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Kurs:Unternehmensführung /Fallstudien

Aus Wikiversity

Kap 1

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Fallstudie: Jürgen Heinrich

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Am 23. Mai 2006 wurde es offiziell: „Neuer Chefredakteur der Tageszeitung ‚Die Post’ wird Jürgen Heinrich. Damit wurde zum dritten Mal innerhalb von 4 Jahren ein Personalwechsel an der Spitze der traditionsreichen Regionalzeitung vorgenommen.“ Die Zeitung war in den letzten 5 Jahren praktisch nicht mehr aus den Schlagzeilen gekommen und von einer Krise in die nächste geschlittert. Zunächst hatten der Zusammenbruch der New Economy und die konjunkturellen Auswirkungen des „11. Septembers“, die das Anzeigenvolumen der gesamten Branche praktisch halbiert hatten, das Zeitungsunternehmen stark getroffen und in eine tiefe finanzielle Krise gestürzt. Um Kosten einzusparen, wurde die Belegschaft zunächst um 20 % und in einer zweiten Sparrunde noch einmal um 15 % reduziert. Diese Umstrukturierung – die zum großen Teil auch den redaktionellen Teil betraf –, ging nicht spurlos an dem Blatt vorbei. Eine Reihe von Abonnenten, die ‚Die Post’ seit Jahrzehnten bezogen hatten, kündigte – weniger allerdings aufgrund des deutlichen reduzierten Leistungsangebotes, sondern vielmehr, weil ihnen der zweifach vorgenommene Versuch, die Zeitung optisch zu verjüngen, nicht gefiel. Als Heinrich am 1.7. 2006 seine neue Funktion übernahm, war er um diese Aufgabe wirklich nicht zu beneiden und der Einstieg in eine für ihn nahezu unbekannte Redaktion war nicht leicht. Die Zeitung hatte seit Jahresbeginn auch einen neuen Mehrheitseigentümer, der aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage auf weitere Kostensenkungsmaßnahmen drängte. Das machte Heinrichs Pläne zum Einstieg nahezu zunichte, hatte er sich doch vorgenommen, erst einmal wieder Vertrauen in der Redaktion zu schaffen, um damit auch die notwendige Ruhe in den Laden zu bringen. Jetzt wurde er gleich bei seiner ersten Redaktionssitzung auf die neuen, bereits durchgesickerten Sparpläne angesprochen und musste dazu Stellung bezie- hen. Er versuchte erst einmal zu beschwichtigen und sagte, was auch stimmte, dass es noch nicht ausgemacht sei, ob die Redaktion dieses Mal überhaupt einbezogen würde. „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe diese Aufgabe übernommen, weil ich davon überzeugt bin, dass ‚Die Post’ nach wie vor eine hervorragende Zeitung ist und dass wir gemeinsam den notwendigen Kurswechsel erfolgreich gestalten werden. Mir ist klar, dass so etwas nur gelingt, wenn wir die dazu notwendige personelle Ausstattung haben. Ich kann Ihnen deshalb versichern, dass ich mich bei der Verlagsleitung nachhaltig dafür einsetzen werde.“ Heinrich sah in die Runde und spürte, dass Worte in diesem Kreise nicht mehr alleine ausreichen würden. Er setze seine Präsentation fort, indem er sein journalis- tisches Rahmenkonzept für ‚Die Post’ der Zukunft erläuterte, das zunächst daraus bestehen sollte, vier Arbeitsgruppen zu bilden, die an den von Heinrich identifizier- ten zentralen Problemfeldern: „Blatt-Profil“, „Redaktionsorganisation“, „Junge Leser“ und „Anzeigenkunden“ arbeiten sollte. Diese Arbeitsgruppen sollten sich möglichst schnell konstituieren und sowohl aus Redaktionsmitgliedern als auch teilweise aus Verlagsmitarbeitern bestehen. Diese Ankündigung löste eine gewisse Unruhe im Raum aus. Heinrich schloss die Sitzung indem er ankündigte, mit allen Redaktionsleitern und leitenden Redakteuren in den nächsten zwei Wochen persön- liche Gespräche zu führen.

Als er den Konferenzraum verließ, stand bereits der Betriebsrat im Vorzimmer und bat um ein Gespräch. Heinrich schlug vor, dass man runter in die Kantine gehen und gemeinsam zu Mittag essen könne, der Betriebsrat wollte jedoch ein Gespräch unter vier Augen. „Gut, meinte Heinrich, „dann starten wir doch sofort“. Vorher reichte er noch schnell seiner Sekretärin einen Zettel mit Namen rüber: „Wären Sie so freundlich, mir mit allen diesen Personen jeweils einen Gesprächstermin in den nächsten zwei Wochen zu vereinbaren. Wäre prima, wenn Sie auch diese Reihenfol- ge einhalten können und bitte legen Sie keine Termine auf die Redaktionskonferen- zen, da muss ich immer dabei sein, in Ordnung?“

„Ok. Sie denken auch daran, dass Sie heute Abend die Veranstaltung mit der Ober-

bürgermeisterin haben?“

„Nein, wieso das denn.“
„Na ja, den Termin hatten wir bereits Anfang des Jahres zugesagt und es wäre...“
„Kann das nicht Reinhard übernehmen? Sagen Sie ihm Bescheid“.
„Schon, aber vielleicht wäre es doch keine schlechte Gelegenheit für Sie, sich hier in

der Stadt zu präsentieren, ich dachte...

„Ja, in Ordnung. Es ist vielleicht nicht gerade der passendste Augenblick, aber

vielleicht trotzdem eine gute Gelegenheit. Erinnern Sie mich nachher noch einmal daran und bereiten Sie vielleicht am besten schon einmal vor, wer alles kommt, mit so ein paar Hintergrundinformationen über die relevanten Personen usw. Sie wissen schon, was ich meine.“

„Klar, geht in Ordnung.“

Das Treffen mit dem Betriebsrat dauerte länger als Heinrich eigentlich Zeit hatte, aber es entwickelte sich ein vertrauensvolles Gespräch und er erfuhr sehr viel über die Mentalität im Hause. Das ganze verlief natürlich nicht ohne Hintergedanken ab, aber er hatte genug Berufserfahrung, um sich nicht blind vor einen Karren spannen zu lassen. Solche Gespräche hatten immer das Muster: „Gibst Du mir, so gebe ich Dir.“ Man musste nur sehen, dass die Relation stimmte. Heinrich versicherte schließlich, dass er alles tun werde, was in seiner Macht stün- de.

Er holte sich ein Brötchen aus der Kantine und wollte die nächsten zwei Stunden nicht gestört werden, um sich in Ruhe die Zahlen anzusehen, die er sich vom Ver- lagscontrolling hatte zusammen stellen lassen. Auch das war hier im Hause offen- sichtlich neu, denn noch nie hatte ein Chefredakteur wirklich wissen wollen, wie die Herstell- und Vertriebskosten genau aussahen. Was er allerdings dann lesen durfte, steigerte nicht gerade seine Euphorie. Nachdenklich sah er aus dem Fenster. Dann ließ er sich mit der Verlagsleitung verbinden.



Fragen zur Fallstudie

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  • 1. Analysieren Sie, welche Managementrollen Jürgen Heinrich im Einzelnen wahrnimmt.
  • 2. Welche Managementfunktionen werden insgesamt in der Fallstudie beschrieben?


Kap 2

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Fallstudie: Zeus AG

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Die Wände am Hauptsitz des Sportartikelherstellers Zeus dokumentieren das soziale Engagement der Firma nicht ohne Stolz und sie verfehlen auch nicht ihre Wirkung. Wie an einer Ahnengalerie schreiten die Besucher entlang der elegant gerahmten Auszeichnungen und Preise, die das Unternehmen in den letzten Jahren erhalten hat, darunter den Preis des Familienministeriums für „Verbesserung der Lebensqualität in den Städten und Kommunen“. Stolz war man bei Zeus aber nicht nur auf das soziale Engagement, sondern auch darauf, dass Umsatz, Gewinn und Aktienkurs in gleichem Maße zur Reputation des Unternehmens gewachsen war. Das Engagement von Zeus fand lange Zeit ein ausschließlich positives Echo in der nationalen aber auch internationalen Presse. Die öffentliche Meinung war sich einig: dieses Unternehmen spricht nicht nur davon, sondern es tut auch Gutes. 5 % des Vorsteuergewinns fließen jährlich in die Zeus eigene Sportstiftung „Zweite Chance“. Großes Echo fand ebenfalls die Aktion, nach dem Tsunami sofort ganze Lagerbestände an Kleidung und Schuhen nach Asien zu senden, ebenso wie die in über 100 Städten und Gemeinden etablierte Jugend-Sport-Veranstaltung „Zeus-in-Town“. Außerdem hatte Zeus als erstes Unternehmen seinen Mitarbeitern ermöglicht, 5 % ihrer Arbeitszeit für Sozialprojekte zu verwenden. Aber die Erfolgsgeschichte von Zeus hat auch eine zweite Seite. Das Unternehmen macht nicht nur großzügige Spenden für asiatische Armutsprojekte, sondern forciert dort seit zwei Jahren auch die Verlagerung der Produktion an die Standorte mit den jeweils niedrigsten Löhnen. Zuletzt hatte Zeus seine Produktionsstätten in Südkorea komplett geschlossen und nach Indonesien und China verlagert. In Europa produziert das Unternehmen keinen einzigen Schuh mehr, nicht einmal mehr in Osteuropa. Auch dort wurden Produktionsstätten geschlossen und Mitarbeiter auf die Straße gesetzt. „Wir können uns ja jetzt“, so die bissige Anmerkung eines ehemaligen Beschäftigten, „unsere Sozialdienste selber zukommen lassen“. Aus dem Zeus Vorstand war zu dem Vorgang nur vermeldet worden, dass die Verlagerungen eine Einsparung im oberen zweistelligen Millionenbereich bedeutete. Es sei schlichte Notwendigkeit im Zeitalter der Globalisierung solche Kostenreduzierungen zu realisieren, sonst wäre man „schneller weg vom Fenster als man schaut“. Die Schließungen treffen die meisten Familien oft doppelt und dreifach, da Zeus i.d.R. immer in sehr strukturschwache Gebiete (und häufig mit Förderhilfen der jeweiligen Regierungen) investiert hat, wo die Bevölkerung traditionell noch von der Landwirtschaft lebte. In Deutschland war dies vor allem in der Region Emden in Friesland. Wenn Zeus die Produktionsstätten in diesen Regionen aufgibt, hinterlassen sie nicht nur arbeitslose Arbeiterinnen und Arbeiter mit wenig Aussicht auf eine andere Beschäftigung in der Region, sondern auch ganze Familien, die ihre ursprüngliche Erwerbsform verloren haben. „In machen Regionen sieht es aus wie nach einem Krieg“, so ein Beobachter vor Ort. Das Management von Zeus verweist jedoch darauf, dass es alle Grundstücke von den ehemaligen Bauern, die dann Angestellte in den Produktionsstätten wurden, immer weit über Marktpreis gekauft hätte. Zudem habe man alle Subventionen zurückgezahlt und hinterlasse eine gut ausgebaute Infrastruktur, wo es früher nicht einmal eine Straße gegeben hätte.

Fragen zur Fallstudie

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  • 1. Diskutieren Sie das Vorgehen von Zeus aus der Perspektive des Stakeholderansatzes! Welche Ausrichtung verfolgt das Unternehmen diesbezüglich?

Die Zeus AG baut Legitimitätsfassaden auf, um pragmatische, moralische und kognitive Legitimität aufzubauen. Die moralische Legitimität sicherte die Zeus AG mit dem Engagement ihrer Arbeitnehmer für soziale Projekte, die 5% der Arbeitszeit dafür aufwenden konnten. Die kognitive Legitimität für die externen Beobachter in der nationalen und internationalen Presse erschloss sich die Zeus AG beim Tsunami, als sie ihre Sportartikel-Lager als Hilfgüter in das asiatische Katastrophengebiet sandte; dadurch verhielt sie sich entsprechend einem Handlungsmuster, Menschen in Not uneigennützig zu helfen. Die pragmatische Legitimität erreichte die Zeus AG durch ihr Arbeitsplätze-Angebot für ursprünglich bäuerliche Milieus und Infrastruktur-Investitionsanreize für die Region. Die Zeus AG führte 5% des Vorsteuer-Gewinns an eine eigene Sport-Stiftung ab. Das Eigeninteresse des Fiskus durch die von der Zeus AG aufgetane Steuerquellen prämierte das Familienministerium mit dem Preis für „Verbesserung der Lebensqualität in den Städten und Kommunen“

Stakeholder Legitimacy Power Urgency
Familienministerium +++ +++ ++
Presse +++ +++ +++
Arbeitnehmer +++ + +++
  • 2. Welcher ethische Konflikt tut sich durch die Verlagerung der Produktionsstätten auf? Wie sind die Argumente des Zeus-Managements zu beurteilen?

Ethischer Konflikt

    • die Gewinne der Zeus AG sind nur durch das Miteinanderhandeln von Kapital, Management und Arbeit möglich. Der globale Preis-Wettbewerb setzt die Zeus AG Risiken aus, welche die Arbeitnehmer und der Fiskus allein tragen sollen.
      • Verteilungsgerechtigkeit: In diesem Vorgang kann man für die Risiko-Allokation ein ethisches Problem der Verteilungsgerechtigkeit erkennen.
      • Verfahrensgerechtigkeit: In diesem Vorgang ist die Verfahrensgerechtigkeit verletzt, weil die Arbeitnehmer keine Mitbestimmungsmöglichkeit in der Zeus AG haben
      • Globale Gerechtigkeit: In diesem Vorgang ist die Globale Gerechtigkeit strittig, weil nicht klar ist wie Einkommenschancen gerecht zwischen der Regionen im globalen Raum zugeteilt werden sollen.

Argumente der Zeus AG

Die Zeus AG bringt als Argument ein, dass die ehemaligen Arbeitnehmer ihre bäuerlichen Parzellen über Marktpreis los wurden. Im Grunde will sie damit sagen, dass ihre Nachteile in der Tauschgerechtigkeit die Nachteile der Arbeitnehmer bei der Verfahrensgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit aufwiegen. Die Zeus AG macht dabei aber einen Fehler in der Problem-Definition. Jede Gerechtigkeitsform hat ihre eigene Konfliktlösungsmethodik. Es gibt keinen Vergleichsmaßstab, um Nutzenquanten bei Vor- und Nachteilen einer Gerechtigkeitsform gegen die andere Gerechtigkeitform aufwiegen zu können.

  • 3. Handelt Ihres Erachtens die Zeus AG ethisch vertretbar?

Im engeren philosophischen Sinn handelt die Zeus AG nicht ethisch vertretbar, weil sie Gerechtigkeitsformen gegeneinander aufwiegen will. Im Kontext der Unternehmensethik ist zunächst unklar, ob der Kostenvorteil durch Produktionsverlagerung mit dem methodischen Grundsatz "Sollen impliziert Können" legitimiert werden kann. Die Zeus AG entschied sich für die Produktionsverlagerug, ohne die Arbeitnehmer mitwirken zu lassen. So ist in einem Dialog nicht geklärt worden, ob die Produktionsverlagerung ("Können") abwendbar war, um über das "Sollen" des Zeus Management urteilen zu können.

Eine ideale Sprechsituation lag nicht vor bei dem Konflikt, denn die Familien in der Region wurden nicht angehört. Die Entscheidung kann daher nicht in der Fiktion eines idealen Dialoges zwischen den Bezugsgruppen als ethisch beurteilt werden.

  • Unvoreingenommenheit: Das Zeus AG Management trifft die Produktionsverlagerung als strategische Massnahme für die Zukunftsorientierung. Die Zukunft im dynamischen Wettbewerb ist unsicher. In der Globalisierung wird die Wettbewerbssituation als neoklassisischer Preiswettbewerb wahrgenommen.
  • Zwanglosigkeit: Die abwesende Mitbestimmung der Zeus AG Mitarbeiter und die Dominanz der Großaktionäre übertragen dem Management Macht zur partikularistischen Interessensdurchsetzung ohne Opfer-Entschädigung.
  • Aufrichtigkeit: die Aufrichtigkeit der Zeus AG ist zweifelhaft, weil Sportartikel nicht zum Produktionspreis abgesetzt werden. Die Kosteneinsparung bei den Arbeitnehmern könnte nicht die Erklärung für die Produktionsverlagerung sein.

Literaturhinweise

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Zum Stakeholder-Ansatz:

  • Freeman, R. E., Strategic management: A stakeholder approach, Boston u. a.

1984.

  • Jones, T. M./Wicks, A. C., Convergent stakeholder theory, in: Academy of

Management Review 24 (1999): 206–221.

Zur Verfassung erfolgsorientierten Handelns in der Unternehmung (Unternehmensverfassung):

  • Gerum, E./Mölls, S., Unternehmensordnung, in Bea, F.X./Schweitzer, M.

(Hrsg.), Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1: Grundfragen, 10. Aufl., Stuttgart 2009, S. 225-311.

  • Clarke, T. (Hrsg.), Theories of corporate governance, New York 2004.

Zur Unternehmensethik:

  • Epstein, E. M., Business Ethics, corporate good citizenship and the corporate

social policy process: A view from the United States, in: Journal of Business Ethics 8 (1989): 583–595.

  • Maak, Th./Ulrich, P., Integre Unternehmensführung, Stuttgart 2007

Steinmann, H., Betriebswirtschaftslehre und Ethik. Ein Ausblick, in: Scherer, A.G./Patzer, M. (Hrsg.), Betriebswirtschaftslehre und Unterneh- mensethik, Wiesbaden 2008, S. 339–352