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Mach dich schlau am Instrument/Lernstrategien

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Welche Umgebung braucht es, um lernen zu können? Wie geht man vor, wenn ein neues Stück ansteht? Lernstrategien sind so unterschiedlich wie die Lernenden, die darüber Auskunft geben. Das gilt auch für die Wahrnehmung durch ihre Lehrpersonen und die Erfahrungen, wie sich Erwachsenenlernen vom Lernen eines Kindes unterscheidet.

Lernstrategien und Lernumfeld

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Musikalischer Hintergrund

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Es versteht sich von selbst, dass die Aussagen der Lernenden sehr subjektiv gehalten sind – allein schon der jeweilige musikalische Hintergrund und die Lernerfahrungen sind von Person zu Person verschieden. Vielen Aussagen der befragten Personen ist allerdings gemeinsam, dass Musik in der Kindheit durchaus eine wichtige Rolle spielte, sei dies, da die Eltern Musik machten, zu Hause gesungen wurde oder bisweilen schon damals Instrumentalunterricht stattfand: «Mein Vater war leidenschaftlicher Örgeli-Spieler und hat das Instrument auch unterrichtet – ich kam nur bis zum Schneewalzer [...]. Ich sang damals schon gerne, wenn es da schon Musikunterricht gegeben hätte, wäre ich bestimmt dabei gewesen [...]. Ich wollte schon früher immer Musik machen [...]; wo Musik war, war ich gerne, man blüht richtig auf bei Musik, es gibt nichts Schöneres – die Sprache des Menschen.» (Frau B., 72, Saxophon). Während das Instrument bei den Wiedereinsteigenden bedingt durch Familie und Beruf zeitweise in den Hintergrund rückte, gaben andere ein Instrument auf, das ihnen nicht vollends zusagte, um dann zu einem späteren Zeitpunkt mit neuem Elan zu beginnen. Gelegentlich wird zwar beklagt, dass anfangs Vorkenntnisse nicht mehr abrufbar waren, man «wusste nicht mehr wie sich ein gewisser Ton anhört oder wie man Noten liest» (Frau S., 70, Alphorn). Insgesamt aber bietet dieser in unterschiedlichem Ausmass vorhandene musikalische Hintergrund einen guten Anhaltspunkt für den Unterricht 50plus – ob nun durch die bereits erworbene Fähigkeit des Notenlesens, durch Hintergrundwissen oder durch Liebe zu Volksliedern, die dann im Unterricht eingesetzt werden.

Lernerfahrungen

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Die Unterrichtserfahrungen als Kind bzw. Jugendliche sind prägend und beeinflussen spätere Entscheidungen wie etwa den erneuten Einstieg in den Musikunterricht. So erzählen die Befragten von der Förderung durch Lehrpersonen und Familie: «Im Seminar wurde ich gefördert, ich war der erste, der die Patentprüfung auf der Flöte machen konnte, sonst war nur Geige oder Klavier möglich.» (Herr S., 84, Querflöte). «Moi j’ai des bons souvenirs de l’école, moi j’étais assez à l’aise, j’avais des parents enseignants aussi.» (Herr G., 67, Saxophon). Gleichzeitig wirkten glücklicherweise negative Lernerfahrungen in der Kindheit nicht zwingend als unüberwindliche Schranke, die von einem Neueinstieg abhielt: «Meine Erinnerungen an den Cello-Unterricht als Kind sind nicht so positiv. Ich wurde von anderen Kindern gehänselt, war mit dem Cello eine Exotin.» (Frau Z., 62, Cello). «Ich bin von der Schule geflogen. In der neunten Klasse. Da habe ich Lernen als absoluten Frust erlebt.» (Herr F., 65, Klavier). Im Vergleich zu den Erfahrungen als Kind erleben die Befragten den Instrumentalunterricht als Erwachsene zum einen als mit mehr Freude und weniger Druck verbunden. Dies ist zum einen wohl der Entwicklung der Pädagogik in den vergangenen Jahrzehnten zu verdanken, zum anderen mag aber auch die Freiwilligkeit eine Rolle spielen. Gleichzeit empfinden die Interviewten sich selbst allerdings als weniger unbeschwert und ungeduldiger, was den Lernverlauf angeht. «Der Druck ist jetzt komplett weg. Das ist ja das Schöne im Alter, man muss praktisch nichts mehr machen.» (Herr A., 88, Klavier). «Als Erwachsene lernt man weniger schnell, man macht sich mehr Sorgen, ‹kann ich das immer noch nicht?›» (Frau V., 51, Querflöte).

Unterrichtsrahmen

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Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, Einzel- und Gruppenunterricht zu belegen. Manche schätzen aber auch eine kombinierte Form. Ein 72-jähriger Cellist und Interviewteilnehmer besucht z.B. den Einzelunterricht, um sich dabei auf die Orchesterproben vorzubereiten. Das Spiel im Ensemble ist dabei sein eigentliches Ziel. Anderes Beispiel: Frau M., Klavier, ist sehr zufrieden mit dem Gruppenunterricht und sieht darin durchaus Vorteile. Wenn sie es sich leisten könnte, würde sie aber Einzellektionen vor- oder mindestens beiziehen. Der finanzielle Aspekt spielt also durchaus auch eine Rolle. Was den Unterrichtsrahmen angeht, schätzen die meisten Befragten die gegenwärtige Form, sei dies nun Einzel- oder Gruppenunterricht. Manche sind froh, wenn sie den Unterricht in den eigenen vier Wänden absolvieren können, andere freuen sich auf den Besuch bei der Lehrperson oder in der Musikschule. Wie bewusst der Entscheid für die eine oder andere Unterrichtsform gefällt wurde, ist schwierig abzuschätzen, die Zufriedenheit mit dem Ist-Zustand scheint aber jedenfalls nicht zwingend Ausdruck für eine bewusste Entscheidungsfindung zu sein. Denkbar ist zudem, dass die Situation idealisiert wird. «Ich lerne am liebsten in einer Gruppe, entweder klein oder grösser, es war grossartig, was wir gelernt haben.» (Frau B., 72, Saxophon). «Die Privatstunde ist für mich wie ein kleiner Solo-Auftritt, dann bin ich nervös. In der Bläserklasse dagegen bin ich nicht nervös, bin ich eine von vielen.» (Frau V., 51, Querflöte). «Meine Lehrerin ist eine unheimlich gute Pädagogin. Sie ist sehr streng. Ich komme da manchmal ganz klein aus der Stunde heraus. Und sie sagt, was nicht gut ist. Aber sie kann auch zeigen wie ich es anpacken muss. Und dort lerne ich am meisten.» (Herr S., 72, Geige). «Also für mich ist völlig klar, ohne Unterricht hätte ich schon lange aufgehört zu spielen. Unterricht ist für mich absolut entscheidend.» (Herr R., 73, Fagott).

Lernmethoden

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Wie man an das Instrument und die Musik herangeht, wird als Zusammenspiel von Erwartungen und Ansprüchen der Lernenden einerseits sowie von den Ideen und «Steckenpferden» der Lehrenden andererseits beschrieben. Manche lassen sich dabei gerne von der Lehrperson führen, andere bestimmen gerne selbst, was sie in welchem Ausmass tun möchten. Während in einigen Gesprächen fast ausschliesslich vom Spiel nach Noten die Rede ist und dies auch sehr geschätzt wird, geniessen andere die Gelegenheit zu Improvisation und freiem Spiel – manche wohl nach anfänglichen Vorbehalten. Dies hängt auch vom Lerntyp ab, ob jemand also beispielsweise lieber auditiv (nach Gehör), visuell (nach Noten, «auf Sicht») oder über Bewegungsmuster lernt. «Ich bin auf Noten fixiert, spiele nicht gerne ohne.» (Frau V., 51, Querflöte). «Avec le temps maintenant j’ai pas mal d’éléments d’accompagement, je peux jouer avec, je peux improviser; ou bien je prends n’importe quel morceau que j’aime bien en jazz et puis j’essaie de découvrir un peu les accords, d’esssyer d’accompagner, tout, mais là c’est tout-à-fait instinctif.» (Herr G., 67, Saxophon). Auch der Einsatz von neuen Medien stösst teilweise auf positive Resonanz, sei es, um sich im Internet über Komponistenbiografien zu informieren, sich bestimmte Werke anzuhören oder sogar mittels einer App den Lernerfolg zu steigern: «Das ist jetzt so eine App, … man sieht aber auch gleich, wo die Finger sein sollten. Jetzt zeigt es einem, auf welcher Note man jetzt ist und gleichzeitig sieht man es auch auf der Tastatur. Das ist für mich perfekt, weil ich dann nicht so viel Notenlesen muss, und ich kann es kombinieren. Und ich höre, wie es klingt. Das ist für mich auch wichtig, wenn ich nur ein Notenblatt habe, weiss ich nicht, welches Lied es ist, da habe ich noch einmal mehr Mühe. Es so eine Mischung vom Auditiven in Kombination mit dem Notenlesen und der Tastatur.» (Herr V., 52, Klavier). Kritisch wird angefügt, dass im zunächst einzig auf die App bezogenen Lernen (ohne Unterricht) längerfristig das «Wesentliche» fehlte. Das eigene Spiel klang wie ein «Automat», Empfindung und wirkliches Verstehen eines Stücks war über Internet auf Dauer nicht möglich. Herr V. hat wieder einen Klavierlehrer gesucht und besucht jetzt begeistert Liveunterricht.

Lernumgebung

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Ein Grossteil der Befragten betont die Wichtigkeit des ungestörten Übens an einem «geschützten» Ort. Zentral ist den meisten auch der Aspekt, andere nicht durch das eigene Spiel zu stören. «Ich übe zuhause in einem separaten Zimmer, täglich 45–60 Minuten. In dieser Zeit bin ich völlig ungestört, dies wird respektiert. Ich gehe dann auch nicht ans Telefon.» (Frau Z., 62, Cello). «Aber ich kann nicht gut spielen, wenn mir jemand zuhört.» (Frau R., 91, Klavier). «Also einfach wenn ich für mich in meinem Haus, in meinem Wohnzimmer oder in meinem Zimmer spielen kann und ich weiss, dass ich jetzt niemanden störe. Ich muss Ruhe haben - das muss ich haben, daneben noch ein Geplapper… Aber ja, Ruhe, dass ich Zeit habe und nicht unterbrochen werde.» (Frau P., 60, Fagott). «Als meine Schwiegermutter bei uns gewohnt hat, haben wir das Klavier in den Keller verlegt. Da habe ich gemerkt, es war psychologisch für mich fast unmöglich, in den Keller hinuntergehen zum Spielen. Ich weiss heute: Die Zugänglichkeit ist ein ganz wichtiger Faktor, um Freude am Instrument zu haben. Ich habe zum Glück viel Platz. Ich habe ein eigenes Haus und da spielt es keine Rolle, wenn ich viel Lärm mache.» (Herr F., 65, Klavier). «J’ai de la chance ici, je peux jouer à minuit, je peux jouer n’importe-quand, je ne dérange personne, c’est une immense chance; ma femme arrive même à dormir quand je joue du sax.» (Herr G., 67, Saxophon).

Lernstrategien

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Ganz verschieden sind die Lernstrategien und auch die Zeit, die für das persönliche Üben eingesetzt wird. Die Motivation ist zwar gross – sonst wäre der Schritt, den Musikunterricht aufzugeben, wohl rasch getan – gleichzeitig gestehen einige, nicht immer die nötige Zeit zum Üben zu finden; allzu schnell vergeht bisweilen die Spanne zwischen den Unterrichtsstunden. Geübt wird nach Möglichkeit zwischen 15 und 60 Minuten täglich, einzelne investieren aber auch vier bis sechs Stunden pro Tag in ihr Hobby. Je nach Stand der Fähigkeiten fällt das Üben anders aus. Das Einprägen durch möglichst «fehlerfreies» Wiederholen in einem angemessenen Tempo wird allgemein angestrebt. Während die einen spielerisch musizierend üben, beschreiben andere Übesequenzen und ihre Systematik. Steht ein neues Stück an, heisst es zuerst, den Notentext zu analysieren, sich kleinere Abschnitte durch mehrfaches Wiederholen einzuprägen, dann mehrere Abschnitte zusammenzufügen. So entsteht das Gerüst eines Stücks. Die musikalische Arbeit am Klang und an der Melodieführung sowie interpretatorische Überlegungen zu Tempowahl, Agogik, Ausdruck und Präsenz berühren andere Ebenen des Lernens. «Ja, es bringt mehr, wenn ich [das Üben] strukturiere. Dass mir eben die Lehrerin sagt, das wäre jetzt eben im Moment eine gute Übung, um anzufangen. Dann mache ich doch das, um anzufangen und nachher diese und jene Übung, und noch etwas diese Blasübung, bevor ich spiele.» (Frau P., 60, Fagott). «Pour moi ce que je trouve important c’est d’arriver à bien comprendre le rhythme de la musique – et je le mémorise assez bien, mais j’arrive difficilement à le lire sur la partition [...] pour moi c’est presque le plus difficile et c’est ce que j’essaie de travailler le plus possible.» (Herr G., 67, Saxophon).

Unterschiede im Lernverhalten von Jugendlichen und Erwachsenen

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Lehrpersonen werden insbesondere durch ein sich von Kindern und Jugendlichen unterscheidendes Lernverhalten herausgefordert. Nebst dem Einbezug individueller Persönlichkeitsmerkmale nutzt man die Chance, an bereits gemachte Erfahrungen anzuknüpfen. Ein Unterschied besteht zudem in der Selbstwahrnehmung und in der Bewertung der eigenen Leistungen. Erwachsene sind oft kritischer sich selbst gegenüber, gerade aufgrund ihrer Geschichte; selbst wenn die Fortschritte oft beträchtlich sind, bleibt die Ungeduld gross. Von Vorteil für den Unterricht sind dabei die Selbstreflexion, der Einsatz und die Selbstdisziplin erwachsener Lernender, die das Entwicklungstempo befördern. Erwachsene gehen bewusst Kompromisse ein, weil sie nicht in allen Bereichen in die Tiefe gehen wollen bzw. müssen. Die Entscheidungsfreiheit und Methodenwahl ist grösser als bei Kindern. Allerdings kann kopflastiges Lernen auch zu Blockaden führen, während Jugendliche spielerischer an Unbekanntes herangehen und vermeintliche Grenzen weniger unverrückbar sehen. «Was die Erwachsenen selber haben, sind viel höhere Ansprüche an sich selber. Also weniger Geduld mit sich selber beim Lernen. ... Aber wenn sich ein Erwachsener zu Unterricht anmeldet, dann will er es auch. Und das macht er auch nicht, wenn er sich nicht die Zeit nehmen kann.» (Herr A., 52, unterrichtet Klarinette). «Ich muss meinen erwachsenen Schülern oft Sachen anders erklären. Sie machen Sachen nicht einfach nur mal so nach, sondern wollen auch immer gleich begreifen warum es so ist. [...] Und sie kommen mit einer klaren Vorstellung. Meistens sind die Leute, die in diesem Alter den Mut haben noch ein Instrument zu lernen eher die musikalischeren Leute. Oder die Leute, die in Konzerte gehen und sich für klassische, barocke oder Chormusik interessieren. Und die haben einfach ein anderes Klangverständnis und eine Vorstellung wie das Instrument klingen soll. [...] sie suchen den Fehler stark bei sich. Und urteilen auch sehr schnell über sich selber.» (Frau S., 27, unterrichtet Fagott). «Die Lockerheit eines Kindes haben Erwachsene meist nicht mehr, sie wollen alles auch intellektuell begreifen, wollen Begleitliteratur [...]. Ein Kind hat einfach Freude, wenn es etwas besser geht, Erwachsene haben Pläne, das muss dann klappen – dabei brauchen manche Prozesse (etwa Kraft, Luft) Zeit.» (Herr O., 56, unterrichtet Horn). «Wenn die Älteren es schaffen, das regelmässige Üben in ihr Leben zu integrieren, sind sie disziplinierter. Ein erwachsener Schüler schreibt z.B. immer genau auf, wo er beim Üben Probleme hat und was er nun in der Stunde wissen möchte.» (Herr W., 62, unterrichtet Saxophon).

Resümee

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Die Musik- und allfälligen Unterrichterfahrungen als Kind sind prägend für die jeweilige musikalische Biografie und das Lernverhalten im Unterricht 50plus. Unterrichtsrahmen und Lehrpersonen werden generell als positiv bzw. unverzichtbar für die eigene Motivation dargestellt, möglicherweise auch idealisiert. Wie jemand lernt, wird als Zusammenspiel von den eigenen Erwartungen und Ansprüchen einerseits sowie von den Ideen und «Steckenpferden» der Lehrenden anderseits beschrieben. Strukturiertes Üben, angeleitet durch die Lehrperson, wird als zielführend erlebt. Geübt wird nach Möglichkeit täglich zwischen 15 bis 60 Minuten, einzelne investieren mehr. Erwachsene sind in der Regel kritischer und ungeduldiger mit sich selber als Kinder und Jugendliche. Dafür befördert die Selbstreflexion die Entscheidungsfreiheit und Methodenwahl – und damit einhergehend die Kompromissbereitschaft gegenüber eigenen und fremden Qualitätsansprüchen. Die Lernenden empfinden dabei mehr Freude und weniger Druck.


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Ein Forschungsprojekt der Berner Fachhochschule (2015)