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Kurs:Seminar zur Nachhaltigkeit in der Europäischen Agrarpolitik/Vorgeschichte

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Die Vorgeschichte der GAP

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Hintergründe

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Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) hat ihren Ursprung in der schweren Krise der Nahrungsmittelversorgung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. In den Jahren 1945-1948 war die Versorgungslage so schlecht, dass die Menschen hungerten. In manchen Gegenden Deutschlands und Frankreichs sank dabei die durchschnittliche Versorgung eines Erwachsenen auf unter 1000 Kalorien am Tag – in einigen Gegenden sogar auf 600-900 Kalorien. Dies ist weniger als die Hälfte dessen, was ein Erwachsener für ein gesundes Leben benötigt.

Vor allem in den Städten hatten die Menschen große Probleme überhaupt an Nahrungsmittel zu gelangen. Läden und Märkte waren entweder zerstört oder hatten mangels Nachschub nichts anzubieten. So blieben den Menschen nur noch ihre Lebensmittelmarken, die von staatlichen Stellen ausgegeben wurden, der Handel auf dem Schwarzmarkt oder das „Fringsen“.

Lebensmittelmarken

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Da nicht genug Lebensmittel zur Verfügung standen, mussten sie rationiert werden. Das bedeutet, dass man nicht einfach das und soviel kaufen konnte, wie man wollte – es gab sowieso kaum etwas zu kaufen. Man musste sich damals mit dem begnügen, was einem zugeteilt wurde. Diese Zuteilung geschah über Lebensmittelmarken, die festlegten welchen Anspruch man auf Lebensmittel hat.

Schwarzmarkt

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Alles, das über die Lebensmittelmarken hinausging, mussten sich die Menschen auf teils verschlungenen Wegen besorgen. Dafür suchten sie den inoffiziellen und meist auch illegalen Schwarzmarkt auf. Dort boten Händler jenseits jeglicher staatlicher Regulierung ihre Waren, Dienstleistungen und Lebensmittel an. Geld hatte auf dem Schwarzmarkt meist keinen Wert, da man sich damit sowieso nichts kaufen konnte. Deshalb tauschten die Menschen meist Waren und Dienstleistungen gegen Lebensmittel. Dabei ist anzumerken, dass in einem Zustand des völligen staatlichen Zusammenbruchs der Schwarzmarkt trotz seiner Illegalität und so manch krummer Geschäfte den Menschen oft das Überleben sicherte und in einigen Fällen von den Behörden deshalb geduldet wurde.

„Fringsen“

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Trotz aller Bemühungen hatten viele Menschen oft keine andere Möglichkeit, als zu „fringsen“. Dieser Ausdruck geht zurück auf den damaligen Kölner Kardinal Joseph Frings, der in seiner Silvesterpredigt 1946 sagte: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“ Damit spielte er darauf an, dass man in der größten Not auch den einen oder anderen Mundraub begehen kann. Ähnlich zu den Schwarzmarktgeschäften war das „Fringsen“ natürlich illegal, wurde aber angesichts der großen Not von den Behörden oft geduldet.

Gründe für die Not

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Drei Gründe sind vor allem für diese dramatische Situation zu nennen: die Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg, den Zusammenbruch des internationalen Lebensmittelhandels und die niedrige Produktivität der europäischen Landwirtschaft.

Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg
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Alle europäischen Staaten litten unter den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, die sich stark auf die Versorgung der Bevölkerung auswirkten. So waren beispielsweise Straßen, Bahngleise und Wasserwege stark beschädigt oder völlig zerstört. Damit konnten Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht dorthin transportiert werden, wo sie benötigt wurden z.B. in den Städten.

Schwerwiegend war auch die fast völlige Zerstörung der chemischen Industrie. Denn diese produzierte den Dünger, der für die Landwirtschaft damals wie heute dringend notwendig war und ist. Die Landwirte mussten darauf in den Nachkriegsjahren weitestgehend verzichten und fuhren dementsprechend schlechte Ernten ein.

Zusammenbruch des internationalen Handels
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Der zweite wesentliche Grund für die schlechte Versorgungslage war der Zusammenbruch des internationalen Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen – sowohl zwischen den europäischen Ländern untereinander als auch zwischen Europa und dem Rest der Welt. Denn trotz aller Feindschaft, die letztendlich zu den Weltkriegen geführt hatte, handelten die Staaten vor dem Zweiten Weltkrieg viel miteinander. So waren damals Getreideimporte aus Frankreich und aus großen Agrarstaaten wie den USA, Kanada oder Australien gerade für Deutschland sehr wichtig. Denn hier war die Landwirtschaft nicht in der Lage den heimischen Bedarf ausreichend zu decken und es gab eine beständige Versorgungslücke. Diese konnte vor dem Krieg noch durch den internationalen Handel ausgeglichen werden indem Überschüsse in anderen Staaten aufgekauft wurden.

Nach dem Krieg fiel diese Möglichkeit weg. Die europäischen Staaten handelten gar nicht mehr miteinander. Dies lag einerseits am Krieg selbst, der zu einem Abbruch aller Handelsbeziehungen geführt hatte. Andererseits lag das aber auch daran, dass nirgendwo genug Lebensmittel produziert wurden, um Überschüsse zu verkaufen. Die Ernten waren in den direkten Nachkriegsjahren außerordentlich schlecht.

Niedrige Produktivität

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Die Probleme der europäischen – und vor allem auch der deutschen Landwirtschaft -waren allerdings auch hausgemacht. Denn sie war gefangen in einem Teufelskreis von niedriger Produktivität und niedrigen Einkommen. Die Landwirte erwirtschafteten gerade so viel, dass sie sich und ihre Familien ernähren konnten. Für Investitionen in moderne Maschinen z.B. Traktoren und neue Produktionsanlagen war überhaupt kein Spielraum. Die europäische Landwirtschaft entwickelte sich nicht weiter und produzierte weiterhin mit völlig veralteten Methoden. So wuchs die europäische Bevölkerung und mit ihr der Bedarf nach Nahrungsmitteln. Die landwirtschaftliche Produktion jedoch konnte mangels Investitionen nicht mit dem Wachstum schritthalten. Folglich kam es zu einer beständigen Versorgungslücke, die nur durch den internationalen Handel ausgeglichen werden konnte.

So führte die niedrige Produktivität zu niedrigen Einkommen und die verhinderten wiederum die Modernisierung der Produktion und damit die Steigerung der Produktivität. Die schlechte Situation europäischer Landwirte hatten ihren Ursprung in zweierlei Umständen: Erstens behinderten kleinbäuerliche Strukturen die Modernisierung und Ausweitung der Produktion. Zweitens litten die Landwirte unter dem sogenannten „Farm Problem“, dem Grundproblem der Landwirtschaft.

Kleinbäuerliche Strukturen
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Landwirtschaftliche Betriebe in Europa waren überwiegend kleinbäuerlich geprägt. Das bedeutet, dass die meisten Höfe sowohl in Deutschland, Frankreich, Belgien oder Italien kleine Familienbetriebe waren, die ein bis zwei Hektar Land bewirtschafteten. Auf solch kleinen Flächen kann man nicht besonders viel anbauen und folglich auch nur sehr wenig verkaufen und einnehmen. Schon hierdurch hatten die europäischen Landwirte und alle in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen allgemein ein sehr geringes Einkommen. So blieb am Ende des Wirtschaftsjahres nichts übrig, das in die Modernisierung gesteckt werden könnte.

Das Grundproblem der Landwirtschaft
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Außerdem litten die europäischen Landwirte, wie ihre Kollegen überall auf der Welt, unter einem verzwickten Einkommensproblem. Denn das Einkommen eines Hofes wird von Faktoren beeinflusst, die ein Landwirt kaum kontrollieren kann. So ist es sehr stark abhängig von seinem Ernteertrag: Ist die Ernte gut, kann der Landwirt viel verkaufen und hat ein gutes Einkommen. Ist die Ernte schlecht, kann der Landwirt auch wenig verkaufen und hat damit auch ein niedrigeres Einkommen. Die Ernte wiederum ist stark abhängig vom Wetter und das ist bekanntlich weder vorhersehbar noch kann man daran etwas ändern.

Zu gutes Wetter und zu gute Ernten sind jedoch auch nicht unbedingt positiv für das Einkommen des Hofes. Haben alle Landwirte gute Ernten, ist entsprechend viel Angebot auf dem Markt und die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse fallen. So kann es sein, dass ein Landwirt trotz hervorragender Ernte und hohen Erträgen ein geringeres Einkommen hat als in durchschnittlichen Jahren, weil er pro Einheit eines Erzeugnisses einen geringeren Preis erzielen kann.

Zusammenfassung

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Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges sahen sich die europäischen Staaten und ihre Bevölkerungen mit den verheerenden Konsequenzen konfrontiert. Die schlimmste davon war, dass die Bevölkerungen hungerten. Unter diesem Eindruck beschlossen die europäischen Regierungen, in Zukunft zusammenzuarbeiten und gemeinsam für die Versorgung der europäischen Völker zu sorgen. Eine verlässliche Nahrungsmittelsicherheit, also die Bereitstellung von ausreichenden Lebensmitteln, sollte der Grundstein für stabile Gesellschaften und Wohlstand werden.

Als erste Maßnahme sollte europäischen Landwirten unter die Arme gegriffen werden. Es sollten Bedingungen geschaffen werden, die ihnen ein verlässliches und ausreichendes Einkommen ermöglichen. Das Einkommen sollte so hoch sein, dass Landwirte noch genug Geld übrig haben, um ihre Produktion zu modernisieren und ihre Produktivität zu steigern. Dies sollte wiederum dazu führen, dass europäische Landwirte so viel produzieren können, dass sie die Versorgung der europäischen Bevölkerung sicherstellen können.

Mit dieser Unterstützung sollten die europäischen Landwirte den oben beschriebenen Teufelskreis von niedriger Produktivität und geringen Einkommen verlassen können. Alle Landwirte zusammengenommen sollten dadurch auch insgesamt mehr produzieren und die Versorgung der europäischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sicherstellen.

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Arbeitsaufträge

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  • Die Bevölkerungen der europäischen Staaten litten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg große Not. Beschreiben Sie die Versorgungslage der europäischen Bevölkerung in den Jahren zwischen 1945 – 1950.
  • Im Gegensatz zu heute konnten die Menschen damals nicht einfach im Supermarkt einkaufen. Welche Möglichkeiten blieben den Menschen um an Lebensmittel zu gelangen?
  • Die dramatische Versorgungssituation hat sich nicht über Nacht entwickelt. Nennen Sie die wesentlichen Faktoren, die dazu geführt haben. Erklären Sie insbesondere die Gründe für die niedrige Produktivität der europäischen Landwirtschaft und im Zuge dessen das Grundproblem der Landwirtschaft.