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Benutzer:H.-P.Haack/Erstausgaben Thomas Mann/Thomas Mann über sich.

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Es kenne mich die Welt.[1] So lautete das Lebensmotto Thomas Manns. Sein Bestreben war, neben dem schriftstellerischen Œvre das eigene Leben zu einem zweiten Kunstwerk zu stilisieren.

Der Bürger

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Lübeck

Geboren im Jahre 1875 zu Lübeck als zweiter Sohn des Senators und Kaufmanns Johann Heinrich Mann und seiner Frau Julia, geb. da Silva-Bruhns (aus Rio de Janeiro gebürtig, halb deutscher, halb kreolischer Abstammung) verlebte ich mit meinen vier Geschwistern, trotz regelmäßiger wiederkehrender Ärgernisse, die durch meine träumerische Renitenz als Schüler hervorgerufen wurden,[2] in unserem schönen Elternhause eine glückliche Jugend.[3]

Thomas Mann stammte aus den ersten Kreisen des von gotisch-mittelalterlicher Architektur geprägten, giebeligen Lübeck. In «Buddenbrooks» unterschied anno 1835 die Haushälterin Ida Jungmann „haarscharf zwischen ersten und zweiten Kreisen, zwischen Mittelstand und geringem Mittelstand.“ [4] In diesem Punkt war die Zeit in Lübeck stehen geblieben.

Der Bajazzo [5]

In München hörte ich in buntem und unersprießlichen Durcheinander historische, volkswirtschaftliche und schönwissenschaftliche Vorlesungen. Plötzlich jedoch, wie ein echter Vagabund, lies ich alles liegen und ging ins Ausland, nach Rom, woselbst ich mich ein Jahr lang plan- und beschäftigungslos herumtrieb. Ich verbrachte meine Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen nennt, und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung in seinen Mußestunden zuwendet – und meine Abende mit Punsch und Dominospiel. (Aus der selbstironischen Skizze «Im Spiegel», 1907)

Ein strenges Eheglück

Du nennst mich gewiß einen feigen Bürger. Aber Du hast gut reden. Du bist absolut. Ich dagegen habe geruht, mir eine Verfassung zu geben. (Am 17. Januar 1906 an Heinrich Mann.)

Wer schon vor K. H.[6] einen „Friedrich“ plante,[7] hat wohl nie so ganz innerlich an ein „strenges Eheglück“ geglaubt. Was nicht hindert, daß man praktisch daran glauben kann. (Am 26. Januar 1910 an Heinrich Mann.)

Zu Thomas Manns tiefer Dankbarkeit gegenüber seiner Ehefrau → [1].

Pater familias

Mit der Tram zum Standsamt am Mariahilfsplatz, um das Kind anzumelden.[8] Blamiert, da ich die Geburtsjahre der Kinder nicht anzugeben wußte. (23. April 1919, Tagebuch)

Verwurzelt im neunzehnten Jahrhundert

Es kommt kein Jahrgang zu kurz. Und doch möchte ich einen Vorteil wahrhaben, den der von 1875 geltend machen kann gegen den 1914er oder noch später: Es ist kein Kleines, dem letzten Viertel des Neunzehnten Jahrhunderts – eines großen Jahrhunderts -, der Spätzeit des bürgerlichen, des liberalen Zeitalters noch angehört, in dieser Welt noch gelebt, diese Luft noch geatmet zu haben; es ist, so möchte man in Altershochmut sagen, ein Bildungsvorzug vor denen, die gleich in die gegenwärtige Auflösung hineingeboren sind, - ein Fond und eine Mitgift von Bildung, deren die später Angekommenen entbehren, ohne sie natürlich zu vermissen. (25. Februar bis Mitte April 1950, «Meine Zeit»)

Gesittung

Gesittung ist die Sphäre, in der ich atme; ich liebe, ja ich acht im Grunde nur, was gütig ist, das Rohe befremdet mich, den persönlichen Haß fürchte ich und leide unter dem, den ich zufüge, nicht weniger, als unter dem, den ich trage, obgleich ich wohl weiß, daß, um das Menschliche zu leben, man auch den Haß tätig und leidend erfahren muß. (Betrachtungen eine Unpolitischen (1918), Kapitel Einiges über Menschlichkeit.)

Thomas Mann folgt hier Goethes Maxime, nach der man das Menschliche immer ausbaden müsse, egal, in welch sozialer Stellung man lebt, „ob vorhnehm oder gering“.

Ungleichheit

Ich bin keineswegs ein Anhänger des Satzes von der „Gleichheit der Menschen.“ […] Was mich betrifft, so empfinde ich die Forderung, „im letzten Bettler den Menschen zu achten“, als unter aller Selbstverständlichkeit, als überheblich, obsolet-humanitär, schönrednerisch und albern. (a. a. O.)

Menschenliebe

„Die Menschheit“ – ich gebe zu, daß mein Verständnis zu dieser Abgezogenheit zweifelhaft ist; der Mensch aber hat von jeher mein ganzes Interesse in Anspruch genommen, der Mensch und wohl noch das Tier, aber nicht etwa die Kunst oder die Landschaft, - zum Beispiel auf Reisen. Meine Bücher haben keine Landschaft, fast keine Szenerie bis auf die Zimmer. Aber Menschen leben eine Menge darin, und man sagt, daß sie liebevoll beobachtet und dargestellt seien. (Betrachtungen eine Unpolitischen (1918), Kapitel Einiges über Menschlichkeit.)

Thomas Manns Selbstbild

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Man denke sich den folgenden dichterischen Charakter. Ein Mann, edel und leidenschaftlich, aber auf irgendeine Weise gezeichnet und in seinem Gemüt eine dunkle Ausnahme unter den Regelrechten, unter „des Volkes reichen, lockigen Lieblingen“; vornehm als Ausnahme, aber unvornehm als Leidender,[9] einsam, ausgeschlossen vom Glücke, von der Bummelei des Glücks, und ganz und gar auf Leistung gestellt. Gute Bedingungen, das alles, um die „Lieblinge“ zu überflügeln, welche die Leistung nichtnötig haben; gute Bedingungen zur Größe. Und in einem harten, strengen und schweren Leben wird er groß, verrichtet öffentlich ruhmvolle Dinge, wird mit Ehren geschmückt für seine Verdienste, - bleibt aber in seinem Gemüt eine dunkle Ausnahme, sehr stolz als ein Mann der Leistung, aber voller Mißtrauen in sein menschliches Teil und ohne Glauben daran, daß man ihn lieben könne. (Das Theater als Tempel, 1907)

Eine Persönlichkeit, die die Würde des Geistes ausdrucksvoll wahrzunehmen sich gewöhnt und die Hofsitte einer Einsamkeit annimmt, die voll unberatener, hart selbständiger Leiden und Kämpfe war und es zu Macht und Ehren unter den Menschen brachte. (Der Dichter Gustav von Aschenbach in «Der Tod in Venedig» (1913), S. 29)

Der Künstler

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Zigeuner und Wunderkind gleichermaßen

Der Künstler ist und bleibt Zigeuner, gesetzt auch, es handelte sich um einen deutschen Künstler von bürgerlicher Kultur. («Betrachtungen eine Unpolitischen» (1918), S. 403)

Wir sind alle Wunderkinder, wir Schaffenden («Das Wunderkind» (1903)

Wieviel Spiel, Trotz, Genuß ist übrigens in der Selbstgestaltung des Talents! («Der Tod in Venedig» (1911), zweites Kapitel.)

Auch persönlich genommen ist ja die Kunst ein erhöhtes Leben. (a. a. O.)

Welteroberung und Unsterblichkeit des Namens

Größe! Außerordentlichkeit! Welteroberung und Unsterblichkeit des Namens! Was galt alles Glück der ewig unbekannten gegen diese Ziel? Gekannt sein, - gekannt und geliebt von den Völkern der Erde! Schwatzet von Ichsucht, die ihr nichts wißt von der Süßigkeit dieses Traumes und Dranges! Ichsüchtig ist alles Außerordentliche, sofern es leidet. Mögt ihr selbst zusehen, spricht es, ihr Sendungslosen, die ihr’s auf Erden so viel leichter habt! Und der Ehrgeiz spricht: Soll das Leiden umsonst gewesen sein? Groß muß es mich machen! («Schwere Stunde» 1905. Worte, die Thomas Mann Schiller zuschreibt, in einem inneren Monolog, als dieser schlaflos bei kalter Winternacht in seinem Arbeits- und Schlafzimmer auf und ab geht.)

Die Rivalität mit dem älteren Bruder

Während des Mittagspaziergangs in tiefer Begeisterung in Erinnerungen aus dem „Ring d. Nibelungen“ – mit schließlicher innerer Zorneswendung gegen H. und sein liederlich politisches Geschwätz gegen Wagner. Haßempfindung. (29. April 1920, Tagebuch)

Zuweilen unrichtige Satzbildung, seltsam, immer sehr gut. Wie glücklich wäre der gemeinsame Nobel-Preis! (Am 9. Juni 1949 im Tagebuch anlässlich eines Briefes von Heinrich Mann.)

Meine Gedanken waren 1918 so wenig druckfähig, wie die Heinrichs 1914 waren. Er schrieb übrigens den vor Hass starrenden Zola-Aufatz, der eigentlich die «Betrachtungen» hervorbrachte. Zuletzt schrieb er mir in die ostdeutsche Ausgabe seines «Untertan»: „Meinem großen Bruder, der den Dr. Faustus schrieb“. (21. Juni 1952, Tagebuch)

Aber H´s «Aktivismus» war ein Tiefstand, der nur schlechte Werke hervorbrachte bis zum Henri IV. (19. Juli 1952, Tagebuch)

Exil

Es ist mir nicht an der Wiege gesungen worden, daß ich meine höheren Tage als Emigrant, zu Hause enteignet und verfemt, in tief notwendig gewordenem Protest verbringen würde. Seit ich ins geistige Leben eintrat, habe ich mich in glücklichem Einvernehmen mit den seelischen Anlagen meiner Nation, in ihren geistigen Traditionen sicher geborgen gefühlt.[10] Ich bin weit eher zum Repräsentieren geboren als zum Märtyrer, weit eher dazu, ein wenig höhere Heiterkeit in die Welt zu tragen, als den Kampf, den Hass zu nähren.[11] Höchst Falsches musste geschehen, damit sich mein Leben so falsch, so unnatürlich gestaltete. (Neujahr 1936/37, «Ein Briefwechsel» 1937)

Der Letzte, der weiß, was ein Werk ist

Habe nichts dagegen, ein Spätester und Letzter, ein Erfüller zu sein. Damit repräsentiert man das Abendland. Denn wo seine Frührot-Werke?
Bin einer der Letzten, vielleicht der Letzte, der weiß, was ein Werk ist.
(3. April 1951, Tagebuch)

Thomas Mann empfand sich als letzter großer Erzähler. Seine epische Erzählkunst gipfelt in der Tetralogie «Jospeh und seine Brüder». Diese Fassung der biblischen Josephs-Legende hielt er für die endgültige, weil nicht überbietbar. Auch als Novellist gelang ihm das Außerordentliche. In «Der Tod in Venedig» tragen Polyphonie und Durchführung der literarischen Motive das „Gepräge von Meisterlichkeit und Klassizität“. (a. a. O.)

Was ich machte, meine Kunstarbeiten, urteilt darüber wie ihr wollt oder müßt, aber gute Partituren waren sie immer, eine wie die andere. (Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), S. 310)

Heitere Ambiguität

Heitere Ambiguität im Grunde mein Element. (13. Oktober 1953, Tagebuch)

Narrative Ambiguität läuft auf Ironie hinaus. Die Ironie ist objektiv,[12] denn sie beleuchtet zugleich die Kehrseite. Aber welche Seite ist die Kehrseite? Dies gerade nicht zu beantworten, ist das janusköpfige Wesen der Ironie.

Leiden und Größe

Alte, peinliche Erinnerungen, zwanghaft, wie oft. War nicht das ganze Leben peinlich. Es gab wohl selten ein solches Ineinander von Qual und Glanz. (20. September 1953, Tagebuch)

Vollbringertum

Wagner, der sieche Gralshüter, der Zerbrechende, der alte Sünder, war dabei einer der größten Vollbringer der Welt, ein Werk-Mensch, ein Werk-Held sondergleichen – und ach, wie liebe und bewundere ich das Vollbringertum, das Werk – jetzt zumal, im Alter, wo es damit für mich aus ist. Ich kann von Glück sagen, daß ich doch mit 25, mit 50, mit 60 und 70 Jahren, mit «Buddenbrooks», «Zauberberg» «Joseph» und «Faustus» etwas wie einen kleinen Vollbringer abgeben konnte. Wahrhaftig, ich war nicht groß. Aber eine gewisse kindliche Intimität meines Verhaltens zur Größe brachte in mein Werk ein Lächeln der Allusion auf sie, das Wissende, Gütige, Amüsable heute und später erfreuen mag. (19. Juni 1954, Tagebuch)

Glückskindschaft und amor fati [13]

Ich bin eben gnädig geführt worden von einem Schicksal, das es zwar streng, darunter aber immer grund-freundlich mit mir meinte. (Thomas Mann am 16.9.1946 an Hans Reisiger)


Quellen und Anmerkungen:
  1. Es kenne mich die Welt, auf daß sie mir verzeihe!
  2. Das Schüler-Dilemma des Hochbegabten im wilhelminischen Schulbetrieb. 
  3. Tomas Mann in: Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien, hrsg. von W. Zils. München: M. Kellerer 1913.
  4. Erster Teil, erstes Kapitel.
  5. Titel einer Novelle Thomas Manns mit autobiographischen Zügen.
  6. Königliche Hohheit. Roman.
  7. Eine Novelle über Friedrich II.
  8. Elisabeth Veronika Mann, * 24. April 1918.
  9. Unvornehm als Leidender: „Es ist ganz einerlei, vornehm oder gering sein: Das Menschliche muss man immer ausbaden.“(Goethe: Maximen und Reflexionen)
  10. Anspielung auf die Verhunzung des Deutschtums durch die Nationalsozialisten.
  11. Der antifaschistischen Widerstand im Exil.
  12. Schopenhauer, A.: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II (1844), S. 99
  13. Liebe zum Schicksal


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