Code of democratic Ethics
Demokratie lässt sich nach Hannemann et al. (2017, 34 f.[1]) verstehen als Herrschaftsprinzip, als Gesellschaftsform und als gelebte Alltagspraxis. "Neben Forderungen an politische Systeme, Verfasstheiten, Diskurse, Praxen, Kulturen, Werte und Einstellungen stellt eine Demokratie auch Anforderungen an das Individuum selbst, genauer: an seine ihm_ihr nicht immer bewusste Persönlichkeitsstruktur, die es befähigt, zum einen als Mitglied des Gemeinwesens eine Demokratie zu beleben und zum anderen in ihr als Subjekt(!) überhaupt erst wirken zu können."
Wir als Bildungsakteure fragen uns daher: Wie wollen wir leben? Welche Seinszustände, Kenntnisse, Werte, Fähigkeiten und Handlungen wollen wir in uns selbst und in den Schulen und Hochschulen kultivieren? In der gelebten Bildungswirklichkeit herrschen noch allzu oft undemokratische Zustände, die, wie Hans Jonas beschreibt, sowohl den Herrschenden als auch den Beherrschten schaden:
“Ein despotisches Regime… korrumpiert… auf verschiedene Weise Inhaber und Opfer der Gewalt (die sehr wohl in derselben Person vermischt sein können).” Das Laster ist “in totalitären Despotien am totalsten: bei den Herrschenden Willkür und Grausamkeit, bei den Beherrschten Feigheit, Heuchelei, Verleumdung, Freundesverrat, Hartherzigkeit, zumindest fatalistische Gleichgültigkeit…”. Jonas, H. (2003) Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 298 f.
Die kostbaren demokratischen Errungenschaften, die unser Leben prägen, brauchen jeden Tag unseren verantwortlichen und beherzten Einsatz. Toxisch dominierendes, abwertendes und unterdrückendes Verhalten in uns selbst und in unseren Bildungseinrichtungen gilt es bewusst zu machen und zu demokratisieren. Dieses Kartenset kann dabei unterstützen. Das klingt mühsam, kann aber vielleicht auch ganz natürlich und freudvoll gelingen, wenn wir uns immer wieder Fragen wie diese stellen:
- Wie können wir im Bildungsalltag durch unser Beispiel demokratische Beziehungserfahrungen und Entscheidungsprozesse ermöglichen?
- Welche unserer eigenen Selbst-Anteile gilt es dabei so zu regulieren und zu de-kolonialisieren, dass wir die Beziehungen zu uns selbst und zu den anderen demokratiefördernd gestalten?
- Wie können wir die Sichtweisen anderer – auch der von uns selbst deutlich verschiedenen – Personen und Gruppen nachvollziehen (Perspektivübernahme) und in unserem eigenen Denken mehr als eine Sichtweise anwenden (Multiperspektivität)?
- Gibt es weitere Fragen, die du für die Bildung von Demokratiefähigkeiten für wichtig hältst? Ergänze sie sehr gern hier im Bearbeiten-Modus oder als Diskussion.</
Konkret: Wecken folgende Dimensionen der INNER DEVELOPMENT GOALS sowie die Vorhaben und Fragen dazu deine Lust auf spielerische Umsetzung in deinem und eurem Bildungsalltag?
SEIN ohne Dominanz
In meinen alltäglichen beruflichen Beziehungen und Entscheidungsprozessen macht es mir Freude, Gleichwürdigkeit, Vielfalt, demokratische Beteiligung und Friedensfähigkeit zu stärken, in mir selbst und in den anderen. (Wie) kann ich dafür konkret schon morgen auf Dominanz verzichten und (gern?) meine strukturelle Macht teilen? Möchte und kann ich auf Herabwürdigung und Selbsterhöhung verzichten?
DENKEN öffnen und befreien
Mich interessiert es, darauf zu achten, wenn wir (ich selbst und andere) autoritär, patriarchal, egozentrisch, abwertend, kolonisierend, aggressiv oder erstarrt – also entgegen den Werten einer friedlichen Demokratie denken und handeln (wollen). Wenn mir das bewusst wird, versuche ich inne zu halten, um Regulation, geistesgegenwärtige "Besinnung" und Wertebewusstsein zu ermöglichen. (Wie) kann ich schon im nächsten Gespräch meine Rolle der/des Bescheidwissenden aufgeben, um Offenheit und Interesse zu verkörpern? Möchte und kann ich nicht immer alles glauben, was ich denke?
BEZIEHUNGEN gleichwürdig gestalten
Sehr gern versuche ich, meine Beziehungen wirklich wertschätzend, zugewandt, ehrlich und demokratiefördernd zu gestalten. Bin ich bereit, im beruflichen Miteinander mit KollegInnen und Lernenden diese Herausforderung immer wieder als Einladung zur (gemeinsamen) Selbstreflexion und zum Wachstum anzunehmen? Gelingt es mir, ehrlich und (selbst)- mitfühlend Feedback, Kritik und Entwicklungsimpulse zu geben und zu empfangen? (Wie) kann ich Menschen zeigen, dass ich ihnen wirklich wertschätzend und freundlich begegnen will? Welche Formen von Kontakt kann ich ermöglichen (z.B. Augenkontakt)?
ZUSAMMENARBEITEN für das gemeinsame Wohl
Wie gelingt mir Kooperation auch in schwierigen Beziehungen? Verstehe und nutze ich meine und unsere Ent-Wicklung zu mehr gelebter Demokratie im Alltag wirklich als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung aller Beteiligten und damit zur sozial-ökologischen Transformation im Sinne der Inner Development Goals? Was hilft mir und uns, wenn die Zusammenarbeit freudlos, mühsam und schmerzhaft wird? Akzeptiere ich Unterschiede und stärke ich gemeinsame Ziele?
HANDELN & GESTALTEN für eine demokratische und enkeltaugliche Bildung
Meine Fähigkeiten und Potenziale nutze ich kreativ und mit Freude, Humor, Nachsicht und Engagement für die gemeinsame co-kreativ demokratische Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen. Dabei stärke ich die Demokratisierung der Bildungs-, Führungs- und politischen Kultur im Dienste des Gemeinwohls und der gelebten Menschlichkeit. Unterstützen mich vielleicht einige dieser Spiel-Ideen zur Ent-Wicklung pro-demokratischer Haltungen für die demokratiefördernde Lehre an Hochschulen und Schulen und einige dieser demokratiefördernden Lehr-Lern-Formate? Hier gibt es auch das inspirierende Kartenset "Raus aus der Dominanz".
„Wir müssen uns selbst und unsere eigenen Perspektiven, Vorurteile und Denkweisen ändern, um einen echten Wandel in der Welt herbeizuführen. Die persönliche Arbeit, die notwendig ist, um unsere persönlichen Gedanken, Gefühle und Beziehungen – unser In-der-Welt-Sein – zu verändern, macht uns zu den Menschen, die eine neue Gesellschaft leben und entstehen lassen können.“
Or, Yari (ed.) (2023) Praxisbuch Transformation dekolonisieren: ökosozialer Wandel
in der sozialen und pädagogischen Praxis. Weinheim Basel: Beltz Juventa.
"Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern… Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen, kann gar nicht genug von dem wissen, was sie inwendig gezielt macht, was ihnen auswendig verbündet sein mag. Die Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Werdende tätig hineinwerfen, zu dem sie selber gehören. Sie verträgt kein Hundeleben…" Bloch, Ernst (1953) Das Prinzip Hoffnung. Berlin: Aufbau Verlag, S. 13.
Siehe auch
[Bearbeiten]Spiel-Ideen zur Ent-Wicklung pro-demokratischer Haltungen an Hochschulen und Schulen
FRIDA-Methoden im Unterricht: Operationalisierung demokratiefördernder Lehr-Lern-Formate
Delll: Methodensammlung Demokratie lebendig lehren & lernen
Inner Development Goals - Ziele der inneren Entwicklung
Schattenarbeit und Innere De-Kolonialisierung
Code of democratic Ethics in der Bildung
Lebendiges Wissen - Sinnliches Wissen
- ↑ Hannemann, R. et al. (2017) Demokratienähe und -distanz : Zwischenbericht mit Empfehlungen an die Politik. Aus dem Forschungsprojekt “Demokratieferne Einstellungen in einer Kommune. Das Beispiel Marzahn-Hellersdorf”. Available at: https://opus4.kobv.de/opus4-ash/frontdoor/index/index/docId/177 (Accessed: 27 October 2023).: