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Kontrastive Syntax Deutsch-Englisch: Infinitivkonstruktionen

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Infinitivkonstruktionen im Deutschen und Englischen

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Zu unterscheiden sind der reine Infinitiv und der zu-Infinitiv sowie das Partizip II:

Der reine Infinitiv

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Der einfache Infinitiv ("reine Infinitv, bloße Infinitiv", engl. zero (or bare) infinitive) wird im Deutschen auch als der "1. Status des Infinitivs" bezeichnet (nach Gunnar Bech). Er wird im Deutschen z.B. von Modalverben und vom Futurhilfsverb werden verlangt, oder steht mit Verben der Wahrnehmung. Die Verwendungen im Englischen und Deutschen gleichen sich:

He should see the doctor.
He might not come.
Er sollte zum Arzt gehen
We heard him close the door.
Ich sah ihn an der Haltestelle stehen.


Der zu-Infinitiv

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Im Gegensatz zum Englischen, in welchem die Partikel to unabhängig vom Verb steht, dürfen Verb und zu im Deutschen nicht getrennt werden, da zu ein morphologischer Teil des Verbs ist; genau wie ge- in der Partizipform, kann auch zu als ein Affix des Verbs betrachtet werden. Diese Parallelität lässt sich an folgenden Beispielen veranschaulichen:


a. angefangen

b. anzufangen


Die Trennung von Verb und zu im Deutschen rührt ausschließlich von der Orthographie her.

Im Englischen wiederum erfüllt to die Aufgabe eines funktionalen Kopfes. Es muss nicht in unmittelbarer Nähe des Verbs stehen


to really say much


und kann koordinierten Verben insgesamt vorausgehen


to laugh and cry.


Was das Englische erlaubt, aber im Deutschen nicht möglich ist, ist das Phänomen der Tilgung der Verbalphrase beim to infinitive:

I know I should go to the dentist. I don't want to go to the dentist.

I know I should go to the dentist, but I just don't want to ______.

*Ich wünsche zum Zahnarzt zu gehen, aber er wünscht nicht zu _______.


Dass allerdings folgende Formulierung richtig ist, beweist die o.g. Zusammengehörigkeit von zu und dem Verb:

Ich weiß ich sollte zum Zahnarzt gehen, aber ich will einfach nicht.


Um einen kurzen Vergleich zum reinen Infinitiv/ zero infinitive zu machen: Handelt es sich um eine Konstruktion mit Modalverb und Infinitiv, so ist die Tilgung des Infinitivs sowohl im Deutschen als auch im Englischen erlaubt.

Ich will nicht zum Zahnarzt gehen, aber ich weiß ich sollte _______.

I don't want to go to the dentist, but I know I should _______.


Der zu-Infinitiv in Nebensätzen

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Der zu-Infinitiv kann manchmal als Paraphrase für Nebensatzkonstruktionen mit dass dienen; dies ist ein Hinweis darauf, dass zu-Infinitive einen eigenständigen Nebensatz bilden können.

In den folgenden Beispielen ist ersichtlich, dass die Konstruktion mit dem zu-Infinitiv keine andere Satzstellung erfordert als der Nebensatz mit dass:

ohne, dass sie es bemerkte

ohne, dass sie es bemerkt hat

ohne es bemerkt zu haben

Zu beobachten ist, dass sowohl das Akkusativobjekt es die OV-Stellung beibehält, als auch das Vollverb bemerken die Position am Satzende einnimmt. Von Interesse ist allerdings das fehlende Subjekt sie in der Infinitivkonstruktion. In der Syntaxtheorie wird in diesen Fällen ein obligatorisches stummes Subjekt ("PRO") angesetzt, dessen Bezug häufig vom Subjekt oder Objekt des Matrixsatzes "kontrolliert" wird.

Partizip II

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Das Partizip II wird in der Regel mit dem Präfix ge- und dem Suffix -t gebildet. Es wird z.B. vom Perfekthilfsverb haben oder dem Passivhilfsverb werden verlangt. In diesen Verwendung ist das Partizip II ein infinites Verb, genauso wie der einfache und der zu-Infinitiv, d.h. sie zeigen keine Person- oder Numerusmerkmale und können von einem Hilfsverb (Auxiliar), einem Modalverb oder einem Halbmodalverb statusregiert werden. Finites und infinites Verb bilden zusammen das Prädikat und füllen in einem Verbendsatz die rechte Satzklammer aus:


da er laut gelacht hat

da er laut lachen musste

da er laut zu lachen schien


Auch Vollverben (wie versprechen, versuchen oder zwingen) können mit dem zu-Infinitiv auftreten:


da er den Wagen zu reparieren versuchte

da er nicht zu lachen versprach

da er ihn sie zu heiraten zwang


Um nun zu bestimmen, wie sich das Vollverb in Kombination mit dem infiniten Verb verhält, unterscheidet man im Deutschen zwischen satzwertigen und nicht-satzwertigen Infinitiven.

Satzwertiger Infinitiv

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Besteht ein Satzgefüge aus zwei Teilsätzen, also einem Hauptsatz und einem infiniten Nebensatz, so nennt man den infinitem Nebensatz den satzwertigen Infinitiv:

da er versuchte, den Wagen zu reparieren
da er versprach, nicht zu lachen
da er ihn zwang, sie zu heiraten

An den Beispielen wird deutlich, dass der satzwertige Infinitiv im Nachfeld stehen kann, wie es auch für Nebensätze üblich ist. Gleichzeitig kann er aber auch ins Vor- oder Mittelfeld gerückt werden:

Vorfeld LSK Mittelfeld RSK Nachfeld !
da er versuchte den Wagen zu reparieren
Den Wagen zu reparieren hat er versucht
Er hat den Wagen zu reparieren versucht
da er versuchen wollte den Wagen zu reparieren
da er versucht hatte den Wagen zu reparieren

Fakultativ kohärent konstruierende Verben (z.B.schaffen) können wahlweise mit dem zu-Infinitiv einen Verbalkomplex bilden oder den Infinitiv als eigenständigen Nebensatz einbetten, d.h. sie können satzwertige und nicht-satzwertige Infinitive bilden.

Inkohärent konstruierende Verben (z.B. zwingen oder versuchen) bilden ausschließlich satzwertige Infinitive.

Um der Frage nachzugehen, ob es sich bei "den Wagen zu reparieren" um ein Verbkomplex handelt, sollte das Verbkomplex zunächst definiert werden: Das Verbkomplex ist eine Art Verbverbindung, die ein finites Verb oder ein Modalverb benötigt; infinite Verben sind aber eher optional und können beliebig hinzugefügt werden. "Versuchte(,) den Wagen zu reparieren" könnte also ein Verbkomplex sein, da "versuchen" die Voraussetzung des finiten Verbs erfüllt. Das Verb "versuchen" verlangt zwar ein infinites Verb, hier: reparieren, (sowie ein Akkusativobjekt, hier: den Wagen), ist aber kein Verbkomplex im klassischen Sinne:

Bei "versuchen" handelt es sich nämlich um ein Modalitätsverb: Diese verlangen ein infinites Verb ausschließlich in Form eines zu-Infinitivs. Der zu-Infinitiv hat eine eher unabhängige Funktion, denn er ist ein satzwertiger Infinitiv. Ein Verbkomplex erlaubt zwar finites und infinites Verb syntaktisch voneinander zu trennen, das infinite Verb ist aber nicht zwingend satzwertig!

Er versuchte (finit), den Wagen zu reparieren (satzwertig).

Er wollte (finit) den Wagen reparieren (nicht satzwertig).

Bei letzterem Beispiel handelt es sich um ein Verbkomplex, bei ersterem nicht.

AcI-Konstruktionen (Accusativus cum Infinitivo)

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AcI-Konstruktionen treten im Deutschen nach Wahrnehmungsverben und lassen auf. Sie setzen sich aus aus der Akkusativ-NP und dem Infinitiv zusammen. Weitere Ergänzungen werden vom infinitiven Verb regiert.

Er hört sie singen

Man ließ ihn das Geschirr abspülen


Die Akkusativ-NP entspricht sinngemäß dem "Subjekt" des eingebetteten infiniten Verbs.

Sie sieht ihn die Straße überqueren


Die Valenz der AcI-Verben ist nicht klar, sie können als zwei- oder dreiwertig gesehen werden, oder Verbalkomplex-bildend mit dem infiniten Verb. Bei genauerer Untersuchung zeigt sich aber, dass alle Ergänzungen im Satz insgesamt vom zusammengesetzten Prädikat abhängen, im Gegensatz zu Fällen mit Infinitiv-Nebensatz.

• Die Infinitivphrase der AcI-Konstruktion ist nicht extraponierbar:

Er erzählte, dass es gesehen hat, wie sie tanzt.
Er erzählte, dass er sie tanzen gesehen hat.
*Er erzählte, dass er gesehen hat, sie tanzen.

Wahrnehmungsverb und infinites Verb können zusammen ins Vorfeld gerückt werden, bilden also einen Verbalkomplex!


Er wollte sie schon lange singen hören.
Singen hören wollte er sie schon lange.


• Im Gegensatz dazu: Akkusativ-NP und infinites Verb lassen sich nicht gemeinsam ins Vorfeld rücken:


??Sie singen wollte er schon lange hören.


Möglich wird die Topikalisierung nur, wenn auch das Wahrnehmungsverb mit ins Vorfeld rückt:

Sie singen hören wollte er schon lange.


• Daraus folgt: AcI-Verben können keine satzwertigen Infinitive einbetten

3 Typen von Infinitivkonstruktionen

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Der Verbalkomplex (verb cluster)

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Der Verbalkomplex ist durch zwei Eigenschaften charakterisiert:

1. Das selegierende Verb (das Verb, das Argumente erfordert) und der Infinitiv bilden eine Einheit:

- enge syntaktische Organisation

- keine nicht-verbalen Elemente zwischen den zwei Verbformen

2. Die Konstruktion ist monosententiell: Infinitiv projiziert keinen Satz


Kompaktheitscharakteristik bei Clustering:

Nicht-verbale Elemente (v.a. Adjunkte) dürfen nicht zwischen den Sequenzen von satzfinalen Verben stehen


Kompakte Sequenz der gruppierten Verben = Verbfeld (verbal field)

Konstruktion = kohärenter (=zusammenhängender) Infinitiv (coherent infinitive)


--> Eine satzfinale Sequenz von Verben ist eine separate Konstituente:

...[...[[beendet worden ] sein] ] VP

Diese geschachtelte V°-Struktur zeigt eine Kopfadjunktion (siehe Kontrastive_Syntax_Deutsch-Englisch:_Syntaktische_Grundlagen#Argumente_und_Adjunkte).


Kompaktheit ist ein Kriterium für Clustering; Daraus ergeben sich folgende Kombinationen aus obligatorisch kohärenten Verben (Obligatorily clustering verbs/ cluster triggering verbs):

a. Partizip + Hilfsverb (haben, sein)

b. Partizip + Hilfsverb (werden (PASSIV))

c. Infinitiv + Hilfsverb (werden ( FUTUR))

d. Infinitiv + Modalverb (müssen, können)

e. Infinitiv + Kausalverb (lassen)

f. Infinitiv + Verben der Wahrnehmung (sehen, hören, fühlen)

g. Infinitiv + Kopulaverb (sein, bleiben)

h. zu-Infinitiv + Modalverb (brauchen)

i. zu-Infinitiv + Hilfsverb (haben, sein, bleiben)

j. zu-Infinitiv + Epistemische Modalverben (scheinen)

k. zu-Infinitiv + Aspektuelle Verben (beginnen, anfangen, aufhören)

Diese Verben besitzen keine thematisch spezifizierten Argumente/Subjekte.


Infinitiv-Satz Konstruktion (clausal infinitive construction)

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a. Es ist nicht nötig [PRO dagegen zu protestieren]

Dieses PRO-Subjekt wird generisch interpretiert, da im Matrixsatz kein Referent vorangeht, der PRO kontrollieren könnte.
Interpretation:

b. Es ist nicht nötig, [dass man dagegen protestiert]

--> Potenzieller Referent im Matrixsatz muss eine Person sein


Es gibt keine w-Infinitive im Deutschen (im Gegensatz zum Englischen).

Er wusste nicht [wie mit ihr (*zu) sprechen].

He did not know how to talk to her.



Es gibt keine Infinitiv-ECM-Konstruktionen mit zu-Infinitiv im Deutschen.

a. She expected him to accompany her
b. *Sie erwartete ihn, sie zu begleiten
she expected him her to accompany
c. Sie erwartete, dass er sie begleite
she expected that he her accompanies


(ECM: In linguistics, the term exceptional case-marking (ECM) denotes a phenomenon where the subject of an embedded infinitival verb seems to appear in the superordinate clause and, if it is a pronoun, is unexpectedly marked with object case morphology (him not he, her not she, etc.). The verbs that license ECM are known as raising-to-object verbs.) - Wikipedia "Exceptional case marking"

In satzinterner Position kann das Deutsche zwischen der Satzinfinitiv-Konstruktion und der Kluster-Konstruktion wechseln: Hoffentlich hat sie [ihn zu informieren] nicht vergessen. --> vergessen erlaubt die Kluster-Konstruktion, aber kann auch einen Nebensatz einbetten.