Projekt:Klassifikation der Expressionen und Ausdrucksverhalten/Grundlagen der KEA/Grundkonzept der Bewegungsklassen
Überblick
[Bearbeiten]Angelehnt an die Ideen von Karl Leonhard[1], der das Ausdrucksverhalten als eine von mehreren Klassen von Bewegungen beschrieb, sollen auch in der KEA die Bewegungen der Organismen klassifiziert werden. Im vorliegenden Abschnitt werden die Ausdrucksverhalten als einige von vielen Bewegungsklassen in eine Struktur eingeordnet. Die Ausdrucksverhalten selbst lassen sich ebenfalls unterteilen.
Bewegungsklassen sind aber nicht nur bloße Unterteilungen, die die enorme Fülle von Bewegungsformen, welche Mensch und Tier zeigen können, logisch fassbar und überblickbar machen, sondern sie repräsentieren gleichzeitig jeweils eigenständige Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die jeweiligen Bewegungen formen, mit einander in Einklang bringen oder auch konkurrieren. Um diese Gesetzmäßigkeiten geht es hier eigentlich. So soll diese Struktur als Ausgangsbasis für eine breite Sammlung von Beobachtungen dienen, die dann in Form weitergehender Bemühungen die eigentlichen Gesetzmäßigkeiten formulieren und begründen kann. Dies hat großen wissenschaftlichen Nutzen, aber es bietet auch die Möglichkeit, die im Anwendungsteil beschriebenen grundlegenden Probleme bei der Herstellung von künstlichen Wesen zu überwinden, die uns Menschen irgendwann einmal mit den uns verständlichen Verhaltens- und Ausdrucksweisen gegenüber treten sollen.[2]
- Merke: Bewegungsklassen sind Gruppen von Verhaltensweisen, für die gleiche oder ähnliche Gesetzmäßigkeiten gelten. Diese Gesetzmäßigkeiten sind heute zumeist unbekannt. Man kann sie nur vermuten oder hypothetisch formulieren, damit sie überprüft werden können.
Die Einteilung der Bewegungsklassen wird beispielsweise für die Dekomposition (Zerlegung in leichter fassbare Bestandteile) benötigt. DieseMethoden werden im Kapitel Methoden der Dekomposition beschrieben. Zur Erklärung von Ausdrucksmuster, Prozessmuster und Bewegungsmuster siehe die Abschnitte im Kapitel Grundannahme Ausdrucksmuster. In der Musterhaftigkeit liegt ein großer Teil der hier vermuteten und gesuchten Gesetzmäßigkeiten.
Bewegungsklassen, auf die sich das Gesamtverhalten dekomponieren lässt:
- Nicht-Verhaltensanteile (immer musterlos)
- Umstandsbewegungen
- Mitbewegungen (Optima-Abweichungen)
- Verhaltensanteile (teilweise musterfähig, teilweise musterlos)
- Nicht-Ausdrucksbewegungen
- vegetative Bewegungen (autonom, oft prozessmusterhaft)
- Nebenbewegungen
- Zweckbewegungen (oft bewegungsmusterhaft)
- Reflexbewegungen
- Instinktbewegungen
- planbare Zweckbewegungen
- Handlungen
- Sprachhandlungen (schriftlich und phonetisch, bewegungsmusterhaft)
- ausdruckstragende Zweckbewegungen (immer bewegungsmusterhaft und echten Ausdrucksmuster ähnlich)
- kommunikative ausdruckstragende Zweckbewegungen
- nichtkommunikative (vertuschende) ausdruckstragende Zweckbewegungen
- sinnfreie ausdrucksmusterähnliche Bewegungen
- Grimassen
- Fratzen
- Grimassen
- Ausdrucksbewegungen (immer ausdrucksmusterhaft)
- Genoausdrücke (genetisch bedingte Ausdrücke, veraltet: echte Ausdrücke)
- unspezifische Genoausdrücke
- spezifische Genoausdrücke
- Eigenausdrücke (Eigenmienen, -gesten, -phone)
- Kombinationsausdrücke (Gesichtsausdrücke, Körperausdrücke)
- Sekundärausdrücke
- Ausdrucksverstärkungsverhalten
- rhytmische Ausdrucksverstärkungsverhalten
- haltungsmäßige Ausdrucksverstärkungsverhalten
- vegetative Ausdruckserscheinungen (ausdruckstragende Anteile an vegetativen Bewegungen)
- Memoausdrücke (memetisch bedingte Ausdrucksbewegungen)
- nicht-intendierte Memoausdrücke
- Intensionsausdrücke (beabsichtigte Expressionsbewegungen)
- kulturelle Intensionsausdrücke (kulturell-konventionelle Memoausdrücke)
- Gebärden (vernunft-konventionelle Memoausdrücke)
- Individualgebärden (noch-nicht-konventionelle Memoausdrücke)
- sinnhaltige ausdrucksmusterhafte Bewegungen
- Faxen
- Genoausdrücke (genetisch bedingte Ausdrücke, veraltet: echte Ausdrücke)
- Nicht-Ausdrucksbewegungen
Nicht-Verhaltensanteile
[Bearbeiten]Diese Klasse soll Bewegungen zusammen fassen, welche nicht aktiv vom Organismus erzeugt werden, sondern aufgrund physikalischer Umstände eintreten (Umstandsbewegungen) oder durch ein Abweichen von einer biomechanischen Optimalausführung gekennzeichnet sind (Mitbewegungen). Sie können, müssen aber nicht im Interesse der Person liegen.
Umstandsbewegungen
[Bearbeiten]Hierunter sollten nicht beeinflussbare Bewegungsanteile geordnet werden, welche eine Person aufgrund eines physikalischen Umstandes mitmacht, der zufällig eintritt oder auch herbei geführt werden kann. Die Person unterliegt dabei der Bewegung wie ein physikalischer Gegenstand der unbelebten Natur. Häufige Beispiele sieht man bei Handwerkerhänden, die durch bewegliche Werkstücke oder Arbeitsgegenstände mit verschoben oder verdrängt werden. Auch schüttelnde Stöße, die durch die mechanische Physik des Autofahrens auf uns einwirken, zählen hierzu. Die Fallbewegung ist wohl die bekannteste Form. Sie kann natürlich auch im Interesse der Person liegen, etwa, wenn sie aus einem Flugzeug springt. Die Umstandsbewegung ist tote Mechanik und kann von der Person nur initiiert oder vorbereitet werden, wenn sie sich etwa zum Sprung einen Fallschirm umbindet, aber das bloße Fallen macht sie einfach so mit. Im Ausdrucksbereich können Menschen beim Handgeben sich gegenseitig in Umstandsbewegungen versetzen, wenn einer die Hand des anderen schüttelt.
Man kann gelegentlich entscheiden, ob man der Umstandbewegung unterliegen, oder ihre unerwünschten Wirkungen vermeiden möchte. Das kann auf verschiedene Weise geschehen, z.B. durch voausschauendes Vermeiden der Bewegungen (ruhiges Autofahren vermeidet Schüttelbewegungen) oder durch aktive Entgegenwirkung, wie beim schüttelnden Handgeben, wenn einer der Partner seine Hand nicht schütteln lässt und die Muskeln anspannt. Auch der Fallschirmspringer kann durch Körperdrehungen den Fall beeinflussen, wenngleich er ihn auch nicht aufhalten kann. Auch bei einem Fahrrad-Sturz kommen viele Umstandsbewegungen vor. Der Umstand ist der Sturz selbst, die Flugbahn. Die beigemengten anderen Bewegungen (Reflexbewegungen, Zweckbewegungen usw.) sind das, was der Körper daraus macht.
Man wird also Umstandsbewegungsanteile von anderen Anteilen trennen müssen, die oft regulierend beigeordnet sind, insbesondere, wenn eine nachteilige Wirkung auf den Körper der Person zu erwarten ist. Die Person kompensiert damit oft die nachteiligen und kalten Einwirkungen auf den Organismus, die keine Rücksicht auf unsere Befindlichkeit nehmen.
Mitbewegungen
[Bearbeiten]Bei Lebewesen ist der für ein Individuum biologisch sinnvollste Bewegungsablauf meist nicht identisch mit dem (physiologischen, mechanischen, geometrischen) Optimum oder der direkten und kürzesten Ausführung. Wenn wir nach einem Gegenstand greifen, tun wir das nie zackig und direkt, sondern wir bewegen uns in einer Weise, die für uns selbst biomechanisch aufwandsarm ist, den Körper durch Ausnutzung von Schwungmassen und Sehnenzüge usw. geringer belastet und energetisch weniger fordert. Man kann dies sehr leicht nachvollziehen, indem man einmal selbst versucht, eine mathematisch kürzeste Bewegung auszuführen. Das wirkt steif, eckig, bisweilen abstrus. Auch das w:Gehen auf der Straße ist kein geometrisch abgerechneter Vorgang, sondern kann eher beschrieben werden als eine w:Schwungmassen-Verteilung, die bei jedem Menschen etwas anders ist.
Die Differenz zwischen einer tatsächlich ausgeführten Bewegung und ihrer optimalen Ausführung soll man Mitbewegung nennen. Mitbewegungen sind nicht beabsichtigt, sondern entstehen als Fehlervarianz dadurch, dass unser Körper nicht perfekt funktioniert.
- Merke: Mitbewegungen sind nach Karl Leonhard Bewegungsanteile, die jedem Nicht-Ausdruck des Körpers beigesellt sind und die den Spielraum zwischen biologisch aufwandsärmster und geometrisch kürzester Bewegung ausfüllen.[3]
Mitbewegungen sind, allgemein formuliert, die bewegungsmäßige Differenz zwischen der Ausführung und den Optima. Ist jemand verletzt oder invalide oder ist er abgehetzt, führt er eine Bewegung gerade so aus, wie das für ihn in seiner momentanen Lage am einfachsten ist. Mitbewegungen werden nicht gezielt unternommen und treten aufgrund von Umständen auf. Es sind Verhaltensdefizite, die auftreten, wenn jemand etwas nicht richtig kann, z.B. weil er zu wenig Lebenserfahrung hat, zu wenig Expertise oder motorische Fertigkeiten. Kleinkinder haben sehr viele Mitbewegungen. Mitbewegungen werden aber auch mit schwindender Vitalität und steigendem Lebensalter zahlreicher, ausgeprägter und oft auf typische Weise verändert. Sie ändern auch ihre Abläufe, die auf Schonhaltungen, verletzungsbedingte Eigenheiten usw. hindeuten. Man kann sich dies sehr eindrücklich an den verschiedenen Formen des Ganges erkennen, die ältere Menschen aufweisen und die es einem geschulten ärztlichen Auge ermöglichen, bereits daraus eine größere Anzahl an Aussagen über den Gesundheitszustand bzw. zu erwartende Eigenheiten und Beschwerden eines Patienten zu treffen. Man kann sehr viel mehr Informationen über den biologische Zustand einer Person gewinnen, wenn man ihre Mitbewegungen betrachtet, als etwa nur ihre gebückte Körperhaltung allein.
Mitbewegungen sind Fehlervarianz und die ist vor allem bei Lernprozessen hoch. Der Mensch - ein Lernmeister im Tierreich - kann sich eine hohe Vielfalt an Mitbewegungen leisten. Menschliche Säuglinge führen fast ausschließlich Mitbewegungen aus. Aber bei vielen anderen Tieren liegt das individuelle Verhalten erstaunlich dicht an den biomechanischen Optima, so dass kaum Mitbewegungen auftreten. Die meisten Fische beispielsweise sind von ihrem Bauplan her bereits so beschaffen, dass sie die mechanisch optimale Bewegung bis auf kaum noch messbare Abweichungen ausführen können. Die Bewegung einer hundertprozentig korrekt laufenden Schwimm-Maschine würde sich von einem schwimmenden Fisch kaum unterscheiden lassen. Von den Landtieren sind - vermutlich aufgrund höherer Komplexität und den größeren Freiheitsgraden in der Bewegung - solche perfekten Abläufe nicht bekannt, wenngleich manche Arten auch eine erstaunliche Annäherung erreichen. Vor allem springende und fliegende Tiere weisen bei diesen bewegungsformen kaum Mitbewegungen auf, weil diese die Wahrscheinlichkeit der Selektion deutlicher höher ist als beispielsweise beim Elephanten, der es sich leisten kann, seinen Rüssel alle Tage locker herum schwingen zu lassen. Der Sprunglauf des gesunden Kangaroo ist ein Beispiel für eine nahezu perfekte Annäherung von biologisch aufwandsärmster und mathematisch sinnvollster Bewegungsform, denn seine auf zwei Beinen vollführten wellenhaften Sprünge erreichen energetisch sehr effektiv ein Höchstmaß an Performanz, Geschwindigkeit und Laufsicherheit. Das Tier vollführt dabei eine mathematisch sehr genaue und nachvollziehbare Funktion, die man auch Robotern beibringen kann. Weicht ein Einzeltier von dieser Funktion ab, so wird der Sprunglauf schnell ineffektiv und führt zu einer höheren Selektionswahrscheinlichkeit. Die Natürliche Selektion wirkt hier sehr straff. In jedem Einzelfall treten aber auch mehr oder minder starke abweichende Mitbewegungen vom geometrischen Optimum auf, die ihre Ursache in morphologischen Asymmetrien, Bevorzugungen, Erfahrungen, unterschiedlicher neuronaler Ansteuerung uvm. haben.
Mitbewegungen sind eine soziale Quelle von Ausdrucksbewegungen
[Bearbeiten]Wie erwähnt, erfolgt die tatsächliche Ausformung der Mitbewegungen nicht rein zufällig - etwa durch chaotische Bedingungen, die in der jeweiligen Situation und Umwelt für das Individuum vorliegen - sondern sie sind in hohem Maße durch die Konstitution des Körpers beeinflusst, in der er sich beständig oder aktuell befindet. So ist beispielsweise der Anteil von Mitbewegungen, der auf eine fehlerhafte Ansteuerung der Muskeln zurück zu führen ist, bei jungen und vitalen Personen geringer als bei alten und senilen. Dies ist einfach ein Fakt, der aus dem trivialen Umstand resultiert, dass auch das Nervensystem altert. Komplexe Zweckbewegungen hingegen, wie sie etwa bei handwerklichen Tätigkeiten vorkommen, die eine größere Erfahrung bedürfen (bsw. Töpferei, Nähen) werden von alten Menschen oftmals sicherer, d.h. ärmer an Mitbewegungen ausgeführt als von jungen. Eine unerfahrener Person benötigt zur Erledigung der selben Handlung vor allem mehr Aufwand als eine erfahrene Person, weil sie keine aufwandsarmen Ablaufmuster verfügbar hat. Ihre Mitbewegungen sind sehr viel zahlreicher.
Weil dies schon immer so war, folgt daraus, daß es stammesgeschichtlich für unsere Vorfahren zumindest die Möglichkeit gab, durch die gegenseitige Beobachtung der Ausformung der Mitbewegungen Informationen über die Befindlichkeit oder den Erfahrungsschatz anderer Gruppenmitglieder zu erhalten. Sicher ist immerhin, dass die Art und Weise der Mitbewegungen Auskunft über die zu erwartende Konstitution des Anderen gibt. Mitbewegungen sind Informationsquellen, die von unseren Vorfahren ebenso genutzt wurden, wie wir sie heute nutzen. Weil es möglich ist, durch das gezielte Vorgeben oder Zeigen von Mitbewegungen Informationen zu übermitteln, könnte dieses Verhalten entwicklungsgeschichtliche Quelle von genetisch bedingten Ausdrucksverhalten sein. Als charakterisierende Eigenschaften der Mitbewegungen seien ihre Qualität, Geschwindigkeit und ihre Spannkraft zu sehen. Letztere kann als das Verhältnis zwischen Beschleunigung und Abbremsung in der Bewegung beschrieben werden, resp. der Kraftverteilung, die durch das Muskelspiel in den Gliedmaßen sichtbar wird. Diese Eigenschaften werden im Abschnitt Modulatoren näher beschrieben.
Verhaltensanteile
[Bearbeiten]Diese Bewegungsanteile seien definiert als jene Anteile, die vom Nervensystem erzeugt werden, um den Organismus zu bewegen und sich zweckhaft oder ausdrucksmäßig zu verhalten. Es fallen hierunter somit alle zweckmäßigen Verhaltensweisen sowie alle, die nonverbale Information vermitteln können, ganz gleich, ob das Verhalten angeboren, kulturell erworben oder aufgrund physiologischer oder vegetativer Eigenheiten gezeigt wird. Es geht hierin im Grunde die vom Zentralnervensystem bewirkte Steuerung ein, die sich tatsächlich im Verhalten zeigen kann. Die Verhaltensanteile schließen nur Umstandsbewegungen und Mitbewegungen aus.
Um ein häufiges Mißverständnis gleich eingangs vorweg zu nehmen: Obwohl alle diese Verhaltensanteile dem Organismus dienen, werden sie doch in der Ausdruckspsychologie nicht alle als zweckhaft angesehen, denn viele Verhaltensweisen werden auch dann gezeigt, wenn sie keinen Zweck erfüllen können. Beispielsweise werden Genoausdrücke auch dann gezeigt, wenn die Person allein ist und kein Gegenüber da ist, mit dem sie kommunizieren könnte. Es kann sich also nicht um ein zweckhaftes Verhalten handeln. Vielmehr folgen diese Ausdrucksverhalten den psychischen Hintergrundprozessen beständig und richten sich nicht nach einem etwa vorschwebenden Zweck der nonverbalen Kommunikation, zu der sie lediglich fähig sind. Ebenso wie die Aktivität der Schweiß- oder Speicheldrüsen lässt sich hier Information über den Zustand der Person entnehmen, aber diese Vorgänge laufen sehr oft unbewußt und ohne Kommunikationsabsicht ab.
Als Verhaltensanteile organismischer Bewegungen werden hier unterschieden:
Nicht-Ausdrucksbewegungen
[Bearbeiten]Als Nicht-Ausdrucksbewegungen bezeichne man alle Bewegungen, die vom Organismus aktiv erzeugt werden, aber keine Ausdrucksmuster haben. Wenn sie überhaupt musterhaft sind, dann nur (nach Lokalisation) prozess- oder bewegungsmusterhaft. Siehe auch Kapitel Ausdrucksmuster.[4]
vegetative Bewegungen
[Bearbeiten]Diese zweifellos ältesten Zweckbewegungen sind wesensmäßig unwillkürlich und meistens unbewußt. Sie dienen einem Ziel und haben wichtige organische Funktionen, aber sie sind nicht gerichtet zweckhaft. Neben den bekannten vegetativen Bewegungen, wie denen des Herz-Kreislauf-Systems oder des Magen-Darm-Traktes oder auch dem Kältezittern, werden hier auch viele andere vegetative Bewegungen hinzu gezählt, wie etwa das (nicht demonstrative) Rülpsen, Aufstoßen, aber auch das „Recken“ am Morgen, sofern diese Bewegungen nicht willentlich unterstützt werden. Auch die eintretenden Augendivergenz aufgrund einer vegetativen Entspannung, wie sie beim Stieren oder Starren beim Tagträumen vorkommen, werdern hierunter gezählt. Viele vegetative Bewegungen lassen auch Informationen über den Zustand der Person gewinnen, aber sie sind nicht ausdruckshaft, denn diese Information entsteht ausschließlich durch einen Eindruck des Gegenübers und unterscheidet sich in nichts von jenen Erkenntnissen, die der Gegenüber auch durch sonstiges Beobachten von Personen, Tieren oder Gegenständen gewinnen kann. Insbesondere werden vegetative Zweckbewegungen von der Person nicht aktiv herbei geführt, um etwas auszudrücken. Die gesamte Breite der vegetativen Bewegungen verfolgt biologische Zwecke.
- Merke: Alle vegetativen Bewegungen sind ausdrucksmusterlos. Sie sind aber oft prozessmusterhaft.
Nebenbewegungen
[Bearbeiten]Mitgehbewegungen
[Bearbeiten]Zweckbewegungen
[Bearbeiten]Als Zweckbewegungen bezeichne man hier jene Bewegungsanteile, die einem vorliegenden Zweck dienen. Dieser kann willkürlich oder unwillkürlich verfolgt werden und unabhängig vom bewussten Verarbeitung durch das Individuum sein. Alle Tiere zeigen ein reichhaltiges Repertoire an Zweckbewegungen, im einfachsten Falle stehen sie im Dienste der Individualerhaltung (Nahrungsaufnahme, Fluchtverhalten), in komplexen Fällen ermöglichen sie künstlerische oder wissenschaftliche Betätigung. Als Klassenmerkmal soll die Zweckhandlung hier keine Ausdrucksanteile erhalten.
Zweckbewegungen sind oft bewegungsmusterhaft, d.h. es eine Person führt sie oft auf die selbe Weise aus, die für die ökonomisch sinnvoll ist oder die sie gelernt oder sich angewöhnt hat.
Reflexbewegungen
[Bearbeiten]Diese Bewegungsklasse soll alles umfassen, was als Reflex der quergetreiften Muskulatur geführt wird. Ihre Zweckhaftigkeit liegt auf der Hand und besteht im Wesentlichen in Schutzmechanismen, die den Körper meist dort vor Gefahren, Verletzung usw. bewahren sollen, wo eine höhere, kognitive Verarbeitung mehr Zeit beanspruchen würde, als es der Schutz vor dem noxischen Ereignis zulässt. Die Palette der Reflexbewegungen ist groß und reicht von monosynaptischen über polysynaptische bis hin zu den zentral modifizierbaren Reflexen. Vorschnellenden Arme zählen hierzu, mit denen sich Menschen beim Sturz vor den Folgen bewahren. (Die Fallbewegung selber ist eine Umstandsbewegung.) Manche Reflexe bestehen nur zeitweilig, wie die w:Frühkindlichen Reflexe. Hier lässt sich sehr gut die ausdrucksmusterlosigkeit erkennen.
Reflexbewegungen sind niederorganisiert zweckhaft. Sie sind nie ausdrucksmusterhaft, sondern folgen Bewegungsmustern, die oft von Memoausdrücken nachgezeichnet werden. Das memetische demonstrative Erschrecken fällt hierunter, das sich anders als der Reflex mit einiger Verzögerung im Ausdruck zeigt und im sequentiellen Ablauf ganz anders ist als der Schreckreflex.[5]
Instinktbewegungen
[Bearbeiten]Instinktbewegungen sind aus ausdruckspsychologischer Sicht sehr interessant und wenig untersucht. Das Konzept w:Instinkt ist umstritten und es gibt keine konsente Ansicht darüber. Darwin stellte sie dar als „Instinkthandlungen“ im Sinne von Zweckbewegungen, die angeboren sind. Das trifft aus heutiger Sicht auf viele Verhaltensweisen zu, die zweifellos nicht zu den Instinken gezählt werden.
Eine Gruppe von Instinktbewegungen einzuführen ist vor allem für Anwendungszwecke sinnvoll. Es soll jedoch gleich vorweg genommen werden, dass diese Gruppe hier nicht hinreichend scharf definiert werden kann, wie es für wissenschaftliche Zwecke nötig wäre. Instinktbewegungen können hier als Zweckbewegungen bezeichnet werden, deren Zweckhaftigkeit weder durch reflexhafte Verschaltungen, noch durch Überlegungen oder Vernunft erzeugt wird, sondern angeboren, ererbt ist. Man neigt leicht dazu, dem Menschen solche Zweckhandlungen abzusprechen, weil unser bewusst steuerbares Handeln überall dominiert und auch die Instinktbewegungen verändern kann. Aber auch Menschen zeigen zahlreiche Bewegungen, deren Zweck nicht bewußt gesteuert wird, sondern in der Befriedigung von Bedürfniszuständen liegt. Nicht in diesen Bereich fallen aber die Instinkte ansich, wie sie als Drang auftreten.
Die Einordnung der Instinktbewegungen in ihre psychischen Hintergrund, wie sie der weiteren begrifflichen Struktur der KEA zugrunde gelegt wird:
- w:Trieb: biologisch vorbestimmter Bedürfniszustand
- w:Instinkt: angeborene Drang, dem Trieb nachzugeben. D.h. Verhaltensweise zu zeigen, die seiner Befriedigung dienen. Der Instinkt näher Umgebungsumstände der Befriedigung an.
- w:Schlüsselreiz: Ein Reiz, der die Möglichkeit anzeigt, daß die Instinktbewegungen ausgeführt werden können.
- Instinktbewegung: Bewegungen, die unmittelbar der Befriedigung des Triebes dienen. Diese
folgen einem
- Instinktbewegungsalgorithmus: einem Algorithmus, der eingehalten wird, um die Instinkhandlung komplett ausführen zu können, eine grobe Ordnung
Instinktbewegungen bedienen sich ausschließlich der willentlich verfügbaren Körpermuskulatur, aber ihr Ablauf ist als „Algorithmus“ gespeichert. Alle Menschen zeigen sie auf verblüffend ähnliche Weise. Sie werden mit einem Schlüsselreiz, einem Trigger angeregt und sind auf die Herbeiführung oder der Vermeidung von objektiv gegebenen Umständen gerichtet. Das Verhalten ist dabei aber nicht sehr restriktiv und auch nicht an ein Muster gebunden, wie das bei den Ausdrucksbewegungen der Fall ist, sondern kann variiert werden, je nachdem, wie das der Befriedigung des Instinktes am dienlichsten ist. Deshalb soll hier von einem „Instinktbewegungsalgorithmus“ gesprochen werden, wenngleich natürlich kein Algorithmus im Sinne einer Vorschrift auftritt. Der Instinktbewegungsalgorithmus versucht die kürzest mögliche Ausformung der Bewegung zustande zu bekommen und wird durch äußere Umstände (physische, aber auch soziale Normen) oft daran gehindert.
Zunächst liegt der Instinktbewegung also ein Bedürfnis zugrunde, das einem Trieb gleich kommt, einem inneren Bedürfniszustand, der mehr oder minder stark danach drängt, befriedigt zu werden oder akut bei Vorliegen bestimmter Umweltmerkmale aufkommt. Die Person richtet ihr Verhalten instinkthaft nach diesem Bedürfniszustand und nähert sich Situationen an, die seiner Befriedigung dienen können. Liegt dann der Schlüsselreiz endlich vor, d.h. ist die Gelegenheit gegeben, den Trieb zu befriedigen, schwenkt das Verhalten der Person in die Instinktbewegungen ein. Sie wird dann so lange ausgeführt, bis das Bedürfnis gesättigt ist oder bis die Person vorzeitig dabei gestört oder gehindert wird. Mitunter ist die Person dabei recht blind gegenüber weiteren Situationsmerkmalen, sofern diese nicht grob gefährlich oder ablenkend wirken. Der Schlüsselreiz selbst ist vorbestimmt, kann aber durch Lernen variiert werden.
Wesentlich ist eben, dass der Schlüsselreiz nicht Grund, sondern nur der Anlaß der Bewegungen ist. Obwohl im Gegensatz zum Reflex hier eine höhere kognitive Verarbeitung vorkommt, sei als Instinktverhalten nur das klassifiziert, was ausdruckslos dem Zweck des Instinktes dient. Es werden also auch hier wieder nur einzelne Komponenten des Verhaltens und der Bewegungen betrachtet, wie das bei den anderen Bewegungsklassen beschrieben wurde. Eine solche Komponente kann man vielleicht beim reinen Durststillen beobachten, wenn das Wasser geschöpft, zum Munde geführt und hinein gesaugt wird. Dies ist kein Reflex, denn es kommt nicht auf das Schlucken an, sondern auf die Körperhaltung, die das Trinken ermöglicht und auf die Hand, die das Wasser oder Glas befördert. Es handelt sich um rein zweckhafte Bewegungen, die jedoch nicht unter die Handlungen fallen, da sie nicht geplant werden müssen. Man kann auf verschiedene Weise seinen Durst stillen, aber niemals wird eine Überlegung benötigt. Bereits Kinder zeigen dieses Verhalten. Es ist zudem auch so, dass eine durstige Person durch keinerlei Überlegung ihren Durst mildern kann.
Die Instinktbewegungen bergen in sich auch keine Ausdruckskraft, denn sie geben nur Informationen her, die im Eindruck des Beobachters liegen. Trinkt und isst die Person kultiviert, benutzt sie also Geschirr oder Besteck, so sind diese Hilfsmittel, Werkzeuge, nur Modifikationen der ansonsten völlig unbewußt ablaufenden Bewegungen, für die es auch keine Rolle spielt, ob es sich um Messer und Gabel oder um Stäbchen handelt. In der Art der Werkzeuge spiegelt sich dann die Memetik, also der kulturelle Einfluss, die zu erlernende Tradition wieder, aber die eigentliche Zweckhaftigkeit der Bewegungen, die auf die Befriedigung der Triebe - Hunger und Durst - ausgerichtet sind, bleiben, entkleidet man sie von der Kultur, animalisch.
Um dies inhaltlich verstehen zu können, sollte man sich die Aufmerksamkeit nehmen, anderen Leuten beim Essen oder Trinken zuzusehen. Die meisten Menschen kehren sich, insbesondere, wenn sie aus stärkerem Hunger essen, von der Außenwelt ab und tun dies auf ihre Weise, die oftmals ganz deutlich darauf gerichtet ist, immer und immer wieder Nahrung in den Mund zu stopfen. Finden gleichzeitig Gespräche statt, so unterbrechen Personen ihre Nahrungsaufnahme kurzzeitig, um sprechen zu können, nehmen sie aber - vor allem zu Beginn des gemeinschaftlichen Essens - immer wieder auf, um ihr Bedürfnis befriedigen zu können. Man kann an der Art der Ausfürhung solcher Bewegungen sehr gut erkennen, dass sie sich im Gesamtverhalten auf eine andere Weise durchsetzen als z.B. planbare Handlungen. Sie sind imperialer und in ihrer Dynamik umso rücksichtsloser gegenüber anderen bewegunge, die die die Person ausführen möchte, je stärker das Bedürfnis in diesem Moment ist. Das spielt für die Simulation von künstlichen Figuren eine wichtige Rolle. Gut erkennbar, wenn Personen auf weniger kultivierte Weise essen, etwa einen Döner oder eine Bratwurst vor sich halten. Auch die Essweise, bei denen ein Schüsselchen zum Mund geführt und die Speise mit den Stäbchen hinein gestopft wird, ist oftmals deutlich als instinkthaft zu erkennen und selbst dann, wenn die Person in einer anregenden sozialen Situation ist, kehrt sie sich ganz ab und gibt sie sich wiederholt allein der Bedürfnisbefriedigung hin. Weniger deutlich erkennbar ist dies bei Formen des europäischen Essens, bei dem die Etikette oftmals verlangen, dass beim Essen nicht gesprochen wird, gleichzeitig aber eine kutivierte, kommunikative Haltung gefordert ist. Ziemlich viele Personen, wie man schnell entdecken wird, beginnen aber trotz gegenteilig lautender sozialer Normen zu schlingen und versuchen, das Essen möglichst schnell herunter zu kriegen. Man sieht gerade bei Leuten mit weniger „gut ausgeprägten Tischsitten“ das Triebhafte, dass dazu neigt, Konvention und Anstand in jeder Handhaltung zurück zu drängen. In diesem Zusammenhang ist auch der Algorithmus gut zu erkennen, dem die Instinktbewegung folgt. Sie ist dabei nicht musterhaft, aber sie folgt einer groben Ordnung im Ablauf der Bewegungen.
Noch viel deutlicher wird die Instinkhaftigkeit der Handlungen bei vielen sexuellen Betätigungen, insbesondere beim Geschlechtsakt. Die Ausdrucksverhalten sind hier besonders wenig untersucht, aber auch die Instinktverhalten sind interessant, die zwar zweckhaft sind, aber in vielen Fällen und bei stärkerer Erregung keinen planend handelnden Charakter mehr haben. Die daran beteiligten Bewegungen werden anders ausgeführt als Handlungen. Nahezu keine wissenschaftliche Untersuchung gibt es beispielsweise über die sexuelle Phonik.
Komplexere Instinkthandlung, wie etwa eine Zuwendung zu einem weinenden Mitmenschen[6], sind schwerer von planbaren Handlungen zu unterscheiden, weil sie meist eingebunden in überlegte Handlungen erfolgen. Man findet in unseren heutigen Gesellschaften selten Situationen, in denen sich Erwachsene spontan weinenden Menschen zuwenden, sie umarmen oder trösten. Bei Kindern ist das noch seitens der Verwandten normkonform, aber bei Jugendlichen und Erwachsenen sieht man diese Verhaltensweisen fast nie. Dennoch lässt sich der Drang der Zuwendung mühelos in seinen psychischen Verarbeitungsformen nachweisen, die entstehen, wenn die Instinkhandlung verhindert wird. So wirkt Weinen, insbesondere das Schreiweinen der Säuglinge auf jeden Menschen sehr eindrücklich, und zwar aufgrund seines phonischen Musters, nicht aufgrund der Lautstärke. Auch treten damit unangenehme Empfindungen auf, die man vor allem hat, wenn man einen fremden Säugling schreien hört, ihm aber nicht durch Ausführung der instinkhaften Bewegungen beistehen kann, weil es unangemessen ist, fremde Säuglinge zu trösten. Sie gehen fremde Personen nichts an.
Komplexe Instinktverhalten gehen nahtlos in planbare Handlungen über und werden in vollem Maße mit Ausdrucksverhalten kombiniert (aber sie bleiben distinkt von Ausdrücken getrennt). Die Frage, ob manche instinkhaften Bewegungen wie das Trinken nicht doch immer und ständig eine Handlung ist, ist schwer zu beantworten. Immerhin ist Trinken auch planbar. Wenn man aber die Menschen und sich selbst beim Trinken beobachtet, wird man feststellen, dass da nicht sehr viel Planung bei ist. Man nimmt einfach den Becher und trinkt, ohne darüber zu reflektieren. Besonders das „Stürzen“ des Bechers, das reinschläuchen von Wasser nach einer längeren Durststrecke zeigt den Instinktcharakter. Es erscheint auch sicher, dass viele Menschen nicht einmal verbal korrekt beschreiben können, auf welche Weise sie den Becher für gewöhnlich halten, mit wie vielen Schlucken sie trinken usw.. Insgesamt betrachtet scheinen reine Instinktbewegungen bei erwachsenen Menschen eher selten und sind bei Kindern noch deutlicher zu erkennen. Sie treten am Erwachsenen aber auch in angespannten Situationen häufiger hervor, in denen das Verhalten weniger der verstandesmäßigen, als vielmehr der instinktiven Steuerung unterliegt. Von Menschen, die länger Hunger und größte Not litten ist bekannt, dass sie große Mengen von Nahrungsmitteln ausdruckslos in sich hinein stopfen können, ohne dieses Verhalten vernunftsmäßig oder geplant zu beeinflussen. Von Hungeropfern ist beispielsweise bekannt, dass sie innerhalb kürzester Zeit in mechanischen Bewegungsabläufen große Mengen von Nahrung aufnehmen können und mitunter an übermäßiger Nahrungsaufnahme gehindert werden müssen, damit sie nicht nach ihrer Rettung noch an Kreislauf- oder Verdauungsproblemen erkranken. Auch ausgedurstete Schiffbrüchige, die Salzwasser geschluckt haben, neigen dazu, in unkontrollierten Instinktbewegungen große Mengen an Süßwasser zu trinken. Es kann insbesondere beim Salzdurst[7] zu ganz erheblichem psychischen Druck kommen, der dann zu unkontrollierbaren Instinktbewegungen führt.
Instinktverhalten sind angeboren, aber oft nicht Wahrnehmungsmuster gespeichert. Kälbchen haben zwar kurz nach der Geburt einen angeborenen Saugreflex und einen angeborenen Nahrungstrieb, können aber nicht sofort das Euter des Muttertiers finden, weil die dazu nötigen Informationen nicht mitgeliefert sind. Sie nähern sich aber instinkthaft immer jenen Umgebungsmerkmalen an, die besser geeignet sind, den Nahrungstrieb zu befriedigen. In aller Regel findet sie dabei schließlich die Zitzen der Mutter und speichern sodann den dazu nötigen Algorithmus als Erinnerungsspur ab. Findet das Kälbchen jedoch die Bauersfrau mit einer Flasche als Nahrungsquelle, wird es auch später immer versuchen, sich durch Annäherung an den Menschen zu sättigen. Instinktverhalten tendieren zwar immer zu imperialen, oft rücksichtslosen Verhaltensweisen, aber die Objekte, auf die sie sich richten, sind variabel.
Situationen, in denen Verhaltensweisen mit den Tendenzen von Instinktverhalten ausgeführt werden:
- Nahrungsaufnahme
- Flüssigkeitsaufnahme
- Sexualität
- Deprivation und Entzug
- Angst und Panik
- Klammerbestreben beim Ertrinken
Instinkverhalten können imperial werden, d.h. das übrige Verhalten überdecken. Sie ändern dann Dynamik und Abfolge von Willkürbewegungen. Schlingen von Essen, Schläuchen von Getränken oder auch Einsatz aller körperverfügbaren Kräfte in Panik-Situationen. Außerhalb der Reichweite karnevalistischer Bonbonkanonen wird das instinkthafte Verhalten am erwachsenen Menschen jedoch in zunehmendem Maße durch seine erfahrungsbedingten, willkürlichen Aktivitäten überdeckt.
Ebenso wie die Reflexbewegungen sind auch die Instinktbewegungen völlig ausdrucksfrei, doch anders als jene passen sie sich an die Situationsmerkmale an, indem sie gerade das tun, was dem Ziel des Instinktes dient. Deutlich ist diese Eigenschaft in Situationen von Not oder Panik. So umklammert der Ertrinkende so ziemlich alles, was schwimmt und führt dabei eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Bewegungen aus, die alle auf den selben Zweck hinaus laufen. Es handelt sich jedoch nicht um Handlungen, denn das Klammern stoppt nicht, wenn der Zweck erreicht ist, sondern erst, wenn die innere Befindlichkeit, der Trieb oder Instinkt, die das alles verursacht, nicht mehr drängt. Beispielsweise umklammert der Ertrinkende auch den Rettungsschwimmer, den er nach dessen Eintreffen überhaupt nicht mehr umklammern müsste und deshalb in Gefahr bringt. Die überlegte Handlung würde dem Ertrinkenden dazu bringen, sich passiv zu verhalten und retten zu lassen, doch das tut er nicht. Der Rettungsschwimmer muss deshalb während seiner Ausbildung auf das Instinktverhalten seiner späteren Klienten vorbereitet werden.
Instinktverhalten und Ausdrucksverhalten
[Bearbeiten]Eine weitere interessante Beobachtung kann man in diesem Zusammenhang machen. Wie erwähnt, tritt das Instinktverhalten unter Zeitdruck oder in einer Notlage eher in reiner Form zutage, wenn die Person nicht in der Lage ist, ihren Bewegungen überlegte und geplante Handlungen beizumengen. Ausdrucksverhalten, das sich hier hinzu kombiniert, scheint fast ausnahmslos ursprünglicher und niederer Natur zu sein: Weinen, Schreien, hastige grobe, kraftvolle oder verkrampfte Körperbewegungen, vor allem aber viele unspezifische Gesichtsausdrücke. Alle anderen Ausdrücke, die hier vorkommen, liegen immer in ihrer unmittelbaren Form vor. (siehe Kapitel Mittelbarkeit) Würde man in einer solchen Notsituation Ausdrucksverhalten komplexerer Art, wie etwa Ungeduld, Geringschätzung oder gar subtile bzw. zwiespältige Gesichtsausdrücke finden, so könnte man mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass keine so große Notlage vorliegt, wie es auf den ersten Blick erscheint oder erscheinen soll. In Filmen und Animationsfilmen oder gestellten Situationen wirken darum inszenierte Instinktverhalten besonders unglaubwürdig, während Ausdrucksverhalten höherer Art (Denkausdrücke, Verhältnisausdrücke) viel häufiger realistisch umgesetzt sind. Fast alle Ausdrücke, die in Filmen zu finden sind, sind zudem mittelbar.
Schlußendlich soll auf einen weiteren Umstand hingewiesen werden: Das Instinktverhalten ist immer algorithmenartig und nie musterhaft, kann sich aber auch dem musterhaften Ausdrucksverhalten bedienen. So quengeln, schreien und weinen Säuglinge oft, wenn sie soziale Zuwendung benötigen. Diese Ausdruckskomponenten, die aber immer ihren eigenen, musterhaften Gesetzmäßigkeiten folgen, dienen dann instinkthaft dazu, den Bedürfniszustand zu verändern und werden eingestellt, sobald der Schlüsselreiz - z.B. Sauggelegenheit, kein Körperkontakt, Hunger usw. - nicht mehr vorliegt. Aus welchem Grund ein Säugling geschrien hat, kann man erfahren, wie er zufrieden zu stellen war. Manchmal kann man einen Säugling durch Reichen des bloßen Nuckels zur Ruhe bringen und in Sicherheit wiegen, weil er sich mit dieser Anwesenheits-Versicherung außerhalb eines für ihn lebensbedrohlichen Zustandes - der Abwesenheit seiner Mutter - wähnt. Ein andermal spuckt er den Nuckel wieder aus, weil er etwas anderes möchte. Nun könnte man dem Eindruck unterliegen, dass auch das Ausdrucksverhalten Instinktverhalten wäre, doch das ist falsch, weil Ausdrucksverhalten phylogenetisch zu ganz anderen Zeitpunkten entstanden wie Instinktverhalten. Letztere begleitet die gesamte menschliche Abstammungslinie, bereits aus den Tiefen der Vorzeit. Wir haben Instinktverhalten in unterschiedlichen Maßen mit näheren und ferneren Verwandten im Tierreich gemeinsam. Das Ausdrucksverhalten hingegen begleitet uns erst seit kurzer Zeit und stellt eine völlig andere Verhaltenskomponente dar. Die meisten Ausdrucksverhalten treten, obwohl sie erblich sind, in höheren Lebensabschnitten auf. Wenn die ältesten Ausdrücke gleich mit der Geburt verfügbar sind, so bedeutet das nicht, dass sie von Grund auf entstanden seien, sondern nur, dass sie in der Ontogenese weiter nach vorn verlagert wurden, weil sie dort einen psychischen Hintergrund vorfinden und deshalb Selektionsvorteile mit sich bringen. Angesichts der hohen Säuglingssterblichkeit bei Affen und Menschen vor der Entwicklung der Medizin verwundert das nicht. Aber bereits Affenbabys drücken sich auf von uns deutlich verschiedene Weise aus, obgleich sie die gleichen Bedürfnisse und die gleichen Instinkte haben, wie wir selbst.
Instinktverhalten als Quelle für Ausdrucksverhalten
[Bearbeiten]
planbare Zweckbewegungen
[Bearbeiten]Handlungen
[Bearbeiten]Sprachhandlungen
[Bearbeiten](schriftlich und phonetisch, bewegungsmusterhaft)
ausdruckstragende Zweckbewegungen
[Bearbeiten]kommunikative ausdruckstragende Zweckbewegungen
[Bearbeiten]nichtkommunikative (vertuschende) ausdruckstragende Zweckbewegungen
[Bearbeiten]sinnfreie ausdrucksmusterähnliche Bewegungen
[Bearbeiten]Grimassen
[Bearbeiten]Fratzen
[Bearbeiten]Ausdrucksbewegungen
[Bearbeiten]Als Ausdrucksbewegungen bezeichne man alle Bewegungen, die vom Organismus aktiv erzeugt werden und die ausdrucksmusterhaft sind. Siehe auch Kapitel Ausdrucksmuster.
Genoausdrücke
[Bearbeiten](genetisch bedingte Ausdrücke, veraltet: echte Ausdrücke)
unspezifische Genoausdrücke
[Bearbeiten]spezifische Genoausdrücke
[Bearbeiten]Eigenausdrücke
[Bearbeiten](Eigenmienen, -gesten, -phone)
Kombinationsausdrücke
[Bearbeiten](Gesichtsausdrücke, Körperausdrücke)
Sekundärausdrücke
[Bearbeiten]Ausdrucksverstärkungsverhalten
[Bearbeiten]rhytmische Ausdrucksverstärkungsverhalten
[Bearbeiten]haltungsmäßige Ausdrucksverstärkungsverhalten
[Bearbeiten]vegetative Ausdruckserscheinungen
[Bearbeiten](ausdruckstragende Anteile an vegetativen Bewegungen)
Memoausdrücke
[Bearbeiten](memetisch bedingte Ausdrucksbewegungen)
nicht-intendierte Memoausdrücke
[Bearbeiten]Intensionsausdrücke
[Bearbeiten](beabsichtigte Expressionsbewegungen)
kulturelle Intensionsausdrücke
[Bearbeiten](kulturell-konventionelle Memoausdrücke)
Gebärden
[Bearbeiten](vernunft-konventionelle Memoausdrücke)
Individualgebärden
[Bearbeiten](noch-nicht-konventionelle Memoausdrücke)
sinnhaltige ausdrucksmusterhafte Bewegungen
[Bearbeiten]Faxen
[Bearbeiten]Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ Karl Leonhard: Der menschliche Ausdruck. Johann Ambrosius Barth, Leipzig (1968)
- ↑ Bei der computertechnischen Simulierung von Bewegungen ist es wünschenswert, die Bewegungsgesetzmäßigkeiten in Programmanweisungen umzusetzen und nicht nur durch planen Vernunftsgebrauch und privates Dafürhalten herstellen zu können (siehe klassische Animationsmethoden), sondern sie auf intuitiver, vielleicht „sozialer“ Ebene verstehbar zu simulieren. Dies klingt reichlich utopisch, doch betrachtet man die Fülle von technischen Möglichkeiten, die sich allein in den letzten 20 Jahren eröffnet haben, so ist abzusehen, dass noch in diesem Jahrhundert Wesen entwickelt werden, die nicht nur auf der informatischen Stufe von Insekten unliebsame Arbeiten verrichten werden, sondern denken, Probleme lösen, Schlussfolgerungen ziehen, verallgemeinern oder abstrahieren können und mit denen man sich auch unterhalten können muss.
- ↑ Leonhard hat Nicht-Ausdrücke als Zweckbewegungen bezeichnet.
- ↑ Die Unterscheidung ist für praktische Anwendungen relevant, weil die Bewegungsklassen mit anderen Routinen angesteuert werden können.
- ↑ Diese Übertreibung kann man bei memetisch nachgestellten Reflexbewegung oft erkennen, insbesondere wenn die Person in Gesellschaft ist. Sich unbeobachtet wähnende Personen scheinen die den Reflexbewegungen nachfolgenden Memogesten weniger häufig zu zeigen. Man könnte diese Ausdrucksbeimengung, die nicht nur Reflexe, sondern auch alle anderen Nicht-Ausdrücke betreffen, als eine Art spielerisches, kommunikatives Ausdrucksverhalten werten. Es tritt übrigens in ernsteren Situationen, bei denen eine eingetretene Schädigung (Verbrennung etc.) in den Vordergrund rückt, nicht mehr auf. Hier werden dann Genoausdrücke gezeigt.
- ↑ Weinen ist ein echter Ausdruck keine Instinkthandlung
- ↑ Es werden zwei Formen des Durstes unterschieden, darunter der Salzdurst, der entsteht, wenn Rezeptoren eine bedrohlich anteigende Salzkonzentration im Blut melden.
- ↑ Dabei scheinen sie um so weitgreifender in einem Stammbaum vertreten, je wichtiger sie sind. Das Klammerverhalten von Säuglingen an der Mutter ist beispielsweise fast allen Affen und Halbaffen gemeinsam, während das Saugeverhalten bei allen Säugern vorkommt.