Kurs:Buch und Schrift im Mittelalter/Die Schriften des Mittelalters
5. Die Schriften des Mittelalters
[Bearbeiten]Vielleicht erinnert sich manch einer noch an die alten Rezeptbücher der Großeltern, die in einer eigentümlichen Schrift geschrieben waren. Dabei handelte es sich vermutlich um die sogenannte Kurrent- oder Sütterlinschrift. Heutzutage wird in den Schulen hauptsächlich Druckschrift gelernt, bis vor ein paar Jahren jedoch noch Schreibschrift. Ähnlich wie heute, gab es im Mittelalter verschiedene Trends von Schriften, die mit der Zeit kamen und gingen. Diesen Trends wollen wir uns in diesem Kurs widmen. Die Beschäftigung mit Handschriften des Mittelalters hat in der Forschung einen eigenen Namen: die Päläographie. Gerade weil es so ein großes Thema ist, wird in diesem Kapitel nur die groben Züge der Schriftentwicklung über das Mittelalter hinweg gezeigt. Weitere Informationen gibt es im Kapitel "Weiterführende Literatur und Links".
Angefangen hat alles im alten Rom: Capitalis quadrata und rustica
[Bearbeiten]Bei der Capitalis quadrata und der Capitalis rustica handelt es sich um sogenannte Majuskelschriften, was bedeutet, dass diese aus gleich hohen Buchstaben bestehen.[1]
Unziale und Halbunziale
[Bearbeiten]Die Unziale und Halbunziale sind auch eine Majuskelschrift, jedoch runder als ihre Vorgänger (von uncus, lat. rund). Die Halbunziale haben längere Ober- und Unterlängen als die Unziale. Bei ihr vermischen sich Majuskel- und Minuskelschrift.[2]
Vor- und frühkarolingische Minuskeln
[Bearbeiten]Bei der vor- und frühkarolingischen Minuskeln handelt es sich, wie der Name sagt, Minuskelschriften. Das bedeutet, dass die einzelnen Buchstaben stark in die Ober- und Überlänge gehen. In dieser Zeit gibt es an verschiedenen Orten in Europa verschiedene Einflüsse, die zu unterschiedlichen Schrifttypen führen (zum Beispiel die Beneventana in Italien oder die Insularis in der irischem Region).[3]
Karolingische Minuskel
[Bearbeiten]Mit Karl dem Großen kam um 800 die karolingische Renaissance ins Reich. Dies bewirkte, dass die Schrift größtenteils vereinheitlicht wurde. Bei der karolingischen Minuskel bleibt das Vier-Linien-System der Minuskelschrift erhalten, die Buchstaben sind lesbar auseinander geschrieben und berühren sich nicht stark.[4]
Spätkarolingische und frühgotische Minuskeln
[Bearbeiten]In der nachkarolingischen Zeit änderte sich die Schrift erneut. Es kamen Mischformen auf wie die romanische Minuskel oder die karolingisch-gotische Mischschrift. Veränderungen gegenüber der karolingischen Minuskel sind insbesondere die Brechung, die Engerstellung der Schäfte, die Streckung und stärkere Betonung der Vertikalen sowie die Bogenverbindung (de, do, be, bo, or). Die Bögen und Halbbögen wurden nicht mehr in einem runden und einzigen Zug geschrieben, sondern die Feder wurde im Spitz neu angesetzt, wodurch die sogenannte gotische Brechung entstand.[5]
Gotische Minuskeln: Textura und Textualis
[Bearbeiten]Im 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich aus der frühgotischen Minuskel die Textura. Die Brechung der Bögen entwickelte sich weiter aus, ebenso wurden die Buchstabenschäfte auf die Linien ausgerichtet. Infolgedessen sind insbesondere die Buchstaben, die nur aus Schäften im Mittelband bestehen, schwer zu unterscheiden, da i noch lange ohne i-Strich oder i-Punkt geschrieben wird. So lassen sich Buchstabenkombinationen wie mm mi ni ui in iu iii etc. oft nur aus dem Kontext erschliessen.[6]
Die Textualis ist im Vergleich zur Textura eine einfachere Schrift, die rascher geschrieben werden konnte. Wichtiges Kennzeichen ist auch hier, dass die Buchstaben unverbunden nebeneinander stehen und f und langes s ohne Unterlängen auf der unteren Schriftzeile stehen bleiben. Vor allem in Italien und Frankreich fanden rundere Buchstabenformen viel Verwendung.[7]
Bastarda und gotische Kursive
[Bearbeiten]Im 13. und 14. Jahrhundert kam die sogenannte Bastarda auf. Sie trägt sowohl Züge der Textura und Textualis, tendiert jedoch eher in Richtung einer Kursive. Sie ist weder Textura noch Textualis, sondern vereint Elemente beider Schrifttypen. Kennzeichnend sind für die Bastarda die stark geformnten Buchstaben, der in die Unterlänge gehende Buchstabe f und dem langem s. Die Schrift wirkt ein wenig schräg stehend. Aus der verstärkten Nutzung von Texten entstand auch die gotische Kursive, welche die Buchstaben der Bastarda mit Gebrauchsschrift verband. Sie ließ sich schnell schreiben, was auch der Grund für besonders viele Schlaufen an den Buchstaben ist.[8]
Humanistische Minuskel (Antiqua) und Kursive
[Bearbeiten]Im 14. und 15. Jahrhundert gab es einen neuen Trend bei den humanistischen Gelehrten und man wendete sich von den gotischen Schriften ab, wieder hin zu Schriften, die der karolingischen Minuskel ähnelten., Die humanistische Minuskel unterscheidet sich nur wenig von der karolingischen Minuskel. Die humanistische Minuskel unterscheidet sich nur in wenigen Aspekten von der Minuskelschrift in der Karolingerzeit: anhand der i-Punkte, dem gotischen t und die teilweise Verwendung des runden s und r machen eine Differenzierung möglich.[9]
Abkürzungen
[Bearbeiten]Im Mittelalter haben sich Kürzungen für bestimmte Zwecke etabliert. Es gibt dementsprechend verschiedene Anwendungen von Kürzungen, Suspensionen und Zeichen, die eingesetzt wurden. Wir unterscheiden dabei hauptsächlich zwischen Kontraktion und Suspension. Suspension bezeichnet die Weglassung von Buchstaben am Wortende, die durch Punkt, Überstreichung und Ähnliches ersetzt werden können. Dabei bleibt hauptsächlich der erste Buchstabe erhalten, der Rest fällt weg.
Beispiele:
Anno Domini → A. D.
debet → deb.
et cetera → etc.
Kontraktion bezeichnet die Weglassung von Buchstaben im Mittelteil, die durch Überstrich ersetzt werden können.
Beispiele:
Iesus Christus → ihs xps
omnipotens → omps
In der deutschsprachigen Literatur gibt es zudem noch eine Vielzahl an Abkürzungszeichen, die man kennen sollte, um deutschsprachige Texte des Mittelalters semantisch verstehen zu können. In lateinischen Texten gestaltet sich das Auflösen von Abkürzungen um einiges einfacher, da die lateinische Sprache grammatikalisch klarer strukturiert ist. Um jedoch das Verständnis von mittelalterlichen Texten zu erleichtern, gibt es Sammlungen an Abkürzungen, die zu Rate gezogen werden können. Zu dem Standardwerk gehören hier
In deutschen Texten des Mittelalters haben wir folgende Abkürzungen besonders häufig:
- den Nasalstrich (Strich über dem betreffendem Wortabschnitt)
- Kürzungen am Wortende (durch Kringel oder Ähnliches markiert)
- er-Kürzungen (der kleine Haken markiert)
Natürlich ist klar, dass auch der*die belesenste Paläograph*in manches nicht auf Anhiebversteht. Hierfür gibt es Sammlungen an Abkürzungen, die zu Rate gezogen werden können. Zu dem Standardwerk gehören hier der Cappelli[10] und das Werk von Karin Schneider zu Paläographie für Germanisten[11]. Den Cappelli gibt es mittlerweile auch als Online-Tool: https://www.adfontes.uzh.ch/ressourcen/abkuerzungen/cappelli-online/characters/up/1 Um den Cappelli Online auszuprobieren und dir Abkürzungen aus dem Mittelalter anzuschauen, geb bei Cappelli einfach als Sprache deutsch ein und gehe auf "Abkürzungen filtern".
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Nachweise
[Bearbeiten]- ↑ o.A., Schriftgeschichte, online unter: https://www.adfontes.uzh.ch/tutorium/schriften-lesen/schriftgeschichte.
- ↑ Ebd.
- ↑ Ebd.
- ↑ Ebd.
- ↑ Ebd.
- ↑ Ebd.
- ↑ Ebd.
- ↑ Vgl. ebd.
- ↑ Vgl. ebd.
- ↑ Das nach seinem Autoren, Adriano Cappelli, benannte Standardwerk «Lexicon abbreviaturarum» enthält lateinische und italienische Abkürzungen mittelalterlicher Texte
- ↑ Karin Schneider: Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten, Berlin 2014.