Projekt:Politik der Wende/Glossar/Chilenische Kommunisten in der BRDDR
Heute vor 50 Jahren fand in Chile ein Militärputsch gegen die demokartie gewählte Regierung statt. Aus diesem Anlass wiederholen wir diesen Beitrag über chilenische Migrat:innen in der DDR. In vier Beiträgen widmen wir uns im Frühjahr den weniger bekannten, kleineren Gruppierungen, die aufgrund politischer Verfolgung seit Ende des Zweiten Weltkrieges in die sowjetische Besatzungszone und in die spätere DDR emigrierten. Vorhergehende Beiträge: Einwanderung in die DDR: Spanische Kommunist:innen im Exil; Aus Griechenland. „Markos-Kinder“ im Exil
Der Putsch in Chile 1973 Bis 1970 waren die formellen Beziehungen der DDR zu Chile eher gering. Doch mit der Machtübernahme des demokratisch gewählten marxistisch-sozialistischen Präsidenten Salvador Allende im Oktober 1970 (unterstützt durch das Linksbündnisses Unidad Popular), rückte Chile auf der politischen Agenda der DDR weiter nach oben.
Die tiefgreifenden sozialen und ökonomischen Reformen Allendes führten in Chile zu einer Polarisierung. Allendes Regierungszeit war zunehmend geprägt durch politische Konfrontationen, die in einer Eskalation endete. Im Morgengrauen des 11. Septembers 1973 begann der Putsch der Streitkräfte Chiles, in dessen Verlauf die demokratisch gewählte Regierung Chiles gestürzt wurde. Das in den Präsidentenpalast eindringende Militär fand Allende mit einer Schusswunde im Kopf tot auf. Maßgeblich am Putsch beteiligt war der chilenische General Augusto Pinochet. Vom 11. September 1973 an regierte er Chile bis zum 11. März 1990 diktatorisch, zunächst als Vorsitzender einer Militärjunta, später als Präsident. Er wurde nie demokratisch gewählt.
Unmittelbar nach dem Putsch gab es die meisten Opfer. Allein am 11. September wurden 2.131 Menschen aus politischen Gründen verhaftet, bis Ende des Jahres 1973 waren es 13.364. Opfer waren vor allem Mitglieder und Sympathisanten von Regierung, Linksparteien und Gewerkschaften.
„Solidaritätsmaßnahmen“. Aufnahme politischer Geflüchteter aus Chile in der DDR Bereits am 25. September 1973, zwei Wochen nach Pinochets Putsch, beschloss das DDR-Politbüro „Solidaritätsmaßnahmen“ zur Aufnahme politischer Flüchtlinge aus Chile.
DDR-Staatschef Erich Honecker hatte unmittelbar nach dem Militär-Putsch durch General Pinochet in Chile am 11. September 1973 erklärt, dass die DDR verfolgten Chilenen Asyl bietet. In den folgenden Monaten und Jahren kamen rund 2.000 chilenische Flüchtlinge in die DDR.
Das „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“ in Santiago de Chile ist dem Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet gewidmet. Weltkarte im Museum, die zeigt, wohin Chilen:innen ins Exil gingen … … auch nach Europa. Asyl nur für chilenische Revolutionäre Das Asyl in der DDR war kein universelles Recht für politisch Verfolgte aus Chile. Um Asyl in der DDR zu bekommen, brauchte es eine politische Prägung, die der DDR nahestand. Folglich wurden insbesondere Kommunist:innen (Partido Comunista) und Sozialist:innen (Partido Socialista) und der Unidad Popular zugehörige Chilen:innen aufgenommen. Kein Anrecht auf Asyl hatten dagegen Anhänger:innen der christlichen Parteien, die offensichtlich nicht als „ideologisch zuverlässig“ galten. Ebenso galt das für parteiferne Chilen:innen.
Der Weg in die DDR Der Weg ins Exil war für viele Chilen:innen von Angst und Unsicherheit geprägt. Um die Flucht aus Chile zu schaffen, brauchte es häufig die Hilfe von Organisationen wie dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) oder Amnesty International. Häufig gelang die Flucht in die DDR nur über Zwischenstationen in anderen Ländern, wobei ausländische Botschaften halfen. Wenn sie den Aufnahmekriterien entsprachen, konnten sie per Flugzeug einreisen. Am Flughafen Berlin Schönefeld wurden die Ankommenden erwartet und zur ersten Unterkunft gebracht.
Chilen:innen kommen in die DDR – Aufnahme Die ersten zwei Monate verbrachten die chilenischen Neuankömmlinge zunächst in größeren Sammelstellen. Das waren zumeist Hotels oder Ferienheime des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Dort wurden sie medizinisch betreut und ihre Papiere in Ordnung gebracht. Ferner bekamen sie Deutschkurse und Schulungen. Danach verteilte man sie auf verschiedene Städte wie Halle, Dresden, Gera, Suhl, Cottbus, Leipzig und Rostock.
Die jeweiligen Bezirksräte hatte die schwierige Aufgabe, Wohnungen und „zumutbare“ Arbeitsstellen für die chilenischen Emigranten zu finden. Angesichts der chronischen Wohnungsnot und langer Wartelisten von Wohnungssuchenden war dies ein besonders schwieriges Unterfangen. Von oben hieß es, die Chilen:innen müßten bei der Bereitstellung von Wohnungen unbedingt bevorzugt werden – so schrieb es die internationale Solidarität vor. Bei der DDR-Bevölkerung führte dies mitunter zu Unmut, wenn z.B. die lang ersehnte und zugesagte Neubauwohnung nun chilenischen Emigranten gegeben wurde.
Dennoch liefen die Unterbringung und Eingliederung der Emigranten relativ unbürokratisch ab. Bis Dezember 1974 flossen insgesamt 9,6 Millionen Mark, zum großen Teil aus Mitteln des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, in die Eingliederungsmaßnahmen der chilenischen Migrant:innen. So erhielt jede chilenische Familie mindestens 2.500 Mark Übergangsgeld, um die Zeit zu überbrücken, bis eine Arbeitsstelle für sie gefunden wurde. Das entsprach mehr als dem Dreifachen des durchschnittlichen Monatsverdienstes einer Arbeiterin in der DDR. Zur Einrichtung von Wohnungen gewährte die DDR langfristig zinslose Kredite, die in sehr niedrigen Raten (5% des Nettoeinkommens) abzuzahlen waren.
Wer kam? Die chilenischen Kommunisten, die in die DDR kamen, waren nur zu einem geringen Teil aus der Arbeiterklasse. Es kamen vor allem gebildete, zur Mittelschicht gehörende Chilen:innen. Vor allem handelte es sich um Angehörige der Intelligenz, um ehemalige Funktionäre des Staats- und Parteiapparates sowie um Angestellte und Student:innen. Es kamen Künstler:innen, Lehrer:innen, Ingenieur:innen, Ärzt:innen und Anwält:innen.
Die Chilen:innen wurden schnell in das Arbeitsleben integriert, was zunächst nicht immer den Qualifikationen der Einzelnen entsprach. Viele mussten trotz hoher Bildungsabschlüsse in der Produktion arbeiten, z.B. am Fließband. Erst einmal mussten die Sprachkenntnisse verbessert werden, bevor das Arbeiten im eigentlichen Beruf oder ein Studium möglich war.
Solidarität mit Chile als staatliches Propagandamittel
„Sie lebt bei uns: Genossin Maria-Rosa“ . Portrait über eine Exil-Chilenin in der DDR-Frauenzeitschrift FÜR DICH, 1975. Die Aufnahme der Chilen:innen wurde von der DDR teils für nationale als auch internationale Argumentationsstrategien genutzt. Dabei ging es um die Festigung der Legitimierung des sozialistischen Staates, um sich als humanistisches und solidarisches Land beweisen zu können.
National wurden die chilenischen Exilant:innen als „Freiheitskämpfer“ inszeniert, die politisch pflichtbewusst und klug gehandelt haben. Diese Berichte über die Aufnahme der Flüchtlinge, die von Folter und Mord bedroht waren, verschafften der SED moralische Legitimation. Doch die Unterdrückung von Regime-Gegnern in Chile galt nicht nur Mitgliedern der Partei als Unrecht.
Sympathie für den chilenischen Widerstand Chile wurde zum omnipräsenten Symbol antifaschistischer Solidarität: Keine offizielle Veranstaltung ohne chilenische Emigranten; Schulen, Kasernen oder Genossenschaften erhielten die Namen Salvador Allende, Pablo Neruda oder Victor Jara. Bei der Mehrheit der DDR-Bevölkerung war Sympathie für den chilenischen Widerstand vorhanden und Bereitschaft, die verfolgten und oftmals gefolterten Chilenen mit Solidaritätsaktionen zu unterstützen. Solidarität musste im Falle Chiles nicht per Dekret erlassen werden. Poster von Che Guevara und Allende tauchten in den siebziger Jahren an den Wänden vieler Studentenbuden zwischen Rostock und Dresden auf.
Plattenaufnahme vom Festival des politischen Liedes in der DDR. Der Reinerlös der Schallplatte ging auf das Solidaritätskonto Chile. VENCEREMOS ist ein politisches Kampflied aus Chile. Víctor Jara verfasste eine alternative Textversion, die 1970 die Hymne für den Wahlkampf von Salvador Allendes sozialistischer Unidad-Popular-Bewegung wurde. Foto: privat
Abgeschlossenheit der DDR auch für Chilen:innen
Einmal in der DDR, war es auch für Ausländer schwierig, wieder von dort wegzugehen. Die Chilenen durften zwar prinzipiell die DDR verlassen, allerdings benötigten sie dafür Ausreisevisa. Und deren Vergabe war sehr restriktiv geregelt. Hinter der Reisebeschränkungen stand die Sorge der DDR-Regierung, die Flüchtlinge könnten im Westen von der Spionage angeworben werden. Die Sicherheit der DDR sei dadurch in Gefahr. Besonders befürchtete wurde, Chilenen könnten im Westen über ihre negativen Erfahrungen in der DDR erzählen.
Chilen:innen im Visier der Staatssicherheit Die Befürchtungen des MfS, Chilenen könnten eine DDR-kritische Haltung entwickeln, waren begründet. Das belegt die hohe Zahl der Ausreiseanträge aus dieser Gruppe. Bis August 1975 verließen laut einem Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe der Staatssicherheit fast 25% der 1178 Emigranten die DDR. Davon wiederum sei fast die Hälfte in nichtsozialistische Länder gegangen. Anfang 1982 konstatiert die Staatssicherheit im Bezirk Karl-Marx-Stadt, rund 50 % der Chilenen hätten den Bezirk verlassen. Die meisten seien ins westliche Ausland übergesiedelt, viele nach Schweden.
Schwierige Integration in der DDR Doch trotz der vielfach bekundeten Solidarität mit Chile begegneten die chilenischen Emigranten im Alltag eher einer skeptisch und ablehnenden DDR-Bevölkerung. Kontakte mit Deutschen, die nicht organisiert waren, gab es kaum. Ähnlich den Vertragsarbeiter:innen aus Kuba, Algerien oder Vietnam lebten auch die Chilenen von der DDR-Bevölkerung abgeschlossen. Carlos Cerda, der selbst viele Jahre in Berlin, der Hauptstadt der DDR gelebt hatte, beschreibt in seiner Novelle „Morir en BerlÌn“ die Abgeschlossenheit des Landes. Viele der Chilen:innen litten am „Zusammenstoß zwischen den Idealen, den Utopien, die uns hierher ins Exil gebracht hatten, und der für uns außerordentlich spannungsreichen, konfliktgeladenen und bis zu einem gewissen Grad entfremdeten Wirklichkeit dieses Staates“.
Rückkehr nach Chile ab Anfang der 1980er Jahre Dem Großteil der chilenischen Emigration wurden bald nicht nur die Arbeitsbedingungen zu unterfordernd, sondern auch das Land zu eng. Dazu kamen gewiss auch jene Frustration und Trauer, die für jedes Exil gleich an welchem Ort charakteristisch sind. Das alles führte dazu, dass bereits Anfang der achtziger Jahre vom Staat sogenannte Grundsätze für die Durchführung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Rückführung chilenischer politischer Emigranten im Politbüro beschlossen wurden. Chilenische Emigranten verließen nun die DDR und gingen sogar zurück nach Chile, wo Pinochet noch an der Macht war.
Im Dezember 1989 lebten nur noch 334 Chilen:innen in der DDR.
Michelle Bachelet – die chilenische Präsidentin sagt Danke Eine der Chileninnen, die in der DDR Zuflucht fand, war die spätere chilenische Präsidentin Michelle Bachelet.
„Die Zeit, die ich in Potsdam und Leipzig verbracht habe, war für mich
eine sehr glückliche Zeit.“
ZEIT-Interview in der ZEIT Nr. 33 vom 10. August 2006
Michelle Bachelet war von 2006 bis 2010 sowie von 2014 bis 2018 Präsidentin Chiles. Foto: 8.3.2018, Wikimedia gemeinfrei Bachelet flüchtete 1975 vor der Pinochet-Diktatur aus ihrem Heimatland über Australien in die DDR. Am Herder-Institut der Universität Leipzig lernte sie Deutsch. An der Humboldt-Universität zu Berlin studierte sie Medizin. 1979 kehrte sie zurück nach Chile. In einem ZEIT-Interview 2006 sagte sie rückblickend über ihre Aufnahme in der DDR: „Sicher ist dieses Urteil über die DDR sehr eng mit meinen persönlichen Erfahrungen verbunden. Ich war damals 23 Jahre alt, ich konnte mein Studium fortsetzen, ich habe geheiratet, ich habe dort mein erstes Kind bekommen. Ich hatte in Deutschland eine schöne Erfahrung gemacht, und ich empfinde Dankbarkeit für die Art, wie ich, meine Mutter und meine Freunde aufgenommen wurden“.
Titelfoto: Offizielles Logo der DDR zur Unterstützung des Freiheitskampfes in Chile. Foto: privat Quellen u.a.: Jost Maurin: Flüchtlinge als politisches Instrument –Chilenische Emigranten in der DDR 1973–1989, in: Totalitarismus und Demokratie 2/2005, S. 345-374; Raimund Krämer: Chile und die DDR. Die ganz andere Beziehung, in: Chile heute, 2004, S. 809-819; Karin Neubauer: Exilchilenen. Leben in der DDR, in: Lateinamerika-Nachrichten, Mai 1998; Patrice G. Poutrus: „Teure Genossen“. Die „politischen Emigranten“ als „Fremde“ im Alltag der DDR-Gesellschaft, in: Christian Th. Müller Patrice G. Poutrus (Hg.): Ankunft – Alltag – Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnung in der DDR-Gesellschaft. Köln 2005, S. 221-266.
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