Projekt:Dresdner Glossar/Pioniergeburtstag
»Fröhlich sein und singen«
Christine Wagner ND 13.12.1997
Erinnern Sie sich noch an den 13. Dezember in der DDR? An diesem Tag vergnügten sich kleine Steppkes in ihren Schulen bei lustigen Parties. Sie feierten Pioniergeburtstag und Lehrer, Parteiveteranen und Patenbrigaden - weniger streng als sonst - mit ihnen. Es gab Kaffee und Kuchen und bei lustigen Spielen Preise zu gewinnen. Ganz ohne Agitation verlief der Festtag nicht. Nach dem Kulturprogramm mußten die besten Pioniere zur Auszeichnung strammstehen. Die Allerallerbesten durften sich in das Buch der Pionierorganisation ihrer Schule eintragen.
Die Kleinsten, gerade mal drei Monate in der Schule, erhielten ihren ersten Ausweis. Wohl nur einmal im Leben trat die Mehrzahl der DDR-Bürger - immerhin über 86 % - freiwillig und begeistert einer Organisation wie dieser bei. Auf dem Mitgliedsausweis, den das Pionierabzeichen »Seid bereit« mit der ewig lodernden Flamme zierte, stand, was alle Pioniere zu lieben hatten: erst die DDR und dann die Eltern. Junge Pioniere sollten außerdem Freundschaft mit den Kindern der Sowjetunion und aller Länder halten, Sport treiben, den Körper sauber und gesund halten, alle arbeitenden Menschen achten und überall helfen. Singen, tanzen und spielen taten sie ohnehin gern. In der vierten Klasse wurde man Thälmannpionier und mußte Beitrag zahlen. Die Eltern bestellten die »ABC-Zeitung« ab und abonnierten »Die Trommel«.
Bei feierlichen Anlässen wie dem Pioniergeburtstag trugen die Kinder eine Uniform, die aus weißer Baumwollbluse, dunkelblauer Hose (bzw Rock) und blauem - später rotem - Halstuch bestand. Die Rangabzeichen am Ärmel gaben Auskunft, wer welches Amt begleitete: Der Freundschaftsratsvorsitzende trug drei Balken, das Mitglied des Freundschaftsrates und der Gruppenratsvorsitzende zwei und das Mitglied im Gruppenrat einen. Die Uniform war den meisten Kindern ein Greuel. Das blaue Halstuch, das sie gern zu tragen hatten, verschwand nach Zeugnis-Ausgaben und Fahnenappellen bei vielen schnell im Schulranzen. Der Forderung der inzwischen verstorbenen Schauspielerin Steffie Spira am 4. November 1989 bei der großen Demo auf dem Alexanderplatz: »Nie wieder Fahnenappell!« stimmen wohl fast alle ehemaligen Pioniere zu. Durch Appelle wurden auf unangenehme Weise Unterwürfigkeit und Disziplin des autoritären Erziehungssystems eingefordert.
Pünktlich vor dem Pioniergeburtstag erschienen jetzt die CD »Blaue Wimpel im Sommerwind« (Barbarossa). Das Album enthält Originalaufnahmen mit DDR-Pionier- und Kinderchören. Die Mitsingelieder der Pioniere hießen z. B. »Soldaten sind vorbeimarschiert«, »Blaue Wimpel«, »Kleine weiße Friedenstaube« oder »Geh voran Pionier«. Chöre sangen meist Lieder, bei denen die Pioniere zuzuhören hatten. Viele davon komponierten Hans Naumilkat, Hans Sandig und der Musical- und Schlagerkomponist Gerd Natschinski. Pionierlieder setzten die proletarischen und z. T. jugendbündischen Traditionen der Zeit vor der Gründung der DDR fort. Der Wechsel von Strophe und Refrain, die einfache, meist einstimmige Melodieführung waren charakteristisch. Erwachsene dichteten Texte von einer heilen Welt und appellierten infantil an die Liebe zu Mutti, die Soldaten, die immer scheinende Sonne und die zu schützende Heimat. Indem die Pioniere sie sangen, verinnerlichten sie die von den autoritären Großen erteilten pädagogischen Ratschläge. Schizophrene Zeilen wie »Es wollten zwei auf Reisen gehen/und sich die weite Welt besehen« blieben nicht aus. Nur wenige Lieder berühren heute nicht peinlich. »Friedenslied» oder »Wer möchte nicht im Leben bleiben« gehören dazu. Sie strahlen jene friedfertige Gelassenheit aus, die ich mir in der DDR im Umgang mit Andersdenkenden und heute mit der DDR-Vergangenheit wünschte.
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