-online.net
  10. Jakob Muth: Integration von Behinderten. Über die Gemeinsamkeit im Bildungswesen, S. 17. Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft. Essen, 1986.
  11. Niedersächsisches Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung: Fördern in Schule – Informationssystem für Schulen in Niedersachsen: Entwicklung gemeinsamen Lernens von behinderten und nichtbehinderten Kindern in der Regelschule der Bundesrepublik Deutschland. Aus: www.nibis.de (Memento des Vorlage:Referrer vom 17. April 2011 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/archiv-bot (20. Juni 2012).
  12. bidok.uibk.ac.at (20. Juni 2012)
  13. Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Gemeinsamer Unterricht für behinderte und nichtbehinderte Kinder in der Grundschule: Abschlussbericht zu den Schulversuchen. Aus: gemeinsam-leben-und-lernen-mg.de (Memento des Vorlage:Referrer vom 1. Februar 2012 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/archiv-bot (20. Juni 2012).
  14. 14,0 14,1 Annedore Prengel: Integration als pädagogisches Paradigma? In: Helga Deppe-Wolfinger, Annedore Prengel, Helmut Reiser: Integrative Pädagogik in der Grundschule. DJI: Weinheim und München, 1990. S. 278.
  15. BVerfGE 33, 303 [333]
  16. BVerfGE 96, 288
  17. Michael Wrase: Förderschulzuweisung unter verfassungsrechtlichem Legitimationszwang. verfassungsblog.de. 22. August 2014
  18. Die Salamanca Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse. In: unesco.at, Bildung, Basisdokumente, Salamancaerklärung (Memento des Vorlage:Referrer vom 28. Februar 2013 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/archiv-bot (66 KB, 29. Dezember 2011; PDF, S. 15 Pkt. 65)
  19. In der deutschen Übersetzung werden die englischen Begriffe des Originaldokuments Inclusion bzw. inclusive nahezu durchgängig mit Integration, integrativ usw. übersetzt.
  20. The Salamanca Statement on principles, policy and practice in special needs education. In: unesco.de (249 GB, 30. Dezember 2011; PDF).
  21. Die Salamanca Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse. In: unesco.at, Bildung, Basisdokumente, Salamancaerklärung (Memento des Vorlage:Referrer vom 28. Februar 2013 im Internet Archive)Vorlage:Webarchiv/archiv-bot (PDF; 68 kB) S. 1–3 von 18 (29. Dezember 2011).
  22. ohchr.org: General Comment on the right to inclusive education (12. März 2016)
  23. Brigitte Schumann, 4. Februar 2016, bildungsklick.de: Deutschland legt sich quer: („Bund und Länder widersprechen der Auslegung von inklusiver Bildung durch den UN-Fachausschuss“) (12. März 2016)
  24. Brigitte Schumann, 7. März 2016, bildungsklick.de: Allianz des Verschweigens („Die KMK (Kultusministerkonferenz) ist an Aufklärung über die Rolle der Sonderpädagogik im Nationalsozialismus desinteressiert“) (12. März 2016)
  25. ohchr.org: General Comment No 4 (2016) article 24: the right to inclusive education (18. September 2016)
  26. Brigitte Schumann, 15. September 2016, bildungsklick.de: Kein Wahlrecht der Eltern auf schulische Segregation (18. September 2016)
  27. Unter Schurkenstaaten. In: taz.de, 27. Januar 2010.
  28. Deutsches Institut für Menschenrechte: Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primarstufe und Sekundarstufen I und II). Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund. (PDF; 124 kB) 31. März 2011, S. 13.
  29. Deutsches Institut für Menschenrechte: Stellungnahme der Monitoring-Stelle. Eckpunkte zur Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems (Primarstufe und Sekundarstufen I und II). Empfehlungen an die Länder, die Kultusministerkonferenz (KMK) und den Bund. (PDF; 124 kB) 31. März 2011, S. 11.
  30. who.int, Disabilities and rehabilitation: World report on disability mit Link zum Volltext (380 Seiten) (10. Juni 2011).
  31. 31,0 31,1 aktion-mensch.de, Pressemitteilung, 10. Juni 2011, Inklusion: Der WHO-Bericht hat enorme politische Sprengkraft (10. Juni 2011).
  32. Education - United Nations Sustainable Development. In: United Nations Sustainable Development. (Online [abgerufen am 18. März 2018]).
  33. Cities - United Nations Sustainable Development Action 2015. In: United Nations Sustainable Development. (Online [abgerufen am 18. März 2018]).
  34. Peace, justice and strong institutions - United Nations Sustainable Development. In: United Nations Sustainable Development. (Online [abgerufen am 18. März 2018]).
  35. Inklusive Bildung – Fehlanzeige. Bertelsmann Stiftung, 1. September 2011, abgerufen am 8. April 2019 (Pressemeldung).
  36. fr-eineschule.de, freiburger bündnis eine schule für alle: Rahmenkonzeption einer inklusiven staatlichen Modellschule für Freiburg (10. Juni 2011; PDF; 166 kB)
  37. Dietmar Klinke/Wolfgang Sykorra: Evangelische Inklusive Zukunftsschule in Essen. Schulprogrammatische Überlegungen. Essen: Kirchenkreis Essen. Schulreferat 2010
  38. Institut für Demoskopie Allensbach: Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Deutschland (Memento vom 15. Januar 2403 auf WebCite), Schaubild 3, S. 5.
  39. Brigitte Schumann, 2018: Streitschrift Inkusion
  40. Birgit Lütje-Klose, Marie-Therese Langer, Björn Serke, Melanie Urban, (Hrsg.), 2011: Inklusion in Bildungsinstitutionen – eine Herausforderung an die Heil- und Sonderpädagogik. Klinkhardt: Bad Heilbrunn