Kurs:Gewöhnliche Differentialgleichungen/3.1 Konsistenz und Konvergenz eines Einschrittverfahrens

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3.1 Konsistenz und Konvergenz eines Einschrittverfahrens[Bearbeiten]

Nun befassen wir uns genauer mit der Exaktheit der Einschrittverfahren und der Konvergenz der gewonnenen Folge (numerische Lösung) zur exakten Lösung.


Definition 3.2 (Lokaler (Abschneide-) Fehler).

Sei die exakte Lösung der Anfangswertaufgabe (1.6).


heißt lokaler Abschneidefehler (lokaler Verfahrensfehler von ) an der Stelle .
In der Literatur wird manchmal als lokaler Fehler auch

bezeichnet.



Bemerkung 3.2 (Bedeutung des lokalen Verfahrensfehlers)

  • Ersetzt man in oberer Definition mit und mit , erhält man mithilfe von (3.7) . Das heißt, dass die numerische Lösung das Einschrittverfahren (3.7) exakt erfüllt. Die exakte Lösung genügt der Gleichung (3.7) allerdings nicht, sondern erfüllt sie nur annährend, mit einem möglicherweise “kleinen” -lokalen Verfahrensfehler. Der lokale Fehler beschreibt also wie “gut” die exakte Lösung das Einschrittverfahren (3.7) erfüllt.
  • Wendet man in dem Einschrittverfahren (3.7) als Startwert anstatt den exakten Wert an und erhält man dann nach einem Schritt von (3.7) die numerische Lösung

so kann man den lokalen Fehler als Unterschied der numerischen und der exakten Lösung nach einem Schritt des Einschrittverfahrens verstehen, .

  • Die Bedeutung des lokalen Felhlers kann man noch verdeutlichen, in dem man die Taylorentwicklung von um Punkt betrachtet. Hier wird es klar, dass der lokaler Fehler beschreibt, wie die Verfahrensfunktion den Rest der Taylorreihe approximiert: Daher kommt der Name Abschneidefehler.

Betrachtet man die Volterra’sche Integralgleichung auf dem Intervall ,

so beschreibt der lokaler Fehler, wie gut das integral approximert.


Es ist klar, dass die Verfahrensfunktion eines sinnvollen ESV nicht beliebig sein kann, sondern gewisse Eigenschaften erfüllen muss. Welche sind das? Anstrebenswert ist, dass sich der lokale Verfahrensfehler verkleinert mit immer kleinerer Schrittweite . Wir betrachten nun die Definition des lokalen Verfahrensfehlers , siehe (3.8). Für erhalten wir im ersten Term auf der rechten Seite . Um die Kleinheit des lokalen Fehlers für zu garantieren, muss daher die Verfahrensfunktion die folgende Eigenschaft besitzen:

Diese Eigenschaft wird die Konsistenz (Verträglichkeit) des Verfahrens mit der Anfangswertaufgabe, siehe (1.6), genannt. Die Güte der Approximation von der rechten Seite der Anfangswertaufgabe durch die Verfahrensfunktion und damit die Genauigkeit des numerischen Verfahrens wird mit der Konsistenzordnung gemessen.


Definition 3.3 (Konsistenz)

Sei der lokaler Fehler des Einschrittverfahrens.
Das Einschrittverfahren (3.7) heißt konsistent mit der Anfangswertaufgabe, wenn

Das Einschrittverfahren (3.7) hat bezüglich der Anfangswertaufgabe (1.6) die Mindestkonsistenzordnung p wenn

d.h. es existiert eine Konstante sodass für alle .
Die maximale Mindestkonsistenzordnung heißt die Konsistenzordnung des Einschrittverfahrens bezüglich der Anfangswertaufgabe (1.6).
Handelt es sich um ein System von Anfangswertaufgaben (1.6), , wird die Konsistenz mit Hilfe der Norm anstatt mit Betrag definiert.


Beispiel 3.3

Sei (eimal stetig differenzierbar in ). Bestimme die Konsistenzordnung vom expliziten Eulerverfahren (3.2).

Wir berechnen zuerst den lokalen Fehler. Für das explizite Eulerverfahren gilt , daher


Nun setzen wir die Taylorreihe um , ein und erstetzen laut der Anfangswertaufgabe mit . Wir erhalten

da eine stetige Funktion ist, und diese auf einem geschlossenen Intervall gleichmäßig beschränkt ist. Damit hat das explizite Euerverfahren die Konsistenzordnung 1.


Außer der Konsistenz des Einschrittverfahrens für eine Anfangswertaufgabe ist noch ein weiterer Begriff von Bedeutung - die Konvergenz der erzeugten numerischen Lösung zu der exakten Lösung an den Gitterpunkten Im vorherigen Beispiel haben wir die Konsistenzordnung Eins des expliziten Eulerverfahrens bestimmt und in Beipiel 3.2 haben wir uns davon überzeugt, dass dieses Verfahren für eine konkrete Anfangswertaufgabe auch konvergiert. Wie wir später sehen werden, garantiert alleine die Konsistenz eines Verfahrens die Konvergenz der numerischen Lösung nicht, eine andere Annahme ist zusätzlich erforderlich.
Die Konvergenz eines Einschrittverfahrens wird mittels des sogenannten globalen Diskretisierungsfehlers quantifiziert. Dieser beschreibt die tatsächtliche Entfernung der numerisch erzeugten Folge zu der exakten Lösung:



Definition 3.4 (Globaler Fehler)

Sei die exakte Lösung der Anfangswertaufgabe (1.6). Das Einschrittverfahren (3.7) definiert in folgender Weise die Gitterfunktion
, .
Der globale Diskretisierungsfehler an der Stelle ist definiert als


In jedem Schritt des numerischen Verfahrens wird eine Annäherung der Lösung an entsprechender Stelle gewonnen und für weitere Schritte benutzt. Am Anfang () nimmt man noch den exakten Startwert und gewinnt im ersten Schritt des ESV eine numerische Lösung in , wobei . Diese nutzt man in nächstem Schritt um auszurechnen, allerdings ist in diesem (zweiten) Schritt bereits der Startwert fehlerbehaftet, da in . So wird die tatsächtlich erzeugte numerische Lösung ab dem zweitem Schritt nicht mehr mit der numerischen Lösung (ausgehend aus exaktem Startwert, siehe Bemerkung 3.1 Punkt ii), übereinstimmen. Außer dem lokalen Diskretisierungsfehler gehen auch die fehlerbehafteten Startwerte in die numerische Schrittberechnung ein, also eine weitere Ungenauigkeit. In jedem Berechnungsschritt kummuliert sich der Fehler zum globalen Diskretisierungsfehler . Dieser weicht damit von dem lokalen Fehler für ab. Ein konvergentes Einschrittverfahren weist sich allerdings mit einem angemessen kleinen globalen Diskretisierungsfehler aus, der für Schrittweite verschwindet. Das Akkumlieren des Fehlers, der lokale Verfahrensfehler und der globale Diskretisierungsfehler ist in folgender Grafik dargestellt.

Die Güte der Konvergenz eines Einschrittverfahrens wird mit der Kleinheit des globalen Diskretisierung in folgender Weise definiert.

Abbildung 3.5: Lokaler und globaler Diskretisierungsfehler, Vergleich.


Definition 3.5 (Konvergenz)

Sei der globale Fehler des Einschrittverfahrens.
Das Einschrrittverfahren (3.7) heißt konvergentfür die Anfangswertaufgabe (1.6), wenn

hier beschreibt eine Norm in .
Das Einschrittverfahren (3.7) hat bezüglich der Anfangswertaufgabe (1.6) die Mindestkonvergenzordnung p wenn


Die maximale Mindestkonvergenzordnung heißt die Konvergenzordnung des Einschrittverfahrens bezüglich der Anfangswertaufgabe (1.6).


Im Folgenden werden wir die hinreichende Bedingung der Konvergenz eines Einschrittverfahrens studieren. Dafür wird folgendes Lemma hilfreich.



Lemma 3.1

Sei eine reele Folge und es gelte die rekursive Beziehung


wobei Dann gilt folgende Abschätzung:


Beweis. Offensichtlich gilt die Aussage für , da
Für gilt nach dem Rekursionsfortschritt (3.10)

Da , bzw. für gilt (nachrechnen!), erhalten wir aus dem oberen .
Nach dem Rekursionsfortschritt ist
,
und so weiter.
Also erhalten wir mit der Rekursion (3.10) nach Schritten und der Summenformel für die geometrische Reihe

Schätzen wir in oberem Ausdruck nach oben mit ab, erhalten wir schließlich die Behauptung des Lemmas. ◻



Satz 3.1 (Lokale Konvergenz)

Sei eine eindeutige stetig differenzierbare Lösung der AWA (1.6) und die Menge ein -Streifen um die exakte Lösung:

Gelte zusätzlich

  1. ist gleichmäßig Lipschitz-stetig auf mit einer Konstante , d.h.
  2. habe bezüglich der AWA (1.6) die Mindestkonsistenzordnung , d.h. es existiert ein mit

Dann existiert ein , sodass für und alle gilt


Abbildung 3.6: Menge (-Streifen)


Beweis. Wesentlich für den Beweis der Konvergenz eines konsistenten Einschritverfahren ist die Lipschitz-Stetigkeit der Verfahrensfunktion. Die Menge garantiert die lokale Lipschitz-Stetigkeit von . Offensichtlich ist und für . Allerdings kann das Näherungsverfahren (3.7) aus dem -Streifen (wo es in angefangen hat) herausführen, also für ein . Um dies zu verhindern modifizieren wir das Einschrittverfahren, indem wir die Werte der Gitterfunktion mit auf den Rand von zurückziehen. Wir stellen diese Modifikation zunächst graphisch dar.

Die entsprechende modifizierte Verfahrensfunktion lautet:

Mithilfe dieser Verfahrensfunktion erhalten wir die Paare .
Da die ursprüngliche Funktion Lipschitz stetig auf war, bleibt diese Eigenschaft erhalten für .

Nun untersuchen wir den globalen Diskretisierungsfehler der Näherungsfolge (des modifizerten Verfahrens). Es gilt


Für die exakte Lösung dagen gilt, vergleiche (3.8),

Der lokale Abschneidefehler des modifizierten Verfahrens gleicht dem ursprünglichen,

da und sich nur in dem zweiten Argument unterscheiden, was hier identisch ist (die exakte Lösung), siehe (3.8). Daher erhalten wir für die exakte Lösung

Setzt man und in ein, erhält man

Mithilfe der Dreiecksungleichung der Vektornorm, siehe Definition 2.2, der Lipschitz-Stetigkeit von bezüglich der zweiten Variable (Voraussetzug i)) und der Vorraussetzug ii) erhält man die Abschätzung

Mit der Anwendung der Abschätzung (3.11) für rekursive Folgen folgt schließlich

Da , ist (3.12) zuerst für das modifizierte (in ) eingeschränkte Verfahren (3.13) bewiesen.

Um (3.12) für zu beweisen, beachte man, dass und damit . Nun wählt man hier die Schrittweite klein genug, sodass für ein vorher gegebenes . Damit ist der globale Fehler

In diesem Fall wird das ESV (3.13) nie aus dem -Streifen herausführen, und die Verfahrensfunktion braucht nicht modifiziert werden, Demzufolge für eine hinreichend kleine Schrittweite gilt und für alle (3.12) ist bewiesen.


Bemerkung 3.2 Folgerungen und Bemerkungen zum Satz 3.1:

  1. Die Folgerung der Abschätzung des globalen Fehlers (3.12) im Satz 3.1 ist
    bzw. . Damit hat das Einschrittverfahren (3.7) bezüglich der AWA (1.6) die Mindestkonvergenzordnung , vergleiche Definition 3.5.
  2. Die Konsistenz und die lokale Lipschitz-Stetigkeit der Verfahrensfunktion im Streifen sind die hinreichende Bedingungen der (lokalen) Konvergenz eines Einschrittverfahrens gegen die eindeutige exakte Lösung.
  3. In der oberen Schranke des globalen Diskretisierungsfehlers spielt der Faktor
    eine Rolle. Je größer ist, desto größer kann der globale Fehler eventuell sein (Fehler akkumuliert) und desto kleiner muss die Schrittweite gewählt werden, um den Fehler beschränkt zu halten. Ein gutes Verfahren liefert allerdings einen globalen Fehler, der auch für ’große’ zufriedenstellend ist.


Beispiel 3.4 (Das explizite Eulerverfahren)

Für das Verfahren (3.2) gilt
. Dieses Verfahren hat für die Konsistenzordnung 1, siehe Beispiel (3.3). Da stetig differenzierbar in ist, ist auch (lokal) Lipschitz-stetig (überzeugen Sie sich davon, indem Sie den Mittelwertsatz anwenden).

Demzufolge existiert eine eindeutige exakte Lösung der AWA und das explizite Eulerverfahren hat die (Mindest)-Konvergenzordnung 1.


Beispiel 3.5 (Das verbesserte (modifizierte) Eulerverfahren)

Die Verfarensfunktion des verbesserten Eulerverfahrens lautet , vergleiche (3.4).
Sei erfüllt die Lipschitz-Bedingung (lokal).
Nun zeigen wir, dass auch Lipschtiz-stetig ist: Mithilfe der Definition der Formel der Verfahrensfunktion, des zweifachen Anwendens der Lipschtiz-Stetigigkeit von und der Dreiecksungleichung erhalten wir

d.h. erfüllt die Lipschtiz-Bedingung mit der Konstante

Nun bestimmen wir die Konsistenzordnung dieses Verfahrens. Wir setzen voraus, dass . Ähnlich wie im Beispiel 3.3 berechnen wir den lokalen Fehler

Nun ersetzen wir und die Verfahrensfunktion mit den Taylorreihen um Entwicklungspunkt ,

mit Hier bezeichnen die entsprechende erste und zweite partielle Ableitung von nach . [1]
Nach dem Einsetzen von und in unter der Beachtung von

erhalten wir

Nach der Voraussetzung ist zweimal stetig differenzierbar in und , und dreimal stetig differentierbar in , also existiert eine Konstante mit

Damit ist , die Mindestkonsistenzordnung ist 2.

Nun untersuchen wir, ob eine höhere Konsistenzordnung möglich ist. Dafür müssen die Taylorreihen um eine weitere Potenz von erweitert werden. In dem Fall werden in ausgewertet, das zweite Differenzial in und die Taylorreste (enthält ) in bzw . Nach dem Einsetzen der erweiterten Reihen in erhalten wir ähnlich wie oben

wobei dieTaylorreste mit enthält. Die Fortsetzung von (3.14) ergibt

Daraus ist ersichtlich, dass die quadratischen Terme im Ausdruck für ,

Damit bleibt die maximale Mindestkonsistenzordnung (Konsitenzerodnung) dieses Verfahrens 2. Schließlich erhalten wir mit der Lipschtitz-Stetigkeit der Verfahrensfunktion die Konvergenzordnung 2 des verbesserten Eulerverfahrens.


Am Ende dieses Kapitels fassen wir nun das Vorgehen zur Bestimmung der Konsistenzordnung eines Einschrittverfahrens zusammen:

  1. Berechne die Taylorentwicklung der exakten Lösung an der Stelle ,
  2. Berechne die Taylorentwicklung der Verfahrensfunktion an der Stelle ,
  3. Setze die Taylorreihen in die Definition vom lokalen Fehler ein
  4. Ersetze die auftretenden Ableitungen von wie in (3.14) und (3.15) und vergleiche die resultienden Koeffizienten bei in . Sind diese Null, hat das Verfahren die Mindestkonsistenzordnug .
  5. Untersuche die Möglichkeit einer höheren Konsistenzordnung, analysiere den resultierenden Koeffizienten bei .


Bemerkung 3.3

Im Beispiel 3.5 haben wir gesehen, dass einige Terme aus mit
übereinstimmen, siehe (3.15). Dies führt zur folgenden Überlegung. Würde in der Taylorentwicklung der Verfahrensfunktion beim Term mit die Konstante stehen, würden die Terme komplett verschwinden und nur ein Teil von im führenden Fehlerglied stehen. Der lokaler Fehler wäre so minimal. Verfahren, die die Konstante des führenden Fehlerglieds minimieren nennt man auch optimal. Wir haben gesehen, dass das modifiziere Eulerverfahren (explizite Mittelpunktregel) aus dieser Sicht nicht optimal ist. Im nächstem Kapitel lernen wir die Einschritt Runge-Kutta Verfahren, deren Konstruktion mit mehreren Freitheitsgraden sich für die Verfahrenskoeffizienten anbietet. Die freien Parameter kann man so wählen, dass das resultierende Verfahren höchstmögliche Ordnung und kleinstmögliche führende Fehlerglieder haben.


  1. Man betrachtet hier die Funktion als Funktion zweier von abhängigen Variablen und , und verwendet die Kettenregel um die totale Ableitungen auszurechnen.