Kurs:Mikropolitik(WS 2018/19)/Unsicherheitszonen

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Autor: Olga Volkova

Exzerpt: Barnat, M. (2007). Organisationale Lernprozesse und Machtquellen. Eine Fallstudie. In Göhlich, M., König, E., und Schwarzer, C. Beratung (Hrsg.), Macht und organisationales Lernen. (S. 97 – 110). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Der Fall (S. 98)[Bearbeiten]

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) hat folgende Probleme:

  • Stagnation von Spenden
  • Die abnehmende Zahl an aktiven Mitgliedern

Notwendig: Eine Veränderung des Umgangs mit den Mitgliedern → Aktuell: Eine Initiierung der organisationalen Lernprozesse, verstanden als Änderung der Praktiken und Routinen (f.)

Die Fragestellung der Studie (S. 99)[Bearbeiten]

  • Im Mittelpunkt: Der Zusammenhang zwischen Macht und Organisationslernen → Problem: Macht ist unsichtbar (Bezug auf Foucault).
  • Methodische Grundausrichtung der Studie: Wie kann man Macht in Prozessen organisationalen Lernens identifizieren?
  • Konzeption von Crozier und Friedberg: Macht als Kontrolle von Unsicherheitsquellen
  • Positionaler Ausgangspunkt der Analyse: Welche Einfluss- bzw. Handlungsmöglichkeiten jemand hat, ergibt sich aus seiner Position in der Organisation.
  • Die Frage: Wie kann man analysieren, welche Akteure welche Machtquellen kontrollieren?
    • Hinweise auf Machtquellen bzw. -strukturen in Deutungsmustern (Bezug auf Ortmann et al. 1990)
    • Stories, also Erzählungen bzw. Situationsdeutungen, werden als Mittel im Kampf um Kontrolle verwendet (Bezug auf White 1992).


  • Die Studie analysiert die Deutungen der aktuellen Situation der Organisation durch die Mitglieder der Organisation.
  • Die Erprobung der Story-Telling-Analyse - eines halbstandardisierten Leitfaden-Interviews - im Hinblick auf die Möglichkeit, die Macht sichtbar zu machen.

Ergebnisse I: Organisationslernen im BUND (S. 100)[Bearbeiten]

  • Befragung der zehn Mitglieder des Umweltverbandes BUND – der Hauptamtlichen und der Ehrenamtlichen
  • Drei Typen der Erzählungen, die jeweils unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Wandel verdeutlichten:
    • Strategische Innovatoren :
      • Positive Einstellung zum Lernprozess der Organisation
      • Erkennen die Notwendigkeit der umfassenden Veränderungen, um die Krise des Verbandes zu überwinden.
      • Halten die Anpassung des Umweltverbandes an die veränderten Rahmenbedingungen für möglich
    • Bewahrer :
      • Erkennen den negativen Einfluss der veränderten Rahmenbedingungen auf den BUND, schätzen jedoch die Lage des Verbandes positiver ein als die strategischen Innovatoren
      • Sehen nicht die Möglichkeit und nicht die Notwendigkeit eines umfassenden Wandels des Umweltverbandes aufgrund der Ressourcenverhältnisse
      • Die Probleme sind nicht BUND-spezifisch → Erkennen keine Relevanz von internen Veränderungsprozessen
    • Operative Innovatoren :
      • Erkennen die Notwendigkeit der Veränderung
      • Sind bereit, den Verband zu verändern, aber nicht auf strategische Weise
      • Stufen die Probleme als nicht BUND-spezifisch ein

Ergebnisse II: Die Machtquellen (S. 101 - 104)[Bearbeiten]

Macht als die Möglichkeit, auf andere einzuwirken. Sie wird in Organisationen durch die Kontrolle von relevanten Unsicherheitszonen generiert (nach Crozier und Friedberg 1979). (S. 101)

„Jemand, der eine oder auch mehrere dieser Unsicherheitsquellen (für andere Organisationsmitglieder oder für die Organisation) kontrollieren kann, hat damit zumindest das Potenzial auf andere einzuwirken, und zwar je mehr, desto wichtiger seine Unsicherheitsquelle ist. Die Möglichkeitsräume für eigenes Handeln können sich dadurch ausweiten“.

Expertenwissen[Bearbeiten]

Laut einem Strategischen Innovator, der im Bereich des Marketings über Expertenwissen verfügt, ist die Arbeit an der Außendarstellung des Verbandes für die Verbesserung der Lage des Verbandes von ausschlaggebender Bedeutung. → Der Versuch, die Unsicherheitsquelle, die der Mitarbeiter beherrscht, wichtiger zu machen und somit seine strategischen Einflussmöglichkeiten zu stärken.

Beziehungen zwischen der Organisation und ihrer Umwelt[Bearbeiten]

Ein Strategischer Innovator schlägt für die Lösung des finanziellen Problems vor, Wirtschaftskooperationen einzugehen. → Nach der Realisierung des Vorschlags kann eine neue Unsicherheitsquelle entstehen, die denjenigen, die für die Pflege der Beziehungen zu den entsprechenden Wirtschaftsunternehmen zuständig sind, strategische Ressourcen liefern kann.

Ein Bewahrer hebt die Relevanz der Lobbyarbeit im Verband hervor, für die er selbst zuständig ist (f.). (S. 102)

Organisationsregeln[Bearbeiten]

Ein strategischer Innovator plädiert für die Abschaffung der Gremien, die einen Raum für die Mitsprachemöglichkeiten der Ehrenamtlichen bieten. → Reduzierung der Beteiligung der Ehrenamtlichen und gleichzeitig die Erweiterung der Handlungsspielräume für die

Hauptamtlichen, zu denen der Befragte gehört.

Kontrolle der Informations- und Kommunikationskanäle[Bearbeiten]

Schilderung der Einseitigkeit der Kommunikation mit den übergeordneten Einheiten (z. B. dem Landesvorstand)

  • Die Kontrolle der Unsicherheitsquelle des Informationsflusses durch denjenigen, die räumlich nahe an den übergeordneten Einheiten positioniert sind.
  • Von der zunehmenden Nutzung des Internets wird eine Erleichterung der Kommunikation erhofft.

Aktive Mitglieder als Unsicherheitsquelle (gibt’s nicht bei Crozier und Friedberg)[Bearbeiten]

  • Vorherrschende Ansicht, dass der Umweltschutz an sich eine so wichtige Sache ist, dass gute Menschen sich von selbst dafür engagieren müssten. → Kulturelles Problem aus der Perspektive der Gesamtorganisation: Nicht nur in den Umweltschutz an sich müssen Investitionen getätigt werden, sondern auch in die Anwerbung neuer Umweltschützer (f.). (S. 103)
  • Diese Quelle der Unsicherheit wird nicht kontrolliert.
  • „Die Gewinnung von aktiven Mitgliedern [...] stellt eine große Unsicherheitsquelle für den Verband dar, deren Wichtigkeit von den Interviewpartnern unterstrichen wird“. (S. 104)

Fazit der Fallstudie (S. 105 - 107)[Bearbeiten]

  • „In neun von zehn Fällen kann festgestellt werden, dass die Unsicherheitsquellen, denen die Befragten in der Zukunft des Verbandes eine wichtige Rolle zuweisen, in Zusammenhang mit ihren Handlungsräumen stehen“. (S. 105)
  • „Organisationales Lernen stellt sich als ein Kampf um die Deutungshoheit über die Lage der Organisation und geeignete Handlungsstrategien dar. Deutungsmuster sind in diesem Kampf um Machtverhältnisse sowohl Mittel als auch Gegenstand der Veränderung: Wessen Version von Wahrheit sich durchsetzt, hat maßgeblich Einfluss auf die Machtverhältnisse“.
  • Eine gelungene Aufdeckung der Machtquellen und damit auch -verhältnisse durch die Methode der Story-Telling-Analyse
  • Die Story-Telling-Analyse in Kombination mit der Positionsanalyse → Identifikation der Einstellungen gegenüber dem organisationalen Lernprozess in Kombination mit der Enthüllung der betroffenen Machtquellen. (S. 106 f.)
  • Schlüsse für das organisationale Lernen:
    • Die durch die Prozesse des organisationalen Lernens ausgelösten Veränderungen stehen in Relationen zu den Machtquellen der Akteure.
    • Wenn die Akteure die Machtquelle kontrollieren, die im Prozess des organisationalen Lernens an Relevanz gewinnt, dann sind sie dem Prozess gegenüber positiv eingestellt.
    • Es gibt auch Akteure, die neue Machtquellen kontrollieren, dennoch stehen sie dem Lernprozess der gesamten Organisation nicht offen gegenüber.
    • Sowohl die Unterstützung des Lernprozesses als auch der Widerstand gegen den Prozess hängen mit der Realisierung der Machtinteressen zusammen.
    • Man kann von der Stigmatisierung von Macht als egoistisch oder als kontraproduktiv absehen.
  • „Aus den Handlungsräumen und Positionen der Befragten kann man kein Muster erkennen, aus dem sich Prognosen darüber ableiten ließen, welche Machtquellen von wem anvisiert oder verteidigt würden“.
  • „Die Machtquellen, die von den verschiedenen Typen hervorgehoben werden, sind sich ähnlich. Was sich unterscheidet, ist die Strategie, mit der die Befragten unterschiedlicher Typen diese Machtquellen in den Vordergrund stellen“. → Die externen Beziehungen als Beispiel:
    • Ein Bewahrer verankert argumentativ seine externen Beziehungen in der Bestandssicherung der Organisation.
    • Ein Strategischer Innovator begründet aus der Krisensituation heraus die Notwendigkeit einer bestimmten Expertise von außerhalb der Organisation. (S. 106)
  • Es werden auch dieselben Themen dazu genutzt, um unterschiedliche Machtquellen hervorzuheben.
    • Außendarstellung des Verbandes als Beispiel: „Der Eine argumentiert dafür, das Expertenwissen als Machtquelle zu etablieren bzw. deren Wichtigkeit auszubauen. Der Andere hingegen plädiert für den Ausbau der Beziehungen zur Umwelt“. (S. 107)

Orientierungshilfen für die Beratung (S. 108)[Bearbeiten]

  • Bei einer intendierten Veränderung stellt sich das Problem der Einflussnahme auf die Steuerung der sozialen Prozesse
  • Nach White ist die Zielerreichung in den sozialen Prozessen schwierig. → Grund: Persistenz der bestehenden Routinen und Konstellationen
  • Die Analyse der Netzwerke der relevanten Akteure als Grundlage für die Intervention und Steuerung organisationaler Lernprozesse, weil die organisationalen Beziehungen einen großen Einfluss auf die Routinen und auf die Konstruktion der Wirklichkeit („Stories“) durch Identitäten ausüben. „Stories sind nicht in Stein gemeißelt, sondern werden in konkreten Situationen und unter bestimmten personellen Konstellationen generiert bzw. ausgewählt“. (S. 108)
    • Vorschlag: Die Erweiterung der Perspektive von Crozier und Friedberg durch die Analyse der sozialen Beziehungen und Kombination mit der Story-Telling-Analyse